Die weise Frau: Ursula K. LeGuin
Manchmal glaubt man fast, dass hinter vermeintlichen Zufällen eine geheimnisvolle Macht steht. Ich war vor einigen Tagen gerade dabei, für die letzte Folge meiner Serie über die S.A.G.A.-Autoren den grandiosen Roman Herr des Lichts von Roger Zelazny wiederzulesen, da kam von Meister Allwörden die Anfrage, ob ich nicht einen Nachruf verfassen könnte. Ursula K. LeGuin, eine der berühmtesten Autorinnen von SF und Fantasy, ist am 22. Januar 2018 im neunundachtzigsten Lebensjahr verstorben. Der Heyne-Verlag wählte vor Jahrzehnten für die Jubiläumsbände mit Hunderternummer seiner SF-Reihe immer besonders interessante Werke aus. Herr des Lichts, der 1976 auf Deutsch erschien, hatte die Nr. 3500, Ursula K. LeGuins Left Hand of Darkness, das in seiner ersten deutschen Ausgabe 1974 als Winterplanet herauskam, die Nr. 3400. Dieses Buch nahm ich also nach Zelaznys Werk als nächstes in die Hand, um Erinnerungen an eine von mir verehrte Autorin wachzurufen.
Neulich traf ich mich mit meinen Freunden und Bekannten in unserer Männerrunde, und wir diskutierten über das Thema „Der alte weise Mann“. Einer der Anwesenden fragte, warum man bei alt und weise eher an einen Mann denkt als an eine Frau. Von einem anderen Kollegen kam sogleich die Assoziation einer weisen Frau mit einer Hexe. Dies ist leider wohl dem unheilvollen Einfluss der Kirchen in früheren Jahrhunderten durch die Hexenverfolgungen zurückzuführen, bei denen unliebsame Konkurrentinnen der heiligen Männer beseitigt wurden. Wenn ich an eine weise Frau der heutigen Zeit denke, drängt sich mir Ursula K. LeGuin geradezu auf. Sie stellte den Paradefall einer Intellektuellen dar, welche nicht mit schrill herausposaunten Argumenten, sondern mit leiser, aber fester Stimme ihre wohlfundierten Ansichten formulierte. Dies mündete in hochinteressanten Erzählungen, welche unter Verwendung des Stilmittels der Verfremdung den Menschen immer wieder den Spiegel über ihr Zusammenleben vor Augen halten.
Ursula Kroeber LeGuin 1929 wurde als Tochter des Anthropologieprofessors Alfred Kroeber und der Schriftstellerin und Anthropologin Theodroa Kroeber in eine Familie aus der Bildungsschicht hineingeboren. Nach ihrer Jugend in Berkeley studierte sie Literatur und Geschichte in Cambrigde/Massachusetts und New York. Bei einem Studienaufenthalt in Frankreich lernte sie den Geschichtsprofessor Charles A. LeGuin kennen, der ihr Ehemann wurde. Der Ehe entsprangen drei Kinder. Schon früh begann sie zu schreiben. Ihre erste SF-Erzählung April in Paris erschien 1962, ihr erster (Kurz-)roman Rocannon's World 1966. Mit ihren Werken The Left Hand of Darkness und The Dispossessed, welche beide mit dem Hugo- und Nebula Award ausgezeichnet wurden, gewann sie weit über die SF-Gemeinde hinaus großes Ansehen. Ebenfalls sehr wohlwollend wurde ihre Erdsee-Trilogie aufgenommen, ein High Fantasy-Werk, das ursprünglich für Jugendliche geschrieben wurde, sich aber genauso bei Erwachsenen nach wie vor großer Beliebtheit erfreut. Erdsee wurde später mit zwei weiteren Romanen und einer Anzahl von Kurzgeschichten erweitert. Es gab 2004 auch eine Fernsehserie, von der sich die Autorin allerdings distanzierte, weil sie sich zu weit vom Inhalt der Bücher wegbewegte. Insbesondere wurden die meisten der Hauptpersonen, die von der Autorin in den Büchern als dunkelhäutig geschildert wurden, von Weißen dargestellt.
Ein Großteil der SF-Romane LeGuins gehört zum Hainish-Zyklus. In ihm haben die Menschen, ausgehend vom Planeten Hain, eine Reihe von Welten in der Milchstraße besiedelt, darunter auch die Erde. Es gibt interstellare Raumfahrt, aber die Raumfahrer sind der Zeitdilatation unterworfen und haben deshalb subjektiv kurze Reisezeiten, während auf den Planeten viele Jahre vergehen. Mit dem Ansible-Gerät ist überlichtschnelle Kommunikation ohne Zeitverzögerung möglich. In einem Teil der Geschichten gibt es eine Weltenliga, die später durch die Ökumene (im Original Ekumen) ersetzt wird, eine lose Organisation für die Koordination der Zusammenarbeit und den freien Handel zwischen den Welten. Man darf den Hainish-Zyklus nicht wirklich als eine Serie ansehen. Le Guin schrieb selbst auf ihrer Webseite: „Die Sache ist so, sie sind kein Zyklus oder eine Saga. Sie ergeben keine konsistente Geschichte. Es gibt einige klare Verbindungen unter ihnen, aber auch einige extrem unklare.“ Es ist deshalb auch nicht notwendig, die Romane in einer bestimmten Reihenfolge zu lesen, obwohl man einigermaßen eine innere Chronologie konstruieren kann.
Meine erste Begegnung mit den Geschichten LeGuins und dem Hainish-Zyklus hatte ich Herbst 1975, als mir ihr hochgelobtes Hauptwerk The Left Hand of Darkness in seiner ersten deutschen Ausgabe in die Hand fiel. Ich kannte die Autorin bis dahin nicht und war von diesem Roman extrem beeindruckt. Für mich war er das Beste, was ich bis zu diesem Zeitpunkt an SF gelesen hatte. Die Lektüre veranlasste mich zu einem langen Eintrag in mein Tagebuch, welches ich damals führte. Schade, dass ich es aufgrund mehrerer Umzüge und eines Hausbaues nicht mehr habe. Es wäre interessant gewesen, meine Gedanken von damals mit meinen heutigen aufgrund des Wiederlesens nach dem Tod der Autorin zu vergleichen. Auf jeden Fall gehört der Roman nach wie vor – über vierzig Jahre nach meinem Erstlesen - zu meinen Top zwanzig SF-Werken.
Ein Gesandter von der Erde ist auf dem Planeten Gethen angekommen. Gethen ist wegen seiner stark elliptischen Umlaufbahn um seine Sonne ein Winterplanet mit einem außerordentlich strengen Klima. Genry Ai ist alleine als Vorhut mit einer kleinen Rakete gelandet. Seine Kollegen warten im Weltraum darauf, dass sie von den Einheimischen eine Einladung erhalten und nachkommen können. Die Bewohner des Planeten sind Menschenabkömmlinge, aber aufgrund eines genetischen Experiments androgyn. Einmal im Monat kommen sie in eine sexuell aktive Phase, in der sie – ohne das selbst steuern zu können – eine männliche oder weibliche Rolle einnehmen. Der Außenweltler wird von den Einwohnern durch seine andere sexuelle Orientierung als pervers eingestuft. Stellen sie sich vor, Außerirdische landen auf der Erde, sie sind menschlich, aber samt und sonders schwul! Die trotz des menschlichen Aussehens fremde Denkweise der Einheimischen führt zu einer Reihe von Missverständnissen. Diese betreffen besonders die Beziehung von Genry Ai zu Therem Harth rem ir Estraven, dem Premierminister von Karhide. Dieser erkennt die Chancen, die durch den Besuch des Außerweltlichen bestehen, und fördert ihn vorsichtig. Aber er wird von König Arhaven als vermeintlicher Verräter gestürzt und verbannt.
Bemerkenswert ist die Beschreibung des Regierungssystems von Karhide:
Dieses Land, eine scheinbar schon seit Jahrhunderten geeinte Nation, war in Wirklichkeit ein Konglomerat aus unkoordinierten Fürstentümern, Städten, Dörfern, >pseudo-feudalen, ökonomischen Stammeseinheiten<, ein zusammengewürfelter Haufen von weit verstreuten, starken, fähigen, streitsüchtigen Einzelexistenzen, über die, lose und unbefestigt, ein lockeres, weitmaschiges Netz von Autorität gelegt worden war.
