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Horror, unheimliche Phantastik und düstere SF - Deutschlands Magazin für phantastische Literatur

Zwielicht Classic 14Horror, unheimliche Phantastik und düstere SF
Deutschlands Magazin für phantastische Literatur

Zwielicht Classic geht mittlerweile in die 14. Runde. Herausgeber Michael Schmidt hat auch diesmal wieder eine bunte Mischung aus Geschichten zusammengestellt.

Neben der Zeit nach der Jahrtausendwende wird wie im letzten Band auch wieder die Zeit zwischen den Weltkriegen berücksichtigt
.

Zwielicht Classic 14Zur Einführung
Michael Schmidt hat wieder 11 Geschichten und einen Artikel zu einem bunten Strauß zusammengebunden. Dabei sind bekannte und unbekanntere Autoren. Uwe Voehl, neuerdings für Basteis Professor Zamorra tätig und war früher selbst Herausgeber bei Zaubermonds Vampir, ist gleich mit zwei Geschichten vertreten. Eine hat er zusammen mit Canker Driscoll verfasst. Bekannt ist mittlerweile auch Julia Annina Jorges, die im letzten Jahr im Bereich Kurzgeschichte den 2. Platz beim Vincent Preis erringen konnte. Auch Erik Hauser ist dem Phantastik-Leser kein Unbekannter. In den letzten Jahren sind etliche seiner Geschichten in den Anthologien von Alisha Bionda erschienen, andere bereicherten Zwielicht. Karin Reddemann ist dem Zwielichtleser auch bestens bekannt, unter anderem wegen ihrer Artikel "Die dunkle Muse". Relativ unbekannt sind dagegen Nina Teller, Frederic Brake und Canker Driscoll. Dazu kommen die "Klassiker" Friedrich Glauser, der Verfasser der Wachtmeister Studer Romane, Gustav Meyrink, den Verfasser des Golems, und Willy Seidel, ein fast schon vergessener bedeutender Phantast der Zwischenkriegszeit. Abgerundet wird das Ganze traditionell mit einem Artikel von Karin Reddemann, biblio- und biographischen Angaben zu Texten und Autoren sowie einer schwarz-weiß gehaltenen Coverillustration von Oliver Pflug.

Die Geschichten
Erik Hauser beschreibt in "Onkel Herbert große Stunde" einen notorischen Geschichtenerzähler und Aufschneider. Eben jener Onkel Herbert wollte als Pirat auf Kaperfahrt gegangen sein, vor Afrikas Küsten Haie gejagt haben und an einer Südpolexpedition teilgenommen haben. Der ledige Zahnarzt erzählt bisweilen auch die Geschichte von seinem Wolfsbiss in der Pfalz. Sein Neffe lauscht den Erzählungen fasziniert ohne sie wirklich zu glauben, bis auf einer Hochzeit etwas passiert und er ins Grübeln kommt ... Die Story erschien zuerst 2016.

Gekonnt in Szene gesetzt bricht sich der Horror im scheinbaren Alltag seine Bahn.

Eine bissige Abrechnung mit der Modewelt und ihren Gesetzen ist "Kreationen in Samt und Tod". Uwe Voehl schildert in der erstmals 2006 herausgebrachten Geschichte ein Unternehmen, das es mit den Kreationen eines unbekannten Meisters zu tun bekommt. Doch damit ausgestattet werden nicht Topmodells, sondern menschlicher Müll. Flugs macht man sich auf die Jagd nach dem genialen Schöpfer.

Anfangs ein wenig anstrengend, aber trotzdem köstliche Persiflage auf die Modewelt. Erschien auch in Constantin Dupiens "Mängelexemplare Dystopia".

Das alte Häuschen hatte es ihr angetan. Sie wußte zwar nicht, warum die Verkäuferin ausgerechnet sie ausgesucht hatte, doch letztlich griff sie trotzdem zu. Juliana Annina Jorges beschreibt in "Symbiose" aus dem Jahr 2017 wie eine Frau ein neues selbstbewussteres Leben anfängt. Doch nichts ist umsonst, das Haus verlangt einen Preis dafür.

Feministischer Grusel? Auf jeden Fall eine speziell weibliche Sicht auf Grusel und Sex.

