HORROR EXPERT 9 – Die Braut des Teufels
Die Braut des Teufels
Die Braut des Teufels
Was passiert?
USA. Harrisonville an der Newark Bay, New Jersey. Wo die Sopranos herkommen. Die hübsche Alice Hume, letzter Nachkomme der reichen Familie, deren Dynastiebegründer David Hume in den Tagen nach Amerika kam, als die Gegend noch New-Amsterdam hieß, ist verblüfft. Beim Spiel mit einem Oujda-Brett erhält sie ständig die Nachricht: Alice, komm nach Hause. Was hat das zu bedeuten?
Auftritt des Hausarztes und Freund der Familie Dr. Trowbridge und seines Freundes Dr. Jules de Grandin, seines Zeichens Mitglied von "la Sȗreté Général", "la Faculte de Medicine Légal de Paris" und vielem mehr, vor allem aber ein Geisterjäger. Als moderne Frau ist Alice keineswegs schreckhaft; trotz der Einwände ihre Mutter besteht sie darauf der Familientradition zu folgen und den bizarren Fruchtbarkeitsgürtel aus gehämmertem Silber und Leder zu tragen, den der Clangründer einst aus Europa mitbrachte. Erst kürzlich wollte ein mysteriöser Ausländer ihn erwerben. De Grandin zeigt sich sehr interessiert. Weiß er doch genau, wo der Gürtel ursprünglich herkommt und dass das Leder in Wirklichkeit Menschenhaut ist.
Bei der folgenden Hochzeitsprobe in der Kirche verschwindet Alice spurlos vor den Augen der Anwesenden. Jemand wirft anscheinend eine Rauchbombe in die Kirche, dann ist Alice weg. Eben noch hielt sie die Hand des Ich-Erzählers Dr. Trowbridge, dann ist sie wie weggezaubert.
Während sich die Familienmitglieder und ihr Verlobter noch verblüfft fragen, wohin Alice verschwunden ist, weiß de Grandin schon längst Bescheid. Der gelbe Nebel war nichts anderes als Bulula-gwai, ein heimtückisches Narkosemittel der Eingeborenen aus dem Kongo. Es sorgt bei den Betroffenen für einen Filmriss; sie bemerken nicht einmal, dass Minuten vergehen. Und der Brautgürtel ist der Brautgürtel der Yesiden aus Arabien, die im ganzen Orient als Sekte gefährlicher Teufelsanbeter bekannt sind. Von ihrem unheiligen Berg Lalesh in Kurdistan beten sie Malek Taos an, den Statthalter des Teufels auf Erden in Gestalt eines Goldenen Pfaus. Für den Geisterdetektiv ist der Fall klar. Die finsteren Unholde haben Alice Hume entführt.
Nachforschungen in der Familienbibliothek der Humes ergeben schnell, dass David Hume Sechszehnhundertirgendwas einst als Sklave an die Yeziden verkauft wurde, mit einem Mädchen fliehen konnte und in Amerika sein Glück machte. Die Ereignisse überschlagen sich. Alice' Mutter wird aufgehängt gefunden, aber es war Mord. Aus einem Kinderheim wird ein ungetaufter Waisenjunge entführt. Eine verletzte verschleierte Frau sucht Hilfe bei de Grandin. Sie hat kreuzförmige Brandnarben auf den Wangen und der Brust und ein Loch im Leib. Sie berichtet dem Geisterdetektiv von den Teufelszeichen und dem Kind, das man opferte, bevor sie ins Delirium fällt. De Grandin lässt die Unbekannte zu ihrer eigenen Sicherheit in eine Zelle im Irrenhaus schaffen.
Inspecteur Renouard taucht auf, ein alter Kumpel de Grandins. Renouard ist Frauenhändlern auf der Spur und hat von Ägypten aus eine gigantische Verschwörung entdeckt. Teufelssekten treiben ihr Unwesen im Nahen Osten, zwielichtige Gestalten ziehen nach Kurdistan zu den Teufelsanbetern. In Europa und auch Amerika haben diese Leute bereits die Religionen infiltriert, um sie von innen zu zersetzen. Im Kongo verbreiten die kannibalistischen Leopardenmänner Terror. Das alles wird bezahlt und gesteuert von den gottlosen Bolschewisten aus Russland.