Zitiert aus: Ursula K. LeGuin: Winterplanet. München 1974, Heyne SF 3400
Besser könnte man die Situation des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wohl nicht beschreiben! Dazu kommt, dass Karhide mit dem straffer organisierten Nachbarn im Streit um ein Gebiet liegt. Der Vergleich zur Erbfeindschaft zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich und den Konflikt um Elsass-Lothringen drängt sich da natürlich auf. Estraven geht ins Exil ins Nachbarland Orboreyn. Genry reist ebenfalls dorthin, um die Chancen für ein Abkommen mit der Ökumene auszuloten. Estraven warnt ihn vor den Gefahren durch die politischen Intrigen in der Commensalität von Orboreyn, doch Genry erkennt die Wahrheit zu spät. Er wird verhaftet und in ein Straflager in der Eisöde gebracht. Estraven befreit ihn unter Todesgefahr. Zu zweit unternehmen die beiden eine achthundert Meilen weite Wanderung über den Gletscher, um Karhide zu erreichen. Die Schilderung der Umgebung ist beeindruckend und lässt fast glauben, dass die Autorin selbst einmal das Inlandeis in der Antarktis oder Grönland überquert hat:
Die Schneedecke war nur selten für Skier oder für Schlittenkufen gleich gut geeignet. War sie leicht und frisch, lief der Schlitten nicht über sie hin, sondern eher durch sie hindurch, war sie stellenweise verhärtet, blieb der Schlitten stecken, die Skier jedoch nicht, und das bedeutete, daß wir jedesmal mit einem Ruck nach hinten gerissen wurde; und war sie hart, türmte sie sich zu langen Dünen auf: den SASTRUGU, die über einen Meter hoch sein konnten. Dann mußten wir den Schlitten hinaufzerren, über den messerscharfen Grat oder die phantastisch geformte Kuppe kippen lassen, ihn vorsichtig hinunterlassen und dann die nächste Welle angehen: denn nie schienen sie parallel zu unserem Kurs zu verlaufen. Ich hatte mir das Gobrin-Eisplateau so glatt wie einen zugefrorenen Teich vorgestellt, aber auf Hunderten von Meilen unserer Strecke glich es eher einem sturmgepeitschten Meer, das mitten in seiner Bewegung erstarrt war.
Zitiert aus: Ursula K. LeGuin: Winterplanet. München 1974, Heyne SF 3400
Trotz eines damit verbundenen Verstoßes gegen das Kulturembargogesetz lehrt Genry Estraven die Gedankensprache. Damit gelingt es den beiden endlich, die Motive des anderen für seine Handlungen besser zu verstehen. Obwohl Estraven in der Kemmer eine weibliche Phase einnimmt, vermeiden die beiden eine körperliche Annäherung. Die mühevolle Reise gelingt, und die beiden Flüchtlinge erreichen Karhide. Doch Estraven steht nach wie vor unter dem Bann des Königs und wird auf der Flucht erschossen. Nachdem das Raumschiff von Genry herbeigerufen wird und landet, ist bewiesen, dass er tatsächlich die Wahrheit gesagt hat. Karhide und Orgoreyn werden Mitglieder der Ökumene. Estraven, der posthum rehabiliert wird, hat sich für die Zukunft seines Heimatplaneten geopfert. Genry erzählt Estravens Sohn die Geschichte von der gemeinsamen Eiswanderung und von den Welten draußen bei den Sternen.
Der Originaltitel der Romans, welcher auch für spätere Übersetzungen des Romans verwendet wurde, ist aus einem Gedicht im Roman entnommen.
Das Licht ist die linke Hand der Dunkelheit,
die Dunkelheit die rechte Hand des Lichts.
Zwei sind eins, Leben und Tod, sie liegen
Beisammen wie Liebende in Kemmer,
Wie ineinandergelegte Hände,
Wie das Ziel und der Weg.
Zitiert aus: Ursula K. LeGuin: Winterplanet. München 1974, Heyne SF 3400
Im Vorwort zur Kurzgeschichte Der König von Winter, welche zur Handlungssequenz auf Gethen gehört und in der Sammlung Die zwölf Striche der Windrose enthalten ist, schrieb LeGuin für jene, die sich über das generische Maskulinum aufregten:
Der Roman >Winterplanet< hat zahlreiche Feministen (sic!) bekümmert und verärgert, weil die Androgyne darin durchwegs als >er< bezeichnet werden. In der dritten Person Einzahl ist das allgemeine Pronomen identisch mit dem männlichen Pronomen. Eine Tatsache, die des Nachdenkens wert wäre. Und außerdem ist sie eine ausweglose Falle, denn der Ausschluß des Weiblichen (sie) und Sächlichen (es), läßt den Gebrauch dieser beiden weitaus bedeutungsschwerer, ungerechter erscheinen als den Gebrauch des >er<. Und künstliche Pronomen, etwa >te<, >ersie“ und so weiter, finde ich ärgerlich und langweilig.
Zitiert aus: Ursula K. LeGuin: Die zwölf Striche der Windrose. München 1983, Heyne Bibliothek der Science Fiction Literatur 25
In der Version der Geschichte für die erwähnte Sammlung benutzte LeGuin quasi als Kompensation für diese unbefriedigende Lösung generell für alle Gethianer das weibliche Pronomen, behielt aber männliche Bezeichnungen wie König oder Lord bei, um an den Zwitterstatus erinnern, also z. B. sie, der König.
Der Physiker Shevek reist von seinem Heimatplaneten Anarres nach Urras zu einem Lehr- und Forschungsaufenthalt. Aufgrund dieser Entscheidung wird er in seiner Heimat als Verräter angesehen. Die beiden Planeten sind Schwesterwelten. Anarres ist der Mond von Urras, ein Planet der Habenichtse. Während Urras eine blühende, reiche Welt ist, müssen die Einwohner von Anarres einer feindlichen Natür in einer staubtrockenen, wüstenhaften Umgebung trotzen. Anarres wurde vor 160 Jahren von Kolonisten besiedelt, welche von Urras kamen. Es waren Anarchisten, Aufständische gegen die auf Urras herrschende kapitalistische Ordnung, die beweisen wollten, dass sie eine neue, freie Gesellschaft aufbauen können. Doch auch in einer Gesellschaft, in der scheinbar keine Hierarchien abgeschafft sind, gibt es Gleiche und Gleichere. Shevek wird in seinen Forschungen von neidischen Kollegen behindert. Nachdem seine Forschungsergebnisse aber auf Urras bekannt geworden sind, erkennt man dort das Potenzial, welches dahinter steckt und lädt ihn ein, hierherzukommen. Man hofft, falls Shevek seine Theorie der Simultaneität vollenden kann, auf deren Grundlage ein Ansible-Gerät herstellen zu können, welches eine verzögerungsfreie Kommunikation mit den anderen Sternenwelten ermöglichen würde. Damit könnte das Ceti-System die anderen Planeten der Liga der Welten, von der man erst vor kurzer Zeit wiederentdeckt worden war, gewaltig unter Druck setzen und an Wert gewinnen. Erkenntnisreich sind die Gedankengänge Sheveks zu den Erkenntnissen von Physikern vergangener Tage. Haben Sie eine Ahnung, wer Ainsetain sein könnte, der Mann von der Erde, welcher vergeblich nach einer allgemeinen Feldtheorie gesucht hatte? Die Auswüchse des Kapitalismus auf Urras widern den an spartanische und funktionelle Ausstattung gewöhnten Shevek immer mehr an:
Der Saemtenevia-Prospekt war zwei Meilen lang und bildete eine kompakte Masse an Menschen, Verkehr und Gegenständen: Gegenständen, die man kaufen konnte. Mäntel, Kleider, Gewänder, Roben, lange Hosen, Kniehosen, Hemden, Blusen, Hüte, Schuhe, Strümpfe, Halstücher, Schals, Westen, Capes, Schirme, Kleidung zum Schlafen, Kleidung zum Schwimmen, Kleidung zum Spielen, für Nachmittagspartys, für Abendpartys, für Partys auf dem Land, für die Reise, fürs Theater, zum Reiten, für die Gartenarbeit, für Empfänge, Bootsfahrten, Diners, Treibjagden – alles verschieden, mit Hunderten von verschiedenen Schnitten, Stilen, Farben, Stoffen, Mustern. Dann gab es Parfums, Uhren, Lampen, Statuen, Kosmetika, Kerzen, Bilder, Kameras, Spiele, Vasen, Sofas, Töpfe, Puzzles, Kopfkissen, Puppen, Siebe, Sitzkissen, Schmuck, Teppiche, Zahnstocher, Kalender, eine Kinderrassel aus Platin mit einem Griff aus Bergkristall, eine elektrische Maschine zum Bleistiftanspitzen, eine Armbahnduhr mit Zahlen aus Brillanten; Figurinen und Souvenirs und Delikatessen und Andenken und Spielzeug, und bric-à-brac, alles entweder übehaupt sinn- und nutzlos oder derartig verziert, daß man die Zweckmäßigkeit nicht erkannte; endloser Luxus, endlose Mengen von Exkrementen.
