Weihnachten und Twists für erfahrene Leser - »Feral 1«
Weihnachten und Schmetterlinge
»Feral 1«
Anthologien haben gegenüber einer horizontalen Erzählweise den Vorteil, dass der Leser ab jeder Ausgabe in die Serie ein und wieder aussteigen kann. Es ist nicht nötig, sich in komplexe Handlungsbögen einzuarbeiten oder zurückliegende Ausgaben zu zum Teil erhöhten Preisen im Antiquariat zu besorgen. Gelegenheitsleser können hin und wieder in eine Ausgabe hereinschauen und können sich durch abgeschlossene Episoden unterhalten lassen. Dem Sammler bleibt es unbenommen, sich weiterhin eine lückenlose Sammlung zuzulegen.
Comics einheimischer Zeichner fristen in Deutschland seit jeher ein Nischendasein, sind sie nicht von Brösel, Ralf König oder Walter Moers gezeichnet. Die wenigsten Künstler können von ihren Arbeiten leben und verdienen sich ihren Lebensunterhalt in anderen Bereichen. Horizontal erzählte Geschichten mögen den Vorteil haben, dass sie eine Stammkundschaft an sich binden, aber auch erst dann, wenn sich eine ausreichende Anzahl von Lesern findet. Daher bieten sich Anthologien für neue deutsche Comicreihen an, in denen sich bei positiver Resonanz mit der Zeit auch Fortsetzungsgeschichten einbauen lassen.
Im Jahr 2019 ruft der Berliner Zeichner Ömer Yalinkilic sein Magazin „Feral“ ins Leben. In der ersten Ausgabe finden sich noch überwiegend Geschichten, die er selbst gezeichnet hat. In den Folgeausgaben erscheinen vermehrt die Arbeiten anderer Zeichner. Nach eigenen Angaben hat er sich bei der Konzeption des Magazins an den alten Warren Magazines und Skywald Publications orientiert, wie Creepy, Eerie, Nightmare, Scream und Psycho . Er hebt besonders den Vergleich zu den alten Vampirella Magazinen hervor, die Anfang der 80er Jahre in Deutschland veröffentlicht worden sind. Die Ähnlichkeit zu Vampirella ist augenscheinlich, denn wie die alten Magazine erscheint Feral im A4-Format und die Zeichnungen sind in schwarz-weiß. Die Geschichten sind allesamt im Horrorbereich angesiedelt und enthalten mitunter einen Schuss Erotik.
Es ist eine schöne, alte Tradition, dass Horroranthologien von einer fiktiven Gestalt präsentiert werden, die vereinzelt in einer Geschichte mitspielen. Im Horror Schocker des Weissblech Verlages werden die Episoden vom Fährmann Charon präsentiert und selbst für TV-Serien, die nach den entsprechenden Comics entwickelt wurden, sind Gestalten wie Elvira oder der Cryptkeeper konzipiert worden. Für ihr Magazin haben Yalinkilic und sein Team eine Erzählerin entwickelt, die den Namen des Magazins trägt und mit ihren langen, schwarzen Haaren der äußerlichen Erscheinung von Vampirella oder Elvira ähnelt. Allerdings handelt es sich bei Feral nicht um eine fiktive Gestalt im eigentlichen Sinne. Für seine Kunstfigur zeichnet Ömer Yalinkilic ein kanadisches Model nach, wofür er von ihr die Erlaubnis bekommen hat. Möglichweise wird auch sie einmal in einer Episode mitspielen.
Das Magazin besteht in der Regel aus zwei bis drei Geschichten, die jeweils im Durchschnitt über eine Länge von 10 - 20 Seiten verfügen. Am Beginn des Heftes gibt es zwei Seiten Feral News. Hier findet der Leser einen redaktionellen Teil mit Informationen zu Geschichten und Autoren. Neben dem Schwerpunktthema Comics finden sich Mitteilungen über Filmevents, die Yalinkilic veranstaltet und auf denen alte Klassiker aus dem Horrorbereich gezeigt werden.
