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Amazing Pulps – Pulp Treasures 2 - Geoff St. Reynard (Robert Wilson Krepps) – The Usurpers (Die Eindringlinge), 1950

Amazing PulpsPulp Treasures 2
  Geoff St. Reynard (Robert Wilson Krepps)
The Usurpers (Die Eindringlinge), 1950

Pulp Treasures – eine neue Reihe? Ja und nein. Sie soll »Vom Vampir zum Positronenhirn« nicht ersetzen, hin und wieder werde ich sicher auch da einen neuen Teil schreiben. Doch in letzter Zeit haben mich die Pulp-Schätze immer mehr gefangengenommen, und es wäre schade drum, zu den bemerkenswertesten Funden nicht ein paar Zeilen zu schreiben.

The Usurpers (Die Eindringlinge) Sie sind unter uns! Paranoia-SF hat heute nicht mehr einen solch trashigen Ruf wie vor Jahrzehnten, spätestens seit der Serie „Akte X“ ist die Idee, die Außerirdischen würden unerkannt unter uns weilen, geadelt. Ein Klassiker des umstrittenen Genres war Krepps Erzählung „Die Eindringlinge“.

Jeder könnte einer von ihnen sein! Sie sehen aus wie ich und du, aber sie haben Böses im Sinn: die Unterwanderung der menschlichen Zivilisation und letztendlich die Inbesitznahme der Erde.

Die Idee von Aliens, die unerkannt unter Menschen weilen, ist uralt – es gibt zwei Klassiker der deutschen Romantik, in denen das sehr witzig ausgeführt wird – E.T.A. Hoffmanns „Klein Zaches“ und Ludwig Tiecks „Vogelscheuche“. Doch hier sind die Aliens noch Dämonen bzw. künstliche Menschen.

Der Vater der modernen Paranoid-Science-Fiction war Richard S. Shaver (1907-75). Er war gewissermaßen prädestiniert für die Idee der fiesen Aliens, die unter uns weilen – er glaubte nämlich selbst daran. Natürlich ist es grundsätzlich durchaus von Vorteil, wenn ein Paranoider Autor Paraniod-SF schreibt. Er klingt in jedem Fall überzeugend. Vielleicht zu überzeugend? Der Chef-Herausgeber aller Pulp-Magazine in der Ziff/Davis-Mediengruppe, Ray Palmer, hatte zwar mit der Lancierung von Shavers wilden Phantasien über eine böse unterirdische Alienrasse mit Hypno-Strahlern die Umsatzzahlen von „Amazing Stories“ in den Jahren 1945-47 vervielfacht, aber auch den Zorn zahlreicher Leser heraufbeschworen. Die Kritiker kamen aus zwei ganz unterschiedlichen Lagern: Da waren prüden die SF-Hardliner, für die eine solche Art SF einfach eine Beschmutzung des Genres war, und die andere Gruppe, die das alte Amazing vermißte – mit seinen flotten Space operas, satirischen Albernheiten und abenteuerlustigem Tempel-Urwald-Garn im Stile Burrouhgs. Ihnen fehlte die schwungvolle, augenzwinkernde Unbekümmertheit des Blattes, und die Bereitschaft der Autoren, die Genres gewissenlos zu verrühren – von jeher war Amazing beliebt beim Durchschnitts-Pulp-Leser und verhaßt bei den „seriösen“ SF-Fans  für die kräftige Durchmischung der SF mit Horror, Fantasy, Lovestory, Kriegsabenteuer und Humoreske. Leser wie Herausgeber von Amazing waren stolz auf diesen Haß der Hardliner.

1949 verließ Editor-Ikone Palmer jedoch enttäuscht die Ziff/Davis-Mediengruppe. Er hatte sich mehr Rückhalt gegen Anfeindungen bei den Medienbossen versprochen, die seinetwegen im Geld schwammen, aber nun bereit waren, dem Druck der Hard-SF-Fans nachzugeben und Shavers Paranoid-Storys verboten hatten.

