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HORROR EXPERT 7 – Die schwärzeste Nacht

Horror ExpertDie schwärzeste Nacht

Erber und Luther – zwei Namen, die aus der Geschichte der phantastischen Literatur in Deutschland nicht wegzudenken sind und noch heute Anlass zur Kontroverse bieten. Die Reihe »Horror expert« war Vorreiter auf dem Taschenbuchmarkt und machte den interessierten Leser mit einem Genre bekannt, das hierzulande erst in den Anfängen steckte.

Das lohnt einen näheren Blick auf eine ziemlich in Vergessenheit geratene Reihe.

Die schwärzeste NachtDie schwärzeste Nacht
von Peter Saxon
Horror expert Nr. 7
Übersetzt von Unbekannt
1971
Luther Verlag
Was passiert?
Indien. Während der Meuterei von 1857. Im unabhängigen Prinzenstaat Mahadrana, beherrscht von Seiner Königlichen Hoheit Sri Rajakrishna Rambutala Lalaji Nayvar, Maharadscha von Mahadrana, Geißel des Islam, Lord der Neunundsiebzig Elefanten. Der Maharadscha hat den Kali-Kult wieder ins Leben gerufen. An diesem Abend sollen zehn britische Frauen der Todesgöttin in ihrem Tempel geopfert werden. Major Desmond Wood und seine Soldaten kommen zu spät. Die junge Jane Carter wird im Tempel vom Maharadscha vergewaltigt und dann erstochen. Die Vergeltung der Briten erfolgt sofort. Der Maharadscha wird am nächsten Baum aufgehängt. Aber die Leiche verwest vor den Augen der entsetzten Männer.

1897. Desmond Wood ist dem Beruf seines Großvaters nicht gefolgt und Ingenieur geworden. Er soll in Mahadrana einen Staudamm bauen. Natürlich hat er nicht die geringste Ahnung, dass sein Großvater den Großvater des in England erzogenen amtierenden Maharadscha Ranbir aufgeknüpft hat. Der Kali-Tempel ist vom Urwald verschlungen worden, die Morde der Thuggee, die zu Ehren der Göttin wahllos Opfer erdrosselten, sind für die Briten nur noch Gruselgeschichten. Man bemüht sich, den Feudalherrschern die Illusion von Selbstständigkeit zu geben. So ist der junge Ingenieur eher peinlich berührt, als ihn der junge Maharadscha gleich bei ihrer ersten Begegnung bei einer Tigerjagd über die Vergangenheit aufklärt. Bei der Tigerjagd kommt Wood beinahe ums Leben; der Maharadscha folgt dem angeschossenen Tier bis zu dem verfallenen Tempel. Er erschießt den Tiger vor Kalis Augen und glaubt, aus Versehen einen Mann erschossen zu haben, der aber gleich darauf wieder ein Tiger ist. Vergeblich wehrt er sich gegen den Einfluss der Todesgöttin und gerät unter ihren Bann.

Mit Feuereifer macht sich Wood an die Arbeit mit dem Damm. In Ranbirs Palast lernt er die schöne Britin Barbara kennen, die als Lehrerin für die beiden noch jungen Kinder des Maharadschas arbeitet. Barbara ist nach dem Tod ihres Verlobten mittellos hier gestrandet. Außerdem lernt Wood im Dschungel einen alten heiligen Mann kennen, der sich dem asketischen Jainismus angeschlossen hat. Der Mann entpuppt sich als Ire und ehemaliger Soldat, der der Gewalt abgeschworen hat und längst zum Einheimischen geworden ist. Einst gehörte er zum Regiment von Woods Großvater. Der heilige Mann warnt den Ingenieur vor dem sich ausbreitenden Bösen, das wieder erwacht ist.

In der Tat häufen sich merkwürdige Vorfälle. Bei einem kleinen Besäufnis bietet der Maharadscha Wood die seinen Worten zufolge jungfräuliche Englischlehrerin als Gastgeschenk an; bei der Tanzdarbietung der jungen Tänzerin schwinden dem Ingenieur die Sinne, als das Mädchen scheinbar von einem Unsichtbaren missbraucht wird, während das Porträt von Ranbirs Großvater durch das Abbild von Kali ersetzt wird.

