Flaggschiffe, Flottenkadetten und Flops Folge 18: Unter dem Banner von Dorsai
Flaggschiffe, Flottenkadetten und Flops
Folge 18:
Unter dem Banner von Dorsai
SF-Kurzserien von Gordon R. Dickson
Diese werden in den kommenden Wochen einmal etwas genauer betrachtet ...
Nachdem wir uns in der letzten Folge mit Poul Andersons Werk auseinandergesetzt haben, kann es nicht ausbleiben, dass wir auch einen Blick auf seinen Kumpel Gordon R. Dickson (1923 – 2001) werfen, der mit ihm während des Studiums in Minnesota Tür an Tür saß. Dicksons Name deutet wie der von Anderson auf skandinavische Abstammung hin. Manche Gemeinsamkeiten lassen sich auch in der Denk- und Schreibweise der beiden Autoren finden, so wohnt vielen ihrer Romane ein Hang zur Tragik inne. Neben dem dominierenden SF-Oeuvre haben beide auch substanzielle Beiträge zum Fantasy-Genre geleistet, bei Dickson war dies sein beliebter Drachenritter-Zyklus.
Die beiden Freunde verfassten gemeinsam eine kleine humorvolle Serie von Kurzgeschichten um die Teddybär-ähnlichen Hokas, die auf Deutsch gesammelt als Terra Doppelband „Alexander Jones – Diplomat der Erde“ und später in der Moewig SF unter dem Titel "Des Erdenmannes schwere Bürde" erschien. Die weiteren Bände wurden nicht mehr auf Deutsch übersetzt, nachdem der zuständige Redakteur des deutschen Verlages und der Übersetzer nach schweren Anfällen von Lachkrankheit das Zeitliche gesegnet hatten. Der terranische Fähnrich im Kulturellen Entwicklungsdienst Alexander Jones muss sich nach der Notlandung seines Forschungsbootes auf dem Planeten Toka durch die Wildnis durchschlagen. Glücklicherweise wird er von einigen Hokas aufgelesen, den Eingeborenen des Planeten, die wie ein Meter große Teddybären aussehen. Verblüfft stellt Jones fest, dass die Hokas so wie Amerikaner in der Pionierzeit des Wilden Westens gekleidet sind, den gedehnten Westernslang nuscheln und ihre Verhaltensweisen genau den Klischeevorstellungen entsprechen, die man von Westernhelden hat. Er erfährt, dass der erste Kontakt zwischen Hokas und Erdmenschen vor etwa dreißig Jahren stattgefunden hatte. Die intelligenten, wissbegierigen und sprachbegabten Hokas wurden von einem Mitglied der Expedition mit einer Freiluftvorführung von alten Westernfilmen so vom Hocker gerissen, dass sie ihre Kultur umgehend entsprechend diesem Idealbild anpassten. Außerdem hatte dieser Wesley ihnen auch noch seine Sammlung von Schundromanen hinterlassen. Als Erdmensch wird Jones deswegen begeistert empfangen und verehrt. Nachdem er sich aber sowohl als Lassowerfer wie auch als Schütze und Reiter total blamiert, wird er sofort zum Sheriff des Ortes Canyon Gulch ernannt, denn es ist klar, dass Sheriff nur die allergrößte Pfeife werden kann, während der wahre Herrscher des Ortes immer der Spieler ist. Sturzbesoffen löst Jones eine Stampede der heimischen Viehherde aus. Dies rettet die Hokas, denn sie sind den angreifenden Indianern, welche in Wirklichkeit die zweite Eingeborenenspezies des Planeten sind, klar unterlegen. Die echsenartigen Slissii werden von den durchgegangenen Rindern überrannt und in alle Winde zerstreut. Nachdem Jones mit der überraschenden Kriegstaktik bewiesen hat, dass er in Wirklichkeit der große Checker ist, tauscht er den Sheriffstern gegen den Status des Spielers ein, solange er im Ort bleibt. Jones wird aber zur Erde zurückgerufen, denn als ausgezeichneter Kenner der Hoka-Psyche ist er dazu auserwählt, als offizieller Gastgeber eine Hoka-Delegation zu betreuen, die die Erde besucht. Nach dem Besuch der Aufführung von Mozarts Don Giovanni gibt es natürlich Zoff, denn die Hokas nehmen die Oper genauso ernst wie „Bonanza“ und tragen dazu bei, dass sich wilde Eifersuchtsszenen zwischen der Verlobten von Jones, seinem Chef und dessen Freundin, die gleichzeitig Assistentin beim Hoka-Besuch ist, abspielen. Nachdem Don Jones von der Statue des Komturs in die Unterwelt gezogen worden ist, entwirrt sich das Chaos und die Hokas gehen zu Bett. Jones wird zum Botschafter der kosmischen Entitätenliga auf dem Planeten Toka ernannt.
