Flaggschiffe, Flottenkadetten und Flops Folge 17: Psychotechniker, Sternenhändler, Geheimagenten
Flaggschiffe, Flottenkadetten und Flops
Folge 17:
Psychotechniker, Sternenhändler,
Geheimagenten Ihrer Majestät
Die Geschichte(n) der Zukunft des Poul Anderson
In diesen Reihen erschienen zahlreiche Sub- und Miniserien. Diese werden in den kommenden Wochen einmal etwas genauer betrachtet ...
Manchmal spielt einem die deutsche Sprache einen Streich. Im Englischen gibt es den Ausdruck „Future History“, der sich leicht mit „Geschichte der Zukunft“ übersetzen lässt. Die Mehrzahl „Geschichten der Zukunft“ ist aber missverständlich, denn da könnten auch unterschiedliche unzusammenhängende Erzählungen gemeint sein. Der amerikanische Poul Anderson (1926 – 2001) hat in seinem Leben ein umfangreiches Werk hinterlassen. Darunter waren sehr viele Zukunftserzählungen, von denen etliche in zwei unterschiedliche Geschichten der Zukunft eingereiht werden können. Anderson war ein produktiver, vielseitiger, intellektueller Autor aus der Spitzengruppe der englischsprachigen SF- Autoren ganz knapp hinter den Medaillenrängen, die in meiner Einschätzung (natürlich anfechtbar) Isaac Asimov, Arthur C. Clarke und Frank Herbert einnehmen. Seine dänischen Wurzeln führten ihn auch dazu, sich mit der Sagenwelt des Nordens beschäftigen, was zu sehr interessanten Fantasy-Romanen mit Edda-Hintergrund und historischen Romanen über die Wikingerzeit führte. Dieses Thema werden wir 2017 in einer neuen Serie unter die Lupe nehmen.
Bereits als recht junger Autor begann Anderson mit einer Reihe von Geschichten, die nur wenige Jahre später in der Zukunft nachdem sie erstmals veröffentlicht wurden, ihren Startpunkt hatten, aber Jahrhausende in die ferne Zukunft reichten. Die Geschichten wurden dann unter dem Sammelnamen „Psychotechnik-Bund“ (Psychotechnique League) bekannt. Der Einfluss von Asimovs Psychohistorik kann nicht verleugnet werden, denn gleich in „Marius“, der ersten Geschichte des Zyklus, taucht ein Professor auf, der mit Gleichungen ausrechnet, in welche Richtung die Menschheit steuert. Wichtigstes Vorbild für die Serie war aber die Geschichte der Zukunft von Robert A. Heinlein. Wie Heinlein machte Anderson eine Tabelle der Chronik der Menschheit von der nahen Zukunft bis zur galaktischen Expansion, und sukzessive veröffentliche er Geschichten, die in verschiedenen Abschnitten dieses Zeitraums spielen. Die letzte davon erschien 1968. Anderson gab dann dieses Szenario auf, weil er sich in eine andere Richtung entwickelt hatte, in eine zweite Geschichte der Zukunft, die wir als „Technische Zivilisation“ kennen und ebenfalls heute besprechen. Vielleicht war auch ein Grund, diese Zukunftsvariante aufzugeben, weil sich die real existierende Gegenwart zu weit davon entfernt hätte. Da wäre der dritte Weltkrieg mit Atombombenabwürfen schon 1958 passiert. Der Reiz von SF-Szenarien besteht oft darin, sich auszumalen, das könnte wirklich so passieren. Und wenn der Zeitpunkt der Handlung zu nahe an der Gegenwart liegt und die tatsächliche Zukunft dann anders aussieht, ist ein Teil der Faszination weg, auch wenn man sich im Wirklichkeit immer darüber klar war, dass man die Geschichte eines literarischen Paralleluniversums und nicht die der echten Zukunft gelesen hat. Ein weiterer Grund war für Anderson, dass er in seiner Zukunftsgeschichte die Vereinten Nationen, seiner Hoffnung entsprechend, als starke Organisation schilderte, die die Einheit der Menschheit vorantreibt. Dies ist in der realen Wirklichkeit nicht geschehen, wie wir wissen, und Anderson wandte sich von der UNO ab.