Der Bau des Staudamms geht schleppend voran, weil die Einheimischen den Kali-Tempel auf der Talsohle trotz Woods Verboten wieder instand setzen. Der Maharadscha ignoriert seine Beschwerden, so wie er ignoriert, dass das Tal bald wegen des Staudamms geflutet werden wird. Ranbir wird seinem Großvater immer ähnlicher und zeigt erschreckende Stimmungsschwankungen, die Wood auf Abstand gehen lassen.

Die Lehrerin Barbara leidet unter schrecklichen Albträumen; jede Nacht wird sie von einem Tigermann besucht, der sie vergewaltigt und sich dabei in Ranbir verwandelt. Bei einer zufälligen Begegnung in der Stadt ist Wood entsetzt über ihr Aussehen; jemand scheint ihr buchstäblich das Leben auszusaugen. Barbara gesteht Wood ihre Tortur. Sie glaubt, dass sie zum Ziel des Bösen wurde, weil sie noch Jungfrau ist. Und sie fleht den Ingenieur an, ihr zu helfen und sie auf der Stelle zu heiraten, um sie von diesem Zustand zu erlösen. Kurzentschlossen willigt Wood ein und lässt sich von Pilcott trauen, dem Stellvertreter des Residenten. Gleichzeitig holt er Barbara aus dem Palast.

Der heilige Mann schenkt Wood zwei magische Steine, die ihn und seine Frau vor dem Bösen der Kali beschützen soll. Tatsächlich erholt sich Barbara als Ehefrau schnell. Die Woods meiden den Maharadscha. Mittlerweile gehen wieder die Thuggee um und erwürgen Woods Diener und Pilcott. Im restaurierten Kali-Tempel findet eine Blutorgie statt. Im Drogenrausch fallen die Gläubigen über die blutjungen Tempeltänzerinnen her oder verstümmeln sich als Opfer für ihre Göttin. Der Tiger kommt dazu und zerfleischt zum Jubel der Andächtigen einen Mann. Am nächsten Morgen erwacht der Maharadscha blutbesudelt und weiß nun endgültig, dass er dem Fluch seines Großvaters nicht entkommen kann.

Wood bemüht sich vergeblich, den von einer langen Reise zurückgekehrten britischen Residenten Ffrench, der den Maharadscha praktisch großgezogen hat, von der Rückkehr der Thuggee und des Kali-Kultes zu überzeugen. Aber Ffrench sind die Hände gebunden; trotz des Todes seines Stellvertreters kann er ohne Beweise keine Truppen anfordern. Außerdem will er nicht glauben, dass Ranbir dem Kult vorsteht. Sofort besucht er ihn im Palast. Ranbir lässt ihn von seinen Dienern in Gewahrsam nehmen.

Wood schleicht sich in den Tempel. Es ist die schwärzeste Nacht, das größte Fest des Kali-Kultes. Der mittlerweile völlig von seinem Großvater übernommene Maharadscha führt die Orgie an; er schneidet Ffrench das Herz heraus und isst es. Er opfert seine Kinder; die siebenjährige Tochter überlässt er den Männern, während er dem neunjährigen Sohn die Kehle durchschneidet. In ihrer Raserei töten sich mehrere Gläubige oder kastrieren sich zu Kalis Ehre. Wood ist resigniert klar, dass er gegen die Übermacht nichts ausrichten kann. Er will mit seiner Frau fliehen.

Aber er kommt zu spät. In der Zwischenzeit hat der Maharadscha Barbara entführen lassen. Wood eilt zurück und erlebt, wie sie Opfer einer Massenvergewaltigung wird, bevor ihr der Maharadscha die Kehle durchschneidet. Wood fällt ein letzter Ausweg ein. Er sprengt den provisorischen Damm, der das kleine Tal flutet und den Tempel mitsamt den Gläubigen vernichtet. Zufällig findet der Brite am nächsten Morgen den schwer verletzten Maharadscha am Ufer des neuen Sees, der ihn in einer klaren Minute um Verzeihung bittet und anfleht, ihn ausbluten zu lassen, um den Fluch zu beenden, und seinen Körper dann den Geiern zum Fraß vorzuwerfen. Bevor der Geist des Großvaters wieder an Kraft gewinnt. Wood erfüllt ihm den Wunsch.

