Durchaus kein Schmankerl - Der geflügelte Tod
Durchaus kein Schmankerl
Der geflügelte Tod
Auch Andreas Diesel hat diesmal eine Übertragung ins Deutsche beigesteuert.
Das Buch umfasst 384 Seiten und ist gebunden mit Schutzumschlag in Leder-Optik. Den Buchdeckel ziert abermals ein umlaufendes Werk von Dean Samed, das diesmal leider nicht so ansprechend ist, und somit auch ganz gut zum Inhalt passt. Aber dazu später mehr.
Inhalt:
ist wieder eine Zusammenarbeit mit Hazel Heald, die im letzten Band schon mit 2 Geschichten vertreten war. Die Story ist eine gut gelungene und klassische Horror-Story, die zwar leicht zu durchschauen und sehr klischeebehaftet – was die Akteure und deren verhalten betrifft - ist, die aber durch Stil und Erzähltechnik durchaus zu bestechen weiß. Ganz offensichtlich war die Bearbeitung durch den Meister hier stark, obwoh l gottlob und wohltuenderweise kein kosmischer oder sonstiger unnennbarer Schrecken vorkommt. Der Horror der Story entwickelt sich hier aus ganz niederen menschlichen Gefühlen und Beweggründen: Neid und Rachsucht.
Ist eine sehr kurze Arbeit von Robert H. Barlow, einem persönlichen Freund Lovecrafts der mit 33 Jahren freiwillig aus dem Leben schied. Barlow war eigentlich Anthropologe und Experte für die aztekische Sprache. In seiner Freizeit verfasste er experimentelle und eigenwillige Texte, von denen diese in diesem Buch vertretene Dichtung eine Art Parabel darstellt, aber keinesfalls eine Horror-Story. Mit 2 Seiten ist es auch der kürzeste Beitrag in diesem Buch. Kann, und sollte man auch mehrmals lesen. Ansonsten gehen Sinn und Aussage des Textes im Seitenmeer des Buches unter. Und das wäre schade darum…
darf ebenfalls nicht dem Horror-Genre zugeordnet werden; sie ist vielmehr eine Art boshafte, makabre Fantasy-Story. Sprachlich ausgezeichnet und auf das wesentliche reduziert.
ist abermals ein Beitrag von Hazel Heald, diesmal allerdings sehr deutlich durch Lovecrafts Bearbeitung geprägt. Erzählt wird die Geschichte eines – latürnich - vorzeitlichen kosmischen Ungeheuers mit dem wohlklingenden Namen Ghathanothoa , sowie der einer rätselhaften und uralten Mumie. Ghathanothoa ist selbstverständlich unsagbar schrecklich und taumelt und torkelt tentakelschwingend durch die Zeiten. Nun ja…
Der Plot wird dem geübten Leser bereits nach wenigen Seiten klar und ist somit auch nicht besonders originell. Wir begegnen in dieser Story interessanterweise erneut - wenn auch - ganz kurz dem sagenhaften Reich K´nyan (bekannt aus DER HÜGEL) sowie dem sehr ähnlich klingenden K´naan, welches sich somit als nicht identisch mit ersterem erweist, wie ich bisher annahm. Nebenbei erwähnt gibt es auch einen Hip-Hop Musiker mit demselben Namen…
ist eine Zusammenarbeit mit Duane W. Rimel, der bei uns weitgehend unbekannt ist. Rimel war ein Freund Lovecrafts und schrieb neben Fiction und Fantasy auch Detektiv-Stories und erotische Geschichten. In diesem Beitrag ist er aber davon weit entfernt, liefert dem erwartungsvollen Leser aber eine durchaus ansprechende, aber sehr märchenhafte Fantasy-Story. Von Horror aber keine Spur.
, ebenfalls wieder von Barlow, ist eine sehr absonderliche und groteske Story, die stark surrealistisch und gleichzeitig auch humoristisch ist. Eine Mixtur, die Jahre später ein gewisser Franzose namens Boris Vian zur Meisterschaft bringen sollte.
Es handelt sich hier um ein fiktives Dokument, welches angeblich in einer Zeitmaschine gefunden wurde, und - wie es der Titel schon verrät – einen sehr männlichen Zweikampf beinhaltet. Erwähnenswert sind vor allem die darin vorkommenden Personen, hinter deren verballhornten Namen sich unschwer reale Charaktere aus Lovecrafts und Barlows Umfeld wiedererkennen lassen: Two Gun Bob ist zweifelsohne Robert E. Howard, der tibetanische Lama Bill Lum Li ist natürlich William Lumley; Dr. D. H. Killer ist David H. Keller, der Poet Frank Chimesleep Short jr. ist mit Frank Belknap Long identisch, und so weiter und so fort.