Dass Anderson ein politisch denkender Mensch war, zeigen Passagen wie diese:
Die meisten Menschen betrachteten die Dinge nur an der Oberfläche. Sie sahen, daß die großen Umwälzungen, die Weltkriege, die Jahre des Hungers, die Jahre des Wahnsinns und der großen wirtschaftlichen Zusammenbrüche von der Auflösung der traditionellen gesellschaftlichen Bindungen begleitet waren, und sie glaubten, diese Umwälzungen seien der Grund dafür. „Gebt uns Gelegenheit, und wir werden dafür sorgen, daß die gute alte Zeit zurückkommt.“So sagten sie, aber sie verstanden nicht, daß die gute alte Zeit den Samen des Todes in sich getragen hatte, daß die Entwicklung der Technologie eine Entwicklung im Menschen in sich getragen hatte, deren Auswirkungen tiefgreifender sein würden als die einer mehr oder weniger kurzlebigen Übergangsperiode.
zitiert aus: Poul Anderson: Der UN-Mensch, in: Der Psychotechnik-Bund, Ullstein SF 31163, 1988
Richard Nixon wird 1956 Präsident der USA, nachdem Eisenhower einer Krankheit erlegen ist. Als die Russen 1958 eine erneute Berlin-Blockade androhen und die Rotchinesen zwei von Taiwan gehaltene Inseln besetzen, schlägt der hitzköpfige Nixon an zwei Fronten zu, was die Russen mit einem Atombombenangriff beantworten, der den dritten Weltkrieg auslöst. Sie überqueren zwar den Rhein, können aber ihre Truppen nicht versorgen und zerfleischen sich in einem Bürgerkrieg, der die Kommunisten hinwegfegt. Europa befreit sich selbst und setzt Schritte zur Vereinigung des alten Kontinents. Die UNO wird zu einer Militärallianz gegen ihre eigenen unzufriedenen und ausgeschlossenen Mitglieder und ist dabei, sich zu einer Weltregierung zu entwickeln. Kolonien auf Mars und Venus werden gegründet. Es gibt aber viele nationalistische Kräfte, die die Vereinten Nationen zerstören und das Rad der Zeit zurückdrehen wollen. Sie haben sich international vernetzt und werden von der UNO als „Die Bande“ bezeichnet. Um diese zu bekämpfen, setzt die UNO ihre eigenen Agenten ein. Einer davon ist Robert Naysmith, der den Mord an einem Kollegen aufklären sowie dessen Frau und Kind in Sicherheit bringen soll. Er und drei weitere Kollegen von ihm, die alle gleich aussehen, weil sie Klone desselben Originals sind, lassen sich von der Bande gefangennehmen. Sie alle sind – der „UN-Mensch“. Der Anführer der Organisation lässt sie alle in seine Zentrale bringen, um das Geheimnis aufzuklären, dass es mehrere Menschen mit komplett gleichem Aussehen gibt. Dies nützt die UN-Geheimorganisation dazu, das Nest auszuräuchern und die Verschwörung zu zerschlagen.
Hollister, ein anderer UN-Agent, wird auf die Venus geschickt, um die dortigen Verhältnisse zu untersuchen, weil sich der Planet für unabhängig erklärt hat. Hollister deckt auf, dass sich in der Zwischenzeit eine stalinistische Diktatur entwickelt hat, deren Gegner in die Uranbergwerke gesteckt werden, wo sie nicht lange überleben. Hollister stiftet noch „Vor dem großen Regen“ eine Rebellion gegen die Herrschaft an, bevor dieser im Verlauf von hundert Jahren die Atmosphäre der Venus von giftigen Stoffen reinigen und damit die Grundlage für einen lebensfreundlicheren Planeten schaffen wird. Das Psychotechnik-Institut, das die Studien des Wissenschaftlers Valti zur Psychodynamik fortführt, arbeitet daran, das Verhalten ganzer Völker zu studieren und zu beeinflussen. Außerdem experimentiert es in der Richtung, die körperlichen und geistigen Möglichkeiten des einzelnen Menschen auszunutzen. Die wenigen daraus entstehenden „integrierten Menschen“ mit Supereigenschaften bleiben aber eine Episode in der Geschichte. Die Entwicklung der Hochtechnologie besiegt den Hunger, macht aber auch viele Menschen arbeitslos, die vor der Sinnfrage stehen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen.
