Ein paar Anmerkungen... zum Dorian Hunter-Hörspiel 19
Natürlich hat Marco Göllner sich nach seinen Grundsatz gehalten: Nach Motiven des Romanes, das heißt er hat die Handlung stark verändert. Zwei Personen (Coco Zamis und Kiwibin, der russische Dämonenjäger), die Roman vorkommen, tauchen hier gar nicht auf.
Dafür darf Lilian Hunter einen Ausflug ins beschauliche Cruelymoe machen.
Aber kommen wir zu den einzelnen Tracks:
Das Lilian Hunter zum zweiten Mal nach Hörspiel 11 mitspielt, wo sie in der DK-Romanserie erst wieder ab Band 41 aktiv in die Handlung, gefällt, nachdem sie in Band 1 wahnsinnig wurde, ist wohl auf der Idee Marco Göllner begründet, Lilian Hunter früher ins Spiel zu bringen.
Mister Kwibin, der russische Dämonenjäger, taucht gar nicht in der Handlung auf. Liegt es daran, daß der Autor Hans E. Ködelpeter sich Mr. Kiwibin ausgedacht hat und Ernst Vlcek die Figur weiter in der DK-Handlung (siehe DK 29, 30, 66, 67, 80, 116, 121, 128) einbaute? Vermutlich hat Marco Göllner nur das DK-Exposé 22 überfolgen, den Anfangsplot übernommen und den Rest der Handlung bis auf einige wenige Überstimmungen selbst erfunden. Gut man kann, Romane nicht hundertprozentig als Hörspiel umsetzen, aber ein DK-Fan sollte schon die Grundhandlung wiedererkennen und das tut ich bei diesem Hörspiel in fast keinem Track.
Die ganze Geschichte fängt eigentlich damit an, daß Coco Zamis Sheldon Bloom kennenlernt und durch ihn Dorian Hunter und das DK-Team nach Cruelymoe führt.
Hier mal ein Auszug aus dem DK-Roman Nummer 22:
Coco Zamis erwachte. Sie fühlte die Nähe und Wärme des Mannes an ihrer Seite und wandte sich ihm lächelnd zu. Es tat gut, das markante Gesicht von Sheldon Bloom zu studieren, ein Gesicht, in dem sich all das spiegelte, was sie zu schätzen wußte: Reife und Männlichkeit, Intelligenz, der sophistische Umwege widerstrebten, aber auch etwas Unwägbares, ein seltsamer Ernst, der möglicherweise in Sheldons irischen Wurzeln seinen Ursprung hatte, in jener Mystik, die die meisten Iren in den Augen anderer Menschen zu weltfremden Spinnern werden ließ.
Sheldon hob die Lider, ganz plötzlich. Er schaute sie an, fand Cocos Gesicht hinreißend und fragte sich, weshalb sie ausgerechnet mit ihm schlief. Obwohl jetzt im Herbst an der französischen Riviera die Turbulenz der Sommermonate einem eher beschaulichen Leben Platz gemacht hatte, waren noch genügend Playboys unterwegs, die sich um eine so faszinierende Schönheit wie Coco Zamis buchstäblich reißen würden.
Er hatte von ihr gehört, daß sie in London einem Mann namens Dorian Hunter besondere Neigungen entgegenbrachte, aber dieser Umstand hielt sie glücklicherweise nicht davon ab, sich ihm zu schenken. Zu schenken! Er fand keinen anderen Ausdruck dafür. Wie kam er - ein Junge aus einem verfluchten irischen Dorf - dazu, den anderen die Show zu stehlen? Er wußte es nicht; er verstand es nicht; aber er nahm sich auch nicht die Mühe, lange darüber nachzudenken. Er wußte, an welch seidenem Faden sein Leben hing und wie rasch es von dem rasenden, rachsüchtigen Dämon beendet werden konnte.
Sheldon hatte einen Kampfauftrag, der seinen Tod nicht ausschloß. Schon deshalb genoß er die Freuden der Liebe mit Coco; sie konnten, wie er sehr wohl spürte, unter Umständen die letzten beschwingten Höhepunkte seines von einem gräßlichen Fluch belasteten Daseins sein.