Der frisch verheiratete Botschafter Jones schiebt nicht lange eine ruhige Kugel. Denn die Hokas haben sich die letzten Folgen von „Raumpatrouille“ mit Begeisterung angesehen, und weil sie solche Sachen total ernst nehmen, gleich eine eigene Patrouille gegründet, das Raumboot von Jones requiriert und mit Beschriftung und Spoilern aufgemotzt. Mit dem geschanghaiten Patrouillenchef Jones starten sie ins All, um das Universum gegen die Schurkis zu verteidigen. Nachdem sie keine Ahnung von Navigation haben, verirren sie sich natürlich und geben die Schuld einer Raumverzerrung. Glücklicherweise sind sie im System der Pornianer gelandet und mischen dort gleich das einzige Großkampfschiff dieser Spezies auf, die sich gerade in eine Diktatur verwandelt hat und die friedliche galaktische Zivilisation bedroht. Der pornianische Großadmiral ergibt sich der Übermacht der Hokas. Jones vertuscht die Affäre und das Eingreifen der Raumpatrouille wird seitens der Politik einer geheimnisvollen bisher unbekannten galaktischen Spezies zugeschrieben, die im Hintergrund für den Frieden arbeitet. Das nächste Problem tut sich auf, als ein Agent der Interstellaren Bundespolizei auf Toka auftaucht und Jones auffordert, ihn auf der Suche nach einem außerirdischen Drogenboss zu unterstützen, der hier einen geheimen Rauschgiftanbau angefangen hat. Dank seiner guten Verbindungen begibt sich Jones mit dem Agenten nach London, wo sie der Chefinspektor von Scotland Yard unmittelbar zu Sherlock Holmes weiterreicht. Für diesen ist die ganze Sache vollkommen elementar. Er begibt sich mit ihnen nach Devonshire, wo angeblich der Hund von Baskerville wieder aufgetaucht ist und im Handumdrehen ist der gesuchte Verbrecher gefasst, der sich in der Maske von Sir Henry getarnt hatte.
In große Kamalitäten gerät Jones, als Piraten von den Bermudas das Land bedrohen, denn wenn es zu Blutvergießen käme, würde dies ihm als für die kulturelle Entwicklung der Hokas verantwortlichem Botschafter den Job kosten. Als er die Lage sondieren will, wird er von den Piraten in den Dienst gepresst und nach einer Meuterei Kapitän des Schiffes. Auf den Bermuda-Inseln luchst er dem Piratenadmiral den Job ab, denn der Admiral muss einen Bart haben, und Jones mit seinem angeklebten Bart ist für den Job natürlich prädestiniert. An der Spitze der Flotte entert er die Festung, aber nach einem inszenierten Duell mit sich selbst, in dem der Botschafter den Admiral Grünbart besiegt, kapitulieren die Piraten. Auch der Besuch eines terranischen Inspekteurs bringt Schwierigkeiten, die Jones gerade vermeiden wollte, indem er seine Frau zu einem Schlankheitskurs auf einen anderen Planeten schickt. Als sie aber auf dem Nachbarplaneten Telko Schiffbruch erleidet, von den dortigen Eingeborenen für eine Göttin gehalten und deswegen gefüttert wird, bis sie zu platzen droht, muss Jones die tokanische Fremdenlegion zu Hilfe rufen und seine Teuerste raushauen. „Allons, enfants de la patrie!“.