…Er stellte fest, daß er, nachdem man seine Maße hatte, alles Weitere, was er brauchte, telefonisch bestellen konnte, und beschloß, die Alptraumstraße nie wieder zu betreten.
Zitiert aus: Ursula K. LeGuin: Planet der Habenichtse. München 1976, Heyne SF 3505
Nachdem sich Shevek in den ersten Monaten nur in akademischen Kreisen und unter Reichen, Schönen und Mächtigen bewegt hat, nimmt er über seinen Hausdiener Kontakt mit der Untergrundbewegung der unterdrückten Proletarier auf, welche in ihn große Hoffnungen setzen. Er gerät mitten in einen Aufstand, der mit brutaler Polizeigewalt blutig niedergeschlagen wird. Shevek flüchtet in die terranische Botschaft. Er schenkt die Ergebnisse seiner Forschungen der gesamten Menschheit und kehrt mit einem Raumschiff von Hain nach Anarres zurück. Das Ansible wird es möglich machen, eine Liga der Welten zu gründen.
Verglichen mit Winterplanet ist der Roman um einiges sperriger. Die Gegenüberstellung der Systeme von Anarres und Urras steht alles andere überragend im Zentrum des Geschehens, während in Winterplanet die Natur des Planeten und der Kampf gegen die Elemente gleichberechtigt neben den Schwierigkeiten durch die Unterschiede in der Biologie der Menschen beschrieben werden. Trotzdem ist es ein äußerst wichtiges Buch, das von der Kritik als eine der letzten modernen Utopien gesehen wird. Es wurde auch mit dem Hugo- und Nebula-Award ausgezeichnet. In meinem eigenen Denken war es ein Meilenstein, mich vom klassischen Freund-Feind-Schema zu lösen, das bei uns im freien Westen nach dem Krieg hieß: Amis – gut, Russen – schlecht. Dieser Prozess hatte für mich bereits mit dem Vietnamkrieg begonnen. Die Autorin analysierte die Gesellschaftssysteme auf beiden Planeten mit wissenschaftlicher Distanz. Eine gewisse Sympathie für das System auf Anarres war allerdings trotz aller Kritik und des Aufzeigens von Fehlentwicklungen unübersehbar. Die Gegensätze der beiden Planeten werden im Buch dadurch besonders deutlich dargestellt, dass sich die Kapitel abwechselnd mit dem Aufenthalt Sheveks auf Urras und rückblickend mit seinem Werdegang auf Anarres befassen.
Der Roman liegt seit 2017 wiederum in einer neuen Übersetzung bei Fischer Tor vor, welche den Titel Freie Geister bekommen hat, den bereits dritten, welchen der Roman in deutschen Ausgaben bekommen hat. Ich kenne diese Ausgabe nicht, aber dieses Buch werde ich sicher nicht in die Hand nehmen. Es ist mir unbegreiflich, was einen Verlag und/oder Übersetzer bei Neuausgaben immer wieder zu neuen Titeln bewegt. Ist es die Hoffnung, dass Leser zu Büchern von bekannten Autoren greifen, ohne nachzusehen, ob sie es unter einem anderen Namen bereits gelesen haben? Oder ist es der Selbstverwirklichungstrip der freigeistigen Übersetzerin? Auf jeden Fall ist es eine Respektlosigkeit gegenüber der Autorin, die gute Gründe für den Originaltitel hatte. Ich verstehe in Einzelfällen, wenn es einen unglücklichen, nichtssagenden oder durch andere Werke bereits besetzten Originaltitel gibt, dass man den Titel nicht wortwörtlich übersetzt. Aber hier ist kein Grund dafür vorhanden. Hut ab vor Joachim Körber, der in seiner Ausgabe des Buches in der Edition Phantasia den originalgetreuen Titel Die Enteigneten für die Neuübersetzung verwendete.
Neben den beiden „großen“ Romanen des Hainish-Universums gibt es noch fünf weitere, schmalere Bände, sowie eine Anzahl von Kurzgeschichten, die wie Perlen auf einer Schnur die Kette vervollständigen. Der handlungschronologisch erste davon thematisiert das Aufeinanderprallen zweier Kulturen mit Vorbildern, die leider unschwer der realen menschlichen Geschichte entnommen werden können. Neu Tahiti ist ein erdähnlicher Wasserplanet, auf dem sich eine große Anzahl von Inseln befindet, die komplett von Wald bedeckt waren, bis die Erdmenschen kamen. Diese sind mittlerweile dabei, den Planeten auszuplündern und die Walder rücksichtslos abzuholzen. Die friedlichen Eingeborenen, von den Humanern verächtlich Creechies genannt, stehen der Umweltzerstörung zuerst hilflos gegenüber. Sie sind eine zwergenhafte Rasse, affenähnlich und mit grünem Pelz bedeckt, und geben sich dem Tagträumen hin. Das Wort für Welt ist Wald, sie besitzen keine andere Bezeichnung für ihren Planeten. Doch dann erheben sie sich gegen ihre Versklavung und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage und beginnen, die Fremden von den Sternen zu töten. Sie vernichten ein Camp von Holzfällern. Nur Captain Davidson bleibt am Leben, der Mann, der einst eine Einheimische vergewaltigt und getötet hatte, beinahe auch ihren Mann Selver, welcher der Freund des terranischen Ethnologen Raj Ljubow geworden war. Selver ist es auch, der die Rebellion anführt und die Terraner zu einem Waffenstillstand zwingt. Nachdem das Ansible-Gerät, ein neues Kommunikationsmittel zum verzögerungsfreien Funk zwischen den Welten, von einem Sternenschiff gebracht worden ist und neue Direktiven von der Kolonialdirektion kommen, müssen alle Einheimischen freigelassen werden. Davidson, der einen tödlichen Hass gegen die Eingeborenen hat, stiftet aber andere Terraner zu einem Rachefeldzug an, bei dem eine Creechie-Ortschaft niedergebrannt wird. Das führt endgültig zum Krieg der Creechies gegen die Sternenmenschen. Drei Million Creechies gegen zweitausend Terraner bedeutet ein zu großes Übergewicht, zumal die Einheimsichen auch kein Hauptquartier besitzen, sondern verstreut und versteckt in den Wäldern leben. Nach der Stürmung des Hauptquartiers der Terraner, bei der Selvers Freund Ljubow ums Leben kommt, werden die Fremden in einem erneuten Waffenstillstand in einem Quarantänegebiet eingeschlossen, bis sie vom nächsten Sternenschiff abgeholt werden. Neu Tahiti wird von den Sternfahrern verlassen und mit einem Ligabann belegt. Erst in mehreren Generationen werden sie wieder mit einem Forschungsteam kommen und versuchen, einen neuen Anfang in den gegenseitigen Beziehungen zu machen.
Unzweifelhaft hat der Roman die Geschehnisse des Vietnamkrieges als „Inspirationsquelle“. Meiner Meinung nach ist wiederum der bekannte Film Avatar – Aufbruch nach Pandora ganz klar von LeGuins Roman beeinflusst. Regisseur James Cameron hatte nach eigener Aussage viele SF-Romane gelesen, diesen aber nicht explizit als Vorbild genannt. Wer den Film und den Roman kennt, sieht die Ähnlichkeiten deutlich. Beispielsweise ist Oberst Miles Quaritch aus Avatar eine Blaupause des monströsen Killers Captain Davidson aus dem Roman.
