Gothic Romance – Das unterschätzte Genre: Teil 2: Ein faszinierenden Genre (2)
Gothic Romance – Das unterschätzte Genre
Ein faszinierendes Genre (2)
IV
Wie wenig wir über das Genre wissen, zeigt das einzige „Buch“ zum Thema, nämlich das vom Romanheftkenner Jochen Bärtle, dessen grundlegendes Werk zum Männer-Grusel-Heftrom „Grusel, Grüfte, Groschenhefte“ trotz der vielen Druckfehler (die meisten, die ich bisher je in einem Druckerzeugnis gesehen habe) bis heute ein Markstein ist. Bärtle gibt selbst zu, dass er den „Frauengrusel“ quasi als Nebenprodukt zu diesem Werk mitrecherchiert hat – was dabei herausgekommen ist, ist nicht viel, aber wohl immer noch mehr, als man irgendwoanders findet. Selbst ein Kenner wie er stochert größtenteils im Trüben, so räumt er ein, dass sich möglicherweise im „Mitternachtsroman“ noch weitere Sub-Serien (neben der deutlich ausgewiesenen Jessica Bannister) befinden könnten, er aber nichts dazu sagen könne, weil man schlichtweg zu wenig darüber weiß. Ähnliches gilt für Crossover aus den männlichen Heftserien.
Diese Hilflosigkeit schreibt Bärtle einem plausiblen Grund zu – gute, vollständige Sammlungen sind selten, weil das Zielpublikum, nämlich Frauen, deutlich weniger sammelwütig ist als Männer und die Damen ihre Hefte eher wegwarfen als in Schutzumschläge und dann in die Sammerlbox steckten (dasselbe Problem gilt übrigens auch für amerikanische Pulps für Frauen, weder „Ranch Romances“ noch „Love Story Magazine“ sind gut dokumentiert, und wohl nie von irgendwem ernsthaft gesammelt oder erforscht worden). Das erklärt auch, warum Verlage wie Kelter gern immer wieder in derselben Reihe dieselben Romane auflegen, vermutlich kommen wenig Beschwerden von weiblichen Sammlern über Dopplungen...
Bärtles Werk besteht zu 75% aus Titellisten. Dabei wird er seinem eigenen Postulat aus Grusel, Grüfte, Groschenhefte verblüffend untreu – er schreibt dort nämlich, zu einer guten Titelliste gehöre mehr als nur den Titel und das Pseudonym aufzulisten – tatsächlich bestehen die meisten wirklich nur daraus – es gibt auch keine genauen Erstveröffentlichungszahlen. Von extremer Hilfe für den Sammler wäre gewesen, Dopplungen zu listen – also: Welcher Roman ist wo ein Erstdruck, und wo taucht er wieder auf? Das passiert hier nur ansatzweise (z.B. Olivia-Romane als Neudruck im Mitternachtsroman – meines Wissens sind die Angaben aber nicht vollständig)
Dass Bärtle dann doch lieber schlechte als gar keine Titellisten mit aufnimmt, muss man trotzdem gutheißen – denn von machen Reihen hatten wir noch nicht einmal die. Und es ist auch sympathisch und fair, dass er dieses Werk nicht verkauft, sondern gratis als PDF-Download auf seiner Homepage anbietet.
Kurz: Ich schätze Jochen Bärtles (Vor)-Arbeit sehr und werde mich auch auf sie beziehen in dieser kleinen Reihe, die vielleicht nicht viel Neues bringt, das über seine Erkenntnisse hinaus geht, aber vielleicht kann ich, weil ich aktiver Leser und Sammler des Genres bin, in dieser komprimierten und sehr subjektiven Form ein paar Anstöße geben, sich wieder mehr mit dem Genre zu beschäftigen.
V
Dass Männer hier nur sehr vorsichtig „reinschnuppern“, könnte noch weitere Gründe haben. Vielleicht ist schon am Anfang von den Verlagen viel falsch gemacht worden, weil das in Amerika und Deutschland gleichermaßen neue Genre nicht ausreichend als solches beworben und kenntlich gemacht wurde (Denn es war im Grunde – trotz alter Vorbilder aus dem 18. und 19. Jahrhundert wirklich ein neues Genre, wie wir in der nächsten Folge sehen werden, und fast alle deutschen Übersetzungen lagen nur wenige Jahre zurück, anders etwa als im SF-Bereich, wo in „Utopia“ sogar noch Übersetzungen der frühen 30er Jahre nachzuweisen sind). Unglücklicherweise (und auch unerklärlicherweise) wurden drei wichtige Heftreihen für exzellente Gothic Romance mit bloßen Frauennamen betitelt, ohne Spezifizierung des Inhalts: Das Sandra-Taschenheft von Pabel (406[!] Bände, 1974-82), Das Olivia-Taschenheft von Bastei (78 Bände in TB-Form + 24 in Heftform, (1975-79) und die schon erwähnte Melissa, auch von Bastei (170 Bände, 1981-90). Von Titel und Aufmachug her konnte man sie ohne Insiderwissen nur schwer von gewöhnlichen Herz-Schmerz-Liebesschnulzen unterscheiden.