Dieser schon sehr schräge - und mutmaßlich drogenschwangere - Text ist einerseits zwar aufgrund seiner Anspielungen auf o.g. Personen ganz amüsant zu lesen, stellt die Geduld des Lesers in seiner Erwartung einer Horror-Story aber schon arg auf die Probe.
Lt. Quellennachweis wurde der Text ursprünglich als Flugblatt veröffentlicht; was immer das zu bedeuten hat…
ist die zweite Zusammenarbeit mit Duane W. Rimel und ebenfalls keine richtige Horror-Story. Die Geschichte ist seltsam diffus und schwammig, sie bleibt nicht besonders gut im Gedächtnis kleben, was wohl nicht zuletzt an ihrer Bedeutungslosigkeit liegt. Um was es eigentlich genau geht, kann ich inzwischen auch gar nicht mehr sagen; irgendwie scheint das zentrale Thema aber die Überschneidung von Welten gewesen zu sein…
Die folgende Story ist keine Zusammenarbeit, sondern stammt alleinig aus Lovecrafts Feder. Lt. Suhrkamp handelt es sich hier um ein Fragment, und genau diesen Eindruck hinterlässt es auch beim Leser: nichts Ganzes und nichts Halbes. Eher scheint es etwas halbgares zu sein. Ärgerlich, denn es ist kein Horror, geschweige denn ein fertig gestellter Text. In eine Werkausgabe mag diese Arbeit ja passen, aber in einem Sammelband mit Horror-Stories ist sie fehl am Platze, weil es den Leser verwirrt.
ist dann hingegen aber wieder eine richtige Gruselgeschichte im Stile eines Kammerstücks. Zwar ist sie durchaus gut geschrieben und unterhaltsam, aber leider schon sehr bald vorhersehbar und doch recht einfach gestrickt. Abermals geht es hier um niedere Beweggründe wie Rache. Der Autor Searight ist bei uns auch nahezu unbekannt, die vorliegende Story meines Wissens nach auch seine einzige Veröffentlichung auf Deutsch.
, abermals mit Hazel Heald zusammen geschrieben ist wieder eine richtige Horror-Story und kommt auch gottlob gänzlich ohne Tentakel und kosmische Schreckgespenster aus. Die Geschichte ist allerdings sehr schwach, da sich die Handlungsträger leider äußerst unlogisch und unglaubwürdig verhalten. Erzählt wird die Geschichte – typisch bei Lovecraft –von Faulenzern und Müßiggängern. Diesmal ist der Zuhörer – im Gegensatz zu seinen meisterhaften Erzählungen wie etwa DIE FARBE AUS DEM ALL - aber eine imaginäre Person und kommt nicht selbst in der Story vor und gibt diese dem Leser wieder. Die Zutaten scheinen ebenfalls sehr lieblos der Mottenkiste von Lovecrafts Nummernrevue entnommen: da gibt es neben dem bereits erwähnten obligaten und schwatzhaften White Trash den verrückten Gelehrten (der diesmal ein Einbalsamierer ist), den wissenden Dorftrottel, der ständig Andeutungen und unheilvolle Prophezeiungen von sich gibt; Außerdem ist der Schauplatz selbst ein Versatzstück: ein abgelegenes, fast vom Rest der Welt vergessenes und gemiedenes Örtchen. Insgesamt also wenig originell und sehr leicht durchschaubar. Lovecraft hat sich mit seiner Bearbeitung hier wenig Mühe gegeben.
stammt wieder von Rimel und ist eine reine, wenngleich auch simple Horror-Story. Sie erinnert ebenfalls wieder an ein Kammerspiel, ist aber leider in sich selbst nicht besonders logisch und letzten Endes bedeutungslos - weil vorhersehbar. Die Zutaten sind wieder Lovecraft-typisch. Verrückter Gelehrter, verbotene Experimente, etc. Das Ende ist auch nicht überraschend und erinnert ein wenig an Lovecraft´s eigene, meisterhafte Erzählung DER AUSSENSEITER.
, eine Story von Robert Bloch, über den man wohl nicht viele Worte verlieren muss, ist einer der längsten Beiträge in diesem Buche. Die Geschichte ist originell, fesselnd und spannend erzählt. Lovecraft hat hier anscheinend nur sehr behutsam Hand angelegt, denn Blochs Handschrift ist unverkennbar. Einer der Höhepunkte in diesem Buch. Horror vom feinsten!