Die Expeditonsgruppe, welche den Planeten Fomalhaut II erforschen sollte, ist einem heimtückischen Anschlag zum Opfer gefallen. Rebellen, welche die Macht der Sternenliga brechen wollen, haben den Planeten aus Stützpunkt ausgewählt. Sie unterdrücken die Einheimischen, die sich in verschiedene Rassen gruppieren, und verlangen von ihnen Tribut. Rocannon, der Leiter der Sternexpedition, hat als Einziger den Überfall überlebt. Zusammen mit einigen Einheimischen bricht Rocannon zum anderen Kontinent auf, denn seine Kommunikationsmittel sind zerstört und er hat die leise Hoffnung, im Stützpunkt der Rebellen eine Möglichkeit zu finden, eine Funkverbindung nach Hause herzustellen. Tatsächlich gelingt ihm der Vorstoß, und der Rebellenstützpunkt wird durch Raketen der Liga vernichtet. Ein bewaffnetes Schiff taucht aber erst nach acht Jahren auf, weil Lebewesen einen überlichtschnellen Flug nicht vertragen. Zu diesem Zeitpunkt ist Rocannon bereits vestorben. Dem Planeten wird zu seinen Ehren von der Liga der Name Rocannons Welt gegeben. Dem Kurzroman ist als Prolog die Geschichte Das Geschmeide vorangestellt. In dieser macht sich Semley, die Burgherrin von Hallan und Angehörige des Volkes der Angyar, auf die Suche nach ihrem Erbteil, einer äußerst wertvollen Halskette mit einem blauen Edelstein. Auf ihrer Suche begegnet sie den zwergenhaften Gdemiar, einer anderen Rasse der Planetarier, welche in Höhlen leben. Sie haben tatsächlich Kenntnis vom Geschmeide, denn sie hatten es in ihrem Besitz, aber an Fremde gegeben, welche aus dem Weltall kamen. Diese hatten den Gdemiar dafür ein Boot überlassen, mit dem sie die Sterne erreichen können. Semley reist zu den Fremden, um ihren Schatz zurückzufordern. Und tatsächlich, einer von ihnen, ein Mann mit Namen Rocannon, gibt ihr die Halskette zurück. Doch als Gemley zurück auf ihrer Heimatwelt ist, muss sie erkennen, dass viele Jahre vergangen sind, ihr Mann tot und ihre Tochter Haldre bereits erwachsen ist. Viele Jahre später wird Haldres Sohn Mogien Rocannons Gefährte und Freund auf der gefährlichen Fahrt zum Rebellenstützpunkt sein. Der Leser kann die Geschichte ähnlich wie eine Sage aus dem europäischen Raum lesen, in der ein Mensch erst nach vielen Jahren aus dem untrirdischen Zwergenreich zurückkommt.
Auf dem Planeten Werel, dem dritten Planeten von Gamma Draconis, leben neben den einheimischen Menschen Siedler, die vor langer Zeit von einem Sternenschiff hier ausgesetzt worden worden. Durch die feindselige Umgebung hat sich ihre Zahl bereits stark verringert. Nur noch zweitausend von ihnen leben in ihrer letzten Siedlung Landin, der Klippenstadt an der Küste. Ein Jahr auf Werel dauert sechzig Erdenjahre, und der lange Winter steht bevor. Das zehnte Jahr auf Werel, sechshundert Erdjahre nach ihrer Ankunft, bringt für die Erdkolonisten die Entscheidung, denn die Gaal, Barbaren aus dem Norden, haben ihre Kräfte vereinigt und dringen nach Süden vor. Sie überrennen Stadt um Stadt, morden und versklaven ihre Bewohner. Die Siedler haben nur mehr eine Chance zum Überleben: sich mit den sesshaften Einheimischen zu verbünden, welche ihre Winterstädte in die Tiefen der Erde gegraben haben, und gemeinsam den Gaal entgegenzutreten. Jakob Agat Alterra, Anführer der Siedler, sucht den Clan des Alten Wold in ihrer Siedlung Tevar auf, um ein Bündnis gegen die Gaal zu schließen. Wold stimmt zu, denn er hatte einst eine der Ferngeborenen zur Frau. Doch die Ressentiments der Alteingesessenen sitzen tief, die Siedler werden nicht als wahre Menschen angesehen. Jakob wird von einigen Jungen, die mit Wolds Entscheidung unzufrieden sind, zusammengeschlagen. Damit ist das Bündnis hinfällig. Die junge Rolery, mit der Jakob zum Missfallen des Stammes ein Verhältnis angefangen hatte, bringt ihn zu den Seinen zurück und bleibt als seine Frau dort. In der Zwischenzeit kommt das riesige Heer der Gaal an und überrennt Tevar. Einige der Bewohner können mit Wold, dessen Kräfte und Autorität geschwunden sind, die Stadt verlassen und fliehen. Sie finden Zuflucht in der Stadt der Fremdgeborenen, die beiden Gruppen verteidigen sich nun doch gemeinsam gegen die Barbaren, welche letzten Endes aufgrund des harten Winters abziehen. Möglicherweise werden die Fremdgeborenen künftig doch mit den Alteinheimischen Kinder haben können, was früher nicht möglich war, denn ihre Körperchemie hat sich soweit angepasst, dass sie jetzt auch Infektionen durch die hiesigen Krankheitserreger bekommen können. Der Planet des Exils wird endlich zur Heimatwelt
Der namenlose junge Mann hat Glück, dass ihn friedliche Waldbewohner auflesen und in ihre Gemeinschaft aufnehmen. Er ist ein Mann ohne Gedächtnis, mit seltsamen gelben Augen, deren Iris das Weiß des Augapfels bedeckt. Wegen dieser Augen wird er von seinen Rettern Falk genannt und wie ein Kleinkind aufgezogen. Die Erziehung geht aber sehr schnell, und so ist Falk nach fünf Jahren ein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft mit Ausnahme der Tatsache, dass er nur schemenhafte Erinnerungen an die Vergangenheit hat. Er will unbedingt Es Toch aufsuchen, die Stadt der Illusionen und Hauptquartier der außerirdischen Shing. Dort hofft er, sein Gedächtnis wiederzufinden. Die Invasoren beherrschen seit 1200 Jahren die Erde, sie haben die Zahl der Menschen vermindert, ihnen den Großteil der Technologie entzogen und sie in die Wälder abgedrängt. Wegen seines fremden Aussehens wird Falk auf seiner Reise von anderen Menschen angefeindet und vom Stamm der Basnasska gefangengenommen. Estrel, eine andere Gefangene, die zur Gruppe der Wanderer gehört, flieht gemeinsam mit ihm. Sie führt ihn nach Es Toch, denn sie war bereits einmal dort. Doch als sich die Tore eines Gebäudes hinter ihm schließen und Estrel zu lachen beginnt, wird Falk klar, dass sie eine Agentin der Außerirdischen ist und ihn in die Falle gelockt hat. Von einem Jungen, der ähnlich aussieht wie er, erfährt er, dass er Teil der Besatzung eines Raumschiffes vom Planeten Werel war und Prech Ramarren heißt, der Agad von Charen. Er ist Nachkomme von irdischen Siedlern, die sich mit den Einheimischen des Planeten vermischt hatten, sein Raumschiff wurde beim Anflug auf die Erde zerstört. Die Shing erzählen ihm, dass sie in Wirklichkeit keine Außerirdischen sind, sondern von einer Menschengruppe abstammen, die den Bürgerkrieg zwischen den Menschen dadurch beenden konnte, dass sie die Außerirdischen erfanden. Sie bieten ihm an, sein Gedächtnis wiederzubekommen, allerdings um den Preis, dass er seine Zeit als Falk vergisst. Falk bezweifelt, dass die Geschichte mit den erfundenen Außerirdischen wahr ist, stimmt aber der Gedächtniswiederherstellung zu. Nachdem er seine Identität als Ramarren wiederbekommen hat, gelingt es ihm mit seinem Wissen, auch die Erinnerungen als Falk zurückzuholen und die beiden Persönlichkeiten zu verschmelzen. Er durchschaut jetzt komplett die Lügen der Außerirdischen. Einer der Shing versucht, telepathisch die Kontrolle über ihn zu übernehmen, doch Ramarren mit seiner überlegenen psychischen Kraft der Doppelpersönlichkeit dreht den Spieß um. Er kapert ein Raumschiff und bricht zu seiner Heimatwelt auf, denn die Bewohner von Werel können mit ihren mittlerweile aufgebauten militärischen Kräften die Erde auf einen Schlag von den Invasoren befreien.
