Heyne Science Fiction Classics 30 - H. G. Wells
Die Heyne Science Fiction Classics
Folge 30: Herbert George Wells
Stern der Vernichtung
Science Fiction wurde bereits geschrieben, als es diese Gattungsbezeichnung noch nicht gab. Die beiden wichtigsten Schriftsteller des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, welche eindeutig als SF zu klassifizierende Werke verfasst haben, sind ohne Zweifel der Franzose Jules Verne und der Engländer Herbert George Wells. Es ist ein großes Manko der Heyne Science Fiction Classics, dass man in dieser Reihe kaum Spuren dieser beiden wichtigen Persönlichkeiten der SF-Geschichte findet. Jules Verne wurde komplett ignoriert, und H. G. Wells war nur mit einem schmalen Bändchen mit Kurzgeschichten vertreten.
Herbert George Wells (1866 – 1946) wurde in einem Londoner Vorort in eine Familie des unteren Mittelstands geboren. Er unternahm mehrere Versuche als Lehrling, ertrug sie aber nicht und gab wieder auf. Er bekam eine Anstellung als Hilfslehrer und bekam ein Stipendium, was ihm die Möglichkeit zu einem Studium der Physik, Chemie, Geologie, Astronomie und Biologie am Royal College of Science eröffnete. Er wurde Mitglied der Labour Party und machte erste schriftstellerische Gehversuche parallel zum Studium. Mit seiner Novelle The Time Machine (dt.: Die Zeitmaschine) wurde Wells zu einem Vorreiter der Science Fiction-Literatur. In rascher Folge kamen weitere utopische Romane wie The Island of Dr. Moreau (dt: Die Insel des Dr. Moreau), The Invisible Man (dt.: Der Unsichtbare), The War of the Worlds (dt.: Der Krieg der Welten), When the Sleeper Wakes (dt: Wenn der Schläfer erwacht), First Men in the Moon (dt.: Die ersten Menschen auf dem Mond), The War in the Air (dt.: Der Luftkrieg), The Food of the Gods (dt. Die Riesen kommen), The World Set Free (dt. Befreite Welt), Men Like Golds (dt. Menschen, Göttern gleich) und eine große Anzahl von Erzählungen heraus, die Wells Ruhm als SF-Klassiker begründeten. Mehrere seiner Werke wurden verfilmt. Wells schrieb aber auch realistisch-sozialkritische Romane. Er war Sozialist und blieb immer der Arbeiterklasse verbunden. Dem Stalinismus stand er aber ablehnend gegenüber. Wells war Anhänger der Evolutionstheorie und lehnte das Christentum ab. Er publizierte in späteren Jahren haupsächlich politische Schriften, gab mit A Short History of the World (dt.: Die Geschichte unserer Welt) aber auch ein Geschichtsbuch heraus. Sein Buch The Shape of Things to Come setzte die Geschichte fiktiv bis ins 22. Jahrhundert fort.
Im Heyne-Verlag erschienen in der Allgemeinen Reihe die Kurzgeschichtensammlung Stern der Vernichtung und der Roman Die Insel des Dr. Moreau. Stern der Vernichtung wurde 1977 in der Reihe der Heyne Science Fiction Classics nachgedruckt. Hier ist die Übersicht über die in diesem Band enthaltenen Geschichten:
Lord der Dynamos: James Holroyd ist Hauptwärter der drei Dynamos, die in Camberwell die elektrische Straßenbahn mit Strom versorgen. Es hat einen Gehilfen, den Afrikaner Azuma-Zi, der beinahe noch ein Wilder ist und die Dynamos in scheuer Verehrung betrachtet, fast wie seine Naturgötter. Besonders der große Dynamo hat es Azuma-Zi angetan, und Holroyd verstärkt unwissentlich die Anbetungsgedanken seines Helfers, indem er ihm von der Kraft des Geräts erzählt. Insgeheim nennt der Gehilfe das große Aggregat Lord der Dynamos, die beiden kleineren aber verachtet er. Als Holroyd draufkommt, dass sein Helfer den Dynamo anbetet, verprügelt er ihn. Es kommt zu einem Zweikampf, der für Holroyd fatal endet. Der Strom fällt aus, und als nachgesehen wird, was im Dynamohäuschen los ist, werden die entstellten Überreste Holroyds am großen Dynamo hängend gefunden. Der Diener, der nur gebrochen Englisch kann, äußert sich kaum verständlich, und so wird ein Selbstmord seines Vorgesetzten vermutet. Aber Azumi-Zu weiß, dass er dem Gott ein Opfer dargebracht hat. Ist der Gott noch immer hungrig? Das nächste Opfer könnte der Direktor sein, der die Stromversorgung wieder in Gang bringen möchte. Dieser lässt sich aber im Ringkampf nicht unterkriegen, und Azuma-Zi flüchtet hilfesuchend zu seinem Gott und umfasst die beiden Polklemmen. Dem Direktor wird nun klar, was mit Holroyd wirklich passiert ist, und die Verehrung des Dynamo-Gottes, die kurzlebigste aller Religionen, hat ihr Ende gefunden.