„Woran denkst du?“ fragte Coco und strich mit ihren Fingerspitzen zärtlich über seine sonnengebräunte Haut.
„An dich“, sagte er und war traurig, daß er ihr nur die halbe Wahrheit sagen durfte. Natürlich dachte er auch an den Dämon, gerade jetzt, wo ihm klar wurde, was er verlieren würde, wenn die Bestie triumphierte.
„Dich bedrückt etwas“, meinte Coco, die ihrerseits darunter litt, vor Sheldon Geheimnisse haben zu müssen, aber wie hätte sie ihm erklären sollen, daß sie in einem früheren Leben eine Hexe gewesen war?
Es gab Dinge, die man besser unerwähnt ließ - zum Beispiel die Tatsache, daß man sie aus der Schwarzen Familie ausgestoßen hatte, weil ihr die Liebe zu Dorian Hunter, dem Erzfeind des Bösen, zum Verhängnis geworden war.
Hexen - das war für die meisten nur Kinderkram. Auch für Sheldon?
Er war ein Ire; er dachte möglicherweise anders darüber; aber Coco fand nicht den Mut, ihn aufzuklären. Sie wollte diese zarte, von Liebe und Leidenschaft bestimmten Bande nicht mit unnötigen Geständnissen belasten oder gar zerstören; es genügte ihr, in diesen herrlichen Herbsttagen mit ihrem neuen jungen Geliebten einen hinreißenden Rivieraurlaub verbringen zu dürfen.
Nach einer ausgedehnten Europareise war sie hier zufällig in diesem verträumten kleinen Ort hängengeblieben; und eher zufällig war auch das Zusammentreffen mit dem athletisch gebauten ernsten Iren gewesen. Sie hatten gemeinsam an der Strandbar gesessen und waren über einer Cola mit Rum ins Gespräch gekommen.
Liebe auf den ersten Blick? Vielleicht. Coco neigte nicht zur Euphorie; sie empfand sehr stark, aber sie hielt es für falsch, deshalb gleich vom Läuten der Hochzeitsglocken zu träumen. Glück war für sie in erster Linie gefühlsstarkes Erleben; sie wehrte sich dagegen, es mit bürgerlichen Moralbegriffen zu garnieren.
„Gehen wir an den Strand?“ fragte sie, weil Sheldon ihr eine Antwort schuldig blieb.
Sie hatte im Grunde auch kein Recht, in seine Intimsphäre einzudringen. Wenn er glaubte, etwas vor ihr verbergen zu müssen, mußte sie diese Haltung respektieren. Schließlich sagte sie ihm auch nicht die volle Wahrheit.
„Geh du, bitte!“ sagte er. „Ich habe zu tun.“
„Was hast du vor?“
„Ich muß ein paar Briefe schreiben.“
Es klang ganz glaubhaft,, aber Coco spürte, daß er sie anschwindelte. Sie war ein wenig betroffen über diese Erkenntnis. Lügen paßte nicht zu Sheldons offen anmutendem Wesen, aber sie sah keinen Grund, daraus ein Drama zu machen.
Sie stand auf, kümmerte sich um das Frühstück, aß mit Sheldon auf der kleinen, blumenumrankten Terrasse, schnappte sich dann ihre Badetasche und sagte winkend: „Bis später, Liebling!“
Unterwegs beschloß sie, unter einem Vorwand zurückzukehren. Sie wollte wissen, was Sheldon vorhatte. Wenn er wirklich Briefe schrieb, würde sie sich still und beschämt zurückziehen; aber sie hatte das sichere Empfinden, daß sie in dem kleinen, von Sheldon gemieteten Haus eine Überraschung erwartete.
Obwohl Coco meinte, sich ein gewisses Maß an weiblicher Neugierde leisten zu dürfen, litt sie doch unter einigen Skrupeln. Sie entschuldigte ihr Handeln mit der Überlegung, daß Sheldon möglicherweise in Schwierigkeiten steckte, von denen er ihr nichts zu berichten wagte, und daß er ihre Hilfe brauchte.
Coco erreichte klopfenden Herzens die Terrasse und trat in das kleine, hübsch möblierte Wohnzimmer.