Die junge Frau Sutty, eine Linguistin von der Erde, ist auf dem Planeten Aka angekommen. Der Botschafter der Ökumene Tong Ov sendet sie in eine weit von der Hauptstadt Dovza City entlegene Region, damit sie auch das dortige Leben und die Kultur der Einheimischen kennenlernt. Aka hat eine Revolution hinter sich, die vor einigen Jahrzehnten stattgefunden hat. Die neue Regierung hat brutal die frühere Kultur verboten und unterdrückt alle ihre Überreste. Darunter ist auch die alte Schrift, die Ideogramme verwendet. Doch Sutty kann diese Schrift lesen, denn das gehörte zu ihrer Sprachausbildung. Durch den Dilatationsflug ist sie aber zu einer Zeit angekommen, wo scheinbar niemand mehr die alte Schrift lesen kann. Alte Bücher wurden verbrannt, Aufschriften übertüncht, Widerspenstige sind in Straflagern gelandet. Sutty kommt in Okzat-Ozkat an und bekommt Kontakt mit den Einheimischen. Sie wird argwöhnisch von einem Monitor der Regierung verfolgt und beobachtet, der alle Kontakte mit subversiven Elementen verhindern will. Schließlich gelingt es Sutty, das Vertrauen der Einwohner zu gewinnen und lernt Die Erzähler kennen, welche bei geheimen Versammlungen Geschichten von früheren Ereignissen rezitieren und auf diese Art die Erinnerung an die frühere Kultur aufrechterhalten. Sie wird eingeladen, an einen geheimen Ort in die Berge zu kommen, wo alle vor dem Regime geretteten Bücher in einer riesigen Bibliothek zusammengetragen wurden. Der Monitor, der sie mit dem Hubschrauber verfolgt, stürzt ab und wird schwerverletzt gerettet. Er stellt sich als Abkömmlung von Erzählern heraus, der umerzogen wurde. Durch viele Gespräche mit Sutty entledigt er sich seiner fanatischen Regimegläubigkeit. Angesichts der Gewissheit, dass er aber nach seiner Rückkehr alle Informationen an seine Vorgesetzten preisgeben muss, begeht er lieber Selbstmord. Sutty erfährt die Geschichte des Regimes. Der Planet wurde von zwei Raumexpeditionen der Erde erreicht. Die zweite davon war eine Mission der Unionisten, einer fundamentalistischen Gruppierung, die zu dieser Zeit in Aufständen weite Bereiche der Erde unter ihre Kontrolle gebracht hatte und ihren Glauben mit Feuer und Schwert verbreitete. Die Unionisten wollten ihr segensreiches Wirken auch in Aka entfalen, wurden aber zurückgewiesen. Aber letzten Endes wurde dadurch die Revolution auf Aka ausgelöst, und der unbedingten Fortschrittsgläubigkeit, welche den technologischen Standard der Ökumene für den Planeten gewinnen wollte, wurde auch die alte Kultur geopfert. Schließlich gelingt es, die Regierung davon zu überzeugen, dass die alten Bücher erhalten bleiben können, als Gegenleistung dafür, dass Aka die Technologie der Ökumene bekommt.
Ganz klar zu erkennen ist bei diesem Roman, dass die Entwicklung auf Aka als Parallele zur chinesischen Kulturrevolution zu sehen ist. Die Unionisten auf der Erde kann man heutzutage als eine gute Beschreibung des Islamischen Staates ansehen, der Roman ist allerdings im Original bereits 2000 erschienen. Deutlich zu merken ist auch, dass es sich um ein Alterswerk LeGuin handelt. Die Reflexionsphasen stehen im Vordergrund. Wenn man sich darauf einlassen kann, ist das Werk mit Gewinn zu lesen.
Bei den Romanen des Hainish-Zyklus geht es meist um Beobachter von anderen Planeten, welche die einheimische Kultur kennenlernen, selbst nach großen Schwierigkeiten zu einem gewissen Verständnis finden und durch ihre Anwesenheit und ihre Aktionen Veränderungen in Gang setzen. Neben den Romanen gibt es noch eine Anzahl von im Hainish-Universum angesiedelten Kurzgeschichten. Auf Deutsch sind diese bisher nur verstreut in LeGuins Kurzgeschichtensammlungen und verschiedenen Anthologien greifbar. Auf Englisch gab es 2017 eine Gesamtausgabe aller Geschichten und Romane. Eine deutsche Ausgabe davon wäre ein absoluter Collector's Item!
Das Gebiet der Erdsee, eine Gruppe von Hunderten kleiner und mittelgroßer Inseln, ist Schauplatz des großen Fantasy-Zyklus von LeGuin, der fünf Romane und etliche Kurzgeschichten umfasst und immer wieder mit Tolkiens Mittelerde-Erzählungen in einem Atemzug genannt wird. Das empfinde ich allerdings nicht als Auszeichnung, denn auf diese Art vergleichen zu werden (z. B. Köln als Rom des Nordens), wertet einen Ort bzw. hier ein Werk eher ab. Dies verdient Erdsee nicht, denn das Werk ist absolut eigenständig. Erstmals wurde die Erdsee in der Kurzgeschichte Das erlösende Wort (The Word of Unbinding) präsentiert, einige Jahre später gefolgt von der Trilogie um Ged, den späteren Erzmagier, welche das Zentrum des Zyklus ist.
Der Magier der Erdsee beginnt auf der Insel Gont, wo der junge Duny als Halbwaise als Sohn des Schmieds aufwächst. Schon bald zeigt sich die Begabung des Jungen für Magie, und seine Tante, das Zauberweib des Dorfes, welche als Ersatz für seine früh verstorbene Mutter für ihn sorgt, bringt ihm einiges von ihrem Zauberwissen bei. Oft wird er von einem Raubvogel umschwirrt, deshalb beginnen die anderen Kinder ihn Sperber zu nennen. Sein erworbenes Wissen kann der Junge nutzen, als Kriegerhorden aus Kargad einfallen und auf der Insel rauben und brandschatzen. Der Junge erzeugt einen Nebel, der die Angreifer verwirrt, und die Verteidiger können sich der scheinbar durch Nebelgeister angegriffene Invasoren entledigen. Doch der Junge hat seine Kräfte verausgabt und liegt da, ohne noch ein Wort von sich geben zu können. Ogion, der Magier von Rok, hat von der tapferen Tat des Jungen gehört. Er kommt ins Dorf und löst seine Stasis. Als der Junge dreizehn Jahre alt wird, gibt Ogion ihm seinen wahren Namen Ged und und nimmt ihn als Lehrling auf. Nur der Namensgeber und der Namensträger kennen den wahren Namen, denn einen wahren Namen zu kennen heißt Macht über den Menschen, das Wesen oder das Ding zu besitzen, der bzw. das den Namen trägt. Der ehrgeizige Junge ist nach einiger Zeit nicht mehr mit dem zufrieden, was ihm der Zauberer beibringt und so heißt es wieder Abschied zu nehmen. Ovark sendet ihn nach Rok, der Insel inmitten des Archipels, wo die Zauberer ihre Schule haben (sie heißt aber nicht Hogwarts!). Inmitten von mehr als hundert anderen Lehrlingen beginn Ged sein Studium und erweist sich als sehr gelehrig. Als er mit einem Verwandlungstrick nicht zufrieden ist und einen Stein wirklich dauerhaft in ein Juwel verwandeln will, erklärt ihm sein Lehrer Meister Hand:
„Aber das alles ist nur Schein. Die Illusion spielt mit den Sinnen des Beschauers; er sieht, hört und fühlt, wie sich das Ding geändert hat. Aber das Ding selbst bleibt sich gleich. Um diesen Stein in ein Juwel zu verwandeln, mein Junge, dazu mußt du seinen wahren Namen ändern. Und das bedeutet, selbst bei so einem winzig kleinen Teil der Welt, daß die Welt geändert wird. Man kann es tun. O ja, es ist möglich. Das ist die Kunst des Meistes der Verwandlungen, und du wirst es auch lernen, wenn du soweit bist. Aber du darfst nichts endgültig verwandeln, ob Stein oder nur ein Sandkorn, bevor du nicht weißt, welche Folgen, gute und schlechte, diese Verwandlung nach sich zieht.“
Zitiert aus: Ursula K. LeGuin: Der Magier der Erdsee. München 1979, Heyne SF 3675
Dieses Gedankengebäude kann wohl nur einer Sprache wie der englischen entspringen, in der für buchstabieren und zaubern das gleiche Wort – to spell – verwendet wird.