Bären spielen auch eine Hauptrolle in Dicksons Zweiteiler um den Planeten Dilbia und seine pelzigen Bewohner, die allerdings wesentlich größer als die niedlichen Hokas sind. Genauer gesagt, die Dilbianer sind zweieinhalb Meter hohe Geschöpfe, die eher einem Kodiakbären ähnlich sind als einem Teddybären. Was die beiden kleinen Serien außerdem verbindet, ist der Humor, auch wenn er bei den Dilbia-Romanen nicht ganz so dick aufgetragen wird. Die unterschiedlichen Mentalitäten von Erdmenschen und Dilbianern, welche strikte Ehrbegriffe haben, sorgen immer wieder für für komische Situationen. Ein zusätzlicher Faktor sind die Hemnoiden, eine außerirdische Spezies, zwei Meter große Fettkolosse, mit denen die Menschen im Wettstreit um die Gunst der Dilbianer liegen wie zur Zeit des Kalten Krieges die Amerikaner und die Russen um die Völker der dritten Welt. Die Dilbianer bleiben zwischen den „Shorties“ und den „Fatties“ neutral, die Hemnoiden haben aber einen leichten Vorteil, weil der Größenunterschied nicht so ausgeprägt ist. im Vergleich zu den riesigen und „bärenstarken" Bewohnern des Entwicklungsplaneten Dilbia wirken selbst terranische Schwergewichtler wie Zwerge. Trotzdem bringt ein Mensch es fertig, sich auf Dilbia Respekt zu verschaffen. Dieser Mensch ist John Tardy im Roman „Regierungspost for Dilbia" („Spacial Delivery“ - man beachte den doppelten Wortsinn im englischen Original, wenn man die Rechtschreibung außer Acht lässt). Tardy wird nach Dilbia „umgeleitet“, weil er früher Olympiasieger im Zehnkampf war und man es ihm, Halbe-Pinte-per-Post, wie ihn die Dilbianer nennen, deswegen zutraut, die Menschenfrau Fettgesicht (die Soziologiestudentin Ty Lamorc) aus der Gewalt Flussufer-Schreckens, eines berüchtigten Schlägers, zu befreien. Damit Tardy in das abgelegene Dorf kommt, wo Fettgesicht festgehalten wird, wird er vom dilbianischen Briefträger Bergläufer in seinem Postsack transportiert. Halbe-Pinte-per-Post und Bergläufer schließen während der Reise Freundschaft. Tardy gerät in Zwischenfälle, die fatal hätten enden können, und erkennt, dass dahinter Sabotageversuche stehen, denn die Freundin von Flussufer-Schrecken ist mit Tark-ay alias Fassbauch verbandelt, einem Agenten der Fatties, der seine eigenen Ränke schmiedet. Jedenfalls kann Tardy den Zweikampf gegen Flussufer-Schrecken gewinnen, wenngleich auch nicht allein mit physischer Kraft, sondern mit Zuhilfenahme seines Gürtels, aber die Dilbianer haben Respekt vor Intelligenz und Geschick, und so wird seine vorher unglaubliche Leistung von den Einheimischen durchaus anerkennend betrachtet.
In der zweiten Erzählung der Serie "Der Agent" gerät der junge irdische Maschinenbau-Student Bill Waltham kopfüber ins Schlamassel, als er zur Ableistung eines Praktikums auf Dilbia landet und ihn niemand abholt. Sein Vorgesetzter ist nach einem Beinbruch außer Gefecht und im Weltraumhospital in Behandlung, seine Kollegin Anita ist in der Hand des berüchtigten Banditen Knochenbrecher. Da ist guter Rat teuer für Hacke-und-Schaufel, wie der Shorty von den riesigen Planetenbewohnern genannt wird, zumal auch der hemnoide Agent Fassbauch gegen ihn intrigiert und alles unternimmt, um ihn bei den Planetariern schlecht aussehen zu lassen. Der gewitzte Bill lässt sich nicht unterkriegen und erarbeitet sich ersten Respekt bei den Dilbianern, indem er eine größere Last haben kann als der Dorfschmied, wenngleich auch unter Zuhilfenahme eines Flaschenzugs. Schließlich gelingt es ihm auch, den Zweikampf mit Knochenbrecher zu gewinnen, zu dem er sich in Wirklichkeit gar nicht bereiterklärt hatte. Dieser war von anderer Seite getürkt, denn Knochenbrecher hatte längst vor, unter Beihaltung seiner Ehre den Job als Banditenführer aufzugeben und sich als Gastwirt und Nachfolger des schlauen Mehr Marmelade niederzulassen sowie dessen Tochter Süßes Ding zum Eheweib zu nehmen. Zum guten Schluss erfährt Bill von seinem wieder aufgetauchten Vorgesetzten, dass er als „unbewusster Agent“ nach Dilbia gesandt worden war, weil er in einem Auswahlverfahren aus einer riesigen Anzahl von Bewerbern als Bestgeeigneter für die Aufgabe auf Dilbia ausgewählt worden war. Sein Charakter entsprach dem eines dilbianischen Heldentypen am allermeisten und man hatte deswegen gehofft, dass er die verfahrene Situation auf Dilbia mit der Konkurrenz zu den Hemnoiden lösen und den Dilbianern auf ihrem Weg in die Zukunft helfen könnte. Trotz der humorvollen Einlagen, insbesondere der treffenden dilbianischen Namensgebung, hat der Roman einen zwiespältigen Eindruck bei mir hinterlassen, denn in der Konfliktsituation zwischen West und Ost wird der Russe/Hemnoide in Person des Mula-ay alias Fassbauch alias War-nicht-betrunken nur als böse und tückisch beschrieben, und das ist mir doch zu einseitig. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es noch eine dritte Geschichte um die liebenswerten Bewohner des Planeten Dilbia mit Namen „Law Twister Shorty“ gibt, die aber in keiner deutschen Ausgabe vorliegt. In ihr kann der Sieger eines Highschool-Redewettbewerbs mit seinen Argumenten als Rechtsverdreher drei gestrandete Touristinnen aus dem „Besitz“ durch die Dilbianerin Sanftes Mädchen loseisen.