The Usurpers (Die Eindringlinge)Palmer gründete sein eigenes Medienimperium. Das ließ, wie ich an anderer Stelle genauer erzählt habe, den Stab der Ziff/Davis-Pulp-Blätter einigermaßen ratlos zurück. Denn Palmer kontrollierte am Ende fast alle Magazine des Konzerns, auch die Krimi,- Western, - und Abenteuerhefte. Wie sollte es ohne ihn weitergehen? Und mit wem?

Ein kleines aber feines Magazin der Gruppe allerdings profitierte von dem Wirrwarr. „Fantastic Adventures“, von Palmer 1939 gegründed, ging relativ unbeschädigt aus dem Shaver-Skandal hervor, und jetzt war es den Bossen zu unwichtig, um es zu reformieren, aber zu einträglich, genug um es einzustellen. Zunächst jedenfalls konnte es fast unbehelligt das machen, was es wollte. Denn man plante bei Ziff/Davis ohnehin ein neues Edel-Fantasy-Digest-Magazin, und richtete die Aufmerksamkeit eher auf diesea Projekt „Fantastic“. Und so tuckerte das gute alte Blatt, in dem SF, Horror, Fantasy und herrlich grotesker Schwachsinn wild durcheinander erschienen, ohne eigentliches Konzept dahin, aber auch ohne nennenswerte Zensur – und beides machte den Reiz von "FA" aus, wie es in von den zahlreichen Fans lakonisch genannt wurde.

The Usurpers (Die Eindringlinge)Obwohl auf dem Papier nun Howard Brown als Chefredakteur bei FA firmierte, blieb das Blatt praktisch in den Händen von William Hamling, einem Palmer-Eleven, der FA schon seit Jahren fast allein verwaltete, ohne von irgendwem behelligt zu werden. Hamlings erste eigene Ausgabe im Januar 1950 eröffnete mit einem Paukenschlag. Titelnovelle war „The Usurpers“, (Die Eindringlinge), ein Klassiker der Paraniod-SF. Es ist nicht bekannt, ob Palmer hier noch Pate stand, wahrscheinlich ist, dass es Hamlings eigener Einfall war, mit diesem Knaller seine Amtszeit zu eröffnen. Er signalisierte: Auch mit mir wird es kontroverse Paraniod-SF geben, allerdings von ganz anderer Art als die von Shaver.

Das Cover der Ausgabe, das diese Geschichte bewirbt, ist stimmungsvoll und reißerisch zugleich – es zeigt den Schatten einer Wendeltreppe und die ekligen Krallen eines Monsters – die „Damsel in Distress“, die obligatorische leichtbekleidete Dame allerdings kommt in der Erzählung gar nicht vor – das war Eindeutig ein zusätzlicher optischer Anreißer für den Kioskbesucher.

Schreiende Versalien verkündeten: ERDE ÜBERRANNT VON UNSICHTBAREN HORDEN!

Was so gar nicht stimmte. Unsichtbar waren die gar nicht. Nur sah sie halt niemand – außer einem.

Klingt parodox?

Die Grundidee der Geschichte ist witzig und originell. Die Handlung spielt in England. Jerry Wolfe, ein britischer Soldat in Indien, erleidet einen Unfall mit einem Gewehr und erblindet. Er wird operiert und nach Hause geschickt. Auf dem Schiff nimmt der Arzt ihm die Binden ab - die Operation ist geglückt, und er kann wieder sehen. Aber irgendwas ist schiefgelaufen – er sieht außerdem auch noch jede Menge abscheuliche Monster! Die Krankenschwester zum Beispiel. Zwar kann er nebelhaft ihre menschlichen Umrisse erkennen, doch in der Hülle steckt ein schleimiges Tentakelwesen. Bald stellt er fest, dass er durch einen merkwürdigen Zufall nach der Operation die Fähigkeit hat, eine Dimension zu sehen, die allen anderen unzugänglich ist. Er entdeckt, dass etwa ein Viertel aller Menschen in Wirklichkeit Monster einer andren Welt sind, die sich in alle Bereiche der Wirtschaft, der Politik und des Entertainment eingeschlichen haben. In England angekommen, muß er feststellen, dass seine Freundin ebenfalls ein Monster ist. Er sieht auch eine Menge Kinder, die mit Mini-Monstern besetzt sind, und schließt daraus, dass sich die Aliens inzwischen erfolgreich mit den Menschen mischen und so fortpflanzen.

