»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Der Geistergraf verfluchte sie (Spuk-Roman 60)
Ausflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Der Geistergraf verfluchte sie«
Spuk-Roman 60 von Vivian Masters
Von der Frauengrusel-Sause sind noch ein paar Hefte übrig, also noch mal ran an den legendären Spuk-Roman von Bastei, in dem im Gegensatz zu vielen anderen Sammlungen feminin adressierter Lektüre tatsächlich immer echte Geister umgingen und sich nicht der Liebhaber, der Graf, der alte Kastellan oder sonst wer nachts in die Ritterrüstung zwängt und so tut, als hätte sein Ableben schon vor zwei Jahrhunderten stattgefunden.
Verantwortlich für diesen Reißer in der Tradition von „Adel verpflichtet“ (oder „Adel vernichtet“, je nachdem) ist das Verlagspseudonym Vivian Masters, was dann auch schon das Mysteriöseste an dem ganzen Roman ist, denn wer hinter dieser Titulierung steckt, bleibt immer noch das große Geheimnis diesseits von Area 51.
(Vielleicht kann ja jemand Kundiges in den Kommentaren diesem Geheimnis auf die Schliche kommen, die gängigen Quellen sprechen lediglich von einem deutschen Autoren/einer Autorin, was ich angesichts von Stil und Story mal flott unterschreiben würde.)
Damit aber niemand glaubt, ich würde mich jetzt in den Abgrund der Drei-Taschentücher-Stories begeben, kann ich schon so bestätigen, dass hier kein großes Tränchen verdrückt werden muss, stattdessen bleibt der Autor hart am Wind und präsentiert hier schon zu Beginn der 80er eine von den seligen Bitches, die man sonst immer nur in Hammer-Filmen oder amerikanischen Öl-Serien antreffen konnte.
Die marodiert fröhlich mit ihrem Gifttinkturentisch durch die familiäre Erbfolge, weil Barnley Castle ja nun mal das ist, was sich eine Schlossherrin so vom Leben wünscht, sobald sie mit fünf Jahren nicht die Prinzessinnen-Barbie zum Geburtstag überreicht bekam.
Das stimmt mich außerordentlich fröhlich, denn ich mag nicht nur entschiedene Frauen, mir geht auch die Vorliebe für herzige Seelchen ab (hier zumeist abwesend) und den schönen, aufrechten Prinzen muss ich auch nicht zwangsweise dabei haben. Vielleicht war mir Disneys „Eiskönigin“ gestern auch nur etwas zu sehr für Achtjährige und ihren Anhang konfektioniert, so dass ich dringenden Bedarf an einer augenrollenden Giftmörderin hatte.
Es wird jetzt keine literarische Großtat, auch das „Plotten“ war nicht eben die Königdisziplin des Verfassers, aber das bin ich mit meinen geschrumpften Ansprüchen ja inzwischen gewöhnt. Eigentlich erinnert das alles an eine von diesen moralisch einwandfreien Stories die „E.C.Comics“ so groß gemacht haben und deren milde Variante die Kinder der 70er und 80er ja in Form der „Gespenstergeschichten“ am Kiosk vorfanden.
Womit ich immer noch etwas hadere – ich bin ja schon froh, dass Bastei Zeit seiner Existenz auf den Startkasten mit den Charakter-Vorstellungen und den Totalspoilern verzichtete – ist die Angewohnheit, den Klappentext auf Seite 3 nicht mit einer spannenden Szene zu belegen, sondern auf zwölf adretten Zeilen den wirklich kompletten Romaninhalt zusammenzufassen, exakt bis Seite 63. Fehlt eigentlich nur noch die Todesart.
Mix it, Babs!(Reich mir die Giftprimel, Baby!)
Mal wieder dunkle und windige Nacht, da weiß man gleich, was Sache ist auf Barnley Castle. Der Earl, namentlich Stephen Coldridge, ist dezent am Abröcheln, was man seinen stolzen 80 Jahren und einer angegriffenen Gesundheit anlasten könnte, hätte seine Enkelin Barbara nicht mit einem güldenen Griff in den Giftschrank tatkräftig nachgeholfen.
Das Opfer ahnt bzw. weiß um die Umstände seines Zustands und dass sein gieriger Sprössling praktisch sabbernd an seiner Bettstadt auf den letzten Atemzug harrt, macht die Sache nicht angenehmer.