Das Hauptwerk Dicksons ist ein ganz anderer, härterer Stoff. Die weitgespannte Serie um die Kriegerkaste der Dorsai, der selbst Bestandteil des noch umfangreicheren „Childe-Zyklus“ ist, kann man ganz eindeutig als Klassiker der „Military-SF“ bezeichnen. Der Childe-Zyklus beginnt mit dem Roman „Nichts für Menschen“ in der Anfangszeit des Aufbruchs zu anderen Sternen. Der Bergbauingenieur Paul Formain wird während seiner Schicht im Bergwerk durch ein Fernsehinterview mit einem gewissen Walter Blunt, der die Zerstörung der technischen Zivilisation predigt, abgelenkt und verliert bei einem darauf folgenden Unfall einen Arm. Auf der Suche nach Therapiemöglichkeiten, denn Formain verträgt kein transplantiertes Gewebe, findet er im Buch „Zerstörung“ von eben diesem Blunt, dem Zunftmeister der Stiftergilde (im Original: Chantry Guild bzw. Societé Chanterie), ein Kapitel, in dem beschrieben wird, dass man neue Gliedmaßen nachwachsen lassen kann. Formain heuert als Lehrling bei der Gilde an, die das Ende des technischen Zeitalters der sich immer schneller drehenden, überbevölkerten Welt durch komplette Zerstörung und dann eine neue Gesellschaftsordnung mittels alternativer Gesetze und darauf aufbauender PSI-Fähigkeiten erreichen will. Er besteht die Ausbildung, wird Mitglied der Gilde und nach weiteren Bewährungen, in denen er sein Talent beweisen kann, Anschlägen auf sein Leben zu trotzen, einer der Schwarzkünstler, die zum innersten Kreis Blunts gehören. Der Superkomplex, der große Computer, der über die Menschheit wacht, sieht ihn als Störenfried und entfernt ihn aus seiner Position in Raum und Zeit. Pauls geistige Kräfte sind aber enorm gewachsen, und so kehrt er zur Erde zurück, wo er in einem neuen Körper erwacht, der wie sein ursprünglicher ist, aber unversehrt mit beiden Armen. Im großen Finale, in dem auf der einen Seite der Minister für Technologie und der Superkomplex für die technische Zivilisation stehen und auf der anderen Seite Walter Blunt und seine Mitstreiter aus der Stiftergilde, wird klar, dass Pauls Körper von Blunt aus Zellen des ursprünglichen Formain, welcher einem Unfall zum Opfer gefallen war, geschaffen wurde und als Alter Ego von Blunt sein Nachfolger hätte werden sollen. Aber der neue Paul hatte nicht nur einen Teil von Blunts Identität aufgenommen, sondern auch das Ich eines Berufssoldaten, das aus der Zukunft kam und die Kräfte der Intuition vollkommen beherrscht. Der Name wird nicht erwähnt, aber dem Kenner der Dorsai-Romane wird klar, dass es Donal Graeme sein muss… Der Weg zu den Sternen ist aufgrund der Entdeckung der Sprungbrett-Technik frei, und dort draußen werden alle unterschiedlichen Strömungen der Menschen Platz finden.