Ged gewinnt unter den Lehrlingen mit Vetsch einen guten Freund, während er von Jasper, der von Edelleuten abstammt, immer wieder von oben herab behandelt und provoziert wird. Er lässt sich zu einem Zaubererduell mit Jasper hinreißen und ruft dabei eine Tote herbei. Dabei dringt ein Gibbeth durch den Spalt, eine böse schattenhafte Macht aus der Unterwelt, die Ged sein Leben lang verfolgen wird. Der Schatten greift ihn an und verwundet den Zauberlehrling schwer. Erzmagier Nemmerle stirbt beim Versuch, das Wesen zurückzuschicken, kann es aber wenigstens vertreiben und den Spalt zur Totenwelt schließen. Ein neuer Erzmagier muss gewählt werden. Es dauert Monate, bis Ged wieder geheilt ist, doch bleiben tiefe Narben in seinem Gesicht und er geht lange krumm vor Schmerzen. Obwohl er nicht mehr so leicht wie früher lernt, kann er seine Studien fortsetzen und verlässt nach fünf Jahren die Schule als ausgebildeter Zauberer mit dem Zauberstab und seinem Schoßtier, einem Otak. Er nimmt eine Stelle als Zauberer in Untertorning an, einer kleinen Insel ganz im Westen. Weiter weg ist nur noch die Dracheninsel Pendor, von wo aus diese Wesen die Menschen bedrohen. Gerd versucht, ein todkrankes Kind zu heilen, und wird fast selbst ins Totenreich gezogen, wo der Schatten auf ihn wartet. Ged muss fliehen, doch zuerst hat er in Pendor eine Aufgabe zu erledigen, denn er hatte den Einwohnern von Untertorning versprochen, sie gegen die Drachen zu beschützen. Er tötet sechs der acht Nachkommen des Drachenvaters und nötigt dem Alten das Versprechen ab, dass er und seine Söhne nie mehr ostwärts fliegen, denn Ged kennt seinen wahren Namen Yevaud. Durch das Bannen der Drachengefahr erwirbt der Zauberer großen Ruhm bei den Einwohnern Untertornings, doch er muss weiter vor dem Schatten fliehen und landet schließlich wieder auf Rok bei seinem alten Meister Ogion. Dieser rät ihm, umzukehren umd seinerseits der Jäger des Schattens zu werden. Schließlich stellt Ged den Schatten und ergreift ihn. Der Gibbeth entflieht seinerseits. Ged verfolgt ihn weiter. Auf der Insel Ismay trifft er seinen Freund Vetsch, der ihn zum letzten Kampf gegen den Schatten begleitet. Die beiden segeln nach Osten, vorbei an Letztland bis zum Ende der Welt, wo Ged endlich sein schwarzes Selbst ergreift, in sich aufnimmt und somit zu einem Ganzen wird.
Auf der Insel Atuan im Kargid-Reich gibt es eine beeindruckende Stätte. Die Gräber von Atuan sind ein Zentrum der einheimischen Religion. Immer wenn Die Eine Priesterin der Gräberstätte stirbt, wird – ähnlich wie beim Dalai Lama auf der Erde – im ganzen Land ein kleines Mädchen gesucht, welches in der Nacht geboren wird, in der die alte Priesterin verscheidet. Sie wird als Wiedergeburt der Hohepriesterin der Namenlosen betrachtet, von Thar und Kossil aufgezogen, den zwei Priesterinnen der anderen Gottheiten. Als Erwachsene übernimmt sie die Funktion ihrer Vorgängerin. Das Mädchen Tenar, Tochter von armen Leuten, ist die derzeitige Inkarnation und wird wie ihre Vorgängerinnen Arha genannt, die Verzehrte. Sie darf als Einzige die heiligsten Räume betreten, in denen es kein Licht gibt, und hat tastend das stockdunkle Labyrinth von Atuan erkundet. Arha ist die Herrin über Leben und Tod, denn sie entscheidet über die Todesart der Opfersklaven, die in den Verliesen gefangen sind. Doch dann fängt sich im Labyrinth ein junger Mann, der gewagt hatte, hier einzudringen. Sein Leben ist verwirkt, weil er in den heiligen Gemächern ein Licht entzündet hat. Der Gefangene ist Ged, der Magier der Erdsee. Er ist auf der Suche nach der verschollenen Hälfte eines zerbrochenen Amuletts, denn vor langer Zeit kämpfte hier Erreth-Akbe, ein Zauberer des Westens, gegen den Hohepriester des höchsten Tempels. Er wurde besiegt, sein Amulett zerbrach und er musste fliehen. Seither schwindet die Macht der Innenländer dahin. Arha reagiert unerwartet. Sie lässt den Eindringling nicht töten, sondern versteckt ihn im Raum des Großen Schatzes von Atuan, denn sie fürchtet Intrigen Kossils, der alten Priesterin des Gottkönigs. Als sie geht, wird sie von Ged mit ihrem wahren Namen Tenar angesprochen. Woher weiß er ihren Namen? Er erklärt ihr, dass das seine Gabe ist, wahre Namen herauszufinden und verrät ihr als Zeichen des Vertrauens den seinen. Er stellt sie vor die Entscheidung, entweder Arha oder Tenar zu sein. Sie entscheidet sich für Tenar und entflieht mit Ged, während hinter ihnen der ganze Tempelbezirk bei einem Erdbeben zusammenstürzt, denn die Namenlosen, die Mächte der Finsternis, existieren nach wie vor und sind zornig. Auf Havnor werden die beiden im Triumph empfangen, denn Ged hat das wieder zusammengefügte Amulett mitgebracht.
Der junge Arren, Prinz von Enlad, wird von seinem Vater nach Rok, der Insel der Zauberer gesandt. Unheil ist hereingebrochen, denn die Magie droht zu versiegen. Arran sucht mit seiner Botschaft den Erzmagier Sperber auf und bietet seine Dienste an. Der Erzmagier hat auch schon aus anderen Regionen der Erdsee die gleiche Nachricht bekommen und beruft eine Versammlung der neun Meister ein. Die Zauberer können sich nicht auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen. Sperber beschließt, Rok zu verlassen und mit Arren als Begleiter die Ursache für das Versagen der Zauberkräfte zu ergründen, denn er spürt eine große Gefahr für das Gleichgewicht der Welt. Arren hat Zweifel, ob er der richtige Gefährte des Erzmagiers ist, denn obgleich er der Linie des vor langer Zeit regierenden Königs Morred entstammt, glaubt er, keine besonderen Talente zu haben:
„Ich bin nur Arren.“
„Bist du nicht stolz auf deine Ahnen?“
„O doch, ich bin stolz darauf – ihnen danke ich es, daß ich ein Prinz bin, es ist eine Verantwortung, derer ich mich würdig zeigen muß.“
Der Erzmagier nickte kurz. „Das meinte ich. Wer die Vergangenheit verneint, verneint die Zukunft. Kein Mensch schafft sein eigenes Geschick; er bejaht es, oder er verneint es. Wenn die Wurzeln einer Eberesche nicht tief reichen, dann trägt sie keine Krone.“ Arren blickte überrascht auf, als er das vernahm, denn sein wahrer Name war Lebannen, der Name der Eberesche, und vor dem Erzmagier hatte er seinen wahren Namen nie ausgesprochen.