(Zwar steht zu befürchten, dass es viele Leser an dieser Stelle noch immer nicht geschnallt hatten, woran die Übersetzung, wozu wir noch kommen, schuld ist, aber die Geschichte spielt 1932 zur Kolonialzeit.)
Man findet die Frau mit dem Schleier gekreuzigt und gefoltert im Hof eines Nonnenklosters; einer Zeugin hat man die Hände abgehakt, die Zunge rausgeschnitten und die Augen ausgestochen. De Grandin ermittelt, dass das entführte Kind bei einer schwarzen Messe geopfert wurde. Das nächste ungetaufte Kind wird entführt. De Grandin und die Polizei finden den Unterschlupf der Teufelsanbeter, die größtenteils Europäer sind, und stürmen das Haus. Dort werden sie Zeuge, wie die hypnotisierte Alice Hume, die als Nachfahrin der von Hume entführten Hohepriesterin der Jesiden vor ein paar hundert Jahren die aktuelle Nachfolgerin werden soll, als nackter Altar dienen muss. Die Teufelsanbeter können de Grandin und seine Freunde überwältigen; die Helden können die Kindsopferung nicht verhindern. Aber dank des Eingreifens des Polizisten Ingraham, der sich undercover bei den Schurken eingeschmuggelt hat, nachdem er in Afrika die Leopardenmänner verfolgte, kann man Alice befreien und den Anführer der Teufelsanbeter, einen Russen namens Grigor Bazarov, dingfest machen. Der landet nach seinem Prozess auf dem elektrischen Stuhl. Unsere Helden sind Zeuge der Hinrichtung.
Aber dann wird Alice erneut entführt – anscheinend von Bazarov. De Grandin lässt ihn exhumieren. Und der Schurke ist tatsächlich tot. Aber wo kommt der Doppelgänger her? Sind doch finstere Mächte im Spiel? De Grandin verfolgt die Spur der Entführer nach Liberia, wo anscheinend die Schwarze Messe mit Alice Hume erneut durchgeführt werden soll, diesmal nur im großen Stil.
Der Franzose und seine Freunde reisen also los und ziehen mit Soldaten zum Ort des Geschehens, einem von Archäologen ausgegrabenen römischen Kollisseum an der Grenze zu Sierra Leone. Von einem gefolterten und danach standrechtlich erschossenen Leopardenmann erfahren sie den genauen Ort und sprengen die Versammlung.
Die entpuppt sich dann als bizarre internationale Horrorconvention, wo eine Horde Teufelsanbeter und Eingeborene diverse Dämonenstatuetten auf Sänften aus Menschenknochen untermalt von Buschtrommeln im Umzug präsentieren. Ein Luzifer, ein Set, eine Kali und ein Pfau. Der halbnackt auftretenden Alice Hume sind in der Zwischenzeit anscheinend Hörner gewachsen. Als sie den Altar besteigt, wo sie Oberpriester Bazarov erwartet, sprengt de Grandin die Veranstaltung. Dreist bahnt er sich einen Weg durch die Menge, als würde er dazugehören, schnappt sich die hypnotisierte Alice und lässt die anderen Priester von versteckten Scharfschützen um des Effekts willen mit Schalldämpfern erschießen. In dem ausbrechenden Chaos tötet er Bazarov mit einem Degen; als Vergeltung für den Mord an der Zeugin sticht er ihm zuerst die Augen aus, bevor er ihm den Degen in den Mund rammt. Mon dieu!
Die Soldaten mähen unter Ingrahams Leitung die aufgebrachten Stammeskrieger, Teufelsanbeter und Leopardenmänner mit ihren Maschinengewehren nieder und sorgen für Ruhe in der Kolonie. De Grandin enthüllt, dass alles nur Lug und Trug war. Alice' Hörner sind einoperiert, in Wirklichkeit gab es zwei Bazarovs – Zwillinge und ehemalige Anarchisten, die im Gulag in Sibirien nach den erlittenen Qualen zu Teufelsanbetern wurden. Die genesene und noch immer jungfräuliche Alice darf nun endlich heiraten, ihre Kinder werden nach De Grandin und Trowbridge benannt. Und Amerika und der Rest der Welt ist gerettet.
