Heyne Science Fiction Classics 45 - Fred Allhoff
Die Heyne Science Fiction Classics
Folge 45: Fred Allhoff
Blitzkrieg. Die Nazi-Invasion in Amerika
Nach dem siegreich bestandenen Ersten Weltkrieg kehrten die USA zu ihrer Politik des Isolationismus zurück und lehnten einen Beitritt zum Völkerbund ab. Die früheren Kriegsgegner standen sich nach dem Krieg nach wie vor misstrauisch gegenüber, die Friedensschlüsse von Versailles, St. Germain und Trianon wurden von den Kriegsverlierern Deutschland, Österreich und Ungarn als Diktat- und Schandfrieden betrachtet. Zarte Annäherungen wie die Verträge von Locarno hatten nur kurzfristige Wirkungen. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 stürzte Millionen von Menschen in große Not und war neben den Revanchegefühlen einer der Hauptgründe für den unaufhaltsamen Aufstieg der Nazis, der in der Machtübenahme 1933 einen ersten Höhepunkt erlebte und die Entwicklung in Richtung eines neuen Krieges trieb. Hitler gelang es, mit der Heimholung des Saarlandes, dem Anschluss Österreichs und des Sudetenlandes eine nationale Begeisterung zu erzeugen, denn endlich war der Großteil der Menschen deutscher Zunge in einem Reich vereint. Aber mit der Besetzung der Resttschechei überspannte er den Bogen. Großbritannien gab seine Appeasementpolitik auf und gab zusammen mit Frankreich eine Garantieerklärung für Polen ab, auf das der Diktator seine nächsten begehrlichen Blicke richtete. Der Überfall auf Polen am 1. September 1939 leitete den Zweiten Weltkrieg ein. Ein großer Teil der Amerikaner war aber nach wie vor der Meinung, dass die Teilnahme am Ersten Weltkrieg ein Fehler gewesen sei. Europa sei nun einmal ein kriegerischer Kontinent mit in auf Ewigkeit zerstrittenen Völkern. Man wollte nur in den Krieg eintreten, falls Amerika direkt angegriffen würde. Der Kongress hatte bereits vor Kriegsbeginn ein Neutralitätsgesetz erlassen, das Handels- und Reiseaktivitäten zu kriegführenden Nationen untersagte. Damit spielte man zu Kriegsanfang Hitler in die Hände, denn jetzt konnte er frei agieren. Polen war das nur erste Opfer der Aggression. Im Frühjahr 1940 besiegten die Nazis in einem weiteren Blitzkrieg Frankreich, im Sommer begann die Luftschlacht um England.
Zwischen 24. August und 16. November 1940 erschien im Magazin Liberty in dreizehn Teilen der Roman Lightning in the Night des Journalisten Fred Allhoff (1904 – 1988). Es war das einzige uotpische Werk des Autors. Der Roman schildert eine Geschichte, in der wenige Jahre später die siegreichen Nazis ihre Hände nach Amerika ausstrecken. Das Echo auf die Veröffentlichung war überwältigend und trug dazu bei, dass sich in den USA die Stimmung in Richtung einer Intervention zu drehen begann und verstärkt für die zu erwartende Auseinandersetzung aufgerüstet wurde.
Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Die Briten unterzeichnen einen Friedensvertrag mit den Nazis und übergeben ihnen ihre Kolonien, um noch nicht zerstörte Städte zu retten. Auch frühere niederländische, dänische und belgische Kolonien fallen an Deutschland. Kanada hat sich zur Republik erklärt. Neufundland und Labrador sind als weitere frühere britische Kolonien Gegenstand von Verhandlungen zwischen dem Dritten Reich und Kanada. Auch Südafrika ist jetzt deutsche Kolonie, Indien dagegen wieder in eine Unzahl von Kleinstaaten zerfallen. Italien, Kriegsverbündeter der Nazis, ist nach einer beispiellosen Intrige Hitlers unter deutsche Herrschaft gefallen. Mussolini ist im Exil auf den Azoren und hält dort Brandreden auf Italienisch. Die portugiesischen Bauern verstehen kein Wort seiner Tiraden, haben aber sehr wohl kapiert, dass er nicht mehr zurechnungsfähig ist. Brasilien, das unter einem totalitären Regime steht, hat einen umfassenden Handelsvertrag mit Nazideutschland abgeschlossen. Auf Jamaica entdeckt ein amerikanischer Tourist eine geheime deutsche Marine- und Luftwaffenbasis, die sich in unmittelbarer Nähe zu den USA befindet. Die deutsche Botschaft bezeichnet die Aufnahmen als plumpe Fälschungen. In Mexiko bringt ein Putsch ein deutschfreundliches Regime an die Macht. Nach blutigen Auseinandersetzungen in Neufundland und Labrador gibt die kanadische Regierung klein bei und überlässt die beiden Gebiete ohne weiteren Widerstand dem Deutschen Reich. Die Nazis sind endgültig in Nordamerika angelangt. Mexikansiche Truppen überschreiten die Grenze, Houston wird „irrtümlich“ bombardiert. Das Jahr 1945 bringt einen Wendepunkt im Kampf um die Weltherrschaft.