Der Wohltäter: Edward Eden, ein Student mit kleiner Brieftasche, zieht scheinbar das große Los. Er macht Bekanntschaft mit Mr. Elvesham, einem reichen alten Mann, der krank ist, nicht mehr lang zu leben hat und einen Erben sucht, weil er selbst keine nahen Verwandten hat. Eden ist der Auserwählte, er wundert sich aber, dass es für Elvesham so wichtig ist, dass er vollkommen gesund an Geist und Körper ist. Elvesham lässt dies auch durch durch ärztliche Kapazitäten untersuchen, bevor er Eden als Erben einsetzt. Es ist alles in Ordnung, und der Alte lädt seinen Günstling ein, mit ihm zusammen seine Anerkennung als Erbe zu feiern. Nachdem Elvesham Eden ein Pulver in das Getränk geschüttet hat, fängt sich bei diesem der Kopf zu drehen an. Als Eden erwacht, stellt er fest, dass er sich woanders befindet. Er fühlt sich schlecht und entdeckt mit Grauen, dass sein Körper schwach und hinfällig ist. Mit Grauen erkennt er, dass das Pulver einen Körpertausch bewirkt hat und Elvesham ihn nur dazu benutzt hat, um in seinem jungen Körper weiterzuleben. Niemand glaubt seinen Beteuerungen. Der scheinbare Mr. Elvesham ist komplett mittellos, weil er alles Eden hinterlassen hat. Bald stirbt er im Bewusstsein, dass der echte Elvesham das Geheimnis der Unsterblichkeit gelöst und ihn um sein restliches Leben betrogen hat. Doch dieser kann sich nur kurz seines neuen Körpers erfreuen, denn im Überschwang seiner neuen Stärke ist er beim Überqueren der Straße unachtsam und wird von einem Auto überfahren.
Das Kristall-Ei: In der Auslage des Anitquitätengeschäfts von C. Cave liegt ein merkwürdiges Ei aus Kristall. Zwei Passanten entdeckten die Rarität, treten ein und wollen sie kaufen. Cave verlangt einen hohen Preis, den die beiden aber akzeptieren. Der Händler wird nervös und gibt vor, dass er das seltene Stück jetzt noch nicht hergeben kann, weil er noch jemand anderem im Wort ist. Seine Gattin ist wütend, denn sie würde den großen Umsatz gern einstreifen, und es kommt zu einem Streit. Aber Cave gibt nicht nach und vertröstet die Kunden auf später. Dann verschwindet das Ei unerklärlicherweise aus dem Geschäft. Cave gibt sich ahnungslos, er hat es aber einem Bekannten zur Untersuchung anvertraut. Mr. Wace, der sich des Eis annimmt, entdeckt, dass er in ihm eine seltsame Landschaft sehen kann, ähnlich wie in einem Film. Doch die Landschaft ist fremd und auch die fliegenden Lebewesen, die zu sehen sind. Ist es ein Blick in eine andere Welt? Wace entdeckt mehrere Masten, auf denen sich ähnliche Kristalle befinden wie der, durch den er schaut. Die Flugwesen fliegen immer wieder zu den Eiern hinauf und schauen hinein. Wace gewinnt die Gewissheit, dass er die Oberfläche des Mars sehen kann und dass die Marsbewohner ein Ei auf der Erde platziert haben, um Vorgänge auf dem Nachbarplaneten beobachten zu können. Mr. Cave nimmt den Kristall wieder nach Hause. Als Wace sich nach einigen Wochen wieder mit ihm treffen will, erfährt er, dass der alte Antiquar verstorben ist und dass seine Angehörigen das Ei verkauft haben. Vergebens versucht Wace herauszufinden, in wessen Händen es sich jetzt befindet, doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass bald wieder ein Kristall-Ei entdeckt wird.