Man merkt den Machern deutlich an, dass Feral kein Industrieprodukt ist, sondern dass hier Liebhaber der Genres Comic und Film am Werk sind. Yalinkilic selbst beschreibt das Magazin als Hobbyprojekt, das mit jeder weiteren Ausgabe langsam in den professionellen Bereich hineinwächst. Es macht vor allem in den ersten Ausgaben Spaß, dieser Entwicklung zu folgen. Am deutlichsten wird dies in der Qualität der Zeichnungen, die sich von Ausgabe zu Ausgabe steigern.
Feral erscheint zurzeit zweimal im Jahr. Stilsicher wird zur Walpurgisnacht und zu Halloween jeweils eine Ausgabe zum Preis von 6,66€ auf den Markt gebracht. Ab der ersten Ausgabe erscheint das Magazin in einer deutschen und in einer englischen Version für den internationalen Markt. Die Ausgaben sind inhaltlich nicht immer identisch, obwohl sie das gleiche Cover haben. Besonders deutlich ist dies in der ersten Ausgabe zu sehen, die fast gänzlich von der deutschen abweicht. Eine Geschichte aus der deutschen Nummer 1 funktionierte in der englischen Übersetzung nicht und bei einer weiteren war man mit der Qualität der Zeichnungen nicht mehr zufrieden. Daher ist die Geschichte „Flesh City“, die in der deutschen zweiten Ausgabe erscheint, für die internationale Version in das erste Heft gerutscht.
In den nächsten Wochen werde ich alle bisher 6 erschienenen Ausgaben besprechen. Von Magazin 1 liegt mit nur die englischsprachige Version vor. Besprechen werde ich in diesem Artikel nur die beiden Storys „A Monarchs Wedding“ und „Milk and Cookies“. Die dritte Geschichte „Flesh City“ bespreche ich in der zweiten Ausgabe. Sollte ich an die erste deutsche gelangen, reiche ich sie in Form eines neuen Artikels nach.
A Monarchs Wedding (14 Seiten)
Der Schmetterlingssammler Boom beobachtet, wie ein junges Mädchen einen Schmetterling mit einem besonderen Mal auf dem Leib tötet. Das Mädchen glaubt, das Tier wäre böse. Das Mal dient aber lediglich zur Tarnung, um angreifenden Feinden einen größeren Körper vorzutäuschen. Boom selbst stellt sich als selbst nicht zu zimperlich heraus, wenn er Schmetterlinge in seinem Museum präpariert und sie in Glasvitrinen ausstellt.
Boom erhält eine Nachricht aus Neu Guinea, dass ein Forscher dort ein bisher unbekanntes Exemplar gesichtet hat. Die Neugier treibt ihn einmal um den halben Erdball und er kann den Spuren des Schmetterlings folgen, die ihn schließlich zu einer Höhle gelangen lassen, in der er das Tier vermutet.
Kaum angekommen kann er keinen klaren Gedanken mehr fassen und findet sich in einem Liebessspiel mit einer Frau wieder. Er spürt den plötzlichen Stich an seinem Herzen, der an die Präparierung seiner Schmetterlinge erinnert. Er kann sich zwar aus der Umklammerung der Frau befreien, eine scheinbare Brücke entpuppt sich allerdings als ein Gebilde vieler kleiner Motten, die Boom bei der Überquerung in den Abgrund fallen lassen. Als er auf dem Boden aufkommt, wird er auf einen spitzen Baumstamm aufgespießt.
Der erfahrende Leser wird den Twist der Story bereits zu Anfang erahnen, was der Qualität der Geschichte aber keinen Abbruch tut. Einmal im Jahr lockt das Wesen einen Mann zu sich in die Höhle, in dem es ihm vorgaukelt, erotische Phantasien mit ihr ausleben zu können. Boom erklärt dem kleinen Mädchen zu Beginn der Geschichte, dass das Mal auf dem Körper des Schmetterlings lediglich zur Tarnung dient. Tragischerweise fällt er auf einen vergleichbaren Trick herein und gibt sich der vorgeblichen Frau auf einem Altar in der Höhle hin. Obendrein erleidet er das gleiche Schicksal, wie die Schmetterlinge, die er in seinem Museum ausgestellt hat. Er wird aufgespießt und zur Schau gestellt.