Die weiteren Ereignisse werden aus der Perspektive des Amerikaners Douglas Norton geschildert, der einen Luftangriff der Japaner auf Hawaii, mit dem sie in den Krieg gegen die USA eintreten, übersteht und sich in die junge Peggy O'Liam verliebt. Die USA erklären den Japanern und den mit ihnen verbündeten Russen den Krieg. Trotz der Bedrohung durch diese beiden Mächte wollen die Amerikaner einen Teil ihrer Pazifik-Kriegsflotte in den Atlantik übersetzen, um gegen einen Angriff der Deutschen gerüstet zu sein. Die Nazis besetzen aber den Panamakanal, damit muss die Flotte den weiten Weg rund um Südamerika und um Kap Hoorn antreten. Hitler fordert von den USA sofortige und vollständige Abrüstung und die bedingungslose Zustimmung zu den deutschen Wirtschaftsplänen. Seine Drohungen sind beispiellos:
„Wenn Sie sich für den Krieg entscheiden, dann wird dieser letzte Krieg des Großdeutschen Imperiums ein Krieg ohne Gesetze und ohne Gnade werden, ein Vernichtungskrieg. Es wird keine offenen Städte geben, keine Zuflucht für Männer, Frauen und Kinder. Einer ihrer Generäle hat festgestellt, daß der größte Fehler der Alliierten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs darin bestand, Deutschland nicht so vollständig zerschlagen zu haben, daß es sich nie wieder erheben konnte. Deutschland hat sich wieder erhoben, und es wird diesen Fehler nicht begehen. Amerika steht jetzt vor der Wahl, den Frieden anzunehmen, der sich ihm bietet – oder für immer vernichtet zu werden.“
(Zitiert aus: Fred Allhoff. Blitzkrieg. Die Nazi-Invasion in Amerika. München 1984, Heyne SF 4054, S. 94)
Die Amerikaner lehnen Hitlers „Friedensangebot“ ab. Die Nazi-Invasion beginnt. Norton wird als Kriegsberichterstatter verpflichtet, um mit seinen Report die Kampfbereitschaft in der Bevölkerung zu stärken und somit einen Beitrag zur geistigen Landesverteidigung zu leisten. Die Feinde rücken an allen Fronten vor. Douglas' Freundin Peggy, die ausgebildete Fliegerin ist, gelingt es, die amerikanische Pazifikflotte vor einer Falle der Feinde zu warnen und sie damit vor der Vernichtung zu retten. Aber die Russen und Japaner landen an der Pazifikküste und rücken im Westen der USA vor, während die Mexikaner in ihre früheren Gebiete im Südwesten einmarschieren. Im Osten fallen deutsche Bomben auf die Städte. Manhattan geht unter, Washington fällt, die amerikanische Regierung muss in eine provisorische Hauptstadt umziehen. Aber die Verteidigungsbereitschaft der Bevölkerung wächst. Jeder Zoll amerikanischen Bodens wird verteidigt. Der Blutzoll ist hoch. Viel hätte man sich ersparen können, wenn man sich früher in einen verteidigungsfähigen Zustand versetzt hätte. Peggy wird von den Deutschen gefangen und kommt in das erste Konzentationslager auf amerikanischem Boden. In einer tollkühnen Kommandoaktion gelingt es Douglas zusammen mit einem Stoßtrupp, seine Freundin zu befreien. Das U-Boot, das die Aktion ermöglicht und unterstützt hat, geht aber mitsamt der gesamten Besatzung verloren, nachdem es einen Riesenschaden in einer deutschen Marinebasis an der Ostküste verursacht hat. Die amerikanische Kriegsflotte hat in der Zwischenzeit endlich den Atlantik erreicht und liefert der deutschen Marine eine verlustreiche Schlacht. Aber die Übermacht der Deutschen ist riesig, zumal die Schiffe auch von einer gewaltigen Luftarmada angegriffen werden.