Worum geht es?
Und wieder präsentiert der Luther Verlag einen Roman von der in diesen Jahren so fleißigen Firma Press Editorial des Briten Howard Baker. Wieder schreibt Wilfred McNeilly als Peter Saxon, der in diesem Roman einen historischen Horror-Roman mit einem sehr britischen Thema abliefert. Die Kolonialzeit in Indien, die Hindu-Göttin Kali und die Thuggee.

Wilfred Glassford McNeilly (1921-1983) war ja bereits Thema eines Luther-Artikels (Ewige Schreie). Aber es ist noch nicht alles über ihn oder seine Karriere gesagt. Geboren in Schottland war er Militärkadett und diente im Zweiten Weltkrieg als junger Mann in Indien bei den 2nd Royal Lancers und später als Lieutenant Commander in der Royal Indian Navy. In Indien lernte er auch seine Frau kennen, eine schottische Krankenschwester. 1947 kehrte er in die Heimat zurück und lebte in Irland, wo er als Journalist arbeitete. 1957 erschien sein erster Roman "Dark Amazon", da wohnte die Familie bereits in Ardglass, dem County Down.

McNeilly verfasste diverse Romane, arbeitete fürs Fernsehen und nannte sich später "Der Barde von Ardglass". 15 Jahre lang schrieb er den Kindercomic "The Adventures of Gabbety Goose" für eine Samstagszeitung. Aber er schrieb auch Thriller. Das brachte ihn mit Howard Baker zusammen, der ihn zuerst als Autor für die Krimiserie "Sexton Blake" einsetzte. Später ließ er ihn als Peter Saxon schreiben.

Das ist eine wüste Geschichte, die McNeilly hier aus dem kolonialen Indien erzählt. Gelungener Horrorroman oder völliger Schund?

Die Fakten, auf denen die Handlung basiert, sind grob wie folgt. William Henry Sleeman (1788-1856) war Beamter in der englischen Kolonie Indien und Hobby-Archäologe, der Dinosaurier-Knochen ausbuddelte. Bekannt wurde er aber wegen der Bekämpfung der indischen Thuggee. Diese organisierten Straßenbanden waren mutmaßlich für den Tod von mindestens 50000 Menschen verantwortlich, andere Schätzungen gehen vom Vielfachen aus. Reisende wurden angeblich im Namen der hinduistischen Göttin Kali, der Göttin des Todes und der Zerstörung wie auch der Erneuerung, erdrosselt und ausgeraubt. Der angebliche Kult trieb 150 Jahre lang oder länger sein Unwesen. Sleeman war maßgeblich daran beteiligt, dass die Ostindien Company in den 1830ern die Abteilung "Thuggee and Dacoity Department" gründete. Die allerdings alle Arten von Straßenraub bekämpfte. Dafür wurden von den Briten sogar neue Gesetze geschaffen, die "Thugee and Dacoity Suppression Acts" von 1836 bis 1846. Es hagelte Festnahmen, Gerichtsverfahren und Hinrichtungen.

Dank diverser Berichte und reißerischer Romane blieben die Thuggee im Bewusstsein der englischen Nation hängen. Das englische Wort "Thug" für "Gewaltverbrecher" stammt daher. In den 1860ern kam es zur "London Garrotting Panic", weil das Parlamentsmitglied Pilkington von hinten überfallen und zur Bewusstlosigkeit gewürgt wurde. Ähnliche Überfälle häuften sich, die von der viktorianischen Presse zur Hysterie aufgebauscht wurden. Die größte daraus resultierende Kuriosität dürfte wohl die patentlich geschützte "Anti-Garotter Belt Pistol" sein, eine Pistole, die mittels Korsett auf dem Rücken getragen wurde und somit jeden von hinten kommenden Angreifer verletzen konnte. Einige Zeitungen spekulierten sogar, dass die Thuggee den Weg nach England geschafft hatten.  

