Verabredung mit der Grünen Fee - Ein berauschender Absinth-Traum: Alisha Bionda »Die Grüne Muse«
Verabredung mit der Grünen Fee
Ein berauschender Absinth-Traum - Biondas »Die Grüne Muse«
Absinth
Das alkoholische Getränk besteht aus Wermut, Anis, Fenchel sowie je nach Rezept verschiedenen anderen Kräutern. Die meisten Sorten weisen eine grüne Färbung auf. Absinth gehört zu den hochprozentigen Spirituosen mit 45 bis 85 Volumenprozenten. Das Getränk wurde erstmals im 18. Jahrhundert in der Schweiz hergestellt. Im 19. Jahrhundert erfreute es sich in Künstlerkreisen großer Beliebtheit. Meist wird es mit Wasser verdünnt und Zucker versüßt getrunken. Es gibt teilweise richtige Rituale dazu. Anfang des 20. Jahrhunderts geriet Absinth in den Verdacht schwere gesundheitliche Schäden zu verursachen und wurde daher in den USA und vielen europäischen Staaten verboten. Zugeschrieben wurden dem Getränk Schwindel, Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Depressionen, Krämpfe und Blindheit. Erst seit der Jahrtausendwende ist der Absinth wieder legal erhältlich, weil neue wissenschaftliche Studien eine über die normale Schädigung durch Alkohol hinausgehende gesundheitliche Beeinträchtigung verneinten.
Literarische Annäherung
Die Wiederzulassung von Absinth hat auch Auswirkungen auf den Literaturbetrieb gehabt. Es gibt einige Bücher, die sich mit dem Getränk befassen. Das sind jedoch nicht nur Fachbücher, die sich aus medizinischer oder historischer Sicht damit befassen, sondern auch einige Kurzgeschichtensammlungen und Anthologien. Christian Aster legte 2010 "Die Mitternachtsraben. Geschichten zum Absinth" mit zehn Gedichten und Balladen vor. Ulrike Bliefert (Hrsg.) etwa hat 2014 in "Der Kuss der grünen Fee" kriminelle Geschichten von zehn Autoren gesammelt. Erwähnt sollen auch die Romane von Nina Röttger um "Die grüne Fee von Absinth", die seit 2016 erscheinen. Grit Richter schließlich veröffentlichte 2017 "Absinth. Geschichten im Rausch der Grünen Fee" mit 12 Beiträgen. Seit längerer Zeit gab es schon die Ankündigung einer Anthologie von Alisha Bionda, die jetzt auch erschienen ist.
Die Herausgeberin
Alisha Bionda ist ein literarisches Multitalent. Sie ist Schriftstellerin, Lektorin, Literaturagentin, Rezensentin, Verlegerin und betreibt ein Literaturportal. Und sie ist die renommierteste und produktivste Herausgeberin im Bereich der Phantastik mit mehr als 50 Anthologien. Zuletzt erschienen 2017 "Am Ende der Reise" (Fabylon) und "Dark Poems" (Arunya). Ihr Markenzeichen ist die Verbindung zwischen Kunst und Literatur. Darüber hinaus experimentiert sie immer wieder mit neuen Ideen.
"Die Grüne Muse"
Alisha Bionda beschreibt im Vorwort wieso sie das Thema interessiert.
"Schon lange habe ich habe ich den Wunsch verspürt, eine Anthologie über 'Absinthe' herauszugeben. Nicht nur, weil ich selbst ein Liebhaber dieses Getränkes bin (besonders des schwarzen Absinths), sondern weil sich viele Phantasien um dieses Getränk ranken. Was läge da näher, als eine phantastische Kurzgeschichtensammlung darum zu schaffen?
Vor allem im Paris der Jahrhundertwende schworen zahlreiche Künstler darauf, dass die damals beliebte 'Grüne Fee' kreative Stimulanz verschaffe. Oscar Wilde, Vincent van Gogh, Henri de Toulouse-Lautrec oder Paul Gauguin konsumierten Absinth in rauen Mengen. 'La fée verte' wurde damit schnell deren 'Grüne Muse'.
So war bald mein Wunsch geboren, Geschichten kreieren zu lassen , in denen (möglichst reale) Künstler in den Plot eingebunden wurden, die dann ihre phantastischen Erlebnisse dank der 'Grünen Muse' hatten."