Worum geht es?
Der neunte damals brandneue Roman von Luthers Horror expert ist weder neu noch ein Roman. Das ursprüngliche Erscheinungsjahr war 1932, die Geschichte erschien in sechs aufeinanderfolgenden Monaten in Weird Tales. Von Februar bis Juli.
Seabury Quinn (1889 bis 1969) war hauptberuflich als Jurist auf dem Gebiet der Rechtsmedizin mit dem Schwerpunkt Bestattungswesen tätig, arbeitete hauptsächlich als Dozent in New York und fungierte 15 Jahre für das Fachorgan des Bestattergewerbes "Casket&Sunnyside" als Redakteur, das immerhin von 1871 bis 1988 Bestand hatte.
Offenbar muss er nebenher viel Zeit gehabt haben, denn er schrieb fleißig für die Pulps. Und zu seiner Zeit war er der eigentliche Star von Weird Tales, dem amerikanischen Pulpmagazin, das der Welt Autoren wie H.P.Lovecraft, Clark Ashton Smith, Robert E. Howard und Robert Bloch schenkte, nur um ein paar zu nennen. (Und das kürzlich in der Zeitung "Die Welt" mit der üblichen peinlichen Recherche – nicht einmal Lovecrafts Todesjahr stimmt - als eines der schlechteren Pulp-Magazine bezeichnet wurde. Aber sicher.)
In der Zeitspanne von 1925 bis 1951 schrieb Quinn 93 Geschichten über seinen Geisterjäger Jules de Grandin. Allein zwischen 1925 und 1933 erschienen davon 62. Wenn man bedenkt, wie oft Herausgeber Wright Stories zurückgeschickt hat oder Änderungen verlangte, war Quinn damit ein echter Erfolgsautor und in beinahe jeder Ausgabe vertreten. Denn dazu kamen noch etliche andere Stories ohne oder auch mit anderen Serienhelden, die teilweise in anderen Magazinen wie "Adventure" oder "Strange Tales" veröffentlicht wurden.
Seine Leser liebten seine Geschichten, viele Kollegen bezeichneten ihn als Hackwriter, was sich im Prinzip nicht geändert hat.
"Bis heute hat Seabury Quinn niemand verziehen, dass er populärer und finanziell erfolgreicher als Lovecraft, Howard oder Smith war",
schrieb der Lektor Jim Rockhill in einem Vorwort, und das ist in der Tat nicht von der Hand zu weisen. Schon der gestrenge H.P.Lovecraft gestand Quinn, den er mal kurz kennengelernt hat1, zwar eine "außergewöhnliche Persönlichkeit" zu, dessen "literarischer Ruin" aber durch die "Zwänge des Kommerzes" hervorgerufen wurde.2 Nun hatte Lovecraft für den Kommerz sowieso nichts übrig, doch auch viele andere waren und sind der Meinung, dass Quinn seine Geschichten nach Schema F verfasste und nichts als Mittelmaß lieferte. Die einzige Geschichte, die Gnade findet, ist die serienunabhängige Fantasyweihnachtsgeschichte "Roads", die es auch in zwei deutschen Anthologien gab.
In der Tat laufen alle de Grandin Geschichten wie ein John Sinclair oder auch jede andere beliebige Gruselserie nach dem gleichen Schema ab. Das wird niemand abstreiten. Aber dass er dieselbe Geschichte 93 mal variierte, das stimmt nun auch wieder nicht. Im Gegenteil.
Das Konzept ist ganz einfach und zugegeben keineswegs originell. Conan Doyles Sherlock Holmes und ausgerechnet Agatha Christies Hercule Poirot waren die Vorbilder. Der Held ist Jules de Grandin, ein kleiner, eitler, aufgeblasener und allwissender Arzt und Polizist, das besagte Mitglied von "la Sȗreté Général" und "la Faculte de Medicine Légal de Paris", den es nach dem Ersten Weltkrieg nach Amerika verschlägt. Sein Chronist und Ich-Erzähler ist der ebenfalls schon ältere Hausarzt Samuel Trowbridge. Wie sein viktorianisches Vorbild Dr. Watson ist Trowbridge Helfer und Resonanzboden für den brillanten Helden, stockkonservativ, geistig etwas träge und nicht lernfähig, der auch nach der fünfzigsten Auseinandersetzung mit dem Übernatürlichen immer noch nicht glaubt, dass in der Nacht unerklärliche Dinge lauern. Aber treu wie Gold und immer bereit, sich für seinen Freund und Hausgast in die Bresche zu werfen.