Des Weiteren waren die Titelbilder oft nicht dazu angetan, männliche Leserherzen höher schlagen zu lassen, die ewigen nachthemdbekleideten Damen, die stets vor irgendwelchen Schlössern (oder ihren Insassen) fliehen, sind geradezu das Symbol gediegener Langweile. Dabei waren sie oft nicht mal inhaltsbezogen. Oft finden sich in den Impressen der Gothic Romances schwachsinnige Bemerkungen wie „Das Titelbild steht in keinerlei Zusammenhang mit der Handlung des Romans.“
Erst im Juni 1983 änderte Bastei das Layout aller Frauengrusel-Romane im Programm und ersetzte die kitschig-stereotypen Bilder durch neue ansprechende, die auch heute noch ins Auge fallen. Erst in den 90ern veschlechterten die Cover im Mitternachtsroman wieder rapide.
Dabei muß man aber den Herausgebern zugutehalten, dass sie zumindest eigenständige gezeichnete Bilder benutzten und nicht – wie im Krimi oft üblich – einfach häßliche Spielfilmbilder draufpappten, die in keinem Zusammenhang mit den Romanen standen (und das bis ins 21. Jahrhundert hinein – ich kann mich erinnern, dass Bastei für einen durchaus einst gemeinten Jerry Cotton ein Bild aus der Screwball-Komödie „Arsen und Spitzenhäubchen“ benutzte...) Inzwischen ist man aber beim Kelter-Verlag - besonders bei den ebooks auch dazu übergegangen, lieblos irgendwelche Fotos für Frauengrusel-Reihen zu benutzen.
Ein solches Frauen-Grusel-Heft zu kaufen, dürfte vielen Männern der 70er und 80er Jahre jedenfalls wohl peinlich gewesen sein – selbst wenn Interesse bestand... Vielleicht las man sie - wenn überhaupt - weil die Frau, Freundin oder Tochter eins hatte?
Und natürlich waren da zwei andere Handycaps, die miteinander zusammenhingen. Zum einen war es eben am Ende doch Romance – eine Liebesgeschichte durfte nicht fehlen. Und es gab (von zwei Ausnahmen abgesehen) keine bei Männern sehr beliebten Serien bzw. Sub-Serien. Beide Probleme hingen miteinander zusammen. Denn Serien nicht fehlten etwa, weil man Frauen keine Serien-Affinität zutraute. Das Hindernis war die allmächtige ewige Formel des Genres, die ihren rigiden Schatten warf. Am Ende jeden Heftes hatte die Heldin in die Arme des Helden/Retters zu sinken. Wie sollte das möglich sein in einer Serie? Sollte die Serienheldin promiskuitiv in jedem Romanheft einem andren Mann an die Brust taumeln?
Genau diese Schwierigkeiten zeigten sich später beim Versuch, die Bastei-Serie „Jessica Bannister“ zu etablieren – und tatsächlich zeigt die Titelheldin in den ersten Heften noch diesen Flittchen-Charme – was sicher Ende der 90er, als die Serie begann, kein so großes Problem war wie noch in den 70ern oder 80ern. Doch als das Autoren-Team um Frau Bannister dann die Formel über Bord warf, zeigte sich, dass Jessica auch ganz gut ohne neuen Standard-Lover in jedem Heft zurechtkam, und oh Wunder – plötzlich wurde die Serie auch für Männer interessant.
Eine andere Lösung fand man für die einzige Gothic-Romance-Serie der 70er – "Die schwarzen Perlen". Doch sie gehört eigentlich gar nicht in die Tradition des klassischen Frauengrusels, sondern kann als verspäteter Kolportageroman gesehen werden. Die Serie hat eine durchgehende Handlung, und dass sowohl Pabel wie später auch (3.Auflage) Bastei in der Lage waren, je zwei Hefte zu einem zusammenzufassen, ohne dass ein Bruch bemerkbar wird, zeigt, dass es sich hier eher um einen Fortsetzungs-Stil handelt, der viel älter ist als der Frauengrusel. So tauchte auch hier das Problem des immer neuen Liebhabers nicht auf.
Dennoch muß gesagt werden, dass die Liebes-Geschichte in der Gothic Romance nur selten vordergründig ist und tatsächlich den Lesegenuß wie ein gutes Gewürz eher erhöht als verdirbt. Manchmal ist die Lovestory sogar so weit zurückgedrängt, dass man erst auf den letzten Seiten überhaupt erfährt, mit wem die Heldin die ganze Zeit über liiert war (z.B. Olivia-Heftroman Nr. 4, Edwina Marlow, Die Gespenstervilla).