Sheldon saß nicht am Schreibsekretär, aber sie hörte ihn im Nebenzimmer herumrumoren. Die Tür zu dem kleinen Salon stand offen.
Coco schlich sich heran. Notfalls würde sie „Puh!“ rufen und so tun, als wollte sie ihn erschrecken.
Sheldon kehrte ihr den Rücken zu. Er war damit beschäftigt, etwas in eine kleine, blaue Reisetasche zu packen. Coco bekam große, runde Augen, als sie sah, worum handelte. Es war ein hölzernes Kreuz, dessen Längsstab unten angespitzt war, ein alter handbemalter Flakon mit Heiligenmotiven s0 wie ein Rosenkranz mit dem es offenbar eine besondere Bewandtnis hatte. Sheldon handhabte den aus kleinen, silbernen Kruzifixen bestehenden Rosenkranz plötzlich geradezu erschreckender Weise; es sah so aus, als hielte er eine Würgeschnur in den Händen; jedenfalls ließen seine Übungen erkennen, daß er sich mit dem Gedanken an einen solchen Verwendungszweck trug.
Coco fiel es wie Schuppen von den Augen. Sie war zu lange Mitglied der Schwarzen Familie gewesen, um nicht zu wissen, was diese Utensilien bedeuteten. Der Flakon enthielt vermutlich Weihwasser - eine ebenso sichere wie tödliche Waffe, wenn es darum ging, Dämonen zu vernichten.
Coco unterdrückte den Impuls, Sheldon einfach nach seinem Vorhaben zu befragen. Sie spürte, daß er sie vermutlich mit Ausflüchten abspeisen würde. Sheldon liebte sie und hielt es für selbstverständlich, sie von allen Gefahren fernzuhalten, denen er sich als Mann und Kämpfer zu stellen beabsichtigte.
Coco spürte ein zärtliches Gefühl in sich aufsteigen. Es beglückte und erfreute sie, daß Sheldon sie nur angeschwindelt hatte, weil er meinte, sie keinen Gefahren aussetzen zu dürfen. Sie machte kehrt und huschte in den Garten.
Fünf Minuten später tauchte Sheldon auf. Er trug die kleine, blaue Reisetasche bei sich und war so salopp wie die meisten anderen männlichen Badegäste gekleidet; er hatte Bluejeans und ein weißes T-Shirt an, und seine Füße steckten in bequemen Baseballschuhen.
Coco folgte ihm zum Ortsrand; von hier führte ein schmaler Weg hügelan zu den großen alten Villen, deren Besitzer sich mit riesigen, teils gepflegten, teils verwilderten Parks von der Außenwelt zu isolieren versuchten.
Wenn Sheldon sich nur ein einziges Mal umgedreht hätte, wäre sie ihm sofort aufgefallen, aber er war viel zu sehr auf sein Ziel und seine Aufgabe konzentriert, als daß es ihm in den Sinn gekommen wäre, den Kopf zu wenden.
Vorbei an umzäunten Villengrundstücken ging er in eine etwas unwirtlich anmutende Gegend auf einen Hügel zu, auf dem ein schloßartiges altes Anwesen stand, von dem hinter Zypressen und anderen Bäumen nur ein paar Türmchen und Wetterfahnen zu erkennen waren.
Ein Mann mit Baskenmütze und blauer Joppe kam ihr entgegen, offenkundig ein Einheimischer.
Coco fragte: „Wem gehört das Schloß?“
Der Mann bekreuzigte sich, musterte sie beinahe ängstlich, schien weitergehen zu wollen, besann sich dann aber eines anderen und erklärte: „Es ist kein Schloß. Es ist ein altes Anwesen, das einem enthaupteten Grafen gehört haben soll.“
„Weiß man es denn nicht genau?“
„Es gibt so viele Legenden, die sich um den Besitz ranken. Jeder hat seine eigene Geschichte beizusteuern, und am Ende weiß keiner mehr, was davon wahr und was erfunden ist.“
„Kann man das Haus besichtigen? Ist es bewohnt?“
„Ab und zu sind Sommergäste dort“, sagte er. „Leute, die niemand kennt und die mit keinem sprechen. Hören Sie?“
Er hob den Zeigefinger, legte den Kopf zur Seite und sah noch ängstlicher aus als vorher.