Heute sind die Historiker wie so oft geteilter Meinung über das Phänomen der indischen Thuggee. Es gibt die Ansicht, dass Sleeman Stimmung für eine härtere Kolonialpolitik machen wollte und das Gerede vom Kali-Kult und ihren Würgern nichts als koloniale Paranoia war. Normale Straßenbanden dienten in dem komplizierten Gefüge des britischen Kolonialismus in Indien als willkommener Vorwand, den eigenen Einfluss voranzutreiben. Die Geschichte der britischen Ostindien-Kompanie und ihrer privaten Kolonisierung, die unheilige Vermengung von Wirtschaft und Staat, aus der erst später eine staatliche Kolonisierung wurde, ist so kompliziert, wie sie faszinierend ist. In der SF sind Konzerne und ihre Truppen ja ein häufiges Thema, aber das gab es in der Realität bereits vor 400 Jahren.

Allerdings wird der revisionistischen Ansicht, dass das Problem mit den Würgern lediglich rassistischer Lug und Trug war, auch widersprochen. Auch wenn es den Thuggee in erster Linie ums Geld ging, waren sie neueren Untersuchungen zufolge durchaus Anhänger der Göttin Kali. Und im Gegensatz zu anderen Straßenräubern strukturell organisiert, oft sogar in Familienverbänden. Raubmord als Familienhandwerk.

Für die englische und europäische Abenteuerkultur der Zeit war das ein willkommenes exotisches Thema. Jules Verne bemüht in seinem "In achtzig Tagen um die Welt" die Rettung einer jungen Inderin vor der Witwenverbrennung – die die Briten abschafften -, und auch Wilkie Collins und Conan Doyle wussten ihr Publikum mit finsteren indischen Geheimbünden zu unterhalten.

Hammer Films produzierte 1959 den Historienschinken "The Stranglers of Bombay", der den Kampf gegen die Thuggee als Sekte ungemein reißerisch darstellte. Etwas mehr in der Realität verankert war 1988 "Die Täuscher" mit Pierce Brosnan, was man von "Indiana Jones und der Tempel des Todes" nicht unbedingt behaupten kann, der in Sri Lanka gedreht werden musste, weil sich die Inder rassistisch verunglimpft sahen und keine Drehgenehmigung erteilten.

Aber 1966 konnten sich Macher Howard Baker und sein Autor Wilfred McNeilly sicher sein, ein Thema zu haben, mit dem zumindest das britische Publikum etwas anfangen konnte. Ein schönes Beispiel, wie präsent die Thematik auch im Mainstream noch war, dürfte wohl der Film "Hi-Hi-Hilfe" von den Beatles sein, in dem Ringo Starr 1965 von den fanatischen Anhängern der Göttin "Kaili" gejagt wird, weil er versehentlich den Opferring ansteckt und nun der Göttin als Menschenopfer dargebracht werden soll. Zwar eine Parodie auf die Thuggee und die James Bond-Filme, aber das Thema dahinter ist in dem Zusammenhang durchaus interessant.

Und so greift McNeilly tief in die koloniale Mottenkiste und bedient anscheinend jedes imperialistische und rassistische Vorurteil, das er und seine Landsleute so hatten. Der Blogger Curt Purcell bezeichnete den Roman so treffend als "Imperial Nightmare", und da hat er recht. Selbst dem in England erzogenen und "modernen" Maharadscha Ranbir ist nicht zu trauen. Unter der dünnen Schicht anerzogener zivilisatorischer (britischer) Tradition lauert der hinduistische Heide auf seine Rückkehr, der zu jeder Schandtat bereit ist. Die dann auch ausführlich beschrieben werden.

Obwohl der Maharadscha hier dem Fluch der Ahnen erliegt, bleibt das übernatürliche Element letztlich überraschend oberflächlich und vage. Denn die Kali-Anbeter, die in Scharen zum Tempel pilgern, sind – außer den Thuggee - im Alltag ganz normale Leute, wie in mehreren Szenen etabliert wird. Abgesehen von religiöser Massenhysterie haben sie keine Ausrede, warum sie sich in eine Horde perverser Irrer verwandeln, für die Kinderschänden ebenso Teil ihres "Götzendienstes" ist wie Selbstverstümmelung, Mord und Blutopfer.

