Gothic Romance – Das unterschätzte Genre: Teil 1: Ein faszinierenden Genre (1)
Gothic Romance – Das unterschätzte Genre
Ein faszinierenden Genre (1)
I
Zu den vielen Empfindungen, die die Deutschen ihrer Gattung „Heftroman“ entgegenbringen, gehört Sammlerwut, Abneigung, Verachtung, Fanbegeisterung... Stolz auch? Wohl eher selten. Schade eigentlich. Wohl wenige sind sich dessen bewußt, dass der Heftroman zu den nationalen Besonderheiten gehört, die fast einzigartig sind.
Der standardisierte Heftroman von 64 Seiten Länge mit einer einzigen Geschichte ist eine spezifisch deutsche Ausprägung. Und ein Anachronismus. Denn der typische Heftroman blühte eigentlich in Amerika der 1870er bis 1910er Jahre. Als es in Deutschland um 1905 erste Versuche gab, mit Western- und Krimi-Übersetzungen an das Modell anzuknüpfen, konnte niemand ahnen, dass diese Form hier über 100 Jahre lang ein Erfolgsmodell sein würde. Auch dann noch, als im Rest der Welt sich niemand mehr dafür interessierte. Denn im Mutterland des Groschenromans setzten sich spätestens ab 1910 die Pulp Magazine durch, die mit dem Dime-Novel-Heft keinerlei Ähnlichkeit mehr hatten. Und anderswo starb der Heftroman einfach aus - wenn er überhaupt Fuß gefaßt hatte.
Doch der junge deutsche Heftroman-Markt amerikanischer Ausprägung (ein Heft, eine Story) traf 1905 auf eine erbitterte Konkurrenz in Deutschland. Denn hier gab es schon eine alte Heftkultur, die ebenfalls einzigartig war und die schon seit den 1860er Jahren Erfolg hatte – Das Abo-Fortsetzungsheft, oder, wie man es damals nannte, der Lieferungs- oder Kolportage-Roman (Kolportage = Austragen)
Waren die neuen Heftromane in ihrer Handlung in sich abgeschlossen, setzten die alten Lieferungshefte auf Cliffhanger. Doch bald sondierte sich das Gelände, und die Konkurrenten teilten das Gebiet für sich auf: Der Heftroman sprach fast ausschließlich ein männliches Publikum an, während der Kolportageroman spätestens ab 1918 fast ausschließlich ein weibliches Publikum suchte. Die endgültige Trennung zweier Heftromanwelten war vollzogen...
Und auch nach Kriegsende, obwohl immer anachronistischer, hielt diese Trennung sich zäh.
Bei dieser säuberlichen Trennung des Zielpublikums kam es zu seltsamen (Sumpf)Blüten in den Genres. Auch anderswo. Im September 1924 lancierte der amerikanische Clayton-Verlag den ersten Western für Frauen. „Ranch Romances“ schlug ein wie eine Bombe und wurde das erfolgreichste Pulp-Magazin aller Zeiten. 860 Nummern und eine Laufzeit bis 1971(!) sprechen für sich...
Daß anscheinend bestimmte Genres für das jeweils andere Geschlecht unpassend sind, erwies sich damit als Unsinn. Auf die Idee, Stories so zu schreiben, dass beide Geschlechter etwas davon hatten, kam man im 20. Jahrhundert nicht. In Deutschland produzierte man "harte" Hefte für Männer und Weichgespültes (Liebe, Fürsten, Familienkitsch) für die Damen.
Könnte auch was für sich haben. Doch im Falle des Grusel-Heft-Romans fällt die Trennung als eher obskurer Sonderfall auf, ähnlich wie in Amerika die Trennung in "männliche" und "weibliche" Western. Im Falle der Gothic Romance werden wir erst ganz spät im 20. Jahrhundert erleben, dass eine Serie sowohl Männer wie Frauen gleichermaßen anspricht – Jessica Bannister. Doch dazu mehr in einem späteren Teil.