Coco hörte seltsame Laute. Es klang wie das Heulen von Wölfen, doch diese Vorstellung erschien ihr in der goldenen Herbstlandschaft seltsam fremd und absurd.
„Hunde, nicht wahr?“ fragte Coco.
„Ja, Hunde.“ Der Mann nickte und vermied es plötzlich, Coco in die Augen zu blicken.
Coco sah, daß Sheldon, der sich inzwischen bis auf mehr als hundert Meter von ihr entfernt hatte, stehengeblieben war. Es gab keinen Zweifel, daß das wölfische Heulen ihn irritierte, aber dann gab er sich einen Ruck und ging entschlossen weiter.
„Ist das Haus im Augenblick bewohnt?“ fragte Coco. „Oder gehören die Hunde dem Verwalter?“
„Das weiß ich nicht, Madame. Entschuldigen Sie mich, bitte. Ich muß weiter.“
Coco blickte hinter ihm her. Ganz offensichtlich wußte er mehr über das Anwesen, als er zu äußern wagte. Vermutlich hatte er sie nicht erschrecken wollen; für ihn waren Touristen bestimmt heilige Kühe, die man um keinen Preis verunsichern durfte.
Coco setzte ihren Weg fort. Sie beeilte sich, um den Abstand zu dem entschlossen ausschreitenden Sheldon zu verringern. Der Weg führte jetzt steil bergan. Coco wunderte sich, daß nur ein Trampelpfad zu dem großen, rostigen Portal führte, das in die mannshohe Mauer eingelassen war. Möglicherweise existierte auf der anderen Grundstücksseite ein zweites Tor.
Je näher Coco kam, umso deutlicher würden die Verfallserscheinungen. Die tropisch wuchernden Pflanzen des Gartens schienen die rissige Mauer sprengen zu wollen.
Wieder hörte sie den langgezogenen, klagenden Heulton.
Coco holte tief Luft. Sie merkte, daß sie eine Gänsehaut bekam. Ihr Frösteln machte ihr bewußt, wie total sie sich von ihrer Schwarzen Vergangenheit gelöst hatte und wie unverkennbar menschlich-normal sie jetzt reagierte.
Nein, wohl nicht ganz! Unterschwellig lebte in ihr noch manches fort: das Wissen um die Macht und die Mächte des Bösen, aber auch ein hellwaches Gespür für alles, was von diesen dunklen Kräften bewegt wurde. Dieses Gespür sagte Coco, daß sie sich in diesem Moment einer - vielleicht sogar tödlichen – Gefahr näherte. Sie wollte Sheldon eine Warnung zurufen, aber er hatte in diesem Augenblick das riesige, schwere Portal erreicht. Coco sah, wie sich seine Muskeln spannten, wie er sich duckte, als müßte er eine schwere Last tragen; dann streckte er beide Hände aus und öffnete einen der quietschenden, knarrenden Torflügel mit sichtlicher Anstrengung.
Es schien, als sei das alte Portal seit Jahren nicht mehr benutzt worden.
Sheldon preßte die blaue Reisetasche an seine Brust und betrat forsch das Grundstück, als gelte es, einen fremden Planeten zu erforschen; er wirkte tapfer, bewegte sich aber mit der gebotenen Vorsicht.
Im nächsten Moment war er verschwunden, wie verschluckt von den süßlich duftenden, wuchernden Pflanzen, die ein nahezu undurchdringliches Dickicht bildeten und kaum Raum für einen schmalen Kiesweg ließen.
Coco begann zu rennen. Sie wollte schreien, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt. Dann fiel ihr ein, daß Sheldon diesen Besuch nicht unvorbereitet angetreten hatte. Er trug einige Dinge bei sich, die ihm Schutz gewährten, während sie den eventuellen Gefahren nahezu schutzlos preisgegeben sein würde.
Das Kläffen wurde lauter, eindringlicher; es war ein wölfisches Heulen, das Coco erschauern ließ.