Da er einigemale großes Entsetzen verrät, als ihm alte „Freunde“ wiederbegegnen, die in Wirklichkeit Monster sind, beginnt ein atemberaubendes Katz- und Mausspiel. Die Aliens fangen an ihn zu verfolgen, nachdem sie bemerken, dass er ihr Geheimnis kennt. Und nachdem er einige von ihnen in Notwehr getötet hat, wird er gleich doppelt gejagt: von der normalen Polizei wegen Mordes, und von allen Aliens, um endgültig ausgeschaltet zu werden. Denn nach seinem ersten Mord macht Jerry eine entsetzliche Feststellung: Die Aliens sterben nicht wirklich. Sie stammen auch nicht von einem anderen Planeten, sondern aus einer anderen Dimension und besetzen unsere menschlichen Körper. Das bedeutet – sie verschwinden wieder in ihre Welt, wenn der menschliche Körper stirbt. Von dort aus sind sie gedanklich vernetzt mit allen anderen ihrer Rasse. Wenn also jemand von ihnen „stirbt“ wissen alle anderen von ihnen Bescheid; auch die in Menschenkörpern– und plötzlich haben alle seine Beschreibung...kennen seinen letzten Aufenthaltsort...

The Usurpers (Die Eindringlinge)Eine herrlich grotesk-paranoide Ausgangslage, die sogar die Konzeption von Akte X leicht verblassen läßt. Fast schon eine tragende Serienidee. Und wirklich spürt man beim Lesen, dass „The Usurpers“ vermutlich als ein Pilot gedacht war. Zwar stirbt Jerry am Ende der Novelle, doch er kann noch vertrauten Freunden sein Geheimnis verraten und sie auffordern zum großen Kampf Mensch gegen die Aliens.

Autor der halsbrecherisch-temporeichen Story war Geoff St. Reynard. Hinter dem blumigen Namen verbirgt sich der Autor Robert Wilson Krepps (1919-80), ein hochgebildeter Schriftsteller aus Pittsburgh.

Die wie so oft unobjektive englische SF-Online-Enzyclopädie, die (zu) stark von SF-Hardlinern beherrscht wird, schreckt durchaus nicht davor zurück, auch Fakten zu verbiegen oder zu unterschlagen, wenn es darum geht, die Blätter Palmers und Hamlings zu diskreditieren, die bei ihnen auch heute noch als Schund gelten. So erzählt uns der Eintrag zu Krepp fälschlicherweise, seine erste Geschichte sei in der Dezemberausgabe 1945 in „Fantastic Adventures“ erschienen.

http://www.sf-encyclopedia.com/entry/st_reynard_geoff

Die Wahrheit sieht anders aus. Krepp ist eine Entdeckung John W. Campbells, des Gurus der Hard-SF höchstselbst. Er veröffentlichte Krepps erste Geschichte in seinem Fantasy-Magazin „Unknown“. Krepp scherzte später: „Unknown brachte meine erste Story 1943 und ging einen Monat später ein. Soweit ich weiß, gibt es keine Verbindung zwischen den beiden Ereignissen.“


Erst der Untergang des recht erfolglosen „Unknown“ (das allerdings auch unter der Last der Papierrestriktion im beginnenden Krieg zu kämpfen hatte) brachte Krepp zu FA, wo er, wie er selbst schreibt, fast alle seine Geschichten unterbrachte. Allerdings veröffentlichte er später auch einige sehr hübsche Geschichten in Amazing, die die Enzyklopädie erwartungsgemäß natürlich alle (!) für „modestly unambitious“ [bescheiden und unambitioniert]“ findet, was meistens in dieser Enzyklopädie nur bedeutet, dass keine technisch schwierigen Erklärungen drin vorkommen und man nicht jeden Satz dreimal lesen muß, um ihn zu verstehen.

