Wölfe gibt es nicht nur auf vier Pfoten, sondern auch auf zwei Beinen - lupus est homo homini
Wölfe gibt es nicht nur auf vier Pfoten,
sondern auch auf zwei Beinen
»lupus est homo homini«
"der Mensch ist dem Menschen ein Wolf".
Das Buch "Das Erbe der Wölfe" von Erik Hauser, erschienen dieses Jahr im Fabylon-Verlag, spielt nicht im historischen Rom der Römischen Republik, sondern in einer weit jüngeren historischen Phase, dem Vorabend der russischen Revolution. Wer ein interessantes Buch für sich selbst oder andere sucht, das Verwirrung mit Konzept stiftet, neudeutsch auch "Mindfuck", der soll hier zugreifen.
Das winzige russische Dorf, in dem die Geschichte spielt, liegt weitab von allen größeren Städten. Wichtigste Person ist neben dem russisch-orthodoxen Priester, dem Jäger Jossip Antonowitsch und Obnoski, dem Besitzer der Schenke, natürlich an erster Stelle Stipe, der Gutsverwalter des Fürsten. Der Fürst war zwar seit Zar Alexander II. nicht mehr Leibherr jedes Bauern und Handwerkers auf seinem weitläufigen Landbesitz, aber vor Stipe als dessen Vertreter hatte man dennoch gehörigen Respekt.
(...) Im Schatten der Heuballen und unter den Leiterwagen rasteten die jungen Männer des Dorfes und ruhten von der Mühsam des Mähens aus. Gelblich glänzten die Stoppeln der schon am Vortag abgemähten Nachbarwiese, ein dunstiger Glanz waberte über den Feldern und der fernen Steppe.(...)
Als an einem regnerischen, kühlen Abend zwei Unbekannte die Schenke betreten und den Ort "aufmischen", ahnen die Einheimischen noch nicht, dass die beiden Narodniki die Sendboten einer neuen Zeit sein werden. Man hat schon von ihnen gehört, jenen Studenten aus den großen Städten und Universitäten in ihren roten Hemden. Mit wenig Talent arbeiteten die beiden Studenten gegen Kost und Essen (und das eine oder andere Glas Branntwein oder Kwas) auf den Feldern oder in den Scheunen der Bauern und nutzten jede freie Minute dazu politische Unruhe zu stiften, indem sie von den möglichen Errungenschaften der kommunistischer Bewegung erzählten - oder indem sie den Schönheiten des Dorfes die Köpfe verdrehten.
Mit den beiden Narodniki kam noch etwas anderes ins Dorf: der Wehrwolf (oder gab es etwa mehrere?) Schon bald mehren sich entsetzliche Vorkommnisse, und die Bewohner stellen sich die bange Frage, ob es dem Jäger Jossip Antonowitsch wohl gelingen wird, sie vor einem grausamen Tod zu bewahren.
Stehen die Honoration des Ortes auf der einen Seite, befinden sich die Waise Galina und ihre Großmutter Maria Petrovna spätestens seit dem Tod von Galinas Vater, dem Säufer, auf der anderen Seite. Dem Mädchen ist nur ihr geliebter Hund geblieben, die Großmutter kann den Tod ihres Sohnes nicht verwinden. Überleben wird jetzt noch schwieriger. Ausgerechnet in den Studenten Andrej verliebt sich Galina, doch der scheint nicht viel von ihr wissen zu wollen.
Und mit der Dunkelheit und Kälte von Herbst und Winter kommt die Gefahr der nächtlichen Überfälle von Wölfen auf das Dorf. Ganz zu schweigen von dem Werwolf.
Erik Hauser platziert die Vorstellung von Menschen, die in Gestalt eines Tieres ihre eigene Rasse reißen, in einem Land, das aus Jahrhunderten menschenverachtender Leibeigenschaft in einen nicht weniger menschenverachtenden Kommunismus der Revolution und Stalins taumelt. Gekonnt vermischt er die Frage nach Aberglaube oder menschlich erlebte Realität mit dem Genre Horror und dem Spiel "gibt es Werwölfe", und der Frage "muss man Werwolf sein um sich Menschen zum Fraß vorzunehmen".
Ich kann gar nicht anders als das Buch all jenen zu empfehlen, die hin und wieder einen guten Mindfuck schätzen, eine mit wenig Worten erzeugte dichte Atmosphäre mögen und eine Handlung über die nichts verraten wird. Kleiner Teaser zum Schluss: ein Interview mit dem Autoren ist in Vorbereitung