Im handlungschronologisch ersten Dorsai-Roman „Das Planeten-Duell“ (Tactics of Mistake, später als „Die Söldner von Dorsai“ erschienen) spielt Cletus Grahame, der geniale Taktiker und Militärwissenschaftler, die Hauptrolle. Er reist auf die Welt Kultis, auf der die beiden führenden Mächte der nach wie vor politisch gespaltenen Erde ihren Konflikt austragen, wenngleich auch ohne offizielle Kriegserklärung. Es stehen sich reguläre Truppen der West-Allianz und Guerillas, die von der Ost-Koalition unterstützt werden, gegenüber. Hört sich irgendwie nach Vietnamkrieg an (der Roman ist in den USA 1971 erschienen). Grahame beweist recht schnell seine Fähigkeiten, indem er mit einer Handvoll Soldaten einen Guerillaüberfall verhindert und damit beim kommandierenden General, der sein Auftauchen mit Misstrauen verfolgt hat, Respekt erwirbt. Nach einem Vorstoß des Gegners ins eigene Territorium gelingt es ihm zusammen mit einer kleinen Söldnertruppe der Dorsai, zwei Drittel der gegnerischen Armee in Gefangenschaft zu nehmen und damit dem Kriegsminister der Ost-Koalition, welcher auch auf Kultis anwesend ist, eine schwere Schlappe beizubringen. Er hat dabei aber den eigenen General ausgebremst, der wutentbrannt ist und ihn zur Erde zurück beordern will. Cletus nimmt dagegen seinen Abschied und schließt sich den Dorsai mit dem Ziel an, eine vollkommen neue Truppe von Söldnern aufzubauen, die militärische Ziele mit viel geringerem Personal- und Ressourceneinsatz erreichen kann als konventionelle Kämpfer. Er siedelt auf den Planeten Dorsai über und kann viele der Einwohner von seinem Konzept überzeugen, nachdem es ihm neben seinem bereits erworbenen militärischen Ruhm auch gelungen ist, sein schwer verwundetes und steifes Knie mit seinen eigenen psychischen Kräften zu heilen, obwohl von ärztlicher Seite eine Amputation als notwendig erachtet worden war. Die neue Söldnertruppe erringt in ihren ersten Einsätzen so überragende militärische Erfolge, dass sich die bisher rivalisierenden beiden irdischen Supermächte zusammentun, um die neue Macht auszuschalten. Grahame und seine strategisch-taktisch weit überlegenen Mitkämpfer besiegen aber das zahlenmäßig viel größere, aber bürokratisch-schwerfällige irdische Heer. Die Erde hat die Vorherrschaft über die Kolonien verloren, und die Dorsai sind in der neuen Machtbalance diejenigen, auf deren Söldnerdienste künftig von Streitparteien zurückgegriffen wird, anstatt die Streitigkeiten selbst auszutragen. Die Fähigkeiten von Grahame sind allen anderen Soldaten derartig überlegen, dass diese neben ihm samt und sonders wie Schulbuben aussehen, das vermindert die Glaubwürdigkeit des ganzen Romans beträchtlich.
Hundert Jahre später hat sich die Menschheitszivilisation weiter ausgebreitet und zersplittert. Die früheren Kolonien haben sich in verschiedenen Wissenschaften spezialisiert und eigene Gesellschaftssysteme aufgebaut: die Krieger „Unter dem Banner von Dorsai“, die Philosophen der exotischen Welten, die Naturwissenschaftler auf Cassida, Newton und Venus, die religiösen Fanatiker auf den Quäkerwelten Harmonie und Eintracht, die Katholiken auf Santa Maria... Wissen fungiert als interstellare Währung, Spezialisten werden mit Kontrakten zu der Welt vermittelt, wo sie gebraucht werden, auch gegen ihren Willen. Die Erde ist ausgeblutet und verarmt. Der Erdenmensch Mark Torre träumt davon, die menschlichen Splitterkulturen mit allen ihren unterschiedlichen Fähigkeiten wieder zu vereinen und baut ein gigantisches Werk auf, die „Letzte Enzyklopädie“, welche in einem riesigen Bauwerk entsteht, welches dereinst als Satellit über der Erde seinen Bestimmungsort finden soll. Alt geworden, ist er auf der Suche nach einem Nachfolger. Dieser wird vermeintlich in Tam Olyn gefunden, der besondere geistige Fähigkeiten hat und bei einer Besichtigung der Bibliothek in einer Vision Milliarden von menschlichen Stimmen hören kann. Aber Olyn weigert sich, die ihm zugedachte Funktion anzunehmen, denn er will seine ganze Ausbildung als Berichterstatter nicht für ein ihm fremdes Ziel wegwerfen. Das Erlebnis in der Enzyklopädie führt bei Olyn dazu, dass er seine Begabung entdeckt, andere Menschen zu manipulieren. Als Berichterstatter während des Bürgerkrieges auf Neuerde versucht er, seinen Schwager zu retten, der in der Armee ist. Sie geraten aber in die Hände von Quäkersöldnern, und Tams Schwager wird von einem dieser religiösen Fanatiker erschossen. Von Rachegedanken beseelt, schmiedet er Pläne, deren Erfüllung die Vernichtung der Quäkerwelten bedeuten würden. Die Quäker erfüllen in der Gewissheit, dass sie das auserwählte Volk Gottes sind, welches als einziges das Heil erlangt, mit Todesverachtung ihre Kampfäufträge als schlecht ausgebildete Soldaten, was sie zu Kanonenfutter macht. Mit ihrem Kampflied ziehen sie in die Schlacht:
Frage nicht Soldat- nicht jetzt noch irgendwann,
in welchen Krieg dein Banner dich führen mag.