Er weist mit schwerer Zunge noch darauf hin, dass seine Schwester Ellinor und ihre Schwester Henriette in der Erbfolge Barbara voran stehen und stößt dann den bewährten Fluch aus, der sie über den Tod hinaus peinigen soll.
Barbara ist das alles Wurst, denn sie sieht sich schon mit Titel als Schlossherrin und ist so mobil wie bereit, auch weitere Hindernisse bis zu diesem Ziel in die nächste Welt zu befördern.
Sie bringt die Nachricht vom trauten Ableben sofort zu Ellinor, die auch schon ziemlich alt und hinfällig ist, aber durchaus ahnt, dass da nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Außerdem weiß sie um Barbaras nicht eben menschliche Charakterzüge.
Alsbald wird alles zu einer dicken Beerdigung zusammen getrommelt, vor allem auch ein gewisser Malcolm Fellerding, der die Plantage des Grafen in Südamerika managt und so ziemlich der letzte Verehrer ist, der Barbara angesichts ihrer sozialen Untiefen noch geblieben ist.
Barbara muss aber bald einsehen, dass sich der Verstorbene nicht so leicht abschütteln lässt, denn er fängt an, ihr als Geisterlord stetig seine Aufwartung zu machen, worauf sie meistens rabiat reagiert.
Weil sie aber noch viel zu tun hat, steigt sie in ihr geheimes Kellerverlies, wo sie hin und wieder mittels einer roten Flüssigkeit in Trance verfällt und dann die wunderbarsten Giftgerichte zusammen memoriert. Der Geistergraf macht aber auch dort seine Aufwartung.
Derweil ist Schwesterherz Henriette – übrigens ein Seelchen vor dem Herrn – gar nicht dort, wo sie Barbara angeblich hin verfrachtet hat, nämlich im nahe gelegenen Kloster zu den zwölf Türmen, sondern gemütlich auf Hochzeitsreise mit ihrem Ehemänne Roger Graves.
Barbara hatte einst einen angeblichen Brief der verstorbenen Mama gefälscht, doch Tante Ellinor hatte den bösen Schwindel erahnt und gewisse Maßnahmen getroffen. Zur Beerdigung darf die Gute nur mit dickem, schwarzen Schleier antreten, damit sie bei der Testamentseröffnung dann als übernächste Schlossherrin parat stehen kann.
Doch Ellinor schwankt inzwischen stetig zwischen Diesseits und Jenseits und lässt sich von Barbara trotz anderweitiger Vermutungen weiter munter Tinkturen gegen Kopfschmerzen aufschwatzen – momentan mal welche, die wirklich helfen.
Die Einstellung ändert sich allerdings, als bei der Testamentseröffnung die erwartete Erbfolge verkündet wird: Ellinor ist nun Großschlossmeisterin, danach Henriette und ganz hinten darf Barbara sich anstellen. Noch dazu taucht Henriette putzmunter und ohne Nonnentracht auf.
Nun schäumt die Giftmörderin vor Wut und macht sich gleich mal an ihre neue Todesliste.
Im Keller mischt sie gerade in Trance den nächsten Trank, als Malcolm hinzu kommt, der auch so seine Pläne für Wohlstand und Reichtum hat und sich tatsächlich als künftiger Ehemann ködern lässt. Als der sich allerdings dann als kundiger Mitwisser bekennt und sich selbst zum Risiko ernennt, kommt er bei Babsi gleich mit auf die Giftliste.
Sie mischt ihm einen Schierlingsbecher in seinen geliebten Whisky, während der Geistergraf das nächste Attentat sabotiert. Also verfällt Barbara auf den Plan, die Gelüste Ellinors für frische Pilzgerichte mit Kartoffelbrei auszunutzen. Sie schickt den jungen Diener zum Sammeln in den Wald und mischt dann später fiese Knollen darunter. Sicherheitshalber braut sie noch ein weiteres Gift, bei dessen Herstellung sie sich allerdings wieder mit dem Geist auseinander setzen muss, was Malcolm mitbekommt, der daraufhin das Hasenpanier ergreift.