Soweit die Idee. Ergänzt wird das Ganze diesmal aber nicht durch Grafiken, sondern durch Rezepte wie Absinth-Trüffel, Absinth-Forelle und Honig-Ingwer-Soße mit Absinth. Zu jeder Geschichte wird ein kulinarisches Angebot präsentiert. Und auch das Titelbild ist dem Thema entsprechend grün gehalten und zeigt eine Feengestalt, die auf einem Glas sitzt. Und ein paar kleine Zeichnungen mit Absinth-Motiv sind zusätzlich eingestreut.
Die Autoren
Alisha Bionda hat es wieder einmal verstanden, eine anregende Mischung von bekannten Schriftstellern und Nachwuchsautoren zusammenzustellen. Dazu gehört mit Arthur Gordon Wolf (Vincent Preis Sieger 2010, Kategorie Kurzgeschichte) ein langjähriger Weggefährte, der seit etwa 30 Jahren phantastische Kurzgeschichten veröffentlicht und schon in etlichen Anthos der Herausgeberin vertreten ist. Mit Torsten Scheib ist aber auch der diesjährige Gewinner des Vincent Preises (Kategorie Roman) vertreten. Vincent Voss (Vincent Preis Sieger 2016, Kategorie Roman, und 2013, Kategorie Kurzgeschichte) ist den Horrorfreunden ein Begriff, Guido Krain hat unter anderem die SF-Serie O.R.I.O.N - Space Opera ins Leben gerufen. Harald A. Weissen (Vincent Preis Sieger 2010, Kategorie Roman), der Autor von "Begegnung mit Skinner", gehört zu den Autoren, ebenso wie Arne Killian und Sören Prescher. Mit der Sängerin Aino Laos und Katja Göddemeyer haben sich auch zwei Autorinnen beteiligt. Alte Bekannte aus früheren Anthologien der Herausgeberin sind Marc-Alastor E.-E., der Fantasyautor Dave T. Morgan und Nicolaus Equiamicus. Die Bonusstory stammt von Lothar Nietsch.
Die Geschichten
In der ersten Story " " von Katja Göddemeyer geht es um den französischen Dichter Charles Cros. Er hat ein Erlebnis zwischen Traum und Wirklichkeit als er versucht Botschaften an Mars- und Venusbewohner zu senden.
Arne Killian schreibt über Edgar Allan Poe. In " " macht der Schriftsteller in einer Bar die Bekanntschaft eines Bewunderers. Der Mann spendiert eine Runde nach der anderen und lädt ihn schließlich sogar zu sich nach Hause ein.
Guido Krain beschreibt eine Episode aus dem Leben von Sir Edward Bulwer-Lytton. In " " trauert der englische Schriftsteller um seine Tochter. Ein guter Freund macht ihn um ihn abzulenken mit dem Absinth-Ritual bekannt.
Vincent Voss schreibt in " " wieder über Edgar Allan Poe. Hier entdeckt der Poet, dass er einen dunklen Doppelgänger hat. Dieser liefert ihm Inspiration, ja schreibt sogar an seiner Stelle, bringt ihn aber auch immer wieder in Schwierigkeiten.
" " von Arthur Gordon Wolf sind aus der Sicht von Paul Gauguin geschrieben. Der Maler macht die Bekanntschaft eines anderen Malers namens Rik van Weyden, der eine besondere Technik für das perfekte Bild entwickelt hat.
Marc-Alastor E.-E. beschreibt in " die Beziehung eines ungenannten Schriftstellers zu seiner Schreibmaschine. Tag für Tag hockt er vor der Maschine, redet mit ihr, trinkt Absinth, füllt Seite um Seite mit seinen Geschichten, während er die Welt um sich herum vergisst.
In Dave T. Morgans " " geht es um den französischen Schriftsteller Charles Beaudelair. Eines Tages eröffnet ihm sein Arzt, dass er unheilbar an Syphilis erkrankt ist.
Torsten Scheib nimmt sich in " " des Malers Henri Toulouse-Lautrec an. Er wird eines Tages von einem Mann angesprochen, der sein Werk überaus lobt. Er lädt den Künstler ein an einem geheimen Zirkel teilzunehmen um sein Potential voll auszuschöpfen. Da der Maler daheim gerade Ärger mit seiner Lebensgefährtin hat, fährt er tatsächlich hin.
Aino Laos schildert in " die letzten Tage von Vincent van Gogh. Der Maler trinkt versehentlich Terpentin statt Absinth.
