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Dem Tode auf der Spur - Schnittergarn Kurzgeschichten

SchnittergarnDem Tode auf der Spur
Schnittergarn-Kurzgeschichten

"Falls Sie einen Trauerbegleiter suchen, sind Sie hier falsch. Ersterben Sie die haarsträubendsten … oh sorry … totenkopfschädeligsten Geschichten. Unsere Autoren haben keine Kosten und Mühen gescheut, um den Tod in seinem natürlichen Lebensraum zu beobachten. An der Arbeit, im Urlaub, im Streik, in Rente, im Weltraum oder bei der Aufzucht des Nachwuchses, beim Essen oder dem Imitieren von Sinnen, Muskeln und Organen. Wir laden Sie herzlich ein, sich nach Herzenslust totzulachen – wir wissen, Sie landen bei unseren Schnittern in guten Händen." (Klappentext)

Zur Einführung
Der Leserattenverlag, eigentlich bekannt für seine lustigen Anthologien wie "Funtastik" und "Yo-Ho-Piraten" hat sich endlich einem ernsten Thema zugewandt. Es geht um den Tod! Aber natürlich widmen sich Marc Hamacher und seine Mitstreiter auch in diesem Band den launigen, ironischen Seiten von Gevatter Tod. Der arme Kerl muss sich mit schwierigen Kollegen, Bürokratie und widerborstigen Seelen herumschlagen. 400 Geschichten wurden im Rahmen einer Ausschreibung eingesandt, 22 davon wurden ausgewählt und werden jetzt den Lesern präsentiert. Muna Bering, Thomas Heidemann, Torsten Low, Jürgen Höreth, Alisha Pilenko und Tanja Kummer waren auch schon mit den Yo-Ho-Piraten unterwegs. Ja, Thomas Heidemann setzt sogar wieder auf die gleichen Protagonisten vom Raumschiff FEUERSTURM. Die Geschichten bewegen sich im Bereich zwischen drei und vierunddreißig Seiten, sind also ideal für das kleine Lesevergnügen zwischendurch.

SchnittergarnDie Stories
Die Anthologie beginnt mit einem starken Beitrag. Jörg Fuchs Almeida beschreibt wie Mortimer Todd eines Tages versehentlich Marlene Rabenherz abholt. Nach dem Burn-out von Gevatter Tod ist sein Job auf Tausende von Tods aufgeteilt. Sein Aufgabenfeld umfasst lediglich das Gebiet von Hessen. Eigentlich lautet sein Auftrag den Kater Murphy zu überführen, aber ungeschickterweise zeigt er sich auch Marlene, die beim Versuch das Tier seinem Zugriff zu entziehen, stolpert und die Treppe hinunterfällt. Nun diskutiert sie mit Mortimer und beharrt darauf noch gar nicht dran zu sein.

Weiter geht es mit einer Story von Lea Baumgart. "Mitarbeiter" schildert wie die Ich-AG von Tod durch einen PR-Berater kräftig aufgemischt wird. Dieser "nennt-mich-Tim" hat ganz eigene Ideen. So will er aus "Sensenmann" eine "Sensenperson" machen, damit der Tod nicht länger 100% männlich konnotiert ist. Dann bewirbt sich auch noch die tote ehemalige Krankenschwester Sara, was dem Berater sehr passt, weil damit der Frauenanteil im Betrieb kräftig erhöht werden kann. Tja und dann stellt sich heraus, dass so ein Betrieb auch noch eine juristische Abteilung gut gebrauchen kann.

Muna Bering schildert in "Tod am Morgen" einen ganz normalen Auftrag. Der einundsiebzigjährige Erwin will sich aus dem Fenster stürzen. Allerdings ist dies schon sein dritter Versuch, sich umzubringen. Der Tod redet ihm gut zu, aber leider gibt es Leute, die den Freitod verhindern wollen. Da ist einmal der Hausmeister Heiko Badermann, der gerade auf einer Trittleiter an der Hauswand steht und dann kommt auch noch Erwins Haushälterin Candela Alvez, die wegen eines Friseurtermins früher zur Arbeit kommt. Aber erst Erwins Enkelin Elenor, schwarzgekleidet und auf der Suche nach einer Praktikumsstelle macht das Chaos perfekt.