Der größte Teil der Geschichten spielt im erfundenen Harrisonville, New Jersey. Warum gerade hier und nicht in einer Metropole wie New York? Wer weiß? Immerhin sparte es Quinn die Mühe, sich jedes Mal einen neuen Schauplatz und Nebenfiguren einfallen zu lassen – die Stories haben ein festes Ensemble von Trowbridges Haushälterin bis zum Polizisten Costello -, und in einen Stadtplan musste er auch nicht schauen. Die Hafenstadt Harrisonville ist ein frühes Sunnydale. Bestimmt gab es auch hier ein Hellmouth in der Nähe, anders lässt sich die Zahl von Monstern, Geistern, Mumien, Werwölfen, Killergorillas, dem gelegentlichen Vampir und diversen Mad Scientists nicht erklären, über die Jules de Grandin und sein Freund Trowbridge beinahe monatlich zufällig stolpern und vernichten. Fast immer ist ein jungfräuliches und schönes Mädchen in Gefahr, und fast immer verliert es irgendwann seine Kleidung. Denn Sex sells, und Quinns Szenen nackter junger Damen in Bedrängnis schafften es logischerweise häufig auf das Titelbild von Weird Tales. (Insgesamt kam Jules de Grandin 37 Mal aufs Cover, noch so ein Rekord und ein sicheres Zeichen, dass sich Ausgaben mit dem Geisterjäger besser verkauften als andere).
Ob Quinn wirklich Agatha Christies Poirot kannte, ist nicht gesichert. Aber der französische Geisterjäger ist ein solches Abziehbild des belgischen Detektivs, dass eine Synchronizität schon sehr unwahrscheinlich wäre. Poirots erster literarischer Auftritt fand 1920 statt, die Fortsetzungen kamen 1923 und 1924 auch in den USA auf den Markt. De Grandin erblickte das Licht der Welt 1925. Wie Poirot ist er ein Genussmensch, nervt seine Umwelt stets mit seinem Allwissen und würzt seine Ausrufe – de Grandin sagt selten etwas, er verkündet – mit französischen Klischeeausrufen wie "mais oui", "imbécile", "eh bien" und dergleichen mehr. Oder obskuren Flüchen, die eher sinnfrei erscheinen.
Im Gegensatz zu Poirot ist de Grandin allerdings ein beinharter Bursche, der auch schon mal Richter, Geschworene und Henker in Personalunion ist und sich selbst hinter das Maxim-Maschinengewehr setzt, wenn es die Geschichte erfordert. Seabury Quinn hatte literarisch eine sadistische Ader und das Talent, heute noch schockierende Horrorszenen aufs Papier zu bringen. Unvergessen seine oft nachgedruckte de Grandin-Geschichte "House of Horror" von 1926 (allein in Deutschland sage und schreibe 3 mal übersetzt, unter anderem im VHR-TB 28 mit dem schönen Titel "Der Knochenschäler", was die Pointe verrät), in der ein verrückter Arzt sich wahllos an Frauen für den Selbstmord seines Sohnes rächt, indem er sie grausam verstümmelt und im Keller in Käfigen hält. Auch die Kreuzigungsszene im vorliegenden Band schildert alle Details und überlässt nichts der Phantasie des Lesers.
Das Schema F, das man Quinn grundsätzlich ankreidet, findet man in seinen Plots allerdings genauer betrachtet weniger. Auch wenn am Ende der Böse grundsätzlich seine gerechte Strafe erhält und de Grandin siegreich und Freund Trowbridge verblüfft ist, ist die Handlung selbst doch häufig überraschend. Der Autor, der in einem Vorwort behauptete, nie etwas für seine Geschichten im voraus geplant zu haben – und so oft, wie er sich dabei in eine Ecke schreibt und am Ende häufig den Zufall bemühen muss, glaubt man ihm das sofort - hatte ein Talent dafür, Okkultes okkult sein zu lassen und auf praktische, "moderne" Lösungen zu verfallen. Da wird der Werwolf dann auch mal nicht mit einer Silberkugel erschossen – der Detektiv hat etwas Besseres als Aberglauben, wie er nachträglich großspurig erklärt. Ein Dum-Dum-Geschoss, das wirklich große Löcher reißt.