Eine Sternexpedition wird nach Alpha Centauri geschickt und soll in 125 Jahren unser Nachbarsystem erreichen. Nach Jahrzehnten auf der Reise wird der Offizier Friday Opfer einer Intrige und zum Mannschaftsmitglied degradiert. Die Arbeiterschicht ist ihm fremd, und er muss lernen, sich ganz unten durchzusetzen. Schließlich kann er entscheidend dazu beitragen, eine Meuterei des kommunistischen Gewerkschaftsführers gegen den Kapitän und die Schiffsleitung niederzuschlagen. Rehabilitiert, erfährt er, dass die ganzen Unruhen an Bord von den Schiffspsychologen eingefädelt wurden, um „Die Unruhestifter“, so der Titel der Geschichte, während der langen Jahre der Reise, in denen für einen Großteil der Besatzung nichts zu tun ist, fit für die künftigen Herausforderungen nach Erreichen des Zielsystems zu halten, statt sie der Dekadenz auszusetzen. Friday selbst ist dafür vorgesehen, künftig das Kapitänsamt zu übernehmen. Auch wenn man selbst die Ansichten nicht teilt, die in dieser Geschichte transportiert werden, und die Manipulationen der Besatzung verurteilt, ist sie hochinteressant, weil im SF-Gewand eine Diskussion über politische und historische Gesetzmäßigkeiten geführt wird. Gerade bei Anderson ist dies oft zu beobachten. Er verstand es wie wenige andere Autoren, den Leser an der Denk- und Gefühlswelt seiner Protagonisten bzw. von sich selbst teilhaben zu lassen. Für mich führt er oft zum Widerspruch, mindestens aber zum Nachdenken.
Auf der Erde kommen im 22. Jahrhundert die wissenschaftsfeindlichen Humanisten an die Macht und fegen das Psychotechnik-Institut hinweg, werden dann aber selbst im Gefolge der blutigen Revolution unterdrückt. Das Sonnensystem versinkt in einem Zweiten Dunklen Zeitalter, bis die Erfindung des Hyperdrives eine neue Wende und ein schnelleres Ausschwärmen von Siedlern zu den Sternen mit sich bringt. In der Folge entwickeln sich in den unterschiedlichsten Sternsystemen Ableger der menschlichen Zivilisationen. Eine davon sind die Nomaden, die gleich den Zigeunern als „Sternenwanderer“ in ganzen Familienverbänden in ihren Raumschiffen durch das Weltall ziehen und die Grenze der menschlichen Zivilisation weiter Richtung galaktisches Zentrum verschieben.
Es kommt auch zum Wiederauffinden von Gesellschaften, die lange vom Rest der übrigen Menschheit abgeschlossen waren. Eine solche ist auch der „Planet der Amazonen“:
Als ein Mann bei ihnen landet, halten sie ihn für ein Monster. Die Amazonen kennen Männer nur aus der Sage.
vorderer Umschlagtext aus: Poul Anderson: Planet der Amazonen, Terra Sonderband 38, 1961
Die auf den Sternen verstreuten menschlichen Gemeinschaften werden von der Stellaren Union und ihrer Streitmacht, dem Koordinationsdienst, zusammengehalten. Im Zuge der Expansion in die Galaxis werden auch eine Reihe von fremden Spezies entdeckt. Keine von diesen weist aber eine wesentlich höhere durchschnittliche Intelligenz auf als die Menschen. Die weitere Expansion der Menschheit führt letzten Endes dazu, dass die Stellare Union zerbricht. Im fünften Jahrtausend haben die weit verstreuten Kinder der Erde sie so gut wie vergessen. Und als der letzte Auswanderer die Urheimat der Menschheit verlässt, muss man zwar sagen: „Ein Kapitel schließt“, aber die Geschichte der Menschheit ist deswegen nicht zu Ende.
Die Psychotechnik-Geschichten erschienen in Deutschland genauso verstreut wie in Amerika in verschiedenen Kurzgeschichtensammlungen Andersons und in diversen Anthologien. Vier Texte in Romanlänge kamen in Heftausgaben heraus, davon drei als Utopia Großbände und einer im Terra Sonderband. 1988 erschien dann im Ullstein-Verlag eine chronologische Sammlung der Geschichten in drei Bänden. Ganz vollständig ist diese Sammlung aber nicht, denn der Roman „Star Ways“, der schon vorher als Utopia Großband und Ullstein Taschenbuch erschienen war, sowie einige weitere Kurzgeschichten sind in dieser Sammelausgabe nicht enthalten.