Zitiert aus: Ursula K. LeGuin: Das ferne Ufer. München 1979, Heyne SF 3677
Sperber und Arren stechen in See. Der Weg führt sie in einer Irrfahrt kreuz und quer über den Archipel. Der Verdacht wird immer größer, dass ein mächtiger Magier hinter den Veränderungen stehen muss. Sogar dem weit außen lebenden Meervolk, das auf Flößen die See durchquert und sonst nichts mit Magie zu tun hat, entschwinden die Texte seiner Lieder aus dem Gedächtnis der Sänger. Dann kommt überraschenderweise Orm Emar, der mächtigste der Drachen von Erdsee, und bittet Sperber, den Drachenfürsten, um Hilfe, denn seine Rassegenossen wurden von der bösen Macht ihrer Sprach- und Denkfähigkeit beraubt und töten sich gegenseitig. Sie folgen ihm nach Selidor, der westlichsten Insel und Heimat der Drachen, denn dort haust ihr Feind. Es ist Cob, ein Zauberer, welcher einst Tote beschworen hatte, aber von Sperber besiegt worden war. Er hat einen Spalt zwischen den Welten aufgerissen, welcher der Welt das Leben entzieht. Es kommt zur Auseindersetzung zwischen Ged und Cob, die mit dem Sieg des Letzteren enden würde, doch Orm Emar stürzt sich auf ihn und zermalmt im eigenen Sterben seinen Körper. Aber Cobs Geist ist nicht zerstört, und so müssen ihm Ged und Arren ins trockene Land des Todes folgen. Ged gewinnt dort zwar den letzten Kampf und schließt das Tor zwischen den Welten, bezahlt den Sieg aber mit dem Verlust seiner Zauberkräfte. Arren, der das Land des Todes durchquert und Das ferne Ufer erreicht und damit eine alte Prophezeihung erfüllt hat, wird der neue Hochkönig der gesamten Erdsee. Kalessin, der Älteste der Drachen, trägt Ged, der seine Aufgabe erfüllt hat, zu seiner Heimatinsel Gont. Was dann mit ihm weiter passiert ist, darüber gibt es später unterschiedliche Erzählungen. Die einen meinen, dass er nach der Krönungszeremonie Lebannens sein Boot Weitblick genommen hat und in den fernen Westen gesegelt ist. Die anderen erzählen, dass ihn Lebannon zur Krönungszeremonie von Gont abholen wollte, aber nicht mehr finden konnte, weil Ged zu Fuß in die Wälder des Inselberges gegangen wäre.
Im Mittelpunkt des vierten Buches von der Erdsee steht Tenar, die frühere Eine Priesterin der Namenlosen von Atuan. Nachdem Ged sie auf seine Heimatinsel gebracht hatte, wurde sie dort sesshaft, heiratete und bekam zwei Kinder. Der Mann ist gestorben und die erwachsenen Kinder sind außer Haus. Tenar ist hier als Witwe Goha bekannt. Sie hat Therru als Pflegekind aufgenommen, ein Mädchen, das von ihrem Vater ins Feuer gestoßen und dabei schwer verstümmelt wurde. Als der alte Zauberer Ogion nach ihr schicken lässt, bricht sie zu ihm auf, denn sie war einige Zeit bei ihm in die Lehre gegangen. Sie steht dem alten Mann in seinen letzten Stunden bei. Dann erwartet sie eine weitere Aufgabe, denn der Drache Kalessin lädt den seiner Zauberkraft verlustig gegangen und zu Tode erschöpften früheren Erzmagier bei Ogions Haus in Re Albi ab. Tenar pflegt Ged gesund, aber er hat mit dem früheren tatkräftigen und stolzen Mann nichts mehr zu tun. Als die Männer des neuen Königs Lebannen kommen, um ihn zur Krönungszeremonie nach Havnor mitzunehmen, flieht er in die Wälder. Tenar kann ihren Schützling Therru nur knapp vor dem Zugriff eines Mannes aus der Gruppe ihres Vates retten. Der auf Tenar eifersüchtige Zauberer Aspen belegt sie mit einem Fluch, so dass sie zeitweise nicht sprechen kann. So flieht sie zum Hafen, wo sie vom König Lebannen gerettet wird, der auf seinem Schiff auf Ged wartet, von dem er die Königskrone empfangen möchte. Sie nimmt dann ihr Leben mit ihrer Pflegetochter auf ihrer alten Farm wieder auf, jedoch werden sie von einer Gruppe von Männern überfallen, die von Ged vertrieben werden. Tenar und Ged werden endlich ein Paar, doch geraten sie unter den Bann des bösen Zauberers Aspen, der sich als Anhänger des besiegten Cob herausstellt. Therru ruft mit ihren geistigen Kräften den Drachen Kalessin herbei, denn sie ist in Wirklichkeit ein Drachenkind, halb Drache und Mensch. Ihre wahrer Name ist Tehanu. Der Drache brennt Aspen und seine Kumpane nieder. Er spricht Tehanu als seine Tochter an und bietet ihr an, mit ihm mitzukommen, doch sie entscheidet sich dafür, weiter bei Tenar und Ged zu bleiben und ein friedliches Menschenleben zu führen.
Ich gestehe ehrlich, dass ich kein Fan von Tehanu bin. Dieses „letzte Buch von Erdsee“, das es dann auch nicht blieb, konnte bei mir nicht mehr den Zauber der ursprünglichen Trilogie zurückrufen, die durch diesen Roman Jahre später zu einer Tetralogie erweitert wurde. Ich finde es schade, dass LeGuin dem Drängen der Fans (und des Kommerzes?) nachgab und die Erdsee-Saga weiterschrieb. Mir hätte es besser gefallen, das offene Ende in Das ferne Ufer so stehen zu lassen und es der Fantasie des Lesers zu überlassen, wie die Geschichte weitergehen sollte. Dazu kommt, dass der Roman in Stil und Thematik ganz anders rüberkommt als die teilweise mehr als zwanzig Jahre vorher erschienenen Romane. Zu allem Überdruss agierte die Übersetzerin, als hätte es keine anderen Romane gegeben, die vorher herauskamen. Sie verzichtete auf die vernünftigen Eindeutschungen wie Sperber, Rok und Weitblick in den Übersetzungen der Trilogie, sondern beließ es bei Sparrowhawk, Roke und Lookfar. Ein Fehler, der bei Übersetzerwechsel leider sehr oft zu beobachten ist. Dass die Titelbildbestaltung der deutschen Erstausgabe auch ganz anders ist als die der Trilogie, nimmt man schon achselzuckend zur Kenntnis.
Die Erdsee-Geschichte wurde schließlich mit zwei weiteren Büchern komplettiert. Das Vermächtnis von Erdsee ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, die verschiedene Abschnitte in der Geschichte der Saga beleuchten. Die letzte davon, Schwebender Drache, spielt einige Jahre nach Tehanu und bildet die Brücke zum nun wirklich allerletzten Buch dieser unvergesslichen Saga. In der Geschichte geht es anfangs nicht um nicht eines dieser gefährlichen Reptilien, sondern um ein Mädchen, das mit diesem Namen gerufen wird. Als Schwebender Drache dreizehn wird, geht sie zu ihrem Vater, dem Herrn des heruntergekommenen Gutes von Iria, um für ihre Namensgabe einen Zauberer oder die Dorfhexe zu holen. Der dem Suff ergebene Vater fängt zu toben an, und so geht das Mädchen selbst zur Hexe Rose. Diese gibt ihr den Namen Irian, womit sie aber nicht glücklich ist. Schwebender Drache lernt den jungen Zauberer Elfenbein kennen, welcher ihr von der Zaubererschule in Rok erzählt, wo er ausgebildet wurde. Das Mädchen träumt davon, selbst nach Rok zu gehen, denn die Hexe hat ihr gesagt, dass sie auch magische Kräfte hat, doch nur Männer können Zauberer werden. Elfenbein verspricht dem Mädchen, sie nach Rok zu begleiten und ihr Männergestalt zu geben, sodass sie in die Schule eintreten kann. Aber dann gesteht er ihr, dass er kein fertiger Zauberer ist, sondern nur ein ehemaliger Zauberschüler, der aus der Schule hinausgeworfen wurde, weil er ein Mädchen mit auf sein Zimmer nahm. Schwebender Drache will es trotzdem versuchen. Als sie zur Zaubererschule kommt, lässt sie der Pförtner eintreten, obwohl er den Illusionszauber sofort durchschaut, der ihr männliche Gestalt gegeben hat. Die Meister streiten darüber, ob sie das Mädchen als Schülerin aufnehmen. Sie muss das Haus verlassen, doch Meister Formgeber nimmt sich ihrer an und bringt sie in seinem Haus unter. Thorion, der Meister Gebieter, welcher selbst beim Kampf von Ged und Arren gegen Cob vom Tod zurückkehrte, strebt das Amt des Erzmagiers an, doch es herrscht Uneinigkeit über seine Wahl. Er will das Mädchen wegweisen, aber er hat keine Macht über sie. Hoch ragt sie über ihm auf, und dann liegt nur noch ein Häufchen Asche vor ihr, bevor sich die Drachin in die Lüfte erhebt, um in den fernen Westen zu fliegen.