Stern der Vernichtung: Es herrscht große Aufregung bei den Astronomen, als entdeckt wird, dass die Bahn des Planeten Neptun unregelmäßig geworden ist. Ein neu entdeckter Himmelskörper nähert sich aus den Tiefen des Alls, kollidiert mit Neptun und der zusammengeschmolzene Körper stürzt weiter in das innere Sonnensystem Richtung Erde. Bald kann der neue Stern auch mit freiem Auge beobachtet werden. Durch die Gravitationskräfte Jupiters abgelenkt nähert sich der Himmelskörper immer weiter der Erdbahn. Kommt es zum Zusammenstoß? Nein, glücklicherweise nicht, aber es gibt schwere Verwüstungen auf der Erde. Schnee und Eis schmilzt, es gibt verheerende Flutwellen, Vulkane brechen aus, Wolkenbrüche stürzen herab. Die Erdbeben halten monatelang an. Millionen von Menschen und Tieren verlieren ihr Leben. Doch der Stern zieht weiter, die Erde hat überlebt, wenngleich sie sich jetzt auf einer etwas engeren Bahn um die Sonne bewegt und deswegen ein heißeres Klima bekommen hat. Die Mars-Astronomen, welche mit Interesse die Vorgänge auf der Erde beobachtet haben, ziehen das Resümee, dass die Erde gar nicht so schlimme Beschädigungen erlitten hat, nur die Polkappen sind etwas zusammengeschmolzen.
Der Mann, der Wunder vollbringen konnte: In einer Bar wird über die Möglichkeit diskutiert, ob es Wunder geben könnte. George Fotheringay ereifert sich. Er sagt, dass nach den Naturgesetzen beispielsweise die Lampe da nicht kopfstehen und gleichzeitig weiterbrennen könnte, gibt ihr aber den Befehl, das zu tun. Flugs dreht sich die Lampe um und brennt weiter – ein Wunder! Fothingeray ist entsetzt und geht nach Hause. War er wirklich der Urheber des seltsamen Geschehens? Er macht Experimente und stellt fest, dass er tatsächlich Wunder vollbringen kann. In seiner Verwirrung und Not vertraut er sich Mr. Maydid an, einem Geistlichen. Dieser überzeugt sich von den Fähigkeiten Fothingerays und entwickelt Pläne, wie durch Wunscherfüllung das Leben der Menschen besser werden kann. Allerdings hat das Wunderwirken auch seine Tücken, und so gibt es unbeabsichtigte Nebenwirkungen, die durch weitere Wunder wieder aufgehoben werden müssen. Maydid hat die geniale Idee, die Erdumdrehung anzuhalten, damit die Zeit stillsteht und man vor dem Abendessen noch etliche wichtige Wunder erzeugen kann. Doch wehe, es bleibt nur die Erde stehen, aber alles andere auf ihr bewegt sich weiter. Ein gewaltiger Sturm bläst, die Stadt hat sich losgerissen, jedes lebende Geschöpf, ob Mensch oder Baum, ist zerschmettert. Fothingeray denkt nach und äußert einen letzten Wunsch. Es möge alles ungeschehen werden, seine Fähigkeit verschwinden und die Zeit zur Stelle im Pub zurückgedreht werden, wo er mit Zechgenossen über Wunder diskutierte. Das Wunder geschieht, es gibt keine Wunder, weil sie im Widerspruch zu den Naturgesetzen sind ...
