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E. Nesbit - von Kindern, Schatzsuchern, Amuletten und Drachen

E. Nesbit

E. Nesbit -
Von Kindern, Schatzsuchern, Amuletten und Drachen

Die Entscheidung mich mit den Geschichten von E. Nesbit zu beschäftigen  fiel wenige Minuten nachdem ich das Hörbuch aus dem Opossum-Verlag (die Rezension erscheint ebenfalls heute) eingelegt hatte. Sicher ... ich war in meiner Leserkarriere bereits über den Namen Nesbit gestolpert, hatte aber nie etwas von E. Nesbit gelesen und auch keine rechte Vorstellung, um wen es sich dabei handelte.


Als ich dann damit begann, mich E. Nebsbit zu beschäftigen und Originaltexte (eine ihrer Geschichten, "The Last of the Dragons" ist ebenfalls heute online gestellt worden) von ihr zu lesen, als ich das Hörspiel noch einmal hörte, wuchs mein Interesse und meine Faszination für diese ungewöhnliche Frau und ihre Geschichten weiter.

Hinter dem geschlechtsneutralen Pseudonym E. Nesbit verbirgt sich die Schriftstellerin und politische Aktivistin Edith Nesbit, eine Engländerin des 19. Jahrhunderts, eine schillernde Persönlichkeit, die zu ihren Bekanntschaften so illustere Leute wie H.G. Wells, eine Tochter von Marx und George Bernhard Shaw zählte.

E. NesbitIm August 1858 in einem Stadtteil von London geboren, verlor Edith Nesbit früh ihren Vater. Die Familie - bestehend aus Mutter, Edith sowie mehreren Brüdern und Schwestern - zog häufig um, mehrfach in Südengland, es folgten verschiedene Stationen in Frankreich sowie Spanien und Deutschland. Erst als Edith 17 Jahre alt war, kam die Familie zur Ruhe und fand in London wieder ein stabileres Zuhause.

Edith verließ die Familie 1880, als sie den Londoner Bankangestellten Hubert Bland heiratete, Edith war damals bereits hochschwanger. Nach verschiedenen Biographen war es keine sehr glückliche Ehe, was sie einte war vor allem ihre politische Ausrichtung. Beide waren glühende Anhänger des Sozialismus. Gemeinsam mit anderen gründeten sie die "Fabian Society", eine sozialistische Vereinigung, die als Vorläufer der Labour Party gilt.

Bland, selbst Autor, gelang es offensichtlich nur sehr eingeschränkt, für die finanzielle Sicherheit der Familie - inzwischen waren 3 Kinder geboren - zu sorgen. 1958 schrieb die Autorin Noel Streatfeild in ihrem Buch "Magic and the magician : E Nesbit and her children's books"1, dass Nesbit aus rein finanzieller Not damit begonnen habe, für Kinder zu schreiben. Eigentlich habe sie Kinder gar nicht besonders gemocht. Wenn man die Geschichten liest, die einen förmlich verzaubern, kann man sich das gar nicht richtig vorstellen. In der "realen Welt" der Erwachsenen, so dachte Nesbit, habe der Erwachsene gar keine andere Wahl als das Kind in sich zu töten, um lebensfähig zu sein. Ihr Weg in einer Welt zu überleben, die sie als nicht gerecht, menschlich und freundlich empfand, war ihre schriftstellerische Tätigkeit. So gelang es ihr, ein Stück ihres eigenen Kindes bis zu ihrem Tod zu retten.

Die Kinder, die Edith Nesbit beschreibt, sind intelligent, voller Humor,  können grausam sein, aggressiv und gewalttätig, ebenso leidenschaftlich hingegeben, desinteressiert, clever. Gore Vidal beschreibt die Akteure in Nesbits Geschichten als eine Minderheitengruppe der englischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Die Gesellschaft ist (oder eher wirkt) stabil und sicher, alles ist gefestigt und "gut sortiert". Physisch benachteiligt, da klein und schwach, ökonomisch von anderen abhängig, haben sie keine Möglichkeit, über ihr eigenes Leben zu bestimmen. Folglich müssen sie andere Fähigkeiten einsetzen, um in ihrer Welt überleben zu können. Sie entwickeln Gemeinschaftssinn, werden dadurch aber nicht zwangsläufig netter zueinander. Die Notwendigkeit sorgt aber dafür, dass sie sich gegenseitig ergänzen.2

Nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1914 lebte Edith Nesbit, zu dem Zeitpunkt bereits eine bekannte und gefeierte Autorin, bis zu einer erneuten Heirat allein. Ihr zweiter Mann war  Thomas Tucker, ein Schiffsingenieur, mit dem sie bis zu ihrem Tod im Jahre 1924 zusammen lebte. 

Am 14. Mai 1924 starb Edith Nesbit an Lungenkrebs, wahrscheinlich die Folge ihres jahrelangen Konsums von Zigaretten und Zigarren.

In ihrer langen Karriere hat Edith Nesbit Geschichten wie die drei Bände der Schatzsucher geschrieben (1899-1904), die "Railway Children" (1906) oder das Amulett (1906). Sie hat zahllose Verehrer, darunter Rudyard Kipling, der ihr schrieb, dass er mit großer Zufriedenheit und Anerkennung ihre Arbeit verfolge und beobachtet habe, wie diese sich zunehmend "setzen und klären" und sanfter werden würde. C.S. Lewis gilt ebenso als einer ihrer Verehrer wie J-K. Rowling.