Damit kommen wir zur zweiten Geschichte der Zukunft von Anderson, die der „Technischen Zivilisation“, die hauptsächlich in Erzählungen aus den zwei spannendsten Abschnitten vorgestellt wird, nämlich der Ära der Sternenhändler und der viele Jahrhunderte späteren Zeit des Niedergangs des Terranischen Imperiums. Im 22. Jahrhundert erfindet die Menschheit den Überlichtantrieb, damit ist der Weg in die Galaxis offen. Menschen lassen sich auf fremden Planeten nieder, eine Reihe von außerirdischen Zivilisationen wird entdeckt, die sich mehr oder weniger in Aussehen und Denkweise vom Menschen unterscheiden. Zur Verbindung der Menschenwelten wird ein Commonwealth, ein eher lockerer Staatenbund, gegründet. Die Polesotechnische Liga, eine Vereinigung von Handelshäusern, knüpft ähnlich der mittelalterlichen Hanse im Nord- und Ostseeraum durch ihre Handelsbeziehungen das Netz der menschlichen Außenposten in der Galaxis immer dichter und bringt die Segnungen der menschlichen Produkte auch nichtmenschlichen Zivilisationen näher. Mehr noch, als profitorientierte Leute nehmen die Händler auch ohne Probleme nichtmenschliche Mitglieder in ihre Reihen auf.
Der berühmteste der Handelsherren aus der Polesotechnischen Liga wird Großkaufmann Nicholas von Rijn, der Eigner der Solar-Gewürz- und Getränke-Vertriebsgesellschaft. Der Mann ist eine Urgewalt, es gehen einem die Wörter aus, ihn zu beschreiben: Macchiavellist, Kapitalistenschwein, Lebemensch, Schlemmer, Fettsack, Dandy, Pfennigfuchser, aber auch blitzgescheiter Stratege, unermüdlicher Arbeiter und stahlharter Kämpfer mit einer Vitalität, die selbst in fortgeschrittenem Alter ihresgleichen sucht.
Van Rijn ließ seine Körperfülle am Kopfende des Tisches in einen Sessel sinken. Kellner erschienen mit Getränken, Appetithappen und Tabakwaren, alles genau auf den Geschmack der Gäste abgestimmt. Van Rijn biß genüßlich in ein Sandwich, belegt mit Limburger Käse und Zwiebeln, und schaute seine Gäste auffordernd an.
zitiert aus: Poul Anderson: Die Gewinnspanne, in: Das Erdenbuch vom Sturmtor, Heyne SF 3966, 1983
Er zündet auch immer wieder einmal Kerzen zu Ehren seines Namenspatrons, des Heiligen Nicholas an, obwohl es kaum nachvollziehbar ist, dass dieses Unikum ein gläubiger Christ sein soll. Dem deutschsprachigen SF-Leser begegnete Van Rijn – und damit die ganze Serie um die Polesotechnische Liga – erstmals 1959 im Leihbuch „Die Wing-Dynastie“ und erreichte dann im Nachdruck als Terra-Heft „Die Rasse der Flügelmenschen“ sowie später als Ullstein-Taschenbuch unter erneutem Titelwechsel als „Entscheidung über den Wolken“ wesentlich mehr Leser. Der beste Titel für diesen Roman ist aber „Ein Mann, der zählt“. Unter diesem Titel, der die Übersetzung des Originaltitels „The Man Who Counts“ ist, und der die Bedeutung van Rijns in doppelter Hinsicht hervorhebt, nämlich als rechnender Kaufmann und als Mann, auf den man zählen kann, wenn es darauf ankommt, wurde die Geschichte im Sammelband „Das Erdenbuch vom Sturmtor“ aufgenommen. In diesem Band wurde eine ganze Reihe von Erzählungen aus der Epoche der Sternenhändler versammelt und mit Begleittexten des Ythrianers Hloch versehen. Hloch ist der Sohn der Geschichtsforscherin Rennhi aus dem Volk der Flügelmenschen vom Planeten Ythri. Rennhi hatte die Geschichte ihres Volkes in ihrem Buch „Das Himmelsbuch vom Sturmtor“ aufgezeichnet, und auch mit einem ähnlichen Werk über die Geschichte der Erdmenschen begonnen. Nach ihrem zu frühen Tod macht sich Hroch auf, dieses Werk im Sinne seiner Mutter zu vollenden und seinen Lesern auch das Andersartige, Fremdartige der Terraner näherzubringen, angefangen mit der ersten Begegnung von Ythrianern und Erdmenschen, die just aufgrund der Fehleinschätzungen eines terranischen Xenologen beinahe tragisch ausgegangen wäre. Das Buch endet mit zwei Erzählungen aus den Anfangsjahren der gemeinsamen Zivilisation, die Menschen und Ythrianer auf der Welt Avalon aufbauen.