Der Zauberladen: Gip und sein Vater sind schon einige Male am Zauberladen vorbeigekommen, als es dem Jungen endlich gelingt, Papa zum Eintreten zu überzeugen. Der Besitzer des Geschäfts führt etliche verblüffende Kunststücke mit seinen Zauberutensilien vor und weist darauf hin, dass hier ja der echte Zauberladen sei. Gip ist begeistert, Vater bleibt skeptisch, ob das das Richtige ist. Als der Zauberer eine Trommel über Gip stülpt und sie wieder weghebt, ist der Junge verschwunden. Der Vater ist wütend und ängstlich. Er greift nach dem Ladenbesitzer, aber ins Leere, springt ihm nach und landet auf der Straße. Dort steht Gip mit vier Päckchen unter dem Arm. Das Geschäft aber ist verschwunden. Vater hat ein ungutes Gefühl, denn sie haben ja noch nicht bezahlt, und er hinterlässt ungern Schulden. Doch die Leute können ihnen ja die Rechnung schicken, Gip hat die Adresse hinterlassen.
Der neue Beschleuniger: Professor Gibberne hat eine Droge entwickelt, die den menschlichen Metabolismus auf ein Vielfaches beschleunigen kann. Zusammen mit einem Nachbarn startet er Testversuche. Und tatsächlich, alles um die zwei herum scheint fast stillzustehen, denn der Beschleunigungsfaktor ist mehr als tausendfach. Doch Vorsicht bei Bewegungen! Durch die Schnelligkeit entsteht enorme Reibungshitze, die Kleidung ist nahe daran in Brand zu geraten. Es ist also äußerst wichtig, den neuen Beschleuniger mit Bedacht zu verwenden. Er wird auch nur in Apotheken und Drogerien zu kaufen sein. Natürlich wird es auch Missbrauchsmöglichkeiten geben, beispielsweise Einbruchdiebstähle unter der Wirkung des Beschleunigers. Aber egal, darum soll sich dann eben der Gesetzgeber kümmern. Man wird schon sehen, welche Folgen durch die Markteinführung des neuen Beschleuniges entstehen werden.
Von Tagen, die da kommen... : Mr. Mwres hat Sorgen, denn seine achtzehnjährige Tochter will partout nicht den von ihm ausgesuchten Freund, den wohlhabenden Mr. Bindon, als künftigen Ehemann akzeptieren. Stattdessen treibt sie sich mit einem kleinen Angestellten herum, einem exzentrischen jungen Mann mit dichterischen Ambitionen. Elizabeth und Denton senden einander romantische Gedichte. Doch eines Tages meldet sich Elizabeth nicht mehr, der verzweifelte Denton hat ihre Adresse nicht und sucht lange vergeblich in der Vierzigmillionenstadt London. Als er sie endlich findet, erkennt sie ihn nicht. Sie behauptet, sie sei ihm noch nie begegnet, hat aber Qual im Gesicht stehen. Er geht zu einem Hypnotiseur, denn er will nur noch vergessen. Dieser erzählt ihm, dass er für einen Klienten kürzlich das Gedächtnis seiner Tochter manipuliert habe. Denton erkennt, dass der Hypnotiseur seine Elizabeth behandelt hat und zwingt ihn unter Gewaltandrohung, die Manipulation rückgängig zu machen. So gewinnt er seine Geliebte wieder, aber um den Preis, dass ihr der Vater die Unterstützung entzieht und sie erst mit der Volljährigkeit in drei Jahren auf ihr Vermögen zurückgreifen kann. Denton hat wegen der Suche nach der Geliebten seine Stellung aufgegeben und ist bereits knapp bei Kasse. So beschließen die beiden in ihrer Romantik, aufs Land zu ziehen, welches mittlerweile fast komplett entvölkert ist, denn im zweiundzwanzigsten Jahrhundert leben fast alle Menschen in den Städten. Die reichen Leute leben in den oberen Stockwerken der Wolkenkratzer, die Arbeiter in den Erd- und Kellergeschossen. Die Liebenden wandern hinaus aufs Land, neugierig betrachtet von Fahrern der an ihnen auf den riesigen Straßen vorbeirasenden Fahrzeuge, denn niemand sonst geht hier zu Fuß. Sie finden ein altes verlassenes Haus, werden aber bald mit der Realität konfrontiert, als ein Sturzbach bei einem Gewitter durch das undichte Dach strömt und sie dann von einer Meute wilder Hunde angegriffen werden. Sie kehren ernüchtert in die Stadt zurück. Nachdem Denton Elizabeth eröffnet, dass sie wegen ihres Erbes einen Kredit aufnehmen kann, leben sie einige Zeit davon. Die beiden bekommen eine kleine Tochter. Doch die Bedingungen des Kredits sind ungünstig, und bald ist das Geld verbraucht. Letzten Endes müssen sich die beiden bei der Arbeitsgesellschaft melden, ihre Tochter in ein Heim geben und eine niedrige Arbeit annehmen. Denton bekommt es mit Kollegen aus der Arbeiterklasse zu tun, die er bisher ignoriert hatte:
Jetzt arbeitete er in einem langen, gewölbten Raum mit anderen Männern zusammen, die meist geborene Arbeitssklaven waren. Er fand sich nur zögernd in den Umgang mit ihnen. Bis sein Mißgeschick ihn in diese Kleidung gezwungen, hatte er nie im Leben mit den blassen Leuten in der blauen Leinwand gesprochen – höchstens, wenn er ihnen Befehle gab. Nun kam er in enge Fühlung mit ihnen, mußte neben ihnen arbeiten, ihre Werkzeuge mitbenutzen, mit ihnen zusammen essen. Er und Elizabeth erblickten darin eine weitere Entwürdigung.