Das liest sich heute im Zeitalter der Polical Correctness streckenweise durchaus befremdlich. Auch wenn McNeilly in seinen Beschreibungen selten wie zu der Zeit üblich ins Detail geht, ist die ständige unreflektierte Vermischung von Gruselelementen, sexueller Gewalt und letztlich Pädophilie in dieser reißerischen Darstellung und Form heutzutage kaum vorstellbar. Auch wenn Horror oft als (vermeintlicher) Tabubrecher daherkommt, liest sich diese 20 Jahre nach der Unabhängigkeit Indiens entstandene Gruselmär doch in weiten Teilen wie ein Stück unappetitlicher Kolonialpropaganda.

Das liegt auch an dem unsinnigen Kern der Handlung, der den Kali-Kult – der vor allem in Nepal auch heute noch mit seinen Tieropfern eine blutige Angelegenheit ist - mit "Schwarzer Magie" westlicher Prägung gleichsetzt. "The devil-driven Worshippers of Kali sacrifice a young woman to their evil goddess of sorcery" – (Die vom Teufel besessenen Anbeter der Kali bringen ihrer Göttin der Schwarzen Magie und des Bösen eine junge Frau zum Opfer dar) - , wie der reißerische Untertitel der amerikanischen Ausgabe der Paperback Library von 1967 lautet, ist Blödsinn. Es besteht zwar nicht der geringste Zweifel, dass der durchschnittliche britische Missionar die fremden Religionen, mit denen er hier konfrontiert wurde, genauso sah. Nämlich als heidnisches Teufelswerk. Trotzdem bleibt es Unsinn.

Dazu kommt das seltsame Faible britischer Autoren für das Thema Vergewaltigung, wie bereits an anderer Stelle erwähnt. Und das ist hier besonders ausgeprägt präsent. Schon am Anfang wird das junge britische Mädchen vom Großvater-Maharadscha vergewaltigt, die Kali-Jünger stürzen sich auf die – aus westlicher Sicht – minderjährigen Tempeldienerinnen, die unsichtbare Macht der bösen Göttin vergewaltigt die ebenfalls minderjährige Tänzerin des Maharadschas vor Woods Augen, der in einen Tigermann verwandelte Maharadscha vergewaltigt mehrfach die britische Gouvernante, die am Ende dann im Tempel während der "Schwärzesten Nacht" einer Massenvergewaltigung zum Opfer fällt, bevor der Besessene sie umbringt.

Nun könnte man McNeilly zu einem frauenfeindlichen Arsch erklären, der britische rassistische Vorurteile auf ganz besonders fragwürdige Weise zu einer wüsten Geschichte vermischt und als Unterhaltung und Nervenkitzel in Gestalt eines historischen Gruselromans präsentiert. Aber ganz so einfach kann man es sich dann doch nicht machen. Im Gegensatz zu anderen Autoren, die nie einen Fuß in das Land gesetzt haben, über das sie schrieben, kannte McNeilly Land und Leute, das schimmert in dem Roman häufig in seinen authentisch klingenden Alltagsbeschreibungen durch, ob es nun um Hindus, Moslems oder Kasten geht. Und man kann auch davon ausgehen, dass er die turbulente Zeit bis zur Unabhängigkeit aus der ersten Reihe miterlebt hat. Immerhin gehörte er – wenn die Quellen stimmen - zuletzt dem Stab von Lord Mountbatten an, dem umstrittenen Architekten der Unabhängigkeit Indiens. Und da Themen wie Menschenopfer oder Massenvergewaltigungen in Indien immer mal wieder auch internationale Schlagzeilen machen – noch im März 2017 berichtete die BBC von dem Mord an einem zehnjährigen Mädchen in Karnataka, Indien, das rituell geopfert wurde, um einen Erwachsenen zu "heilen", nicht der erste derartige Vorfall in der Region -, stellt sich schon die Frage, ob sich McNeilly da nicht doch von authentischen Vorfällen hat inspirieren lassen.