In "Was bleibt von Dir?" kehrt Devon aus Berlin in das kleine Dorf am Rande des Fichtelgebirges zurück, wo er seine Kindheit verbracht hat. Seine damals beste Freundin Victoria wird nämlich beerdigt. Leider trifft er zu spät ein und bekommt nur noch einen Teil der Trauerfeier in der Kirche mit. Doch schon am nächsten Tag erinnert sich niemand mehr an sie, nicht einmal ihre eigenen Eltern. Schließlich steht die Tote selbst vor seiner Tür. Nina Teller verfasste diese Story 2018.

Liest sich spannend, ist aber nicht ganz nachvollziehbar. Wie kann man allen Menschen die Erinnerung an nur eine spezielle Person nehmen, wenn jeder diese über einen anderen Zeitraum gekannt hat?

Bei Frederic Brake geht es um die Schaffung einer fast allmächtigen künstlichen Intelligenz. In "Flüchtige Gedanken" aus dem Jahre 2010 terrorisiert eine solche ein Raumschiff, weil sie ihren Schöpfern nicht verzeihen kann.

Grusel-SF! Und sehr gut nachvollziehbar, wie unerträglich muss eine Existenz als Schiffsintelligenz ausgestattet mit unglaublichen Fähigkeiten und Sinnen sein.

Canker Driscoll und Uwe Voehl verbreiten in "Marshall Midnight" ein wenig "ES-Gefühl. In der aus dem Jahre 2008 stammenden Geschichte geht es um eine Gruppe von Kindern, die an Halloween von Haustür zu Haustür ziehen und "Trick or Treat" rufen. Der Leser hat es zunächst nur mit Masken wie "DIE HEXE", "DER ZOMBIE" oder "DARTH VADER" zu tun, erst nach und nach werden ihnen die richtigen Kindernamen zugeordnet. Unheimliches soll sich in den letzten Jahren an Halloween zugetragen haben. Doch der mysteriöse Marshall Midnight hat immer im letzten Moment die bedrohten Kinder gerettet. Es gibt ein Ritual um ihn zu beschwören. Jedes der Kinder muss seine Lieblingssüßigkeit ein Jahr aufheben und an Halloween auf Midnights Grab werfen und anschließend drauf pinkeln. Doch dieses Jahr hat es einer aus der Gruppe nicht geschafft, dem Süßen solange zu widerstehen.

Toll in Szene gesetzte Geschichte, taucht voll in die Welt der Jugendlichen ein. Bei genaueren Hinsehen bleiben aber auch Fragen speziell zum Marshall selbst.

Um eine Art Familienfehde geht es bei Karin Reddemann. "Onkel Hartmut kommt" aus dem Jahre 2006 beschreibt aus der Sicht des elfjährigen Neffen die Wiederkehr von Onkel Hartmut dem schwarzen Schaf der Familie. Vor Jahren hatte er sich im Wirtshaus geprügelt und dabei einen anderen Burschen so schwer verletzt, dass dieser noch in der Nacht verstarb. Anschließend hatte er sich zuhause mit seinem Vater gestritten, so dass dieser eine Herzattacke erlitt und ebenfalls starb. Auch mit seinem Bruder prügelte er sich, bis seine Mutter ihn schließlich mit einem Messer in der Hand verjagte. Seit damals hat die Familie gewartet.

Langsam enthüllt sich die tragische Familiengeschichte um Onkel Hartmut. Enthüllt die mörderischen Tiefen der menschlichen Seele.

Friedrich Glauser beschreibt in "Kyf" einen Haschischrausch. Die kurze ursprünglich 1937 erschienene Geschichte beschreibt wie sich die Wahrnehmung und Weltsicht der Hauptperson verändert als sie bei ihrem Freund und Beschützer Mammut Bekanntschaft mit Haschisch macht.

Zieht mit ihrer Sprache den Leser in ihren Bann, obwohl es eigentlich nur um einen harmlosen Rausch geht.

Die älteste Geschichte stammt von Gustav Meyrink. "Wie Dr. Hiob Paupersum seiner Tochter rote Rosen schenkte" erschien erstmals 1916. Dr. Paupersum sitzt nächtens in einem Münchner Café und starrt vor sich hin. Da erscheint ein weiterer Gast, lässt sich ein reichhaltiges Mahl servieren und lädt den alten Herrn auf eine Partie Schach ein. Doch recht schnell gibt er dann die Partie auf und überreicht seine Visitenkarte. Es handelt sich bei ihm um einen "Impresario für Monstrositäten". Wie sich im Gespräch herausstellt, leidet Paupersum unter großen Geldsorgen, ist beruflich erfolglos und hat eine leidende Tochter. Der Impresario bietet ihm an, sich als Monstrosität zu verdingen. Dazu soll er sich mittels eines seltenen von ihm in Tirol lokalisierten Krankheitserregers in einen "Ambraser Riesen" verwandeln.