Seine Ansicht wäre einem Menschen des neunzehnten Jahrhunderts übertrieben vorgekommen. Aber seitdem hatte sich die Kluft zwischen den Arbeitern und den oberen Klassen immer mehr erweitert. Der Unterschied lag nicht nur in den Umständen und Lebensgewohnheiten, sondern auch im Denken und Sprechen. Die Menschen oben hatten eine eigene Art zu denken, eine >Kultur<-Sprache, die nach größerer Würde strebte und den Abstand zwischen ihnen und dem >Pöbel< vergrößerte. Überdies hielt kein Band eines gemeinsamen Glaubens die Menschen mehr zusammen. Und trotz ihrer Vorliebe für die Vergangenheit waren Elizabeth und Denton nicht eigenwillig genug, um sich den Ansichten ihrer Umgebung entziehen zu können. Sie hatten sich ebenso benommen wie alle anderen Menschen ihrer Klasse, und als sie unter die Arbeitssklaven gerieten, kam es ihnen vor, als ob sie unter widerwärtige Tiere fielen.
(Zitiert aus: H. G. Wells: Von Tagen, die da kommen...; in: Stern der Vernichtung, München 1977, Heyne SF 3550, S. 131)
Nachdem Denton kein Essenspäckchen mithat, bietet ihm ein hilfsbereiter Kollege einen Imbiss an, aber der arrogante Denton lehnt ab. Dafür bekommt er eine Tracht Prügel. Die beiden Streithähne freunden sich aber anschließend an, und Denton erhält von seinem neuen Freund Blunt Unterricht im Ring- und Boxkampf, um bei künftigen Raufereien nicht nur Schlachtvieh zu sein.
Denton und Elizabeth sind am Boden zerstört, als sie erfahren, dass ihr kleines Kind an einer Krankheit gestorben sind. Sie sind ganz unten angekommen. Er denkt daran, Elizabeths Vater um Hilfe zu bitten. Doch diese kommt von unerwarteter Stelle. Mr. Bindon, der verschmähte Bräutigam, sinnt eigentlich auf Rache und möchte erreichen, dass sich Elizabeth von Denton scheiden lässt und zu ihm zieht. Er muss aber von Schmerzen geplagt einen Arzt aufsuchen und erfährt, dass er eine tödliche Krankheit hat und nur noch kurze Zeit leben wird. Er sucht die Erlösung bei einer Euthanasiegesellschaft und vermacht Elizabeth sein Vermögen. Die beiden sind gerettet, die schweren Zeiten hinter ihnen kommen ihnen nur noch wie ein böser Traum vor.