Genausowenig passt es ins Bild, wenn im Roman ausgerechnet der heilige Mann im Tal, der sein Leben dem so ziemlich pazifistischsten Glauben gewidmet hat, den man sich vorstellen kann, ein ehemaliger britischer Soldat ist – die Antithese von Joseph Conrads unvergessenem Mr. Kurtz aus "Heart of Darkness". Was vermutlich alles nicht McNeillys Intention war. Ihm ging es darum, in kurzer Zeit einen Reißer zu schreiben, und nicht die Kolonialzeit mit ihren Konflikten anhand ausgefeilter Charakterisierungen aufzuarbeiten oder hohe Literatur zu produzieren. Interessant ist die Figur aber dennoch, denn der genaue Gegensatz dazu ist Woods Vorarbeiter McKenzie, der in Wort und Tat einfach nur ein rassistischer Sklaventreiber ist, den sogar sein Boss abstoßend findet. Es ist also nicht alles mit breiten Strichen zu Papier gebracht. Insofern trifft der Autor den historischen Hintergrund schon recht gut. Auch das überraschend düstere Ende passt so gar nicht ins Bild, da sich der Held letztlich gegen die finstere Macht geschlagen gibt und alles vertuscht. Kein Happy-End.

Aber lässt man mal die literarische Spurensuche beiseite, funktioniert der Roman wie die meisten Peter Saxons nur bedingt. Zieht man mal die Schockszenen mit den Kultisten ab, bleibt eine Geistergeschichte vom Fluch der Ahnen übrig, die wie gesagt ausgesprochen zurückgenommen daherkommt. Vieles bleibt (bewusst?) ambivalent; verwandelt sich der Maharadscha tatsächlich in einen Wer-Tiger oder findet das nur in seinem Kopf statt? Das im Grunde bombastische Ende mit der Überflutung des Tempels, die die Heiden ertränkt, wird auch nur hastig beschrieben. Wie so häufig bei Peter Saxon bleiben viele Ideen nur angerissen oder verpuffen.

McNeilly hat später auf diesen Roman noch einmal zurückgegriffen. Als "Errol Lecale" schrieb er von 1973 bis 1975 die Horrorserie "The Specialist", in der der spätviktorianische Geisterjäger Eli Podgram die Mächte der Finsternis bekämpft. Hierzulande erschienen fünf der sechs Romane – die Nr. 3 "The severed Hand" fehlt aus unerfindlichen Gründen; die Geschichte ist keineswegs gewalttätiger als die anderen, eher das Gegenteil trifft zu - im Vampir Horror Taschenbuch. Der erste Band "Tigerman of Terraphur" (VHR-Tb 15) hat im Grunde den gleichen Plot wie "The Darkest Night". Wieder geht es um einen Wer-Tiger, den auferstandenen Kali-Kult und einen Maharadscha. Allerdings stehen hier die okkulten Elemente im Vordergrund: Wie Marvels Dr. Strange schwebt Podgram auch mal mit seinem Astralkörper durch die Handlung.

Ein anderes Handlungselement taucht ebenfalls wieder auf, nun aber als tragende Idee in den Mittelpunkt gerückt. Podgrams "Waffe" gegen das Böse ist seine übernatürlich begabte Assistentin, die taubstumme Mara. Ihre Fähigkeiten rühren von ihrer Jungfräulichkeit her. Das in "The Darkest Night" – und auch in "Drums of the Dark Gods" (HE 5) - eingeführte Konzept, dass die Gouvernante Barbara eben wegen ihrer Jungfräulichkeit zum Ziel und Opfer der bösen übernatürlichen Mächte wird, dient beim "Specialist" häufig als Dreh- und Angelpunkt des Plots und gibt Stoff für billiges Drama. Eigentlich kein Roman, in dem Maras "Gut" nicht in Gefahr gerät, weil irgendjemand sie vergewaltigen will. In dieser Hinsicht blieb sich McNeilly treu. Als historischer Geisterjägerroman ist die Podgram-Serie nicht zu verachten, auch wenn die Pabel-Ausgabe in der Übersetzung bereinigt ist. Weniger Blut und Verstümmelungen.

Die schwärzeste NachtWas das angeht, wird der Luther-Verlag seinem rabiaten Ruf hier ebenfalls (mal wieder) nicht gerecht. Bei der Übersetzung gibt es ein paar Schnitte. Mit der Selbstverstümmelung der sich selbst kastrierenden Kali-Anhänger hatte man kein Problem, aber bei den Szenen mit sexueller Gewalt ging es auch dem Luther-Lektorat – oder dem erneut namenlosen Übersetzer – zu weit und man ließ den einen oder anderen Halbsatz unter den Tisch fallen. Trotzdem ist es aus heutiger Sicht erstaunlich, dass der Roman nicht auf dem Index gelandet ist. Immerhin wurde er als Erber's Grusel-Krimi Nr. 7 nachgedruckt und kam damit auf den Heftmarkt. Wieder mal ein Indiz, wie willkürlich diese Praxis letztlich war.