„Ein Mann, der zählt“ ist die zentrale und gleichzeitig längste Erzählung des Buches (und vielleicht die interessanteste der ganzen Serie). Sie zeigt Nicholas van Rijn in Höchstform. Er strandet mit seinem Mitarbeiter Eric Wace und der Adeligen Lady Sandra Tamarin, der Kronprinzessin von Hermes, nach der Explosion einer Zeitbombe, die ihr Raumschiff zum Absturz bringt, auf einem Ozean des Planeten Diomedes. Dieser Planet ist für die Erdmenschen potentiell tödlich, denn sie vertragen die einheimische Nahrung nicht. Die drei Gestrandeten sind zuerst mal froh, als sie von Diomedanern, einer Spezies von fliegenden Wesen ähnlich den Ythrianern, gerettet werden. Sie können ihren Rettern, Angehörigen des Stammes der Drakhonai, begreiflich machen, dass diese ihre Lebensmittelkisten vom sinkenden Raumschiff mitnehmen. Die Drakhonai sehen aber keinen Anlass dazu, die Geretteten inmitten eines Krieges, der einen Großteil ihrer Ressourcen bindet, um den halben riesigen Planeten herum zu ihrem Stützpunkt zu befördern. Weit entfernt von anderen Menschen, mit Verständigungsmöglichkeit zuerst nur mit einem gefangenen Dolmetscher vom Stamm der Lannachi, mit denen die Drakhonai im Krieg stehen, müssen die Menschen feststellen, dass sie kaum eine Chance haben, die Menschheitszivilisation zu erreichen, wenn nicht ein Wunder passiert oder jemand eine zündende Idee hat. Der gewitzte van Rijn stiftet Zwietracht unter den Drakhonai, verhilft dem Dolmetscher zur Flucht und kann ihn dazu anstiften, dass die Lannachi die Menschen in einer Kommandoaktion befreien. Mit seinen strategischen Fähigkeiten, Drohungen, Bestechung und Betrug beim Würfelspiel bringt er die Lannachi dazu, seinen Vorschlägen zu folgen und hilft ihnen, dem Krieg gegen die Drakhonai eine günstigere Wendung zu geben. Die beiden Stämme sind zum Schluss gegen ihren Willen gezwungen, aufgrund der entstanden Pattsituation Frieden zu schließen. Um den Erfolg seiner Pläne zu erreichen, lässt van Rijn sich im wahrsten Sinn des Wortes auch in den Hintern beißen. Die drei Erdmenschen werden als Belohnung zu ihrem Stützpunkt gebracht, wo sie sich wieder von etwas anderem ernähren können als von mit Zucker gepökeltem Schinken und Pfirsichen in Branntwein und den wenigen anderen geretteten Lebensmittelvorräten aus dem abgestürzten Raumschiff, die schon fast zur Neige gegangen waren.
Weitere Abenteuer der Händler von der Polesotechnischen Liga erschienen auf Deutsch als Heyne Taschenbuch „Der Sternenhändler“ sowie als die Terra Taschenbücher „Die unsichtbare Sonne“ und „Die Satanswelt“. Diese drei Bücher wurden dann im Bastei Verlag nochmals zusammen mit dem abschließenden vierten Band „Mirkheim“ publiziert. Die Hauptrolle in den Büchern übernimmt teilweise der junge Sternenhändler und spätere Generalagent David Falkayn, ein Schützling van Rijns, der später auch Ehemann seiner Enkelin wird. Zu seiner Besatzung gehören der drachenartige Wodenite Adzel, der auf der Erde schon einmal im „Ring der Nibelungen“ den Fafnir gesungen hat, und das cynthianische Katzenwesen Chee, das Drogenzigaretten oder einen kräftigen Schluck Alkohol keinesfalls verabscheut. In der Geschichte „Die unsichtbare Sonne“, die im gleichnamigen Buch enthalten ist, findet Falkayn heraus, dass eine Sonne Planeten hat, von der man das nie erwartet hätte und die Planetenbewohner ungestört ihre Ränke schmieden können, weil lange niemand draufkommt, in welchem Sonnensystem sie beheimatet sind. Die „Satanswelt“, die von Falkayn entdeckt wird, ist ein Wanderplanet, dessen Inbesitznahme ungeheuren Reichtum und großen Machtzuwachs mit sich bringen würde. Im Roman „Mirkheim“, wird ein ein Planet gefunden, eine stählerne Ruine, die unermessliche Schätze von überschweren Elementen in sich birgt. Um den Besitz Mirkheims entbrennt ein Krieg, und obwohl die Liga den Konflikt noch einmal lösen kann, muss van Rijn erkennen, dass sich ihre große Zeit durch die Dummheit und unstillbare Gier führender Personen ihrem Ende zuneigt.