Auch sonst bietet der Frauengrusel dem unvoreingenommenen Leser welchen Geschlechts auch immer eine Mengel Spaß und Spannung jenseits der Formel. Ja wir sind als deutsche Leser sogar begünstigt – oft wurden die recht weitschweifigen englischen Originale (die immer in Buch- nie in Heftform vorlagen) nämlich äußerst intelligent gekürzt und für den Heftroman so formatiert und umgebaut, dass man von einem weitaus kurzweiligerem Vergnügen sprechen kann als beim Original – fast alle Striche sind so gut, dass sie eher gewinnbringend sind als ärgerlich, wenn man sie mit dem Original vergleicht – und das läßt sich nicht von vielen Genres sagen.
Die nächsten Folgen bringen einen Überblick und eine (wie gesagt sehr subjektive Einschätzung) der Genres im 20. Jahrhundert.
Eins steht jetzt schon fest – das zeigen die Reaktionen auf den ersten Teil – meine Qualitätsurteile werden umstritten bleiben. Manch einer wird die deutlich konservativeren, aber oft deswegen auch stimmungsvolleren Übersetzungen aus dem Englischen lieber lesen als die späteren deutschen Hefte unserer Autoren – manch einer - wie ich - wird vielen Heften von A.F. Morland alias Fritz Tenkrat, Barbara Branch alias Barbara Storandt und den frühen Texten von Joan Garner alias Jan Gardemann ebensoviel, manchmal sogar mehr Vergnügen abgewinnen. Eine Geschmackssache.
Aber - auf jeden Fall eine Betrachtung wert.
Geplante Reihenfolge der Serie:
Kommentare
Die 70er und ihre Lesegewohnheiten sind nicht die End-80er und ihre Lesegewohnheiten. In den 70ern gab es noch klare Grenzen, für wen was gemacht wurde. Pabel wäre nie auf die Idee gekommen, seine Gaslichter für Männer zu bewerben. Das eine waren die "Männerromane", das andere die "Frauenromane". Das mag man heute sehen, wie man will, aber genausowenig wären die Leute von Bastei oder Pabel auf die Idee gekommen, Krimiserien oder Western für Frauen zu bewerben.
(Das Aufbrechen der Genrekategorien hat zum Beispiel den Krimi als Reihe obsolet gemacht, wäre es gelungen, die SF ebenfalls auf diese in den Mainstream zu integrieren, ging es ihr heute verkaufstechnisch auch besser)
Das gilt auch für die Titelbilder. Den "Vorwurf", dass die Prä-80ger Gothics immer die gleichen Motive hatten, die erst recht ein Männerpublikum abschrecken, kann ich auch nicht teilen. Mit der gleichen Berechtigung kannst du Utopia und Terra vorwerfen, immer nur diese Raumschiffe und Astronauten aufs Cover getan zu haben. Die waren häufig genausowenig inhaltsbezogen und haben alle Frauen als Leser abgeschreckt. (Was sie bestimmt auch sollten ) Im Stammland der Gothics war das das prägende Motiv, so albernm es uns heute auch erscheinen mag. Selbst Heyne mit seinem Romantik Thriller, den es schon lange vor Pabels Gaslicht gab, ist dem Layout oft gefolgt.
Dass vieel später eine Serie wie Jessica Bannister auch für Männer interessant wurde – oder vielmehr für das Lesersegment, denen das Gruselsegment weggebrochen war, was ein Unterschied ist – lag daran, dass man die Gothics in Gruselromane light verwandelt hat. Bei Serien wie der von Gardemann (Das magische Amulett), die ich persönlich im Schnitt wesentlich besser als Bannister fand, obwohl er anfangs daran beteiligt war, ist das übernatürliche Element ein deutlicher Grundpfeiler der Handlung. In den amerikanischen Gothics ist das weniger ausgeprägt.
Zitat: Ohne den Roman zu kennen behaupte ich mal, das lag eher an dem oft konfusen Schreibstil von Edwina Marlowe alias Michael Avallone als dem Bedürfnis, mal etwas anders zu machen.
Übrigens, du hast Post!
Mit den deutschen Autoren konnte ich mich nie so richtig anfreunden, das hatte gerade nach den oft hochklassigen Übersetzungen doch viel von Fließband an sich. Barbara Storandt möchte ich da ausdrücklich ausnehmen, das war handwerklich immer gut zu lesen.
Die Titelbilder bei Pabel sind mehr als nur "handwerlich" gut, und wenn man zwei Finger über die Damsel in distress im Ballkleid (wahlweise Nachhemd) legt, bleiben da oft wahre Kunstwerke in Ausführung und Atmosphäre vor dem Auge des Betrachters - und auch das obligatorische beleuchtete Fenster gehört da unbedingt dazu.