Dabei ist das Weltbild dieser Geschichten schlicht und im Prinzip noch in der viktorianischen Zeit gefangen. Es ist eine geordnete Welt väterlicher Strenge allem gegenüber, das nicht weiß, angelsächsisch und protestantisch ist – als waschechter Franzose ist de Grandin zwar ein Katholik, aber das darf er auch sein, immerhin gehört er einem Kulturvolk an. Außerdem galten die Franzosen zur Entstehungszeit in Amerika noch nicht als die Schlaffis, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg waren. In dieser geordneten Welt, in der nur die Oberschicht vernünftiges Englisch spricht und selbst der Polizistenhelfer Sergeant Costello Unterschichtenglisch brabbelt – "They saw her hair in th'light o'the' car's lamps" - kommt das zumeist übernatürliche Böse als Abweichung. Ist das korrigiert sprich vernichtet, ist die Welt der Reichsgründer, die die Bürde des weißen Mannes nicht nur in "The Devil's Bride" mit Anstand tragen, wieder in Ordnung, und die Helden können sich bei einem Brandy und einer Zigarre vor dem häuslichen Kamin entspannen.
Im vorliegenden Roman ist das allerdings selbst für de Grandin extrem. Wie drückte es Grady Hendrix, der Autor des empfehlenswerten Sachbuchs über den Horrorboom "Paperbacks from Hell" mit üblich spitzer Feder aus? "In 'Die Braut des Teufels' muss Jules de Grandin gegen die Mächte des ethnischen Anderen kämpfen, um die Unversehrtheit weißer Bräute zu bewahren, damit sie in Connecticut tolle Flapper-Hochzeiten3 feiern können. Ganz egal, wie viele Gürtel aus Menschenhaut diese jungen, privilegierten Damen tragen (schließlich handelt es sich um Familienerbstücke), selbst ein Kapitulationsaffe wie Grandin weiß, dass sie das Beste repräsentieren, was Amerika zu bieten hat, und ihre Hymen mit Maschinenpistolen und Massenmord geschützt werden müssen."
Diese überspitzte Einschätzung ist zwar nicht falsch, geht aber am eigentlichen Problem vorbei. Denn vor allem in einer Hinsicht ist dieser Roman heutzutage tatsächlich ungenießbar. Das Konzept mit den Jesiden oder auch Jeziden, die Teufelsanbeter sind, in Kurdistan auf ihrem Berg hocken und in Satans Auftrag böse Gedanken gen Westen schicken, ist unsäglicher Schwachsinn. Bedauerlicherweise ist diese Idee durchaus der Realität entliehen. Die von der Norm abweichende und nicht unkomplizierte Religion der Jesiden wurde schon vom Islam als Teufelsanbeterei denunziert und führte immer wieder zu Verfolgung und Völkermord, zuletzt aktuell durch die IS-Mörder. So gesehen ist dieses spezielle Hirngespinst nicht einmal den Köpfen zeitgenössischer europäischer oder amerikanischer Akademiker oder Geistlicher entsprungen. Die 30er Jahre waren nun einmal nicht arm an schrecklichen gesellschaftlichen Ideen. Aber das macht es irgendwie nicht besser; dass sich in den vergangenen 85 Jahren da wenig geändert hat, auch nicht.
Für Quinn, der zur Entstehungszeit der Story bereits 43 war und ein festgefügtes Weltbild hatte, war das aber nur ein exotisches Thema mehr, von dem er sicher sein konnte, dass es seine Leser begeistern würde. So wie seine Ägypten-Stories mit wiederauferstandenen Mumien und dem bösen Gott Set aus der Mythologie. Oder schurkische Eingeborene aus den Territorien absteigender europäischer Kolonialmächte. Gerade Abenteuergeschichten aus dem Orient waren durchaus populär beim amerikanischen Publikum, Romane wie Talbot Mundys "King of the Khyber Rifles" 1916 ein Bestseller. Auch wenn Pulps wie "Oriental Magazine" – später als "The Magic Carpet" bekannt - nie ein durchschlagender Erfolg waren, gab es dennoch Hunderte Stories, in denen sich amerikanische und englische Abenteuer im Nahen Osten oder Indien herumprügelten. Quinn schrieb selbst welche davon für "The Magic Carpet" oder später "Jungle Tales".