Diese Geschichte ist die mit Abstand umfangreichste der Sammlung, sie nimmt fast die Hälfte des Umfangs ein. Und sie ist für mich auch die beeindruckendste. Obgleich es sich um einen Blick in die Zukunft handelt, zeigt die Erzählung mit bedrückender Klarheit das zur Lebenszeit von Wells und wohl auch noch heute existierende Klassensystem in Großbritannien, das beim befremdeten Mitteleuropäer beinahe den Anschein erweckt, als hätte man es mit zwei verschiedenen Spezies zu tun. In seiner berühmten Erzählung Die Zeitmaschine treibt Wells diese Polarisierung auf die Spitze, als sich in der einer zukünftigen Welt die Menschheit tatsächlich zwei unterschiedliche Arten, die Eloi und die Morlocks, aufgespalten hat. Dass die Morlocks für die unterdrückte Arbeiterschaft stehen, wird erst nach und nach klar. Die Geschichte mit dem Originaltitel The Story of Days to Come sollte nicht mit The Shape of Things to Come verwechselt werden, einem fiktionalen Geschichtsbuch aus dem Jahr 2106, das die Entwicklung auf der Erde von den neunzehnhundertdreißiger Jahren bis zu diesem Datum schildert.
Die Ausgabe in den Heyne Science Fiction Classics war ein unveränderter Nachdruck der bereits einige Jahre vorher in der Allgemeinen Reihe des Heyne Verlags erschienenen Kurzgeschichtensammlung mit neuem Titelbild und der Aufmachung der Classics-Reihe. An einem Nachdruck ist ja prinzipiell nichts auszusetzen. Allerdings ist dies in diesem Fall teilweise Etikettenschwindel, denn zwei der Geschichten sind klar als Fantasy zu klassifizieren und eine Geschichte (Lord der Dynamos) hat überhaupt nichts Phantastisches (außer wahrscheinlich in der Fantasie des armen Schwarzen). Nicht umsonst war der englische Originaltitel des Bandes Best Stories of H. G. Wells und nicht Best SF-Stories of H. G. Wells. Noch schwerer wiegt, dass die Hälfte der Geschichten der englischsprachigen Originalausgabe dieser Sammlung in der deutschen Ausgabe weggelassen wurde.
Obwohl der Heyne-Verlag also mit Wells-Ausgaben nicht punkten konnte, waren drei andere Verlage in den siebziger und achtziger Jahren diesbezüglich recht rührig. Der Schweizer Diogenes-Verlag veröffentlichte in seiner Taschenbuchreihe detebe die klassischen Romane Der Unsichtbare, Der Krieg der Welten und Die Zeitmaschine sowie die Kurzgeschichtensammlung Das Land der Blinden, die teilweise Überschneidungen mit der in der Heyne-Taschenbuchreihe präsentierten Sammlung aufwies. Der Paul Zsolnay-Verlag brachte in seiner von Franz Rottensteiner herausgegebenen empfehlenswerten Reihe Die phantastischen Romane die beiden Titel Die Insel des Doktor Moreau und Wenn der Schläfer erwacht. Dann wurde bei Zsolnay eine eigene H. G. Wells-Edition ausgekoppelt, die 18 Bände erreichte und nicht nur Phantastisches präsentierte, sondern auch einiges an Mainstreamliteratur des Autors. Der Ullstein-Verlag druckte diese Edition anschließend in einer schönen Taschenbuchausgabe nach. Aus jüngster Zeit ist zu vermelden, dass Joachim Körber in seiner Edition Phantasia einige Wells-Bände als Liebhaberausgaben in kleiner Auflage herausgebracht hat. Zuletzt wurde für 2020 der Band Ein modernes Utopia angekündigt. Der Science Fiction-Klassiker H. G. Wells hat uns also auch noch im 21. Jahrhundert einiges zu sagen.
Anmerkung:
Es werden die deutsche Erstausgabe, die Ausgabe in den Heyne Science Fiction Classics sowie die Originalausgabe des Werks angeführt.
1964
Anmerkung:
Nur die mit einem Sternchen markierten Geschichten wurden in die deutschsprachige Ausgabe aufgenommen. Die Zahlen in Klammern geben das Jahr der Erstveröffentlichung der jeweiligen Geschichte an.
Kommentare
Diogenes dagegen kam dann sukzessive in den Siebzigern mit vielen weiteren ungekürzten Ausgaben als detebe-Taschenbücher auf den Markt. Diese bilden den Großteil meiner Verne-Sammlung. Da hätte Heyne vorher längst einige Bände bringen können, wenn man gewollt hätte. Mir macht das nichts aus, denn meine detebe-TBs sind ja sehr schön. Aber bei den SF Classics hätte der eine oder andere Band schon hineingepasst.