Andrea Bienek schreibt in "Personalo Mortale" darüber, wie der Tod seinen Führerschein macht. Dabei passiert natürlich ein Unfall, aber als er seine Arbeit als Sterbebegleiter machen will, fuscht ihm eine Hexe ins Handwerk. Als er diese Hexe zum Todesengel erheben will, um sich ein wenig Entlastung zu verschaffen, bekommt er es mit den drei Schicksalsgöttinnen zu tun.

Was passiert, wenn der Sensenmann seine Sense verliert? Er geht in den nächsten Baumarkt und besorgt sich eine neue! Genau das schildert Florian Clever in "Sensenmann". Der Tod fährt versehentlich mit dem Wagen über seine in der Garage abgestellte Sense. Ersatz muss her! Aber wie soll sie beschaffen sein und wie teuer darf es sein? (SENSENMANN - Leseprobe von Florian Clever zu »Schnittergarn«)

Handynutzung während der Fahrt ist verboten! Und das aus gutem Grund. Diese leidvolle Erfahrung muss auch Linda Meier machen. Als sie beim Fahren einen Anruf erhält, geht sie natürlich ran. Am anderen Ende ist ein überaus sympathischer Mann, man könnte auch sagen, die Liebe ihres Lebens. Aber bevor sie die Bekanntschaft vertiefen kann, verliert sie leider die Kontrolle über ihr Fahrzeug. Und schon ist auch der Tod zur Stelle und will sie mitnehmen. Doch Linda hat überhaupt keine Lust dazu. Unterstützung erhält sie von der Liebesgöttin Amore, die auch an der Unfallstelle auftaucht. So beginnt die Story "Auf Liebe und Tod" von Renée Engel. Bald ist die himmlische Bürokratie am Zuge und man einigt sich nach einigem Hin und Her darauf, dass Linda als Katze eine neue Chance erhält.

Der Tod hat auch eine Familie. Johanna Gerhard schildert in "Die Kinder des Gevatter Tod", was passiert, wenn er krankheitsbedingt seinen Nachwuchs mit seiner Arbeit betraut. Es klingt ganz einfach, ein Mann wird auf dem Bürgersteig von einem Klavier erschlagen und soll abgeholt werden. Charlotto, Bertra und Alphonsa müssen einspringen. Während die modisch quietschbunte Alphonsa begeistert ist, versucht die träge Alphonsa vergeblich sich zu drücken. Den bloggenden Sohn Charlotto hat dagegen eigentlich keiner so richtig auf der Rechnung.

Bei Geli Grimm hat Gevatter Tod in "Orcus tristis" genug davon einsam die Seelen der Verstorbenen einzusammeln. Kiffer Tobi, der einen Heuschober hinunter gefallen ist, die Journalistin Florentina, die über die Mafia geschrieben hat, und das Youtube-Idol Martin, der sich selbst in die Luft gesprengt hat, müssen ihn deshalb wohl oder über begleiten statt ins Jenseits zu gehen.

Thomas Heidemann setzt seine beliebte Serie um das Raumschiff FEUERSTURM fort. In "Lieber durchgeknallt als tot" besucht der Tod die tapfere Crew. Kommandantin Sazqua, die künstliche Intelligenz HASI, Bad Axe und die anderen müssen sich damit auseinandersetzen. Zum Glück gibt es auch noch die Rekrutin Flibo.

Jürgen Höreth steuert "Judas, Jesus und Dan Deadly" bei. Es beginnt damit, dass Judas, der als dreibeiniger Hund in der Hölle ist, wieder einmal für zwei Jahre mit einer Horde tollwütiger Katzen zusammengesperrt werden soll. Jesus, Gott. Petrus und Moses spielen auch eine gewisse Rolle. Hauptsächlich geht es um eine Inkarnation des Todes, die Dan Deadly heißt. Dieser spezielle Tod hat eine ganz eigene Auffassung von seiner Arbeit. Er bringt Leute um, lange vor ihrer Zeit. Dafür füllt er die Uhren von anderen wieder auf, die er eigentlich abholen soll. Vorzeitig ins Gras beißen müssen Bösewichter wie Präsident Woozy McDump, länger leben dürfen gute Menschen wie wohltätige junge Krebspatienten. Klar, das geht so nicht und Jesus und Judas machen sich auf den Dan wieder einzunorden.

