HORROR EXPERT 14 – Das Haus der Garland
Das Haus der Garland
Was passiert?
Amerika, in den 70ern. Familie Marsh – Ich-Erzählerin Janet, genannt Jan, Ehemann Bob, die beiden Söhne Robbie und Ricky (9+8) und Tochter Mary Beth (5) – brauchen dringend eine neue Bleibe, weil Papa einen neuen Job hat, und kaufen das alte Garland-Haus, das billiger als der Rest der angebotenen Immobilien ist. So einen richtigen viktorianischen Kasten. Knapp an Mitteln, wie sie ist, stört die Bilderbuchfamilie nicht mal, dass das Haus möbliert ist. Im Gegenteil.
Kurz nach dem Einzug bekommt Jan heraus, warum der Verkäufer Mr. Barlow das Haus unter Wert verkauft hat und keiner der Vorbesitzer lange geblieben ist – es spukt.
Jan begegnet dem Geist einer Frau in altmodischer Kleidung der Jahrhundertwende, die Töchterchen Mary-Beth anscheinend verleiten will, aus dem Fenster zu springen. Die erneut schwangere Jan erlebt das Gleiche. Bob hält sie für verrückt und befiehlt den Besuch beim Arzt; die aufdringliche Nachbarin Mrs. Duvall – die mit den Katzen und den zwei Päckchen Menthol-Zigaretten am Tag – rät zu einem Medium.
Jan spielt hinter dem Rücken des Gatten Detektivin und erfährt die Geschichte der armen Mrs. Garland, deren Tochter 1908 mit sechs Monaten dem Kamin zu nahe kam und Feuer fing; Elnora Garland sprang dann ein Jahr später schwanger aus dem besagten Fenster. Jetzt verfolgt der Geist alle Kinder und Schwangere mit seinem Hass.
Da der schwer arbeitende Bob den Unsinn nicht glaubt und keine Hilfe ist, organisiert Jan heimlich eine Seance. Es kommen der nette Pfarrer aus ihrer Kirche, bei dem sie sich als überzeugte Christin Rat geholt geholt hat und der Spiritismus für gefährlichen Aberglauben hält - steht schließlich schon so im Alten Testament. Dann die nervige Nachbarin und das Medium Madame Martine mit ihrem Faktotum.
Ohne irgendwelche größeren Probleme erscheint die tote Mrs. Elnora Garland, für die Jan eigentlich Verständnis hat, so von Mutter zu Mutter. Nachdem das Medium dem Geist begreiflich macht, dass 1970 ist und er doch endlich loslassen soll, und der Pfarrer ihn auffordert, das Haus im Namen von Jesus Christus zu verlassen, wird er zwar noch mal kurz böse und würgt Jan ein bisschen, aber dann verflüchtigt er sich endgültig ins Jenseits.
Man trinkt erleichtert einen Tee und Jan nimmt sich vor, das alles ihrem Bob zu erzählen. Irgendwann mal.
Worum geht es?
Nach dem düsteren Franzosen von Fleuve noir im Vormonat bringt der Luther Verlag in seiner Reihe "Horror expert" diesmal einen Roman, der ursprünglich in Amerika als Gothic erschien. Unter dem Namen Wanda Luttrell erschienen eine Handvoll Gothics und Frauenromane; die Autorin wird heute laut ihrer Webpage als "Königin christlicher Spannungsliteratur" bezeichnet. Nun ja. Das wollen wir mal unkommentiert so zur Kenntnis nehmen. Ihr Sachbuch "Ein Herz voller Kraft: Biblische Frauen mit Profil" liegt in einer Übersetzung vor.
"The House of Elnora Garland" von 1971 ist ein unglaublich langweiliger und unorigineller Gothic. Das einzig Interessante daran ist die Tatsache, dass einige der hier verbratenen Klischees immer noch im Umlauf sind. Bei der kettenrauchenden nervigen Nachbarin Mrs. Duvall muss der heutige Genrefreund sofort an die kettenrauchende nervige Nachbarin Mrs. Langdon aus der ersten Staffel von "American Horror Story" denken, die Jessica Lange so unnachahmlich verkörperte.
Hier ist die Figur im Gegensatz zur TV-Serie natürlich keinesfalls eine psychotische Irre, sondern dient als brave Helferin. Kulturhistorisch interessant ist vielleicht auch noch die für die Zeit typische Rollendarstellung. Ehemann Bob, der kürzlich noch seine Pflicht in Vietnam tat und keiner dieser widerwärtigen Hippies ist, ist ein patriarchalischer, herablassender, unsensibler Arsch, und Janet tut das, was wohl alle Ehefrauen taten. Sie schafft die Angelegenheit hinter seinem Rücken aus der Welt, damit Papa sich nicht aufregt und sie wirklich zum Meisendoktor schickt.
Vom Erzählstil her ist das durchaus kompetent und flüssig geschrieben. Auch wenn die damaligen Horrorfreunde vermutlich die Augen verdreht haben, wenn es geschlagene zwei Seiten über das Problem geht, wo Janet einen Babysitter für die Seance herbekommt – falls sie das Teil nicht schon lange vorher angeödet in die Ecke geworfen und sich über die verschwendeten 3,80 geärgert haben. In dieser Geschichte gibt es keinen dramatischen Höhepunkt, stellt man sich den Roman als EKG vor, so mit allen Höhen und Tiefen, fährt das nach dem ersten Geisterauftritt nur noch eine durchgehende Nulllinie und ist klinisch tot.