Die Lage sieht für Amerika also nicht gerade erfreulich aus. Außerdem verstärken sich Gerüchte, dass die Nazis an einer Geheimwaffe arbeiten. Am 24. Dezember 1945 landet Hitler mitsamt seinen wichtigsten Mitarbeitern in Amerika. Er nimmt Verhandlungen mit der amerikanischen Führung auf und stellt ein niederschmetterndes Ultimatum. Die Deutschen haben die Möglichkeit gefunden, mittels Uran eine atomare Kettenreaktion zu erzeugen. Binnen eines Monats sind sie in der Lage, Bomben mit bisher unvorstellbarer Vernichtungskraft zu erzeugen und mit diesen die USA vollständig zu vernichten. Das Deutsche Reich ist bereit, Frieden zu schließen, wenn die Amerikaner sofort die von Hitler aufgesetzte Waffenstillstandsvereinbarung unterzeichnen.
Dann lassen aber die Amerikaner im wahrsten Sinn ihre Bombe platzen:
„Jetzt erklären Sie, Gentlemen, daß Sie das Rätsel des U-235 gelöst hätten, daß Sie in einem Monat die Großproduktion dieses Stoffes anlaufen lassen könnten. Ich werde Sie nicht nach Beweisen für diese Behauptung fragen. Ich gestehe Ihnen hier und jetzt die Fähigkeit und die Möglichkeit zu, eine Waffe zu konstruieren, die Sie notwendigerweise jeder anderen Nation dieser Erde überlegen macht.
Das gestehe ich Ihnen zu.
Aber gleichzeitig möchte ich Ihnen – Ihnen allein – mitteilen, daß Sie zu spät dran sind.
Wie Sie vorhin feststellten, sind Sie in etwa einem Monat so weit, diese Waffe einzusetzen und uns zu zerstören. Das ist ein Monat zu viel! Falls Sie uns nicht sofort, an diesem Nachmittag, zerstören können, haben Sie das Spiel verloren. Denn dieses Land produziert schon seit drei Wochen U-235.
Und während wir hier um den Verhandlungstisch sitzen, fliegen Bomber, die mit Spezialtanks ausgerüstet sind, über den Atlantik. Jede dieser Maschinen fliegt eine deutsche Stadt an, und die totale Zerstörung, die ihre Bomben anrichten, wird nicht nur Ihre Städte, sondern auch Ihr Volk vernichten.
Ich sagte vorhin, daß heute Nachmittag in diesem Raum ein Diktatfrieden unterzeichnet werden wird. Sie werden ihn unterzeichnen, Gentlemen, wenn Sie verhindern wollen, daß aus Deutschland ein Schlachtfeld wird. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.“
(Zitiert aus: Fred Allhoff. Blitzkrieg. Die Nazi-Invasion in Amerika. München 1984, Heyne SF 4054, S. 247)
Hitler verweigert, auf die Kapitulationsbedingungen einzugehen, zumal er auch niemals nach Deutschland zurückkehren dürfte, sondern im Gewahrsam der Amerikaner verbliebe. Die Deutschen erhalten eine kurze Frist, um sich zu entscheiden. Kurz darauf kracht ein Schuss, Hitler ist tot. Es wird nie offengelegt, ob der Selbstmord begangen hat oder ob ihn seine Marschälle wegen seiner Weigerung zu kapitulieren hingerichtet haben. Nachdem ein amerikanischer Bomber eine Atombombe in die menschenleere russische Steppe abwirft, kapitulieren auch die Russen und die Japaner. Der Krieg ist zu Ende.
Lightning in the Night hat sicher einen Beitrag dazu geleistet, dass die Stimmung in den USA umschlug und der Eintritt in den sich anbahnenden Weltkrieg vorangetrieben wurde. Dem Roman das Hauptverdienst dafür zuzuschreiben, wäre natürlich weit übertrieben. Der unmittelbare Anlass für den Kriegseintritt der Amerikaner war natürlich der Angriff der Japaner auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 und die fast unmittelbar darauf am 11. Dezember folgenden Kriegserklärungen Deutschlands und Italiens gegen die USA. Trotzdem hat der Roman wegen der historischen Konstellation Bedeutung und ist durchaus als klassischer Science Fiction-Roman anzusehen, der als Schilderung einer unerwünschten Zukunft unter der Devise „Self destroying prophecy“ Einfluss auf die geschichtliche Entwicklung genommen hat.
Abschließend sei noch der Vollständigkeit halber erwähnt, dass wie bei dem in der letzten Woche vorgestellten Menschen zwischen den Planeten von Franz L. Neher das Buch die normale Titelbildaufmachung der Heyne SF hat, aber auf der Titelseite im Inneren die Titelergänzung „Klassischer Science Fiction-Roman“. Deswegen habe ich ihn ebenfalls in meine Zählung der Heyne Science Fiction Classics aufgenommen.
Anmerkung:
Es werden die Ausgabe in den Heyne Science Fiction Classics sowie die Originalausgabe des Werks angeführt.
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