Es kommt wie es kommen muss, irgendwie schafft Barbara es, dass a) das Hauspersonal nicht total die Flucht angesichts der Geisterbesuche ergreift und b) Ellinor ihre letzte Jägerpfanne schmaust.
Dann schiebt sie die Schuld dem Diener zu, der sich prompt an dem vergifteten Whisky zu Tode süffelt.
Dann aber geht der Geistergraf in die Offensive, die Polizei rückt an, doch noch bevor die Handschellen klicken, kippt die gute Böse unter geisterhaftem Druck vom Burgbalkon!
Rachepläne in homöopathisch umständlichen Dosen...
Tja, das war es: liest sich einfach und direkt, ist aber dennoch ein weiteres Beispiel für verschenkte Möglichkeiten, denn aus nicht näher definierten Gründen dauert es bis fünf Seiten vor Schluss, ehe die alte Dame endlich ins Gras (bzw. ins Kopfkissen) beisst, da ist dann natürlich nur noch Platz für einen denkwürdigen Abgang à la Weiße Frau.
Die Chose rund um den durchaus intriganten Malcolm, der aber zurückschreckt, als er seine Holde beim Giftmischen antrifft (so richtig hexenmäßig) und plötzlich die Buxen voll hat. Dabei war die Vorgehensweise ihm zuvor eigentlich schon klar. Dass dann noch der unschuldige Jungdiener den Löffel abgibt, weil er unerlaubt Spirituosen nascht, ist irgendwie noch ärgerlicher.
Nicht ganz schlüssig entworfen ist auch Tante Ellinor, die von Seite zu Seite zwischen tattriger Trance, wissender Raffiniertheit und totaler Naivität hin und her schwankt.
Eher antiklimatisch erscheint dagegen die Entscheidung, die liebe Henriette erst als das unbedingt noch zu rettende junge Glück aufzubauen, das passende letzte Beinahe-Opfer; um sie dann überraschend ungefähr zur Romanmitte mitsamt Ehemann vollständig fallen zu lassen.
Das führt dazu, dass die Erbschleicherin auch Zeit ihres Ablebens noch lange nicht Schlossherrin geworden, sondern eigentlich noch einen Mord in Reserve hat, als der Geistergraf die bleichen Heerscharen des Schreckens zum Schlosse bemüht: DAS hätte er auch schon drei Tage vorher machen können, als der finstere Pilzplan ausgeführt wurde, um etwa seine eigene Schwester zu retten. Doch da macht er nur das Hauspersonal (das unvermeidliche Hausmädchen Mary, Haushälterin Miss Cosgrove und DIE KÖCHIN) wuschig und bringt alle dazu, ständig Tabletts voll mit Geschirr und Giftgebräu durchs Schloss zu schmeißen.
Weil das ja ärgerlich ist und ziemlich kostet, besteht ein gewisser Teil der zweiten Romanhälfte aus Diskussionen zwischen Personal und Barbara, die ständig ihre Angestellten zusammenscheißt, um sie dann wieder bemüht rational zu behandeln, denn schließlich soll sie ja irgendwann irgendwer auch noch bedienen.
Die böse Pointe an dem Ganzen ist der letzten Spalte vorbehalten, in der Barbara dann im leeren Schloss spuken soll, während Henriette alles ausgeräumt und verkauft hat, weil sie die schlimmen Erinnerungen dort nicht aushält.
Wie haben also einen etwas zu übertrieben bösartigen Bösewicht, einige unausgegorene und einige stark unterforderte Nebenfiguren und einen Geistergraf, der seine Präsenz nicht entsprechend gewichtet, während er inflationär allen Schlossbewohnern auf den Geist geht.
Das kann man mal lesen, ist aber nicht mit soviel erzählerischem Drive umgesetzt worden, wie die Prämisse versprach, stattdessen viel Schwarz-Weiß-Malerei und überflüssige Füllsel, die traurig stimmen, denn mit einem strammen Hochköcheln der Geistererscheinungen und einem Zusammentreffen von Gut und Böse „at midnight“ hätte man noch etwas Besonderes darauf machen können.
So bleibt es dann doch nur Dutzendware.
Ich gebe dem/der unbekannten Autoren/in aber noch eine Chance, denn ich habe noch ein Werk von Vivian Masters hier rumliegen, vielleicht wird es damit ja etwas geistreicher...
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