Laurence Horn beschäftigt sich in "Der Tod kommt selten allein" mit dem Liebes- und Familienleben des Todes. Da ist seine Nochehefrau Krankheit mit den gemeinsamen Kindern Ebola und Malaria. Außerdem gibt es noch seine Exfrau Pest mit der gemeinsamen Tochter Tuberkulose. Und Tod hat schon einen neuen Schwarm. Er will mit Gesundheit anbändeln. Diese ist jedoch plötzlich verschwunden. Wer ist dafür verantwortlich? Jemand aus seiner Familie? Oder einer der Kollegen und Mitarbeiter? Vielleicht Krieg oder Krebs?

Ganz verzwickt wird es bei Günther Kienle in "Seitenwechsel". Der Tod steht vor der Tür ... um den Tod zu holen. Klar. dass der sich das nicht gefallen lässt. Kurzerhand setzt er seine Sense ein. Danach muss er sich ein sicheres Plätzchen suchen. Seine Wahl fällt auf die Hölle.

Tanja Kummer beschäftigt sich in "Ein komischer Vogel" damit, dass Gevatter Tod Urlaubsvertretung für seinen Kollegen Fiffi, den Tod für Tiere machen muss. Ach ja, und er hat unfreiwillig in dem Raben Krag einen tierischen Begleiter. Außerdem wird auch erzählt, welche Probleme es gibt, wenn der Tod eine Gefährtin daten will. Und dann verabschiedet sich Fiffi endgültig und Krag muss als sein Nachfolger eingearbeitet werden.

Was passiert, wenn das Job-Center eine junge Frau als Aushilfe in den Himmel schickt weil Rüdiger, also der Tod, sich mal eine Auszeit nimmt? Janina-Celine Trotzki kann darüber berichten, "echt alder". Der Erzengel Michael, Petrus, Gott, der Dämon Günther und einige andere spielen auch eine Rolle. Autorin von "Auch der Tod braucht mal eine Pause" ist Veronika Lackerbauer.

Die düsterste Geschichte des Bandes stammt von Torsten Low. In "Selbstmordversuch" kümmert sich ein alter Mann um einen potentiellen Selbstmörder und es gelingt ihm tatsächlich, ihn von seinem Vorhaben abzubringen und ihm neuen Lebensmut zu geben. Eigentlich eine einfache Geschichte. Doch bei dem Alten handelt es sich um den Tod. Und auch der verhinderte Selbstmörder ist kein normaler Mensch.

Wie geht ein Polizeiarzt damit um, wenn der Tod ihn abholen kommt? Diese Frage beantwortet A. No Nym in "Todsicher".

Arianna D. Pencraft widmet sich in "Der Tod auf Latschen" einer anderen Frage. Wie sieht so ein Urlaub von Tod eigentlich aus? Quasi als Zugabe taucht dann auch noch der Erzengel Gabriel auf.

Alisha Pilenko macht uns in "Thanatos Schäferstündchen" mit Leonira, der Unbesiegbaren bekannt. Zusammen mit Nikios, einer männlichen Wassernymphe, kommt die Kriegerin in ein Dorf, das einen Helden sucht. Die Menschen dort sterben nämlich nicht mehr. Egal wie alt, krank oder verletzt sie sind, sie leben einfach weiter. Um dies zu ändern, machen sich die beiden auf den Weg in die Unterwelt.

Sophia Rosenberger beschreibt in "Therapiestunden des Todes" wie es ist als Psychologe für den Tod zu arbeiten. Dabei gibt es aber nicht nur einen Tod, sondern Hunderte. Jeder hat ein spezielles Aufgabengebiet. Ganz untern in Hierarchie steht der Tod, der für das Ableben von Rollenspielcharakteren zuständig ist.