Ein weiterer Roman, der im Universum der Sternenhändler spielt, allerdings viele Generationen nach der Zeit von Nicholas van Rijn und David Falkayn, ist „Terra gegen Avalon“ (The People of the Wind), auf Deutsch als Goldmann-Taschenbuch erschienen. Das Buch handelt von zwei unterschiedlichen Spezies auf dem Planeten Avalon, nämlich den von der Erde abstammenden Menschen und den Flügelmenschen, die vom Planeten Ythri stammen. Die beiden unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen haben eine gemeinsame Zivilisation auf Avalon aufgebaut, die vom Ex-Sternenhändler David Falkayn gegründet wurde. Sie geraten aber in eine Konfliktsituation, als sich das Terranische Imperium den autonomen Planeten einverleiben will. Der Roman bildet zeitlich eine Brücke zwischen der Epoche der Sternenhändler und der Zeit des Geheimagenten Dominic Flandry, der in der Ära des Terranischen Imperiums aktiv ist, aber lange nach dessen Blütezeit, die nur in kurzen Anmerkungen in Andersons Romanen beschrieben wird.
Im 31. Jahrhundert liegt das Terranische Imperium im Sterben. Nein, ich habe nicht irrtümlicherweise aus dem Artikel über Isaac Asimovs Foundation-Serie herüberkopiert, sondern es handelt sich um eine ähnliche Ausgangslage, wo allerdings keine Psychohistorik existiert, die das Zeitalter des Chaos verkürzen könnte. Es gibt aber Menschen, die sich dem Untergang entgegenstellen, wohl wissend, dass sie ihn nicht aufhalten, sondern bestenfalls verzögern können. Einer davon ist „Dominic Flandry – Spion im All“ vom Geheimdienst Ihrer Majestät des Kaisers, der gleich in seinem ersten Abenteuer als blutjunger Fähnrich „Im Dienst der Erde“ gemeinsam mit Commander Abrams, dem Chef des Kaiserlichen Marine-Abwehrdienstes auf dem Planeten Starkard, verhindern kann, dass die Merseianer, eine aufstrebende und expansive Spezies, den Planeten als Falle für die terranische Flotte verwenden. Der Heimatplanet der Merseianer war Jahrhunderte vorher vom Sternenhändler David Falkayn vor den Folgen einer Supernova einer nahestehenden Sonne geschützt worden. Die Merseianer haben aber trotzdem oder gerade wegen der Begleitumstände dieser Rettungsaktion eine starke Abneigung gegen die Menschen entwickelt. Flandry hat in diesem Abenteuer auch eine Affäre mit der Mätresse eines hochrangigen terranischen Diplomaten, ein Teil seiner „Geheimdienstarbeit“, der immer fixer Bestandteil seiner Abenteuer sein wird und der ihn auch mit James Bond verbindet, mit dem er von einigen Beobachtern verglichen wird.