Die Legionen des Teufels umzingeln uns.
Kämpfe! Und spüre nicht den Schlag!
zitiert aus: Gordon R. Dickson, Unter dem Banner von Dorsai, Moewig SF 3596, 1982
Olyn reist nach Santa Maria, wo eine Armee der Quäkersoldaten ihrer Vernichtung gegen den weit überlegenen Gegner unter der Führung von Dorsai-Soldaten entgegensieht und muss nach dem Opfertod ihres Kommandanten, der einst Olyns Schwester heiraten wollte, erkennen, dass auch die Splitterkultur der Quäker einen Wert für die gesamte menschliche Spezies besitzt. Er besiegt seinen Zerstörungsdrang, übernimmt die Nachfolge des von einem Verwirrten ermordeten Mark Torre und setzt dessen Lebenswerk in der Letzten Enzyklopädie fort.
Die Hauptrolle im nächsten Roman über die „Söldner der Galaxis“ bzw. in der Neuübersetzung „Der General von Dorsai“ spielt Donal Graeme, der genetische General, welcher als Endprodukt einer genetischen Entwicklung den idealen Soldaten darstellt. Der Name Graeme ist wohl durch Abschleifung des Namens des Vorfahren Grahame im Dorsai-Dialekt entstanden. Seine militärischen Fähigkeiten sind sowohl in strategisch-taktischer als auch in persönlicher Kampffähigkeit umfassend. Donals ungebrochener Aufstieg durch einen militärischen Sieg nach dem anderen führt dazu, dass er zum Befehlshaber der Vereinigten Planetarischen Streitkräfte des gemeinsamen Marktsystems der zivilisierten Menschheit ernannt wird. Rückschläge erleidet er nur dadurch, dass sein Onkel Kensie durch ein Attentat ums Leben kommt und Fürst William von Ceta, Donals Gegenspieler von Anfang an, nach seiner vernichtenden Niederlage Donals Bruder zu Tode foltert. Donal stellt sich als genetisch verbesserter Mensch heraus, in dem die besten Erbanlagen der Menschheit durch die Abstammung väterlicherseits von großen Kämpfern der Dorsai und mütterlicherseits großer Denker/-innen von den Exoten in sich vereinigt sind. Er kann Intuition bewusst nutzen, gegeneinander abwägen und erkennen, welche Eingebung die richtige ist. Er ist der Erste einer neuen Menschheit, des verantwortlichen Menschen.
Die beiden Bände „Vom Geist der Dorsai“ und „Der Dorsai-Pazifist“ vereinigen die kürzeren Erzählungen um die Angehörigen der Kriegerkaste. „Amanda Morgan“ beschreibt die Geschichte der „Dorsai-Stammmutter“, wie sie im Alter von dreiundneunzig Jahren ihre Welt gegen die einfallenden Truppen von der Erde verteidigte, erzählt von ihrer Nachfahrin gleichen Namens. Es sind die Ereignisse, die am Schluss von „Das Planeten-Duell“ auf wenigen Seiten geschildert werden. „Brüder“ handelt von den beiden ungleichen Graeme-Zwillingen Kensie und Ian und davon, wie der allein zurückgebliebene Ian nach dem Tod seines Bruders Rache an den Attentätern nimmt, ohne den Ehrenkodex der Dorsai zu verletzen. Der „Dorsai-Pazifist“ hat einen für seine Kaste ganz ungewöhnlichen Mannes im Mittelpunkt. Michael de Sandoval lehnt jede Gewaltausübung ab und wird trotzdem/deshalb zum Helden. „Krieger“ stellt den düsteren Helden Ian Graeme näher vor. Er reist zur Erde, um einen Mann zur Verantwortung zu ziehen, der seinen Bruder dazu brachte, sich den Dorsai anzuschließen, wo dieser nach einer weiteren Provokation seines Bruders in einer Kurzschlussreaktion Schuld am Tod von einigen Dutzend seiner Untergebenen auf sich lud. Die Werte und der Ehrenkodex der Dorsai, für die sie leben und sterben, werden deutlich. „Lulungomeena“ erschien bereits 1954 und ist die erste Erzählung, in der ein Dorsai vorkam, eine typische Pointen-Kurzgeschichte. Da das Dorsai-Universum zu dieser Zeit noch nicht als Hintergrund festgelegt war, gibt es insoweit eine Inkonsistenz zu den späteren Geschichten, als in dieser Geschichte ein nicht von Menschen abstammender Außerirdischer vorkommt.