Geschickt verschachtelte Story mit immer wieder neuen Wendungen und subtiler Kritik an den zeitgenössischen Zuständen.

Die letzte Geschichte stammt von Willy Seidel, der auch in Zwielicht Classic 13 vertreten war. "Das siebenköpfige Tier" erschien erstmals 1936, also zwei Jahre nach dem Tode des Autoren. Darin geht es um den Mühlentischler Gottlob Reibedanz, der mit Knecht Molk und Tochter Seraphine zusammen lebt. Er bekennt sich zu den sogenannten Neu-Irvingianern und hält sich für eine Reinkarnation des Apostel Johannes, der die Macht hat Menschen zu versiegeln. Trotzig widersteht er allen Versuchen, des örtlichen katholischen Priesters seine Seele zu retten. Auch die vierzehnjährige Tochter hält er von der Kirche fern. Sie ist das Kind seiner verstorbenen Frau, einer Zigeunerin, die angeblich über Zauberkräfte verfügte. Der Knecht verfällt dem unschuldigen Kinde, doch als sie seine Avancen abweist, schwärzt er sie bei Reibedanz an. Sie füttert Ratten und hat diese erstaunlich gezähmt. So beginnt das Verhängnis.

Willy Seidel verfügt über eine besondere Sprache, die allein mit ihren Formulierungen Staunen und ein Gefühl für das Wunderbare schafft.

Artikel
Karin Reddemann "Die dunkle Muse"
Wieder ein mit zutiefst persönlichen Einsichten gespickter Text zum Horror und wie er funktioniert. Dabei werden wieder diverse Filme herangezogen und vorgestellt. Thema ist auch z.B. unser Freund der Hund.

Ein typischer "Reddemann". Wer sie kennt und liebt ist auch diesmal gut bedient.

Meine Gedanken
Mittlerweile liegt schon die 14. Ausgabe des Zwielicht Classic Magazins vor. Fast alle bekannten deutschsprachigen Kurzgeschichtenautoren der letzten 20 Jahre sind hier schon erschienen. Vincent Voss, Markus K. Korb, Arthur Gordon Wolf, Andreas Gruber, Torsten Scheib, Andreas Flögel, Michael Siefener, Tobias Bachmann, Malte S. Sembten, Vanessa Kaiser und Thomas Lohwasser, sie alle und noch viele andere haben sich die Ehre gegeben. So ist "Marshall Midnight" von Canker Driscoll und Uwe Voehl bereits die achte Geschichte des Jahrgangs 2008 die hier abgedruckt wird. Verdienstvoll ist aber auch der Abdruck älterer Stories aus deutschen Landen. Waren es in der letzten Ausgabe Franz Kafka, Friedrich Glauser und Willy Seidel, so sind es diesmal Glauser, Seidel und Gustav Meyrink. Der geneigte Leser stellt staunend fest, dass es nicht nur in der anglo-amerikanischen Tradition, sonden auch in deutschen Landen schon früher phantastische Autoren und Stoffe gegeben hat.

Mir hat Michael Schmidts Magazin wieder sehr gefallen. Für Freunde der Kurzgeschichte ist auch dieser Band absolut empfehlenswert. Mein besonderes Interesse haben die raffinierte Geschichte von Gustav Meyrink und Willy Seidel gefunden. An Meyrinks "Wie Dr. Hiob Paupersum seiner Tochter rote Rosen schenkte" gefallen mir die unvorhersehbaren Wendungen, an Willy Seidels "Das siebenköpfige Tier" die gekonnte Charakterisierung der vier Protagonisten und die einnehmende Sprache. Die neueren Geschichten lassen sich alle gut lesen, auch wenn Uwe Voehls "Kreationen in Samt und Seide" den Leser anfangs ein wenig vor Probleme stellt. Herauszuheben ist noch Juliana Annina Jorges "Symbiose", eine etwas andere Geschichte mit weiblicher Sicht.
Zwielicht Classic 14
Zwielicht Classic 14
Michael Schmidt (Hrsg.)
Cover: Oliver Pflug
201 Seiten
ISBN 9781729398876
Euro 9,90
Independently Published 2018

 

 

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