Leutnant Flandry wird nach Irumclaw versetzt, einem Planeten im hintersten Winkel des terranischen Imperiums. Als er den Mond Wayland untersucht und eine folgenschwere Entdeckung macht, wird daraus ein wahrer „Höllenzirkus“. Flottenadmiral Hugh MacCormac will das Imperium vor dem Zusammenbruch bewahren. Als er sich aber in der „Rebellion auf Alpha Crucis“ gegen den Kaiser wendet und diesen stürzen will, stoppt ihn Korvettenkapitän Flandry, der eigentlich auch die gleichen Ziele wie der rebellische Admiral verfolgt. Und so kämpft Flandry immer wieder für das Imperium, denn es ist trotz seines unbefriedigenden Zustands noch immer besser als „Die lange Nacht“, die er danach hereinbrechen sieht. Der Hauptfeind sind nach wie vor die Merseianer und ganz besonders Aycharaych, der telepathische Meisterspion, ein fremdstämmiger Außenweltler, der sich der Sache der Merseianer verschrieben hat und immer wieder Pläne gegen die Terraner schmiedet, welche der „Geheimagent von Terra“ vereiteln muss. „Die Flandry-Dossiers“ zeichnen einige dieser Auseinandersetzungen auf. Die bittersten Stunden seines Lebens muss Flandry hinnehmen, als sein eigener Sohn zum Verräter wird und die Schuld am Tod von Flandrys Verlobten trägt, zu der Flandry senior eine echte Zuneigung entwickelt hatte. Auf Befehl seines Vaters wird er einer Hypno-Behandlung unterzogen, unter der er alle Informationen ausplaudert, die aber sein Bewusstsein zerstört. Auch hinter dieser Intrige steht Aycharaych, der sich als letzter Überlebender seines Volkes herausstellt. Flandry entnimmt die Koordinaten seiner Heimatwelt dem unter der Hypnosonde zerbröselnden Gehirn seines Sohnes, und lässt die „Schattenwelt“ Chereion, einen Hort uralten Wissens, vernichten. „Am Ende des Weges“ dient Vizeadmiral Flandry noch als Berater im Hintergrund des Kaiserenkels und lässt sich mit Miriam Adams nieder, der Tochter des Geheimdienstchefs von Starkard, der ihn einst für die Mitarbeit im Geheimdienst gewinnen konnte.
Anderson schob nach dem Abschied von Flandry aus dem aktiven Dienst noch einen Roman nach, in dem seine Tochter „Diana Flandry - die Agentin des Imperiums“ eine entscheidende Rolle spielt und ihrem Vater alle Ehre macht. Diana, eine illegitime Tochter Flandrys, die auf dem Planeten Imhotep aufgewachsen ist, gerät in den Wirren des Bürgerkrieges im Terranischen Imperium, den der Admiral Magnusson auslöst, nachdem er sich zum Kaiser ausgerufen hat. Sie wird zur Helfern ihres Freundes Targovi, eines Tigeriers, der als Agent für den terranischen Geheimdienst einer riesigen Verschwörung auf der Spur ist, denn Magnusson ist ein Renegat, der in seiner Jugend von den Merseianern „umgedreht“ wurde und das Kaiserreich dem Feind ausliefern würde, wenn er tatsächlich an die Herrschaft gelangte. Das Aufdecken der Verschwörung führt zum Zusammenbrechen der Rebellion und zur Hinrichtung des Renegaten durch seine eigene Mannschaft. Admiral Flandry, der in diplomatischer Mission in die Gefangenschaft der Rebellen gelangt war, kann seine Tochter stolz in die Arme schließen. Flandry taucht übrigens während seiner aktiven Zeit auch einmal im Universum von A. Bertram Chandlers Randwelten auf und kreuzt mit dessen Helden John Grimes mit unentschiedenem Ausgang die Klingen. Sympathien füreinander entwickeln die beiden unterschiedlichen Helden keinesfalls. Die Retourkutsche für diese (erlaubte) Verwendung Flandrys durch Chandler lieferte Anderson dann im Roman „Diana Flandry“, als er Diana an den Spruch von Grimes denken ließ: „You can spit on the mat and call the cat a bastard!"