II
Der Frauen-Grusel-Roman ist für mich der erfreuliche Ausgleich zum harschen Männer-Horror. Hier gruselt man sich manchmal sogar wirklich auch als Erwachsener oder findet einen Plot elegant ausgedacht. Was Grusel-Heftroman-Fans wie mich immer freut - denn, so gern ich das Zeug lese, Eleganz ist nun wahrlich nicht die Stärke von John Sinclair & co. Der Männer-Grusel-Roman fährt zwar gewaltige Massen an Dämonen, Monstern, Dimensionsfalten, Höllenhierarchien und Geisterjägern auf, das alles aber oft in einer Prosa, die fürs nicht geübte Ohr klingt wie das Stottern eines Automotors von 1910. Die Hauptsatz-Stakkatos können einem manchmal schon Kopfschmerzen bereiten, helfen aber, die Inhalte auch dann noch zu verstehen, wenn die vierte schlechte Musiker-Band die Berliner U-Bahn betritt...
Ein weiteres Manko ist – was man als verwöhnter „Weird-Tales“-Leser bei aller Zuneigung zum Männer-Grusel-Heftroman leider nicht übersehen kann: echte Stimmungen werden kaum aufgebaut. Während der Frauengrusel-Roman zuweilen wirklich beklemmende Passagen enthält, in der die Angst der Protagonistin beschrieben wird, oder einen Roman im Plauderton beginnt, um dann von Seite zu Seite "anzuziehen" und sich zu einem Show-Down zu steigern, ist der deutsche Horror-Heftroman ist weiß Gott keine Twillight Zone mit Zwischentönen, sondern sehr direkt und oft ohne Sinn für Steigerungen.
Wie oft wütet und faucht sich das Monster schon auf Seite 2 durch den Roman und frißt potenzielle Protagonisten auf – und der Leser mit auch nur ein bißchen dramatischem Gespür fragt sich – Junge, was willst du denn auf den andern 62 Seiten noch machen, um das zu steigern? Nix macht der Autor. Es geht so weiter. Wie sagte Karl Kraus mal so schön? Eine Hochebene ist letzten Endes auch ziemlich flach.
Das lag übrigens nicht am Können der Autoren. Es schien stupide Vorgabe der Verlage zu sein. Das läßt sich an zwei entscheidenden Belegen dokumentieren: Am Anfang und am Ende der Hochphase, als die Regeln noch nicht so festgeklopft waren, ist durchaus Stimmung drin. Erstaunlich, wie viel Zeit sich Jürgen Grasmück in den frühen Larry-Brent-Romanen läßt, um quietschende Türen, den Weg eine schiefe Treppe hinauf oder sich bewegende Schatten in dunklen Gängen zu schildern. Und natürlich steckt auch in den besten Arbeiten Wolfgang Hohlbeins und der neuen Generation von Gruselheftautoren am Ende des 20. Jahrhunderts wieder einige gute atmosphärische Arbeit. (Um potenziellen Protesten den Wind ein bißchen aus Segeln zu nehmen - ja, es gab auch dazwischen immer wieder Ausnahmen. Hugh Walker, Traute Maahn und Richard Wunderer etwa konnten schöne Sachen jenseits der Formel durchschmuggeln, wenn sie einen glücklichen Tag hatten. Ich spreche von der allgemeinen Tendenz.)
Doch der wichtigere Beweis dafür, dass unsere Grusel-Autoren nicht zu dämlich waren, gute Suspense und Atmosphäre aufzubauen, besteht schlicht und einfach darin, dass es im Grunde – dieselben Autoren waren, die die Gruselromane für Frauen schrieben!
III
Darin liegt eine äußerst interessante und rare Anomalie der deutschen Gothic Romance. Anders als in Amerika waren die Autoren des Genres vorrangig Männer, und zwar dieselben Autoren, die auch den Männer-Markt bedienten.
Auch der Weg der spezifisch deutschen Gothic Romance in die Selbständigkeit und Unverwechselbarkeit ist einzigartig. Konnten sich bestimmte Heftroman-Genres überhaupt nicht von den amerikanischen Vorbildern lösen (Krimi, Western, ja sogar der Erotik-Western und der Grusel-Western ist eine amerikanische Erfindung) etablierte sich der Männer-Grusel-Heftroman praktisch sofort, trotz einiger Übersetzungen aus dem Ausland, als eigenständige, unverwechselbare Gattung, einer seltsamen Mischung aus Krimi und Horror, die, geschuldet dem lauernden Auge des „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“, schnell eine durchaus originelle Erzähl- und Fabulierungsstruktur annahm. Die mag gut oder schlecht sein – sie hebt sich jedenfalls deutlich von allem ab, was es bisher international in dieser Richtung gab.