Auch bei Thomas Schäfer gibt es nicht nur einen Tod. In "Dumm gestorben" rutscht der Protagonist aus als er aus der Dusche steigt. Sein Kopf knallt unglücklich gegen den Badewannenrand. Als er wieder zu sich kommt, sieht er seinen toten Körper. Und kurz darauf hört er "Gestatten, ich bin der Tod. Ich komme Sie holen". Dummerweise liegt das Badezimmer jedoch genau auf der Grenze zwischen den Revieren zweier, nein dreier Tode.

Richtig durchgeknallt geht es zu bei Kornelia Schmidt. In "Findet Banshee" ist der Tod unterwegs mit einem Irrlicht. Als Banshee verschwunden ist, muss er Vertretungsweise ins Feenreich, um dort ein Einhorn abzuholen. Dieses Tier hat nämlich einen Schmetterling gefressen. Außerdem hat es einen Wunsch, es möchte unsterblich werden. Doch Tod kennt keine Gnade, das Einhorn muss mitkommen. Übrigens ist Tod mit der Zeit gegangen und hat die Sense gegen einen Mähdrescher eingetauscht. Habe ich schon erwähnt, dass Tod mit Banshee angebändelt hat und es noch seine Exfrau Hel gibt? Hat Hel etwas mit Banshees Verschwinden zu tun? Oder Nessi, die sich vergeblich bei Banshee als Begleiterin beworben hat?

Ein diffiziles Problem hat Exitus in "Anweisung von oben". Gott hat eine Idee, um den Menschen den Übergang zu erleichtern, soll Exitus die Gestorbenen vorbereiten, mit ihnen reden statt einfach nur wortlos die Seelenessenz einzusammeln. Marco Wittemann schildert wie diese Anweisung Exitus in die Hände des Teufels treibt.

Meine Gedanken 
"Schnittergarn" überzeugt durch die homogene Ausrichtung der 22 Stories. Viele Geschichten befassen sich mit dem "Arbeitsalltag" des Todes. Und spiegeln damit den Arbeitsalltag der meisten Menschen, die sich mit komplizierten Vorschriften, nervigen Kollegen und unbequemen Vorgesetzten herumschlagen müssen. Einige machen auch Ausflüge in Fantasy-Welten mit Märchenwesen und mythischen Gestalten. Immer aber herrscht ein ironischer, leichter Ton vor. Die meist kurzen Geschichten sorgen für Kurzweil, die etwa ein halbes Dutzend etwas längeren setzen Akzente.

Der Leserattenverlag bedient mit "Schnittergarn" wieder die gleiche Klientel, die auch schon "Funtastik" und "Yo-Ho Piraten" geliebt hat. Und gerade im Vergleich zu letzterem hat Marc Hamacher noch einmal eins drauf gelegt. Zum einen was den Umfang und die Zahl der Geschichten angeht, zum anderen was die generelle Ausrichtung der Stories betrifft. Treffend schreibt der Herausgeber im Vorwort: "Getreu dem Verlagsmotto, dass das Leben und die Welt der Fantastik oft zu episch und zu ernst sind, haben wir uns auf die Suche nach lustigen oder krankhaft skurrilen Geschichten über den Schnitter gemacht." Nicht geändert hat sich dagegen die professionelle Gestaltung. Da ist ein ansprechendes Cover von Chris Schlicht und es gibt wieder Kurzinfos zu den Autoren. Und die Kommas zum nachträglichen Einfügen sind natürlich auch wieder dabei.

Mir hat der Band gefallen. Wer Terry Pratchetts Tod von der Scheibenwelt mag oder wer einfach mal wieder schmunzeln oder auch mal herzlich lachen möchte, darf bedenkenlos zugreifen. Wenn sich jemand einen intensiveren Eindruck verschaffen möchte, sei er auf die Leseprobe SENSENMANN von Florian Clever zu »Schnittergarn«) verwiesen.

  • Schnittergarn. Kurzgeschichten
    Marc Hamacher (Hrsg.)
    Cover u. Zeichnungen: Chris Schlicht
    425 Seiten
    ISBN 978-3-945230-34-3
    Euro 15,00
    Leserattenverlag 2018

 

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