Das muss die spannungsfreieste Seance und Geisterentsorgung aller Zeiten sein. Das Medium lässt sich von Elnora übernehmen, schreit ein paarmal flehentlich nach ihrem toten Kind, dann macht man eine Pause, in der der Pfarrer und der naturgemäß kontrovers eingestellte Begleiter des Mediums zivilisiert über Geister, Christen und Religion debattieren – nicht die erste Diskussion dieser Art in diesem Roman, in dem man häufig über Gott, die Bibel und Religion sinniert und zitiert -, was die dumpfbackige Janet wie folgt kommentiert: "Ich kam mir vor wie eine Studentin auf dem College. Ich verstand sehr wenig von dem, was gesprochen wurde." Natürlich ist das völlig ironiefrei gemeint. Dann kommt Elnora zurück, lässt sich erklären, dass sie tot ist, rastet kurz aus und verschwindet für immer.
Als Genreroman oder auch nur als Spannungsroman versagt das auf der ganzen Linie. Das Markenzeichen Gothic fungierte in Amerika als Sammelbecken der verschiedensten Romane, was sicher auch seinen Reiz ausmachte. Nicht alles drehte sich um naive Waisen auf der Suche nach einem reichen Ehemann, die in spukiken Herrenhäusern von schmierigen Erbschleichern gestalkt werden. Liebesgeschichten waren nicht zwingend, es gab auch genügend Geister- und Spukhausgeschichten. Es gab auch viele Gothics, die trotz ähnlich desinteressierter Titelbilder wie diesem holprig gestalteten 08/15-Cover, das der amerikanische Verlag Belmont, wahrlich nicht die erste Adresse amerikanischer Taschenbuchverleger, hier draufgeklatscht hat, lesenwert und unterhaltsam waren.
Aber dieser Roman ist in jeder Hinsicht ein Reinfall. Man muss ihn nicht einmal mit dem Klassiker der Spukhaus-Geschichten "The Haunting of Hill House" vergleichen, um ihn schlecht aussehen zu lassen. Da reicht schon der im selben Zeitraum erschienene "Burnt Offerings" von Robert Marasco, der heute ebenfalls in Vergessenheit geraten ist, aber eine vergleichbare Ausgangssituation hat. Familie mit Kind zieht ins Spukhaus. Unverständlicherweise ist der seinerzeit zwar nie auf Deutsch erschienen, aber dem einen oder anderen Fan dürfte er sicher noch durch die gute Verfilmung "Landhaus der toten Seelen" mit Oliver Reed, Karen Black und Bette Davis bekannt sein. Was für ein Unterschied zu diesem faden Aufguss!
Nun hat die Auswahl der Redaktion des Luther-Verlages schon oft Anlass zu Staunen gegeben. Aber selbst unter der Voraussetzung, dass man teilweise offensichtlich nicht den geringsten Plan von dem hatte, was man da tat, lässt dieser Roman den Leser verständnislos zurück. Es ist ein indiskutabler Horrorroman und ein lausiger Gothic, der nichts in einer Reihe mit dem Titel Horror expert zu suchen hat. Einer der Vorteile des Übersetzungsmarktes besteht ja gerade darin, dass man aus einem riesigen Angebot eine Auswahl treffen kann und (theoretisch) die besten Rosinen rauspickt. Bei Luther war das nicht der Fall. Da hat man offensichtlich alles blind genommen, was einem der Agent – in diesem Fall vermutlich ebenfalls Singer; auch wenn es nicht angegeben ist, liegt die Annahme nahe, da Horror expert ja diverse Romane von Belmont gebracht hat – geschickt hat, ohne jede Rücksicht auf die (mangelnde) Qualität.
Immerhin werden ab jetzt die Übersetzer kontinuierlich im Impressum genannt, und die Vorankündigung ist auch wieder da. Der Übersetzer Ernst Heyda war ein vielbeschäftigter Mann, sowohl als Autor wie auch als Herausgeber und eben Übersetzer. Er übersetzte (und schrieb) Belletristik, Science Fiction, Krimis und Pornografisches. Für Luther stellte er unter anderem eine Ausgabe von Luther's Grusel+Horror Cabinet zusammen (Nr.6), für das er neben Übersetzungen mehrmals auch diverse Stories als Autor beisteuerte. Wie auch für das spätere Gruselmagazin.
In der nächsten Ausgabe gibt es wieder einen Franzosen, damit der Kontrast dieser Reihe gewahrt bleibt.
Wie gewohnt Herbert Papala. Der/die ergrimmte Mann/Frau, der/die seinen/ihren Friseur erwürgen will, ist eines seiner schwächeren Motive. Die mit dem Inhalt immer weniger zu tun haben. Irgendwie amüsant ist das Bild trotzdem.
Das Original
Kommentare
Bin gespannt auf den Franzosen. Die haben immer ein paar schräge Einfälle.
Vielleicht ist der Roman sogar Altkanzler Helmut Schmidt in die Hände gefallen und der war von den beschriebenen täglichen 2 Packungen Menthol-Zigaretten so angetan, daß er selbst nur noch Menthol-Zigaretten kettenrauchte.
Ansonsten, wieder ein sehr lesenwerter Artikel von dir.