Die Mär von den Jesiden und ihrem bösen Engel Melek Taus (es gibt mehrere Schreibweisen) als Teufelsanbeter muss bei den amerikanischen Autoren der 20er und 30er Jahre einen Nerv getroffen haben. Man findet sie in nicht wenigen Horrorstories aus der Zeit. Bereits 1926 stellte E. Hoffman Price den Teufelspfau in den Mittelpunkt seiner Stories "The Word of Santiago" und "The Peacock's Shadow", den ersten beiden seiner Geschichten um den Geisterdetektiv Pierre d'Artois. Robert Howard hat sie auch mehrfach benutzt in Geschichten wie "Dig me no Grave" (postum erschienen 1937) oder "The Brazen Peacock" (postum 1975). Lovecraft darf da nicht fehlen, wie seine Story "The Horror at Red Hook" (1927) zeigt. Auffällig ist, dass sie alle sich anscheinend derselben Quelle bedient haben. Denn die Beschreibungen von Mount Lalesh in den Stories sind immer gleich.
Auch wenn Quinn hier nie Zweifel aufkommen lässt, dass seine Helden im Recht sind und Kolonialismus eine gute Sache ist, kann man ihm nicht einmal den Vorwurf machen, hier eine Idee in die Welt und die Köpfe seines Publikums gesetzt zu haben. Er war da durchaus Teil des Mainstreams. Die aufgeführten Beispiele sind lediglich die prominentesten Autoren von Weird Tales. Es gibt noch weitere Stories mit dem Thema.
Selbst 1971 im deutschen Erscheinungsjahr gingen die gesellschaftlichen Uhren anders, auch da hat niemanden interessiert, was für ein Schwachsinn der Hintergrund dieser Story letztlich nun mal ist. Und die antikommunistische Haltung, die hier ebenfalls vertreten wird, passte auch in die Kultur des Kalten Krieges. Selbst wenn sie in diesem speziellen Fall schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg Stoff für die Unterhaltungsindustrie war.
Lässt man dieses Problem aber mal außer Acht, gehört Quinns Beinaheroman trotzdem nicht zu seinen besten Arbeiten. Das ist zu episodenhaft. Dafür kann der Autor letztlich nichts, schließlich war es lediglich als Serial geplant und ist zu seinen Lebzeiten auch nie als Roman erschienen. Aber die Geschichte ist zu lang, diverse Szenen sind offensichtlich um der Länge willen in die Länge gezogen und zeigen beredt, dass Quinn per Wort bezahlt wurde. Aufgeworfene Fragen geraten teilweise in Vergessenheit, und die hysterische Weltverschwörung der Bolschewisten ist zwar eine nette Idee, aber man darf diese Internationale des Bösen keine Sekunde hinterfragen. Der Okkultismus ist im Gegensatz zu anderen Abenteuern des Geisterdetektivs nur Kulisse, alles wird am Ende als Budenzauber wegerklärt.
"Die Braut des Teufels" ist ein Abenteuerthriller mit viel Blut, Schrecken und Schießereien, in denen die europäischen Kolonien so dargestellt werden, wie es die Leser 1932 auch aus Tarzan-Filmen oder den Geschichten von E.R. Burroughs und vielen anderen kannten. Für Quinns treue Leser gab es noch ein Osterei in Form der Figur Ingraham oder Captain Sir Haddingway Ingraham Jameson Ingraham, kurz HIJI genannt, der als Held von 16 anderen Geschichten in Afrika für koloniale Ruhe und Ordnung sorgt.