Eine neue Macht ist in der Galaxis entstanden, die die anderen Kulturen bedroht: die Anderen. Sie sind Abkömmlinge der Menschen, Hybriden zwischen zwei der Splitterkulturen mit besonderen Fähigkeiten und großem Machtstreben. Sie haben die Kontrolle über einen Großteil der von Menschen besiedelten Planeten übernommen und wollen die absolute Herrschaft über die gesamte Menschheit. Ein Mann tritt ihnen und ihrem Anführer Bleys Ahrens entgegen – der junge Hal Mayne, der im Alter von zwei Jahren in einem Raumschiff treibend im Weltall aufgefunden und von drei Lehrern aufgezogen wurde. Die drei Lehrer - ein Dorsai, ein Exote und ein Quäker - repräsentieren die wesentlichen Splitterkulturen der Menschheit und können damit Hal eine ganzheitliche Erziehung zukommen lassen. Als Hal sechzehn wird, werden sie von den Anderen ermordet, die nach Hal suchen, welcher flieht, um seine Ausbildung fertigzustellen und die Anderen in die Schranken zu weisen, denn ihre Herrschaft würde den Niedergang der Menschheit bedeuten. Hal ist eine weitere Reinkarnation von Donal Greame, dem ersten verantwortlichen Menschen, aber ohne dessen Beschränkungen. Hals mächtiges Hilfsmittel ist „Die letzte Enzyklopädie“ ...
Im Roman „Chantry Guild“, der nicht mehr auf Deutsch herausgekommen ist, steuert der Konflikt mit den Anderen auf den Höhepunkt zu. Bleys Ahrens verstärkt seinen tödlichen Zugriff auf die jüngeren Welten und belagert mit einer Raumflotte die Erde. Hal reist zum Planeten Kultis, wo in der klosterähnlichen Niederlassung der Chantry-Gilde, welche uns schon im allerersten Childe-Buch „Nichts für Menschen“ begegnet ist, mächtige alternative Kräfte beherrscht werden. Von einem alten Mann und einem Mädchen erfährt er, wie er die Brücke zum Ziel seiner Suche finden kann. Die drei Romane „Young Bleys“, „Other“ und „Antagonist“, die ebenfalls nicht auf Deutsch erschienen sind, befassen sich mit Bleys Ahrens, dem Gegenspieler von Hal Mayne in „Die letzte Enzyklopädie“ und „The Chantry Guild“. Sie spielen in der Zeit vor diesen beiden Büchern und beleuchten den Hintergrund des Konflikts im Detail. „Antagonist“ ist sechs Jahre nach Dicksons Tod 2007 herausgekommen und wurde durch seinen Langzeitmitarbeiter David W. Wixon fertiggestellt. Der geplante Abschlussband der Serie „Childe“, der die Ereignisse in „The Chantry Guild“ fortgesetzt und das Ende des Konflikts gebracht hätte, ist nicht mehr erschienen. Er hätte die Vollendung der Entwicklung zum verantwortlichen Menschen schildern sollen, welcher die Fähigkeiten aller Splitterkulturen der Menschheit in sich vereint, sowie die endgültige Überwindung der Anderen.
