Wer kennt eigentlich Chuck Palahniuk? - »Adjustment Day - Tag der Abrechnung«
Wer kennt eigentlich Chuck Palahniuk?
»Adjustment Day - Tag der Abrechnung«
Ich will hier absolut offen zu sein, denn ich halte Fight Club für eines der wichtigsten Bücher der letzten 25 Jahre. Es ist roh, brutal und auch ehrlich. Für die Generation X ist das Buch das, was J.D: Salingers Der Fänger im Roggen für die Baby Boomer ist – in gleichen Teilen eine Standortbestimmung, wie auch ein Manifest.
Um Palahniuk wurde es nach Fight Club überraschend still und das, obwohl mit Choke – Der Simulant ein weiterer guter Roman des Autors verfilmt wurde und zahlreiche weitere Bücher publiziert wurden. Dann machte Palahniuk 2018 von sich reden, als er auf seiner Website veröffentlichte, dass er von einem Mitarbeiter seiner Agentur um eine große Summe Geld geprellt worden und nun quasi pleite sei. Manchmal verliert man und manchmal gewinnen halt die anderen…
Ich habe mir nun voller Freude Adjustment Day zur Brust genommen. Wie in Fight Club geht es letztlich um eine Revolution von unten nach oben. Dabei ist Adjustment Day aber im Gegensatz zu Fight Club eine Satire mit einem dystopischen Setting. Da wo Palahniuk bei seinem Vorgänger klar Stellung bezog, kokettiert er hier unter dem Deckmantel, dem ihm das Etikett Satire ermöglicht. Letztlich ist dieses Vorgehen nachvollziehbar, denn für Fight Club erntete Palahniuk nicht nur Beifall, gewisse Kommentatoren wollten in Film und Buch klar faschistoide Züge erkannt haben. Diese Vorwürfe kann er bei Adjustment Day aufgrund der streckenweise absurden Überzeichnung mit nur einem Augenzwinkern hinweg wischen – ist ja schließlich alles nur Spaß.
Worum geht es nun aber in Adjustment Day genau? Palahniuk widmet sich hier den von Hillary Clinton im letzten Präsidentschaftswahlkampf als Deplorables (auf dt. etwa: die Beklagenswerten) bezeichneten Massen, die den Erfolg von Donald Trump möglich gemacht haben. Anders als in der Wirklichkeit amtiert in den USA ein liberaler Präsident, als im Internet die Liste der Meistgehassten auftaucht. Jeder darf Menschen für diese Liste vorschlagen und wenn die betreffende Person innerhalb eines gewissen Zeitraums genug Stimmen auf sich versammelt, bleibt sie in der Liste. Schnell werden Politiker und andere Prominente in die Liste aufgenommen und sammeln viele Stimmen. Währenddessen entstehen im ganzen Land geheime Zellen, die sich auf den Tag X vorbereiten. Dann plötzlich verschwindet die Liste und damit werden die verteilten Stimmen eingefroren. Am nächsten Tag findet der Adjustment Day statt und die in Zellen organisierten Bedauernswerten richten unter den Personen auf der Liste ein Massaker an. Dabei bekommt der jeweilige Mörder eines Listenmitglieds exakt die Stimmen gutgeschrieben, die sein Opfer erzielt hat. Auf diese Weise soll eine neue Ordnung etabliert werden, die nur von den Menschen bestimmt wird, die selbst an der Ermordung der Elite beteiligt war.
Die ersten 50% von Adjustment Day lesen sich wie ein extrem spannender Politthriller, doch dann gleitet das Buch immer mehr ins Absurde und Satirische ab. Gleichzeitig krankt es auch dann daran, dass es keine festen Protagonisten hat, sondern dauernd zwischen zahlreichen Figuren hin und her springt. Diese liquide Art des Erzählens hat im ersten Teil der Spannung keinerlei Abbruch getan, da das Buch eben in unserer Welt spielte. Als diese Gesellschaftsordnung beseitigt war, schafft es Palahniuk aber nicht mehr, seine neue Welt so ganz vor den Augen des Lesers entstehen zu lassen. Er bemüht sich zwar, aber es gelingt ihm eben doch nicht so ganz. Der Spannungsbogen beginnt zu stagnieren, fällt dann zum Ende jedoch immer mehr ab und führt dann zu einem Ende in der vollkommenen Trivialität. Hier hätte ich mir vom Autor deutlich mehr Mut gewünscht, auch wenn das Buch auf diese Weise sicherlich für eine Verfilmung prädestiniert ist.
Trotz der geäußerten Kritik halte ich Adjustment Day für definitiv lesenswert. Es kommt zwar definitiv nicht an die besten Leistungen des Autors heran, bietet dem Leser aber sehr viele Dinge zum Nachdenken. Anfänglich wurden im Buch dann auch einige Erklärungen zu Fight Club abgegeben, die rückwirkend noch einige Fragezeichen aus dem Weg geräumt haben, was auch Adjustment Day eine zusätzliche Bedeutungsebene gibt. Das Highlight ist für mich übrigens Talbott Reynolds, der Bösewicht des Buchs. Seine zahlreichen Gastauftritte in den unterschiedlichen Erzählsträngen definieren wohl wie kein anderes Beispiel den Begriff des Running Gags auf nie dagewesene Weise. Was mich persönlich gestört hat, war die überbordende Darstellung von Gewalt, die mich immer wieder an Quentin Tarantinos Inglourious Basterds erinnerte. Wenn ich die Art der Darstellung benennen sollte, würde ich Gewaltporno dazu sagen.
Ein weitere Schwachpunkt sind die zahlreichen Charaktere, die für mich teils unsympathisch und teils völlig egal geblieben sind. Zu keiner Zeit fand ich auch nur eine Person interessant, oder habe gar mit ihr gefiebert. Aber vielleicht gehörte auch dies zum Konzept des Autors, damit er seine Dystopie ohne Vorwürfe der Parteinahme abliefern konnte.
Am Ende bleibt die Frage, ob ein solcher Adjustment Day auch in der Realität denkbar wäre. Ich denke, dass diese Gefahr tatsächlich besteht. Wir sollten gut überlegen, ob wir uns tatsächlich die vielzitierten Gräben in den westlichen Gesellschaften tatsächlich erlauben wollen und können. Die vermeintlich Bedauernswerten könnten ansonsten wirklich einmal eine „Liste“ erstellen. ..
Abschließend bleibe ich jedoch auch etwas ratlos zurück, aber das hat mit dem Inhalt von Adjustment Day zu tun, sondern mit dem völligen Ausbleiben eines jeglichen Medienechos zum Erscheinen des neuen Buches eines Bestsellerautors. Nur zur Erinnerung: Es ist nicht lange her, als gefühlt jedes zweite YouTube Video mit einem Spot von Giulia Enders eingeleitet wurde, in dem sie mit ihrer Kleinmädchenstimme fragte: „Wie geht eigentlich kacken?“ Weiterhin rissen sich Talkshows und andere Sendungen um einen Auftritt der adretten Autorin, damit diese dort ihren Bestseller präsentieren konnte. Aber wie wusste es Bill Clinton schon, als er George H.W. Bush aus dem Amt katapultierte? It´s the economy, stupid…
Adjustment Day - Tag der Abrechnung