Aus dieser Sicht gesehen ist das eine rasante Geschichte mit wirklich spannend inszenierten Szenen. Ob nun die Kreuzigung im Nonnenkloster, die Schwarze Messe oder der Kampf in Afrika, den Hollywood auch heute nicht besser hinkriegen würde, das alles ist sauber und einfallsreich konstruiert. Man kann verstehen, warum Quinns Storys bei der Leserschaft beliebt waren. Nicht nur Action bekam er um Klassen besser hin als viele seiner Kollegen.
Leider hat man als Leser wie so oft im Original mehr Spaß am Erzählten. Die Übersetzung ist nicht besonders gut. Nicht nur, dass sich de Grandin und Trowbridge duzen, klingt irgendwie falsch. Offensichtlich wäre das wohl zu lang geworden, also wurde gekürzt. Viele Feinheiten wurden ohne Gespür rausgebügelt – es ist ganz einfach ein Unterschied, ob das Mädchen bei der Schwarzen Messe mit einer Schlange tanzt oder wie im Original einer viereinhalb Meter langen Boa Constriktor. Zu viele farbige Details fehlen. Die meisten Jahreszahlen und Informationen, die den Roman fest in den 30er Jahren verankern, sind bewusst unter den Tisch gefallen. Man wollte wohl nicht darstellen, dass die Geschichte 40 Jahre auf dem Buckel hatte. Das ging dann so:
Luther:
"Im Irak schnüffelt die Polizei zu genau herum. In den anderen arabischen Ländern sind die Regierungen ebenfalls zu neugierig, und deshalb mussten diese Teufelsanbeter also einen sehr abgelegenen Platz finden."
Original:
"Der Irak steht heute unter Britischer Herrschaft, jeder Unsinn in der Gegend würde die Polizei herumschnüffeln lassen. Die Franzosen in Arabien lassen sich nicht auf der Nase herumtanzen; an jedem der denkbar möglichen Orte würde jede Versammlung von Teufelsanbetern im Keim erstickt."
Nur an einer Stelle, an der de Grandin von seiner Jugend spricht, hat man die Jahreszahl 1922 übersehen. Überliest man die, könnte die Handlung genauso gut in den 50ern oder 60er Jahren spielen.
Actionszenen sind so zusammengestrichen, dass der Rest wirr und antiklimaktisch erscheint. Auch die beste Passage des Originals wird kaputtgemacht. Die tragische Geschichte der amerikanischen Frau mit dem Schleier, die wegen des ersten Kinderopfers die Teufelsanbeter verrät und darum am Kreuz landet. Im Original erzählt der Bruder der Toten ihre Geschichte - ihr fanatischer Puritanervater ist nach ständigen Misshandlungen für den Tod des unehelichen Kindes seiner Tochter verantwortlich, was sie endgültig aus der Bahn wirft und den Teufelsanbetern in die Arme treibt. In der deutschen Fassung wird diese lange und emotionelle Szene zu einem vom allwissenden Erzähler referierten Bericht auf ein Drittel eingedampft. Die Informationen sind noch da, aber es liest sich sperrig, langweilig und überflüssig. Was wirklich schade ist, bietet gerade diese Szene ein nötiges Gegengewicht zu der hysterischen Verschwörungsgeschichte. So schlicht Quinns Weltsicht in seinen Storys auch ist, sein Held ist immer ein Streiter für die Opfer, dessen Herz auch für die Ausgestoßenen der Gesellschaft schlägt. Und das seltsamerweise ohne moralischen Zeigefinger. So extrem und abscheulich die ausländischen Teufelsanbeter sind, so extrem und abscheulich ist dieser amerikanische Puritaner in seinem Fundamentalismus. Quinn war durchaus zu Zwischentönen fähig, wenn es die Geschichte oder die Seitenlänge verlangte.
Im HE liest sich die Geschichte bestenfalls mittelmäßig bis krude, streckenweise langweilig und durch den fehlenden Kontext merkwürdig. Das könnte alles so viel besser sein.