, abermals von Barlow, erzählt uns die traurige Geschichte vom Ende der Menschheit in einer sehr fernen Zukunft. Der Grundtenor ist absolut hoffnungslos; voller Düsternis, atmosphärisch sehr dicht gewebt und lebendig, gleichzeitig anschaulich-mahnend erzählt. Fast meint der geneigte und sensible Leser, die unbarmherzige Sonne beim Blättern der Seiten unbarmherzig herab brennen fühlen zu können.
Es handelt sich aber abermals um keine Horror-Story, vielmehr eher um ein Lehrstück über die Bedeutungslosigkeit des Menschen und der Macht des Zufalls und des Schicksals, die hier sehr gehässig auftritt. Gelungen und beeindruckend. Barlow überzeugt mich.
ist der nächste Beitrag Barlows; eine sehr seltsame und kurze Space-Opera in der eine Art surrealer Humor aufblitzt und den durchschnittlichen Horror-Leser wohl eher verstört zurücklässt. Hier frage ich mich wirklich, welches Kraut Barlow wohl seinerzeit konsumierte. Ist nicht so mein Fall.
Die nächste Geschichte ist ein interessantes literarisches Experiment. Lovecraft und die genannten Autoren schrieben die Story zusammen, indem jeder von ihnen ein Kapitel verfasste. So entstand die Geschichte eines rätselhaften Artefakts, das einen Körpertausch ermöglicht und ein menschliches Bewusstsein in den Körper eines fremdartigen Wesens transportiert. Der Text lässt sich am ehesten der Science Fiction oder der Fantasy zuordnen. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit von hochkarätigen Autoren ist zwar in seiner Gesamtheit interessant, mehr aber leider auch nicht. Inwieweit die Autoren im Vorfeld in die Geschichte involviert waren, bleibt unklar. Eventuell handelt es sich um eine Art literarisches Cadavre Exquis?
von Bill Lum Li alias William Lumley ist ein absoluter Höhepunkt in diesem Buch. Erzählt wird von der Titelfigur und seinen verhängnisvollen und morbiden Nachforschungen in einem – natürlich - abgelegenen und gemiedenen Haus. Das fiktive Tagebuch liest sich fesselnd und die Spannung und auch das Grauen steigern sich mit jedem neuen Eintrag. Obwohl man sich denken kann, wie es für Typer endet, ist die Story nicht langweilig oder gar platt. Lumleys Sprache ist klar und deutlich, seine Geschichte ist äußerst gut aufgebaut und sehr sorgfältig strukturiert. Sie folgt zudem aufmerk- und gehorsam den Lovecraft´schen Grundregeln für das Schreiben von unheimlichen Geschichten. Das Grauen entsteht von fast nebensächlich und ganz alleine durch die Wechselbeziehung der Hauptfigur, und was er im Szenario der Geschichte erlebt. Reißt man den Handlungsträger aus seiner gewohnten Umwelt heraus und versetzt ihn an einen Ort des Grauens, kann man ihm angedeihen lassen, was immer der Phantasie beliebt.
Die Atmosphäre des Unheimlichen nimmt meisterhaft von Seite zu Seite immer mehr zu und ist für den Leser aufgrund seiner Dichte fast unmittelbar nachvollziehbar, bis es schließlich letztendlich und unaufhaltsam zu seinem vorbestimmten Ende kommt, welches schrecklicher und unerklärlicher nicht sein könnte. Eine Geschichte, die man immer wieder lesen kann – und auch sollte. Ganz großes Horror-Kopfkino!
Der nächste Beitrag, stellt einen weiteren Höhepunkt dar, obwohl er nicht unbedingt dem Horror-Genre zugehörig ist.
Ein Kunstmaler gönnt sich eine Auszeit an einem abgelegenen Ort am Meer. Die Story ist eine Art innerer Monolog und besteht fast ausschließlich aus den Wahrnehmungen und Empfindungen der Hauptfigur. Der Text hat etwas seltsames, aber dennoch berührend befremdliches und unwirkliches an sich; fast könnte man glauben, der Autor habe einen Traum niedergeschrieben. Es passiert eigentlich sehr wenig bis nichts, dennoch wird der Text beim Lesen nicht langweilig, vielmehr verdichtet sich die düstere Stimmung mehr und mehr, bis zum Ende.