Der Frauengrusel-Roman nahm einen anderen erstaunlichen Weg. Lange in schwerster Abhängigkeit vom amerikanischen Vorbild, befreite er sich geradezu revolutionsartig innerhalb weniger Jahre. Die Zeit des "Aufstands" und der Sezession läßt sich verlagsübergreifend auf die Jahre 1982/83 eingrenzen, als sich sowohl bei Pabel als auch bei Bastei die Zahl der Übersetzungen aus dem Englischen stark rückläufig zeigte und innerhalb kurzer Zeit viele deutsche Erstdrucke erscheinen.
Zwar gab es schon früher deutsche Autorinnen, die regelmäßig Gothic Romance verfassten, wie Edith Pusch, doch nun finden wir plötzlich viele männliche Schreiber am Start wie Fritz Tenkrat und Gerhard Hundsdorfer, bald auch Walter Appel. Und bereits 1985 ist der Anteil der Übersetzungen nur noch marginal, die Blütezeit der deutschen Gothic Romance hat begonnen. Sie wird bis 1991/92 andauern, als diese Gattung rätselhafterweise ebenso schnell ihren qualitativen wie quantitativen Absturz beginnt, wie sie sich emanzipiert hat. Er setzt ein mit der gräßlichen „Neuorientierung“ von wiederum verlagsübergreifend allen Gothic-Reihen auf ein älteres, konservativeres Frauenpublikum – die Schrift wird riesengroß, die Romane verkürzen sich um ein Viertel, sind weniger komplex, weniger gruslig, der eigentliche Gothic-Charme geht verloren, nun sind viele der Romane tatsächlich kaum noch von Liebesromanen für alte Damen oder Kinder-Krimis(!) zu unterscheiden. Gleichzeitig– vielleicht als Resultat dieser Fehlentwicklung? - sterben zwei gute Reihen (und verenden mit zum Teil erbärmlich schwachen Texten), nämlich das Pabelsche Gaslicht und Basteis „Melissa“.
In der Hochphase 1985-91 finden sich viele schöne Romane, doch auch davor, in der eher englisch -amerikanisch dominierten Zeit gibt es exzellente Übersetzungen und deutsche Hefte mit wunderbar geschriebenen Geschichten. Sie bedienen sich grundsätzlich einer besseren, eleganteren Prosa als der Männer-Heftroman, besitzen fast immer einen raffinierteren Aufbau, und die besten entwickeln einen Suspense, der es mitunter schwer macht, wieder zum gleichförmig von Seite 1 bis 64 wie eine Dauerorkan vor sich hintobenden, aber deswegen auch keine Steigerung zulassenden Männer-Heftroman zurückzukehren. Wie sehr die Heftroman-Landschaft auch heute noch von der Hochblüte zehrt, zeigt die Tatsache, dass bis ins 21. Jahrhundert hinein die Romane immer wieder aufgelegt werden - pikanrterweise bei Kelter aber nie mit einem Verweis auf ihr wahres Alter. Dass sie sich bruchlos in Reihen wie "Irrlicht" einfügen, zeigt eine weitere Stärke - die besten Exemplare scheinen zeitlos zu sein, lassen sich auch noch nach 25-35 Jahren gut konsumieren.
Dennoch ist Gothic Romance bis heute bei Grusel-Fans insgesamt nicht sehr anerkannt und wird auch kaum systematsich gesammelt.
(Fortsetzung folgt)
Geplante Reihenfolge der Serie:
Kommentare
Bin gespannt auf den Rest.
Man hatte als männlicher Sammler generell damals schon mit dem Taschengeld zu kämpfen, so dass man auch eben nicht alles sammeln konnte. Als Teenager knutschte man zwar gerne, aber irgendwelche eingebauten Liebesschnulzen verabscheute man eher.
Wobei die paar gelesenen "Jessica Bannister" mir nur als dürftig und im Handlungsablauf wiederholend in Erinnerung waren, aber das sind ja auch eher Spätwerke.
Hier schlägt dann voll die Kerlter-Qualität durch; ein Großteil der Hefte bröselte ob des "hervorragenden" Papiers schon beim Einsortieren im Kiosk auseinander - eben echtes Recycling...
Beim Aufschlagen brachen die Seiten in der Falz einfach ab... (war allerdings bei RD Zweitauflage oft auch nicht besser...)