Nicolaus Equiamicus schreibt über John William Polidori. Der englische Schriftsteller und Freund Lord Byrons begibt sich in " " mit zwei Freunden auf einen Kneipenbummel. Auf dem Rückweg begegnet ihnen eine junge Frau. Einer der Nachtschwärmer vergeht sich an ihr.
Harald A. Weissen lässt in " " den italienischen Schriftsteller Carlo Collodi eine Achsenbruch erleben. Auf der Suche nach Inspiration reist er durch die Toskana. In einer Gastwirtschaft macht er die Bekanntschaft von Mastro Holzauge. Dieser macht ihn mit seiner Lebensgeschichte vertraut.
Eine verzwickte Situation schildert Sören Prescher in " ". Hier hat Edgar Allan Poe eine Vision, dass der Tod nicht mehr vorhanden ist und deshalb einige Engel den Auftrag Gottes bekommen, das Leben der Menschen zu beenden, deren Zeit abgelaufen ist. In einem neuen Nachbarn vermeint er einen dieser himmlischen Scharfrichter zu erkennen.
In der Bonusgeschichte " " von Lothar Nietsch geht es um den Friseur Robert Paulson, der glaubt in einem früheren Leben als Scharfrichter gearbeitet zu haben. Ihm fehlt zwar die Erinnerung an Einzelheiten, dafür weiß er alles über die Techniken von Exekutionen. Als besonderen Service bietet er den Kunden in seinem Laden selbstgebrannten Absinth an. Doch während des Trinkrituals erfährt er die dunkelsten Geheimnisse der Leute. Bald baut er sich einen elektrischen Stuhl.
Meine Gedanken
Anthologien von Alisha Bionda sind immer etwas Besonderes. Aufmachung, Verarbeitung und die Qualität der Geschichten bewegen sich auf hohem Niveau. Beim Thema Absinth sind der Herausgeberin diesmal zwar andere zeitlich zuvorgekommen, doch durch die zusätzliche Verknüpfung mit tatsächlichen Künstlern aus der großen Zeit der "Grünen Fee" ist ihre Anthologie wieder einzigartig. Zwar ist der erste optische Eindruck durch das grünbunte Cover diesmal durchaus freundlich und der Band ist auch nicht in der Reihe "Ars Litterae" erschienen, dennoch bewegen sich die meisten Stories im Bereich der Dunklen Phantastik. Die Autorenriege gleicht einer Auflistung der Vincent Preis Gewinner der letzten Jahre. Mit Vincent Voss und Arthur Gordon Wolf liefern zwei Meister der Kurzgeschichte wieder außergewöhnliche Novellen ab. Auch Torsten Scheib braucht sich dahinter nicht zu verstecken. Es gibt dazu noch einige ungewöhnliche Perlen zu entdecken wie die Stories von Nicolaus Equiamicus und Harald A. Weissen. Hinweisen möchte ich auch auf den kurzen Beitrag von Marc-Alastor E.-E.
Aufgefallen ist mir, dass jedem Künstler (tatsächlich sind es Maler und Schriftsteller) nur jeweils eine Geschichte gewidmet ist, lediglich Edgar Allan Poe ist gleich dreimal vertreten. Arne Killian, Sören Prescher und Vincent Voss zeigen auf, wie unterschiedlich man sich diesem Schriftsteller nähern kann. Wobei es für Sören Prescher bereits die zweite Poe-Story ist, denn er ist auch in der großartigen Poe-Hommage "Odem des Todes" von Alisha Bionda (Voodoo Press 2011) vertreten. Wer seine Geschichte genau liest, findet sogar einen Verweis auf die ältere Story "Metzenger". Allen Stories gemein ist, dass sie neugierig machen auf die dort beschriebenen Künstler.
Die Anthologie ist ein Muss für Freunde der phantastischen Kurzgeschichte und Liebhaber des Absinths. Auch diese Arbeit von Alisha Bionda gehört für mich wieder zu den literarischen Höhepunkten des Jahres. Wie gewohnt versteht es die Herausgeberin, den Autoren eine außergewöhnlich kreative Vorgabe zu liefern und anschließend die Beiträge wie Noten in einer Komposition treffsicher zusammenzustellen. Dadurch entsteht ein Gesamtkunstwerk, das weit mehr ist als die Summe der einzelnen Geschichten.
Die Grüne Muse