Mit Rückkehr nach Erdsee hat die Saga ein rundes und versöhnliches Ende gefunden. Der Zauberer Erle kommt nach Re Albi, um beim früheren Erzmagier Sperber Rat zu suchen, denn auf Rok wurde ihm von den Meistern empfohlen, ihn aufzusuchen. Seit einiger Zeit hat Erle Alpträume, in denen er an einer Steinmauer steht, der Grenze zwischen dem Land der Lebenden und dem trockenen Land der Toten. Die Toten, unter denen auch seine verstorbene Frau ist, bitten ihn, sie zu befreien. Von Mal zu Mal, von Traum zu Traum wird die Mauer niedriger, denn die Toten beginnen sie abzutragen. Sperber hatte einst gemeinsam mit dem jetzigen König im Kampf gegen den bösen Magier Cob die Mauer überquert. Sperber kann Erle insoweit helfen, dass er ihm ein Kätzchen mitgibt, denn wenn schützend eine Hand über ihn gehalten wird oder ein Tier bei ihm schläft, ist er vor dem Alptraum geschützt. Er ersucht Erle, nach Havnoc zum König zu reisen, wo derzeit seine Frau Tenar und seine Ziehtochter Tehanu sind, denn der König benötigt Rat von beiden. Auf Karg, in Tenars Heimat, hat ein Usurpator den Gottkönig gestürzt und sich selbst zum Hochkönig ausgerufen. Er bietet Lebannon seine Tochter zur Frau an, um damit seine Gleichwertigkeit zu demonstrieren. Lebannon will noch keine Ehe eingehen und bittet Tenar, dem Mädchen die hiesige Sprache beizubringen, damit er mit ihr sprechen kann. Tatsächlich gelingt es Tenar, das Vertrauen der Prinzessin Seserakh zu gewinnen. Seit einiger Zeit dringen Drachen immer weiter nach Osten vor und zerstören Siedlungen der Menschen. Als eine Gruppe von ihren auch den Westen Havnocs angreift, reitet der König und seine Schar mit Tehanu zu ihnen, denn der alte Drache Kalessin hatte sie als Tochter angesprochen. Und tatsächlich kann Tehanu mit den Drachen in ihrer Sprache reden und erfährt von ihnen, dass die Menschen Eidbrecher seien und den Drachen ihr Land gestohlen hätten. Deswegen sollten die Menschen aus allen westlichen Landen vertrieben werden. Doch Orm Irian, der Schwebende Drache, ist jüngst zurückgekehrt und kann als Botschafterin der Drachen zu Kalessins Tochter kommen. In Havnor wird der königliche Rat einberufen, und es erscheint der Drache, der sich in das Mädchen Irian zurückverwandelt. Sie berichtet, dass sich die Drachen vor den Unsterblichkeitszaubern der Menschen fürchten, die das Gleichgewicht der Welt zerstört haben. Deswegen wollen sie den Westen an sich bringen, um künftig ungestört zu bleiben. Lebannen handelt mit Irian einen Waffenstillstand aus, um in Rok, dem Zentrum aller Dinge, eine Lösung zu finden. Er segelt mit einer ausgewählten Gruppe, unter der sich auch die Prinzessin befindet, zur Insel der Zauberer. Der gemeinsame Rat mit den Meistern bringt kein Ergebnis, aber der Dorfzauberer Erle, der noch immer seiner Frau nachtrauert, findet die Lösung. Er begibt sich zur Mauer und beginnt mit Hilfe der Drachin, sie einzureißen. Die Toten werden befreit und finden endlich ihre Freiheit und ihre Ruhe. Darunter ist auch Erles Frau, denn er stirbt und ist im Tod wieder mit ihr vereint. Der Friede zwischen Menschen und Drachen ist wiederhergestellt, denn das frühere tote Land gehört wieder den Drachen. Tehanu nimmt endlich ihre Drachengestalt an, in der sie nicht mehr verstümmelt ist. Der König freit die Prinzessin und Tehanu kehrt nach Gond zu Ged zurück.
Aus Platz- und Zeitgründen hier nur noch einige Stichworte zu weiteren Romanen und Geschichten LeGuins, die auch in deutschen Ausgaben erhältlich sind:
Die Geißel des Himmels, der erste in Deutsch erschienene Roman LeGuins, handelt von George Orr, einem Bürger einer dystopischen Welt, welcher von Schlafmitteln abhängig ist. Orr unterzieht sich einer psychotherapeutischen Behandlung. Sein Psychiater William Haber entdeckt, dass Orr mit seinen Träumen die Realität verändern kann. Er versucht, Einfluss auf die Träume zu nehmen und damit seine persönlichen Wünsche Wirklichkeit werden zu lassen. Doch damit wird die Büchse der Pandora geöffnet und eine neue Welt geschaffen, die nicht wiederzuerkennen ist. Es wurde die Meinung vertreten, dass der Roman von Philip K. Dick beeinflusst ist.
Das Wunschtal erschien in seiner ersten deutschen Ausgabe in der kurzlebigen Subreihe Phantasia der Heyne SF & Fantasy, mit der man versuchte, märchenhafte Fantasy zu promoten. Irene und Hugh geraten durch ein Weltentor in das Wunschtal. Doch auch in dieser anderen Welt drohen Gefahren, denn ein unheimliches gestaltloses Wesen lauert den beiden auf. Gemeinsam trotzen sie der Bedrohung und finden zurück in unsere Welt.
Der Roman Malafrena und die Kurzgeschichtensammlung Geschichen aus Orsinien haben als einziges phantastisches Element das imaginäre Land Orsinien in Ostmitteleuropa, das von den Habsburgern beherrscht wird. Der Zeitpunkt der Handlung ist in Malafrena das 19. Jahrhundert, eine der Kurzgeschichten spielt im 12., alle anderen im 20. Jahrhundert.
Die wilde Gabe ist ein Fantasy-Jugendbuch über den jungen Orrec, der so wie die anderen Bewohner seines Dorfes im abgelegenen Hochland besondere Kräfte besitzt. Bei Orrec ist dies besonders gefährlich, denn er kann andere mit seinem Blick töten, hat aber seine Gabe nicht unter Kontrolle. Um die anderen Bewohner nicht zu gefährden, trägt er eine Augenbinde. Eines Tages taucht ein Fremder im Dorf auf, und Orrec erkennt, dass er bisher mit einer Lüge leben musste, denn seine wahre Gabe ist in Wirklichkeit ganz anders.
Verlorene Paradiese ist ein Roman über die Bewohner eines Generationenraumschiffes, das bereits seit fünf Generationen unterwegs ist und bei dem sich die junge Generation nur noch schwer vorstellen kann, wieder einmal auf einem Planeten heimisch zu werden.
Ursula K. LeGuin hat unzählige Preise aus dem Bereich der SF und Fantasy gewonnen. Wenn irgendjemand aus diesem Lager auch nobelpreisverdächtig war, so ist es in meiner Einschätzung sie. Soweit hat sich das Nobelpreiskomitee zwar nicht aus seinem Schützengraben hervorgewagt, aber immerhin mit Doris Lessing eine Schriftstellerkollegin, welche sich mit dem Canopus im Argos: Archive-Zyklus und dem Roman Memoiren einer Überlebenden auch in SF-Gefilden bewegt hat, mit dem Preis bedacht. Außerdem können die Phantastikfreunde mit Gabriel Garcia Marquez noch einen Vertreter des nahe verwandten Magischen Realismus als Nobelpreisträger anführen. Ursula K. LeGuin bleibt jedenfalls in unserer Erinnerung als eine Frau, die wesentliche Beiträge dazu geliefert hat, phantastische Literatur in ihren verschiedenen Spielarten aus dem selbstgebauten Ghetto der Trivialliteratur herauszuführen, ohne sich im ebenfalls selbstgewählten Ghetto der sogenannten Hochliteratur einzumauern.
Kommentare
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.