Insgesamt vier Kurzromane Poul Andersons um Dominic Flandry wurden in diversen Terra-Reihen herausgebracht, allerdings nicht handlungschronologisch und auch nicht als Serie ausgewiesen, sodass der Leser die Zusammenhänge erst recherchieren musste. Dann gab es bei Heyne zwei Romane in der SF-Taschenbuchreihe, bevor im Bastei-Verlag in den achtzigern Jahre eine Gesamtausgabe in chronologischer Reihenfolge publiziert wurde, in der auch die bisher auf Deutsch unveröffentlichten Texte enthalten waren. Allerdings fehlte in dieser Ausgabe die Storysammlung „Geheimagent von Terra“ (Flandry of Terra), die der Moewig-Verlag im gleichen Zeitraum in seiner kurzlebigen Hardcoverreihe veröffentlichte, die ähnlich aufgemacht war wie die Perry Rhodan-Silberbände. In dieser Kurzgeschichtensammlung wurden zwei der bereits als Terra-Hefte erschienenen Kurzromane zusammen mit einer dritten Erzählung versammelt. 2006 - 2009 brachte der Bastei-Verlag nochmals eine Gesamtausgabe der Dominic Flandry-Geschichten heraus, dieses Mal neu übersetzt und auch mit den Erzählungen aus „Flandry of Terra“, welche mit den Geschichten des zweiten Kurzgeschichtenbandes „Agent of the Terran Empire“ in chronologischer Reihenfolge in zwei Bänden neu zusammengestellt wurden. Ein Beweis dafür, dass Anderson auch Jahre nach seinem Tod bei uns nicht vergessen ist und dass es Redakteure gibt, die sich Mühe geben, gute Werkausgaben herauszubringen. Der Roman „Raumfahrer Vorsicht!" (Let the Spacemen Beware), der als Terra-Heft erschienen ist, spielt ebenfalls im Zeitalter der Technischen Zivilisation, hat aber andere Protagonisten. "The Day of Their Return" ist eine Fortsetzung von „Rebellion auf Alpha Crucis" (The Rebel Worlds) und beschreibt, wie es dem Planeten Aeneas und seinen Bewohnern erging, nachdem Flandry seine dortige Mission beendet hatte. Ebenfalls nicht auf Deutsch erschienen ist der Kurzgeschichtenband „The Long Night“, in der verschiedene Geschichten nach dem Fall der Polesotechnischen Liga, in der Zeit des zerfallenden Terranischen Imperiums und nach seinem Ende gesammelt sind, aber ebenfalls mit anderen Hauptpersonen als den vorgestellten.
In der nächsten Folge befassen wir uns mit dem Werk von Gordon R. Dickson, der mit Poul Anderson eng befreundet war. Die beiden Autoren verfassten gemeinsam die kleine Serie um die Teddybär-ähnlichen Hokas, welche ebenfalls in dieser Folge vorgestellt wird.
Kommentare
Durch die gleichzeitige Arbeit an den PTL- und van Rijn/Flandry-Zyklen kam es gelegentlich zu merkwürdigen Überschneidungen (so wird die venusische Stadt Sub-Luzifer aus "The Big Rain" im Flandry-Roman "The Rebel Worlds" erwähnt). Ich habe den Verdacht, dass beide Zyklen ursprünglich zusammengehören sollten, was sich aber spätestens 1956 mit der Einführung von van Rijn in "Margin of Profit" und dem Erscheinen des Romans "Star Ways" (beide 1956) erledigt hatte.
Dafür liefert der Autor später eine Art Erklärung, : In der Taverne zum Alten Phoenix treffen Figuren aus Dreiherz oder Operation Chaos sowie Nicholas van Rijn, EInstein, Abelard oder die Herren Holmes und Watson zusammen ("Ein Mittsommersturm" und eine Story in "Das Tor der fliegenden Messer"). Poul Anderson hat James Branch Cabell sehr geschätzt.
In den meisten Geschichten aus der Ära des Commonwealths, an die ich mich erinnere, spielt nicht Nicholas van Rijn die Hauptrolle, sondern sein Mitarbeiter David Falkayn.
Zum Beispiel? Man kann eigentlich keinem der erfolgreichen Autoren aus dieser Epoche vorwerfen, etwas anderes als konservativ gewesen zu sein.
Mir hat er immer wegen seiner europäischen Prägungen gefallen. Bei den meisten US-Autoren hatte ich nur zu oft das Gefühl, dass für sie die Welt an den Seaboards auf.
Andreas Decker: Nun, es gab schon einige Autoren, da musste man beim Lesen etwas Hirnschmalz aufwenden, bei Anderson musste ich das noch nie...nicht mal in seinem "Brain-Roman". Etwa, wenn abstrakte mehrfache Zeitreisen aufgemacht wurden o.ä.wie bei Heinlein z.B. Diese intellektuellen Turnübungen kamen aber zugegebenermaßen eher in KGs vor, weniger in Romanlänge. Ansonsten, zustimm: Wer erfolgreich war (werden wollte), musste mainstream liefern, nicht abstrakte Ideen...sondern gute, konventionelle Erzählungen...linear und klassisch aufgebaut..man betrachte auch die einst bei Bastei erschienenen Unetrscheidungen von Subreihen wie SF-Action, SF-Bestseller usw. Mitunter war ein etwas anspruchsvollerer Band bei den Bestsellern darunter....usw.