Verglichen mit den Stars von Weird Tales kam Seabury Quinn in Deutschland nicht oft vor. 12 Geschichten findet man, der Großteil bei Luther in oft gekürzten Übersetzungen. Aber auch in Amerika geriet er schnell in Vergessenheit. 1966 erschien bei Arkham House eine Auswahl der de Grandin-Stories in dem Band "The Phantom Fighter", 1976 veröffentlichte Pulpspezialist Robert Weinberg 6 Taschenbücher mit de Grandin-Stories bei Popular Library. Erst 25 Jahre später erschien 2001 im Nischenverlag "The Battered Silicon Dispatch Box" eine sehr schöne Ausgabe mit allen 93 Geschichten in drei übergroßen und damals sehr teuren Hardcovern. Seit 2017 druckt der sehr rührige amerikanische Kleinverlag "Nightshade Books" die Sammlung nach; es sollen fünf Hardcover werden. Die ersten beiden Bände sind als Edition sehr gelungen.
Seabury Quinn kann trotz aller Einwände und sämtlicher durch den Zeitabstand unfreiwilligen Komik seines Heldenduos Jules de Grandin und Dr. Trowbridge in kleinen Dosen sehr unterhaltsam sein. Das ist Horrorpulp in seiner reinsten, unverfälschtesten Form. Im Guten wie im Schlechten. Und liest man die heute im Genre so allgegenwärtigen übernatürlichen Sherlock Holmes-Geschichten, die das gleiche Gebiet abdecken, kommt man häufig zu dem Urteil, dass es der Redakteur eines Bestattermagazins vor achtzig Jahren besser konnte.
Wieder ein Herbert Papala, und wieder passt es perfekt zum Thema und zum Titel.
Das Original:
Kommentare
Und noch einmal Karl May: Die Jesidi (o.ä.) spielen auch in "Durchs wilde Kurdistan" und "Von Bagdad nach Stambul" eine Nebenrolle.
So ganz allgemein scheint die Ablehnung der Kollegen nicht gewesen zu sein: Der rührige Manly Wade Wellman, der über Jahrzehnte eine Art Folklore-Kosmos aus miteinander verknüpften Serien verfasst hat (John the Balladeer, John Thunstone, Judge Pursuivant), erwähnt de Grandin in einigen Stories.
"Offenbar muss er nebenher viel Zeit gehabt haben, denn er schrieb fleißig für die Pulps. Und zu seiner Zeit war er der eigentliche Star von Weird Tales, dem amerikanischen Pulpmagazin, das der Welt Autoren wie H.P.Lovecraft, Clark Ashton Smith, Robert E. Howard und Robert Bloch schenkte, nur um ein paar zu nennen. (Und das kürzlich in der Zeitung "Die Welt" mit der üblichen peinlichen Recherche – nicht einmal Lovecrafts Todesjahr stimmt - als eines der schlechteren Pulp-Magazine bezeichnet wurde. Aber sicher.)"
Was erwartest du denn von den Leuten, die bei einer Zeitung wie "Die Welt" arbeiten? Wenn die mal überhaupt ein Pulp-Magazin in Händen gehabt haben sollten, ist man da schon gut bedient. Wirkliches Wissen über die Pulp-Magazin-Materie wirst du, glaube ich, bei solchen Verfassern genauso oft vorfinden, wie einen Rasenmäher in der Wüste Gobi.
zitiere Laurin:
Dass sie zumindest in der Lage sind, einen Artikel zu schreiben, in dem die Daten stimmen. Das ist schließlich kein Fan-Blog. Das ist zwar offensichtlich (hoffe ich zumindest) ein Vertipper - statt 1937 steht da 1947 als Todesjahr -, aber es ist trotzdem recht peinlich, erst recht im Google-Zeitalter.
Inhaltlich ist das so ein Meinungsartikel. Dagegen kann man nichts sagen, das ist okay, auch wenn ich das Meiste darin für ziemlichen Blödsinn halte.
Ich habe die Storys um den aberwitzigen, neunmalklugen französichen Kugelblitz sehr gern gelesen.
Zu "Weird Tales und "Die Zeit"
Ich bin sicher, daß man selbst in 100 Jahren die "Weird Tales" noch positiv in Erinnerung haben wird. "Die Zeit" hingegen dürfte vergessen sein.....
BTW: der wievielte Grandin ist das eigentlich im Original?
Das ist Story 46. Da lief die Serie schon 7 Jahre.
Mhm. Irgendwie noch viel mehr ohne Sinn und Verstand zusammengekaufte Reihe als eh schon vermutet - bestätigt sich von Artikel zu Artikel immer weiter.