The Usurpers (Die Eindringlinge)Die Leser waren begeistert von der Novelle. Neben vielen anderen schrieb auch kein geringerer als SF-Legende Robert Silverberg einen flammenden Begeistungsbrief an FA.

Neben einigen sehr klugen Kritikpunkten, etwa der nur schwach ausgeführten Motivation der Aliens (was wollen sie überhaupt hier?) lobt er den eleganten Bau der Geschichte („einige Konstruktionen studiere ich eifrig, um sie auf meine Storys anzuwenden...“) und bezeichnet sie schon wenige Monate nach Erscheinen prophetisch als Klassiker.

Pikanterweise weist Silverberg darauf hin, dass die Paranoid-SF nicht ihre Wurzeln bei Shaver hat, sondern bei – Campbell selbst! Er führt dessen ausgezeichnete Novelle „Who goes here?“ (Verfilmt als „Das Ding aus einer anderen Welt“) an, die allerdings dadurch, dass sie auf einem sehr begrenzten Schauplatz spielt, zwar sehr schön mit klaustrophobischen Ängsten spielt, aber nicht wie Krepp das Gefühl einer universellen Weltbedrohung vermittelt. Tatsächlich gibt es interessante Vorläufer der Geschichte vor und weitab von Shavers komplizierter Mythologie – vor allem einige Geschichten von Eric Frank Russell dürften hierhergehören, etwa „Sinister Barrier“ (1939, Unknown, dazu in 2 Wochen mehr) und Dreadful Sanctuary (1948, Astounding). Eine der ersten Geschichten dieser Art erschien aber in Amazing Stories– das war  „The Parasite“ von Harl Vincent (Juli 1935).   

Wie auch immer, zu einer Serie kam es trotz frenetischer Leserbegeisterung nicht. Der Ziff/Davis-Konzern zog von Chicago nach New York um, und Hamling wollte in der Stadt bleiben. Und Oberboss Browne hatte anscheinend kein Interesse daran, diese Saga weiterzuspinnen, er war aller Art von Paranoid SF gegenüber ausgesprochen skeptisch eingestellt, der Shaver-Schock saß noch zu tief. Doch Hamling gab nicht auf. Sein alter Chef und Freund Ray Palmer rettete seine Karriere, indem er ihm generös ein Blatt schenkte, das er selbst gegründet hatte – Imagination. Hamling griff freudig zu und stieg ein, nachdem Palmer erst zwei Ausgaben selbst redigiert hatte. Imagination gab Hamling die Möglichkeit, seine Visionen, die er bei Fantastic Adventures entwickelt hatte, hier noch freier umzusetzen. Bereits nach kurzer Zeit entwickelte sich Imagination zu einem der erfolgreichsten, weil meistgelesenen SF- und Fantasy-Magazine der 50er Jahre.

Beware, The UsurpersKnapp zwei Jahre später war es dann soweit – die langersehnte Fortsetzung von „The Usurpers“ erschien unter dem Titel „Beware! The Usurpers!“  in der Novemberuasgabe von Imagination 1951.

Auf den ersten Blick ist das ein gelungener 2. Teil. Trotz einiger Unstimmigkeiten mit Teil 1 knüpft er gut an und setzt den grotesken, grellbunten Stil der ersten Folge fort. Allerdings vermißt man bei „Beware“ bei genaueren Hinsehen so einiges. Etwa den Humor des Vorgängers. Krepp hatte seine Monster nämlich so abscheulich und widerlich beschrieben, dass der absichtlich übertriebene Stil parodistisch klang und man angesichts dieser fiesen Tentakelwesen mit ihren Stielaugen eher schmunzeln mußte. Nun sind sie deutlich finsterer, und die Angelegenheit mündet in einen regelrechten Krieg zwischen menschlichen Anti-Alien-Partisanen und den bösartigen Kreaturen, und am Ende liefern sich beide eine äußerst blutige finale Schlacht in einem einsamen Landhaus, die durchaus Western-Züge trägt.