Dieser Text, der mehr eine phantastische Impression darstellt denn eine Story im eigentlichen Sinne, ist atmosphärisch dicht und vielschichtig, sowie äußerst anspruchsvoll; seine Sprache ist sensibel und gleichzeitig ausgefeilt, geschliffen in ihrer Gesamtheit und die Übersetzung von Joachim Körber ist kongenial und einfach nur gelungen! DAS NACHTMEER ist eines der Highlights in diesem Buch, und obgleich es von vielen Lesern gewiss als langweilig geschmäht und verachtet werden wird, empfehle ich es jedem Suchenden anspruchsvoller und subtil-verstörender Texte. Richard H. Barlow ist viel zu früh von der Bühne der Welt verschwunden. Wer Phantastik im Stile eines Jean-Pierre Andrevon zu schätzen weiß, wird hier auf seine Kosten kommen.
ist wieder ein alleiniger Beitrag von Lovecraft, erschienen unter dem Pseudonym Humphrey Littlewit, Esq. und stellt einen redaktionellen Gegensatz zur Vorgängerstory dar. Lovecrafts fiktives 200-jähriges Alter Ego schildert in diesem kurzen Beitrag seine Erinnerungen an Samuel Johnson. Es dürfte sich hier wohl um einen parodistischen Text handeln, welcher Lovecrafts Vorliebe für das altertümliche selbstironisch auf´s Korn nimmt. Naja, in einem Sammelband für Horror-Stories seltsam unpassend.
DIE ist nicht genau zu datieren. Lovecraft schrieb diese komödiantische Story unter dem Pseudonym Percy Simple. Es handelt sich hierbei um eine Parodie auf Romantische Melodramen und entbehrt jeglichen phantastischen Inhalt. Zusammen mit bereits genanntem Samuel Johnson und dem bislang unveröffentlichtem Ibid bildet diese Story eine Art Trio humoristischer Texte. Dies hätte man dem Einsiedler aus Providence bisher gar nicht zugetraut! Stellenweise ist die Story übrigens sogar ganz witzig, obwohl der Humor doch sehr angestaubt wirkt und viele Anspielungen aufgrund des Alters wirkungslos verpuffen. Interessanterweise gibt es eine deutsche Gothic Rockband namens Sweet Ermengarde. Deren zweites Album hieß passenderweise Ex Oblivione…
Mit dem letzten Beitrag kann ich persönlich überhaupt nichts anfangen und deshalb verliere ich auch kein weiteres Wort darüber. Was dieser Text in einer Sammlung von Horror-Stories zu suchen hat, bleibt mir unverständlich, genauso wie sein Sinn oder seine Bedeutung.
Fassen wir zusammen:
War der Vorgängerband noch durchaus ein Schmankerl trotz der meiner Meinung nach nicht ganz passenden Übersetzungen, fällt dieses Buch dagegen deutlich ab. Wie eingangs erwähnt, ist auch das Bild von Dean Samedi deutlich schwächer als die der beiden Vorgänger und somit passend.
Von den 20 angeblichen Horror-Stories sind insgesamt nur 7 Stück als solche zu bezeichnen; die restlichen 13 Texte haben mit Horror rein gar nichts zu tun. 3 der Zusammenarbeiten sind keine, es handelt sich um reine Lovecraft-Arbeiten. Man sieht, das Buch führt den Käufer also in die Irre.
Es handelt sich weder um eine Sammlung von Horror-Stories, noch sind es Zusammenarbeiten des Meisters mit anderen Autoren. Vielmehr ist es eine Art Nachlaß-Gemischtwarenladen, in den man alles hineinpackte, was der Verlag zuvor noch nicht zwischen zwei Buchdeckel presste. Zum besseren Verständnis solch sperriger Absonderlichkeiten wie oder wären ein erklärendes Vorwort oder kurze einführende Texte zu den einzelnen Beiträgen hilfreich gewesen. Aber leider Fehlanzeige. Der Leser muss sich selbst damit zurecht finden.
Die Qualität der Stories selbst ist auch durchwachsen: neben absoluten Highlight wie , oder finden sich literarische Schlafkrankheiten wie oder .
Für Lovecraft-Neulinge ist DER GEFLÜGELTE TOD als Einstiegslektüre nicht empfehlenswert, für Sammler und Komplettisten hingegen dürfte die Anschaffung obligat sein. Immerhin: das Buch macht sich in der Sammlung ja recht gut.
Fazit: Ich vergebe 3 von 5 Fliegenklatschen
Der geflügelte Tod
Kommentare
Ich habe mir alle weitern Informationen dann selbst zusammengesucht.
Eigentlich finde ich, dass bei so unbekannten Leuten Infos über ihr Schaffen dazugehören, erst recht bei so einer Ausgabe, die was darstellen will und nicht billig ist. Aber vermutlich bin ich da zu altmodisch.
www.eldritchdark.com/writings/nonfiction/39/cigarette-characterization
Also schon eine Marginalie, aber als Fußnote doch interessant.