Der Titel der Geschichte „A Monarchs Wedding“ ist schlau gewählt und weist in zweierlei Hinsicht auf den Twist der Geschichte hin. Der englische Begriff Monarch lässt sich zum einen mit dem Begriff Herrscher übersetzen. In Bezug auf die Geschichte lässt sich vermuten, dass Boom einer Königin zum Opfer fällt. Unter anderen lässt sich Monarch mit Monarchfalter übersetzen und weist somit schon direkt auf einen Schmetterling hin. Ein schönes Wortspiel.
Geschrieben hat die Geschichte Michael Rather. In den Feral News wird er noch als Mr. Hyde bezeichnet, da er seinen Realnamen nicht nennen möchte. In der Story ist er hingegen mit seinem Realnamen vermerkt. Rather ist Jahrgang 1968 und in Minden zuhause.
Der Zeichner ist Ömer Yalinkilic und er liefert eine tolle Arbeit ab. Vor dem Erreichen der Höhle wird die Geschichte in klar zuordbaren Panels erzählt und setzt sich kontinuierlich fort. Als Boom den Ort erreicht, an dem er den Schmetterling vermutet werden die Hintergründe in den Bildern verspielter. Mit dem Einsetzen der Erotikszenen gleitet die Handlung ins surreale über und die klassische Panelaufteilung löst sich mehr und mehr auf und die Szenen gehen ineinander über. Das unterstreicht den abgedrehten Fortgang der Handlung. Plot und Zeichnung bilden ein einheitliches Storytelling, bei dem deutlich zu merken ist, dass Autor und Zeichner sehr gut zusammengearbeitet haben.
Die Schattierungen in den Figuren und den Hintergründen sind offenkundig in Graustufen gepinselt. Man sieht sofort, dass hier keine Software zum Einsatz kam. Das sind echte, handgemachte Zeichnungen. Sollte hier doch mit Photoshop oder Coreldraw gearbeitet sein, dann ist das wirklich gut und realistisch gemacht.
Milk and Cookies (6 Seiten)
Es ist Weihnachten und Santa Claus düst mit seinem Rentierschlitten über den nächtlichen Himmel. Er steigt in einem Haus über den Kaminschacht ein und wundert sich über die Einrichtung. Der Weihnachtsbaum ist mit Totenköpfen behangen und in einem Teil des Raumes stehen zwei Särge.
Die Sargdeckel öffnen sich und zwei Vampire entsteigen den Kisten. Vampire sowie Santa Claus sind verwundert, dass der jeweils andere wirklich existiert. Jetzt wollen die beiden Blutsauger herausfinden, wie denn das Blut von Santa Claus schmeckt. Es kommt zu einem kurzen Handgemenge, in dem Santa Claus unterliegt und die beiden Vampire stürzen sich auf ihn.
Die zweite Geschichte im Magazin ist eine Christmas-Story, in der Santa Claus von zwei Vampiren gebissen wird. Das war es dann wohl erstmal mit Weihnachten.
Die Szenen, in denen sich beide Parteien vorhalten, dass man den jeweils anderen nur für eine Sagengestalt hält, sind sehr lustig. Es ist Weihnachten und Santa Claus steht vor einer Vampirin und sie bringt nur trocken heraus: Who the fuck are you? Das ist sehr komisch anzusehen. Die beiden Blutsauger nehmen es dann sehr praktisch und gehen ihrer Natur nach. Sie saugen ihn aus.
Geschrieben wurde die Geschichte von Alexander Iffländer. Er arbeitet sehr eng mit Ömer Yalinkilic zusammen und ist von Anfang an mit dabei. Die Zeichnungen sind wiederum von Yalinkilic, die dieses Mal in zum Teil großen Panels gestaltet sind. Entsprechend des auf den Punkt gebrachten Handlungsverlaufes sind die Hintergründe in den Bildern sehr viel geordneter und aufgeräumter.
Feral 1