Zu den Bildern - manno, ich bin echt erstaunt, dass es wirklich Fans dieser Gaslicht-Bild Ästhetik gibt! Umso besser. Allerdings würde ich in meiner Erfahrungswelt schon eine gewaltige Unterscheidung machen zwischen Typisierungen bei SF, Männer-Grusel und Frauengrusel. Dass die SF-Hefte so stark typisiert waren wie Frauengrusel-Hefte, stimmt einfach nicht. Mir fällt es immer daran auf, dass ich bei vielen Heften, die mir gefallen haben, oft noch das Titelbild dazu erinnere. Das passiert mir bei Frauengruselheften nie. Sie verschwimmen alle zu einer prototypischen leichtbekleideten Dame, die vor einem Schloß davonläuft ...
Es dürfte auch höhere Ansprüche an den Künstler gestellt haben. Lebensechte Figuren, Perspektive, das musste hier alles stimmen. Da wären die Photoshop-Mausschieber von heute schwer überfordert.
Auch wenn es natürlich etwas Amüsantes hat, das gleiche Motiv Hunderte Male zu produzieren.
Sie tauchten, wenn ich mich recht erinnere in der zweiten Hälfte der Siebziger auf. Sie wurden wieder abgeschafft, als man die Kennzeichnung mangels Masse nicht mehr brauchte. Das war dann in der zweiten Hälfte der Neunziger.
Ich bin beim schon vor 15 Jahren angekündigten Geisterwaldkatalog-Frauengrusel/Gothic gerade dabei rauszubekommen wo und wann die Originale der Übersetzungen erschienen sind - der Übersetzer ist meist eh nicht rauszubekommen. Das ist aber extrem mühselig und oftmals auch nicht mehr rauszubekommen (gerade wenn das ne Novelle aus nem Buch mit mehreren Geschichten ist, bleibt so was dem Zufall überlassen. Hätte ich anfangs gewußt, daß ich Jahrzehnte Arbeit vor mit hab, hätte ich das bibliografieren wohl beim Männergrusel eingestellt.
Was die Farben angeht, ich glaub da war auch noch rot für die Fürsten, Orange müßten Mami-Romane gewesen sein. Blau war übrigens Western, weiß eigentlich Liebesromane, also die echten ohne Adel, Waisenkindern und so was alles. So nichtig sauber dran gehalten haben's sich aber auch nie. Da lief Frauengrusel mal in weiß mal in grün (na gut, ist auch schwer ^^), Fürsten auch mal in Weiß, SF in grün und bei den Romantic-Klimbim wars eh manchmal Zufall ob die richtige Farbe dran war.
Man kann die Einführung der farbigen Ecken auf die Monate März und April 1975 festlegen:
Gespenster-krimi Bd. 81 (01.04.1975)
Vampir-Horror-Roman Bd. 109 (11.03.1975)
Silber-Grusel-Krimi Bd. 89 (22.04.1975)
Geister-krimi Bd. 63 (29.04.1975)
Monstrula Bd. 17 (17.04.1975)
DämonenKiller Bd. 30 (18.03.1975)
Der Spuk-Roman konnte sowohl weiße (1-38, 47, 48, 53, 54) wie auch grüne (alle anderen) Ecken aufweisen, obwohl er eindeutig phantastisch und somit buchstäblich im grünen Bereich war.
Gelber Balken ist übrigens Heimat & Berge.
Bei den Western gab es ja bei Nachauflagen immer wieder Kürzungen oder andere Überarbeitungen der Romane, z. B. wenn ein Unger-TB in ein Romanheft überführt wurde. Auch bei John Sinclair und dem jetzt aktuellen Dorian Hunter gibt es Textänderungen. Ist so etwas auch bei den Nachdrucken der Frauen-Gruselromane, die von deutschen Autorinnen geschrieben wurden, geschehen?
(PN an Herrn Käther)
Also zumindest Gardemann hat wohl einen (?) oder mehrere seiner Jessica Bannister umgeschrieben und im Gaslicht-Taschenheft als "Patricias Vanhelsing" noch mal veröffentlicht. Keine Ahnung, ob er das Manuskript verlängert hat.
Auszuschließen ist es bei den anderen nicht. Aber ich glaube eher nicht, dass es da Textänderungen gab.
Ich lese sehr ungern modernisierte Varianten. Das mag ich einfach nicht. Deshalb sind auch die neuen Gespenster-Krimis von Bastei kein Thema für mich. Wären es Original-Nachdrucke der Veröffentlichungen aus den 1970ern, hätte ich gekauft.
Wann wird der nächste Teil dieses Projektes hier erscheinen?