Das Ganze bekommt nun auch einen etwas chauvinistischen Beigeschmack – und Silverbergs monierter kleiner Fehler weitet sich zu einem Generaldefekt aus. Gut, diese Wesen lieben unsere Welt, sie sind gern hier, wollen Anteil haben an unserem Leben, weil sie es in ihrer unsinnlichen Dimension zu dröge finden. Und dass sie ihre Feinde ausschalten wollen, kann man ihnen kaum verübeln – aber all das wirkt fast harmlos gegen den erbarmungslosen Ausrottungsfeldzug der Anti-Alien-Truppe, der auch dadurch nicht gemildert wird, indem man erfährt, dass sie Wesen ja nur wieder in ihre Dimension verschwinden und nicht wirklich sterben (obwohl auch hier bald ein Weg gefunden wird, um sie tatsächlich vollständig auszulöschen). War Teil Eins ein Riesenspaß, bleibt Teil zwei ein blutiges Gemetzel ohne den Witz und den Suspense des ersten. Und wirklich war danach auch nichts mehr von einer weiteren Fortsetzung zu hören.

Beware, The Usurpers Unterm Strich sind aber beide Folgen gut lesbar, erstaunlich kurzweilig und auch im 21. Jahrhundert noch fesselnd genug, um selbst neue ungeduldige Lesergenerationen zu unterhalten. Meines Wissens sind die beiden Novellen allerdings nie ins Deutsche übersetzt worden.

Und natürlich ist ihr Einfluß auf die nachfolgende Paraniod-SF evident. Denn es dürfte nach der Lektüre kein Zweifel daran bestehen, dass die Autoren der beiden berühmtesten Paranoid-SF-Bücher „The Usurpers“ gekannt haben: Robert Heinlein (The puppet masters/ Die Invasion, 1951) und Jack Finney (The Body Snatchers / Die Körperfresser kommen, 1954).

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Kommentare  

#1 Heiko Langhans 2018-02-19 07:02
In die "unobjektive [?] Haltung" der SFE III würde ich nicht zuviel hineininterpretieren. Zur Zeit stellt sie immer noch das besteEinstiegs- und Nachschlagewerk zur SF und deren verwandte Gebiete dar. Verknüpft mit der ISFDB und den Fictionmags-Listen erhält man schon ein recht vollständiges Bild.

Ob die Paranoia-SF der späten vierziger und fünfziger Jahre auf Shavers Mist gewachsen ist, möchte ich ein wenig bezweifeln. Dazu zog sich dieses Element zu sehr durch alle Medien und ist wohl eher auf die frischen Kriegserfahrungen sowie auf die zunehmend fanatisierte Antikommunismus-Stimmung zurückzuführen. Dass Shaver, der ja nicht alle Nadeln an der Tanne gehabt haben soll, begeistert darauf ansprang, ist kein Wunder.
#2 Matzekaether 2018-02-19 15:33
Ich habe immer gefunden, dass die Enzyklopädie, so wichtig sie als Wissensquelle sein mag, viele völlig ungerechtfertigte Meinungen enthält. Aber das liegt in der Natur der Sache. Ich kenne keine kein anderes Literatur-Genre, wo eine Handvoll lautstarker Meinungsmacher seit Jahrzehnten darüber bestimmt, was gute oder schlechte Literatur ist. Dass hier so lange so viel widerspruchslos aus Hard-Sf Sicht geschrieben werden konnte, liegt einfach auch daran, dass die Texte nicht einsehbar waren. Man mußte vieles einfach hinnehmen. Jetzt, in Zeiten vieler Anthologien, Pulp-Scans , ebooks kann man sich selbst ein Bild machen, und in der Enzyklopädie wurde in den letzten Jahren auch schon viel abgemildert, ergänzt und objektiviert, so dass es auch Leute lesen können, die Astounding Stories nicht für den Nabel der Welt halten.
Um nur ein Beispiel von Hunderten zu geben: Einem sicher nicht genialen, aber grundanständigen Redakteur wie Fairman, der jahrelang ein sehr guter Redakteur von Amazing Stories und Ellery Queens Mystery Magazin war, in einem Nachschlagewerk zu schreiben: "Paul W Fairman actually damaged the image of science fiction.", ist eine Schande. so etwas könnte - außer in kommunistischen Ländern - einem Autor in einer anderen Enzyklopädie nicht passieren. Auch Wenn er eine bestimmte pulp-lastige SF bevorzugte, darf er nicht behandelt werden wie ein Abweichler in einem stalinistischen Land. Ich glaube eher, dass Leute die SF beschädigen, die über Andersdenkende schreiben, dass sie etwas beschädigen. Das setzt nämlich voraus, dass es eine festgefügte starre Definition gibt, wie SF auszusehen hat. Wäre ein Satz wie: "Majakowski beschädigte das Bild der Lyrik" überhaupt denkbar? Nein. Erst wenn solche Entgleisungen verschwunden sind, werde ich die Enzyklopädie mit geringerem Mißtrauen lesen.
#3 Andreas Decker 2018-02-19 16:50
zitiere Matzekaether:

Um nur ein Beispiel von Hunderten zu geben: Einem sicher nicht genialen, aber grundanständigen Redakteur wie Fairman, der jahrelang ein sehr guter Redakteur von Amazing Stories und Ellery Queens Mystery Magazin war, in einem Nachschlagewerk zu schreiben: "Paul W Fairman actually damaged the image of science fiction.", ist eine Schande.


Da gebe ich dir völlig recht. Solche Pauschalurteile haben in Nachschlagewerken nichts verloren. Da will ich Fakten, keine Geschmacksurteile. Aber dieser Unsinn scheint auch korrigiert worden zu sein. Das ist aktuell in der SFE nicht mehr zu finden. In der ersten Printausgabe, die ich immer noch habe, stand es übrigens auch nicht drin. Natürlich fragt man sich als Benutzer, warum der Eintrag 27 mal bearbeitet wurde :o

Bei Krepp scheinen sie aber recht zu haben mit 45. In der Ifsdb ist seine erste Veröffentlichung auch mit 1945 angegeben. Und zumindest in den Ausgaben von Campbells "Unknown" ist er laut Ifsdb 1943 unter diesem Namen nicht vertreten. Was kein Wunder ist; das ist oft das Problem mit diesen Verlinkungen. Wirklich verlässlich ist die Ifsdb auch nicht.

Ich bin mittlerweile sehr misstrauisch, was alle Online-Bibliografien angeht. Was ich schon für offensichtliche Fehler bzw Lücken in der Online-Auskaunft der Deutschen Bibliothek gefunden habe.
#4 Heiko Langhans 2018-02-19 18:49
Ich stimme zu, dass es auch abseits von Astounding/Analog Unmengen guter und sehr guter Stories zu finden gibt.

Dass Du die SFE aber so aufs Korn nimmst, ist ungerechtfertigt. Ich habe die beiden Printausgaben vorliegen und fand darin weit weniger Einseitigkeit als in dem ein Jahr nach SFE I erschienenen Heyne SF Lexikon (wo wir gerade von Komunisten reden 8)) . Gerühmte Einseitigkeit fand sich auch in Brian Aldiss´ Millionen/Milliarden-Jahre-Traum.

Vermutlich ist es aber nicht zu vermeiden, dass in einem lange Zeit (sagen wir mal bis 1990) überschaubaren Genre diejenigen mit der angeblich umfassendsten Kenntnis eben auch eine Deutungshoheit beanspruchen. Die genannten Sachwerke sind in ihren Erstversionen nun auch schon 40 bis 45 Jahre alt; in der Zwischenzeit hat sich einiges in Rezeption und Kenntnisumfang geändert. Sollte es jedenfalls: Ich fasse es nicht, dass Star Wars schon wieder eine Gelegenheit bekommt, die Latte für Genrefilme zu setzen.

EIn bisschen erinnert mich die Debatte, ob die Astounding-Autoren nun tatsächlich die besten waren, aber doch an den gelehrten Professor Giambattista, der vierzig Jahre seines Lebens damit verbrachte, den wahren Verfasser von Ilias und Odyssee zu ermitteln, und dann triumphierend verkündete, dass es nicht Homer gewesen war, sondern ein anderer blinder Grieche gleichen Namens, der allerdings zwanzig Jahre früher auf der Nachbarinsel geboren worden war.

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