Zwei der Dorsai-Bücher erschienen in Deutschland im Abstand von einigen Jahren als Terra-Taschenbücher, zwar nicht in chronologischer Reihenfolge, aber auch im amerikanischen Original wurde die Serie nicht chronologisch publiziert. Die ganze Serie kam dann Anfang der achtziger Jahre in der Moewig SF und wurde einige Jahre später in der gleichen Reihe unter Einschluss der neu erschienenen „Letzten Enzyklopädie“ neu aufgelegt. Dieses umfangreiche Buch wurde allerdings – wie in der Endphase der Moewig SF nicht unüblich – auf drei Bände gesplittet, die allerdings gleichzeitig erschienen. Weitere Bände wurden dann nicht mehr auf Deutsch übersetzt. Die Moewig SF-Reihe wurde eingestellt und es fand sich kein anderer Verlag mehr, der an einer Gesamtausgabe Interesse gehabt hätte. Der dem Childe-Zyklus angehörige Band „Nichts für Menschen“ war schon in den siebziger Jahren alleinstehend in der Heyne SF-Subreihe „Heyne Science Fiction Classics“ herausgekommen.
Meiner Meinung nach ist Dickson mit dem Childe-Zyklus gescheitert - zugegebenermaßen aber grandios. Das Gesamtwerk hätte die menschliche Evolution vom Zeitalter der Renaissance bis zur Entwicklung des „verantwortlichen Menschen“ einige Jahrhunderte in der Zukunft schildern sollen. Dickson konnte aber die ursprünglich jeweils drei geplanten Romane, die in der Vergangenheit und in der Gegenwart gespielt hätten, nicht verwirklichen. Über die Gründe kann ich nur spekulieren. Vielleicht war der Grund, dass man Dickson als etabliertem SF-Autor nicht zutraute, auch im Mainstreambereich erfolgreich Bücher zu platzieren, oder dass man nicht glaubte, dass die SF-Leser zu diesen Büchern greifen würden (hätte ich das getan?). Der Ausbruch aus dem SF-Ghetto war vor einigen Jahrzehnten noch viel schwieriger als heute. Dann litt die Glaubwürdigkeit auch durch die zu überragend geschilderten Fähigkeiten der Dorsai, was in den fast schon Gosseyn'schen Reinkarnationen von Donal Graeme in Paul Formain und Hal Mayne gipfelte. Und zum Schluss kam noch, dass Dickson sein Werk auch nicht vollenden konnte, welches im vorgesehenen Abschlussband „Childe“ die Lösung der Konflikte und die Einheit der zersplitterten menschlichen Kulturen hätte bringen sollen, obwohl Dickson die Serie mit mehreren zusätzlichen Büchern weit über die ursprünglich geplanten sechs in der Zukunft handelnden Romane ausbaute. Aber diesbezüglich bin ich mit meiner Kritik milde, denn wir als real existierende Menschheit sind von unserer Einheit auch noch Lichtjahre weit entfernt. Ganz zu schweigen vom „Ende der Geschichte“, wie es Francis Fukuyama ziemlich voreilig postuliert hat. Dazu kommt auch noch das Problem mit den meist übersteigerten Überwartungen, die die Leser an das Ende von lang laufenden Zyklen haben. Asimov hat seine Foundation-Serie nach Jahrzehnten fortgesetzt und abgeschlossen, waren dann alle damit zufrieden? Dickson hat das Konfliktszenario derartig aufgebaut, dass er wohl keinen Ausweg mehr fand und die Serie unvollendet lassen musste.
Auf der positiven Seite des Childe-Zyklus bleibt eine faszinierende, detailreiche Geschichte der menschlichen Zukunft mit der nicht unwahrscheinlichen Prämisse, dass die Menschheit ihre Streitereien auch in die Galaxis hinausträgt. Dazu kommen gleichrangig zu den spannenden Actionszenen Schilderungen der Motive und des Gefühlslebens der handelnden Personen, was in der SF in der Zeit, als die die ersten Dorsai-Erzählungen geschrieben wurden, noch lange nicht Standard war. Am beeindruckendsten waren für mich dabei nicht die Romane, sondern die in den beiden Bänden „Vom Geist der Dorsai“ und „Der Dorsai-Pazifist“ gesammelten Geschichten. Die Novelle „Soldier, Ask Not“, die später zum gleichnamigen Roman erweitert wurde, erhielt den „Hugo Award“ für die beste SF-Erzählung des Jahres 1965. Bei etlichen jüngeren Werken der Military-SF bin ich davon überzeugt, dass sie von den Dorsai-Büchern in der einen oder anderen Weise beeinflusst sind. Dabei sind mir Orson Scott Card mit den Ender-Büchern, Lois McMaster Bujolds Miles Vorkosigan-Serie und Catherine Asaros Chroniken von Skolia aufgefallen.