Illustration zu The Treasure Seekers, Nesbit

This is the story of the different ways we looked for treasure, and I think when you have read it you will see that we were not lazy about the looking.

Der erste große Erfolg von Edith Nesbit war die Geschichte der Schatzsucher, veröffentlicht 1899.

Hinter dem Titel "The Story of the Treasure-Seekers" verbirgt sich eine der für Edith Nesbit typischen Geschichten: Eine Gruppe von Kindern, die in einer schwierigen familiären oder finanziellen Situation leben, geraten in ein Abenteuer. Hier sind es die sechs Kinder der Familie Bastable. Die Kinder machen sich auf um die Probleme der Familie selbst zu lösen. Die Geschichte spielt im gegen Ende des 19. Jahrhunderts in einem Londoner Vorort. Unstrittig ist die Tatsache, dass Edith Nesbit eine der ersten war, die überhaupt Fantastische Literatur für Kinder verfassten. Dabei setzte sie nicht auf großartige Effekte, laut und krachend. Sie verfügte über die Fähigkeit, Dinge so zu sehen - und vor allem zu beschreiben - wie ein Kind sie sehen mag und wie ein Kind sie lesen und aufnehmen kann.

 

Eines ihrer Bücher, das Buch "Wet Magic", wird von Sybil Gräfin Schönfeld als das erste "Antikriegs-Kinderbuch der Literatur"3 beschrieben . Es erzählt die Geschichte von vier Geschwistern, die - eher zufällig - zu Rettern einer Meerjungfrau werden. Sie soll als Attraktion in einem Zirkus herumreisen und so ihr Schicksal fristen. Aus Dank für ihre Rettung nimmt die Meerjungfrau die vier Kinder mit und will ihnen ihre Welt zeigen, die der Meermenschen. Allerdings tobt dort ein schrecklicher Krieg.

Aus "Meerzauber", Edith Nesbit, 1913
Kapitel 8, Der Wasserkrieg
Nach dem Geräusch der schrecklichen Schreie herrschte Stille - das heißt, Stille war dort wo die Kinder waren, über ihnen konnten sie jedoch das Herumrennen und Rasseln hören. Man bewaffnete sich hastig.
"Das ist der Kriegsruf des Tiefen Volkes", sagte die Prinzessin.
"Ich glaube," sagte Kathleen verloren "wenn sie wirklich so nahe sind ... dann ist alles verloren."
"Verloren? Nein, nicht wirklich", rief die Prinzessin. "Das Volk der Tiefe ist sehr stark. Aber sie sind sehr schwer. Sie können nicht aufstiegen und zu uns kommen. Zuvor müssen sie erst einmal die Mauer überwinden."
"Aber sie werden die Mauer überwinden - oder etwa nicht?"
"Nicht solange noch einer der Königlichen Heilbutts noch am Leben ist. Die Heilbuts haben die Mauer bemannt, sie werden die Type zurückhalten. Aber sie werden jetzt noch nicht angreifen. Sie werden ihre Späher ausschicken. Die Krustentier-Brigade kann nichts unternehmen bis sie näher kommen. Es ist schwer einem Kampf nur zusehen und nicht mitkämpfen zu können. Ich muss mich dafür entschuldigen, euch in eine so wenig angenehme Situation gebracht zu haben."
"Danke, aber das ist nicht schlimm", sagte Cathay hastig. "Was ist das denn?"
Ein solides, schimmerndes Tuch aus Silver hatte sich über ihnen erhoben, wie ein großer Teppich - der sich aufteilte und in lauter einzelen silberne Fäden auseinanderriß.
"Das ist die Schwertfisch-Brigade", sagte die Prinzessin. "Wir könnten ein bisschen weiter nach oben schwimmen und sie beobachten, wenn ihr keine Angst habt. Wißt ihr, der erste Angriff wird vermutlich durch eines ihrer Hairegimenter geführt werden. Das 7. Hairegiment hat einen schrecklichen Ruf. Aber unsere tapferen Schwertfische können mit ihnen mithalten." fügte sie stolz hinzu.

Es ist ein Drama, dass Edith Nesbit außerhalb Englands so in Vergessenheit geraten ist, nicht zuletzt auch hier in Deutschland. Immer wieder gibt es Übersetzungen und Illustrationen, einige ihrer Texte sind - da Copyrightfrei - inzwischen auch online zu finden, und es gibt zwei wundervolle Geschichten als Hörbuch bei Opossum.

"Edith Nesbit erzählt so selbstverständlich von Einhörnern und Löwen mit Menschengesicht, dass der Übergang von der Realität zur Fantasiewelt kaum auffällt."

 Ein wunderschönes Zitat fand ich in einer Rezension der Zeitschrift Brigitte zu einem neu übersetzten Buch von Edith Nesbit:

1 Noel Streatfeild, "Magic and the Magician E. Nesbit and Her Children's Books," London Abelard Schuman Limited (1958).
2 Gore Vidal, "The Writing of E. Nesbit", The New York Review of Books, 1964
3 Sybil Gräfin Schönfeldt, Rezension der Zeitschrift Brigitte

Abbildungen:
Die Bilder von Edith Nesbit stammen von der Edith Nesbit Society
Die Illustrationen stammen aus der Feder von H. R. Millar, dem designierten Illustrator der Bücher von E. Nesbit

 

 

 

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