Horror Expert 7 ist erst einmal der letzte Roman der Howard Baker-Produktion (Zwar folgen noch zwei Bände, aber der eine ist ein Filmbuch und der andere von der Autorenschaft umstritten.) Nachzuvollziehen ist das nicht. Nach dem etwas ziellosen Herumgeirre der ersten Horror expert hatte Luther mit der Baker-Produktion Material gefunden, das sich zur Veröffentlichung in einer Horrorreihe eignete. Aber auch in diesem Aspekt blieb sich der Verlag mit seiner mangelnden Konsequenz und anzuzweifelnden literarischen Kompetenz treu. Warum kaufte man die Einzelromane von Press Ed ein, nicht aber die viel geeignetere Serie "The Guardians" aus demselben Autorenstall? "The Guardians" von Peter Saxon ist eine nahezu klassische Geisterdetektiv-Serie. In sechs Romanen, die zu Luthers Zeit alle vorlagen, bekämpft ein im "Swinging London" ansässiges Team das Böse. Zwar haben die Romane inhaltlich keine Serienentwicklung - obwohl es bei einigen Ausgaben eine Nummerierung gibt, ist die nicht zwingend -, aber die Geschichten sind abwechslungsreich und von den routinierten Saxon-Autoren durchaus spannend geschrieben. Sie wären das perfekte Programm für Horror expert gewesen. Andererseits stießen sie auch ein paar Jahre später bei Pabel nicht auf viel Gegenliebe. Nach den Vampir Horror Roman-Taschenbüchern 27 (Der grüne Wolf und das Mädchen) und 31 (Wenn der Menschenjäger kommt) war Schluss. Trotzdem sind "The Guardians" ein wichtiges Bindeglied in der Entwicklung des Horrorromans, da sie die alten Geisterjäger aus den amerikanischen Pulps mit der Moderne verknüpfen. Auch wenn sie heute in Vergessenheit geraten sind und von Kritikern meistens als Trash abqualifiziert werden, haben die Romane von "Peter Saxon" ihre Spuren hinterlassen und waren mit Veröffentlicheungen in neun Ländern durchaus erfolgreich.
Die schwärzeste Nacht
Das Titelbild:
Wieder griff Herbert Papala zum Stift. Und dieses eine Mal schuf er ein herrlich passendes Titelbild. Von den diversen Ausgaben dieses Romans dürfte es wohl auch das beste Titelbild sein.

Das Original
The Darkest Night
von Peter Saxon alias Wilfred McNeilly
157 Seiten
Erstveröffentlichung: Mayflower-Dell, USA, 1966

Quellen:

  • "Confessions of India's real-Life Thugs" von Miranda Carter, The Telegraph, 2014

  • "The London Garrotting Panic of the Mid-19th Century" von Karl Smallwood, Today I Found Out, 2015

  • M.J.Carter: "The Strangler Vine" – The Blake and Avery Mystery Series No.1, 2014 - Nachwort

  • The Groovy Age of Horror

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Kommentare  

#1 Heiko Langhans 2017-11-19 00:30
Die Thuggee treten auch in Karl Mays "Juweleninsel" auf. Der Roman spielt eine Generation vor den Winnetou-Bänden, so um 1840.
#2 Andreas Decker 2017-11-19 15:28
zitiere Heiko Langhans:
Die Thuggee treten auch in Karl Mays "Juweleninsel" auf. Der Roman spielt eine Generation vor den Winnetou-Bänden, so um 1840.


Sieh an. Selbst bei Karl May :-)
#3 Erlkönig 2017-11-20 20:45
Du servierst wieder mal ein schmackhaftes Gericht mit vielen leckeren Zutaten.
"Die schwärzeste Nacht" war für mich der wohl krudeste Roman der ganzen Expert-Serie.
#4 Toni 2017-11-20 20:55
Und wieder etwas gelernt. Wann erfährt man schon mal was über die indische Geschichte zur Kolonialzeit? Die Themen der Saxons scheinen breit gefächert zu sein.
Wieder mal ein sehr interessanter und informativer Artikel :-)

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