Plötzlich meinte sie zu wissen, welche unheimlichen Wesen sich in dem Park aufhielten. Es waren Kreaturen der Dämonen, reißende Bestien. Die höllischen, blutrünstigen Vierbeiner kannten sicher nur ein Ziel: Menschen zerfleischen, um ihr Blut trinken zu können.
Coco hastete weiter. Sie scheute nicht die Gefahr; sie sorgte sich nur um Sheldon, der vermutlich trotz seiner Vorbeugungsmaßnahmen weder wußte noch ahnte, was diese grausamen, tückischen Vierbeiner anzustellen vermochten.
„Sheldon!“ keuchte sie. „Sheldon!“
Ihre Stimme schaffte es nicht, das Gekläff und Geheul der Bestien zu übertönen. Coco hastete durch das Portal und fühlte sich plötzlich wie gefangen. Es war, als griffen die Pflanzen nach ihr. Sie wurde eingehüllt von einem faulig-süßen Geruch. Zweige peitschten ihr ins Gesicht. Sie rannte weiter, hob schützend einen Arm vors Gesicht und schrie immer wieder: „Sheldon, Sheldon!“
Es war sinnlos. Er konnte sie nicht hören. Das Bellen und Jaulen der Bestien verriet ihr, daß sie zum Angriff übergegangen waren. Sheldon konnte nur noch hoffen, mit Hilfe seiner Abwehrmittel der tödlichen Gefahr zu entrinnen. Aber selbst wenn er eine oder zwei der Bestien erledigte, blieb noch der Rest der Meute, das rasende Rudel, das ihn vernichten und zerreißen wollte und darauf brannte, mit Sheldons Blut dem dämonischen Herrn ein Opfer zu bringen. Wer war ihr Meister, und was brachte diesen geradlinigen Jungen aus einem kleinen irischen Dorf dazu, sich mit ihm anzulegen?
Coco stolperte über eine rostige, am Boden liegende Eisenstange. Sie bückte sich danach und stürmte damit weiter, zwischen Angst und verzweifeltem Mut hin- und hergerissen. Schließlich erreichte sie eine kleine Lichtung, blieb stehen und fühlte, wie sie schwach in den Knien wurde.
Es war, als hätte sie eine Arena betreten, eine Arena des Todes.
Der Matador - Sheldon - befand sich in einer hoffnungslosen Lage. Er war der Mittelpunkt eines rasenden, ihn attackierenden Hunderudels.
Die schwarzen Bestien mit den messerscharfen Zähnen und den leuchtendroten Augen waren ein so entsetzlicher Anblick, daß Coco sich kaum noch dem Impuls zu widersetzen vermochte, einfach kehrtzumachen und zu fliehen.
Sheldon blutete, aber er stemmte sich dem Ansturm der Bestien mit dem heldenhaften Mut eines Mannes entgegen, der eher stirbt, als daß er aufgibt. Er hatte den Rosenkranz wie eine Schlinge um das größte Tier gelegt. Es stand aufrecht vor ihm, hatte die Krallen seiner Pfoten in Sheldons Schultern geschlagen und erschlaffte plötzlich, als Sheldons Kraft ihm Luft und Leben raubte.
Sheldon konnte jedoch nicht verhindern, daß die anderen jaulenden, kläffenden und heulenden Bestien ihre scharfen Zähne in sein Fleisch gruben, ihn bissen, kratzten und bedrängten, um mit seinem Blut ihre Bäuche zu füllen.
„Hier!“ schrie Coco und hob die armlange, rostige Waffe. „Hier!“
Sie mußte Sheldon helfen, vielleicht, weil sie ihn liebte. Und plötzlich wurde sie von einer Kraft beflügelt, die sie befähigte, die Bestien von Sheldon abzulenken. Aber sie griffen dafür jetzt sie an.
Coco wirbelte wie ein Kreisel auf der Stelle und ließ die Eisenstange durch die Luft sausen. Sie traf ein weiteres Höllentier und tötete es, aber die Wucht des Schlages riß ihr die Stange aus den Händen.
Einen Moment lang schien es ihr so, als sei jetzt alles verloren, aber dann erkannte sie, daß Sheldon den Spieß nun umdrehte; er zog die Bestien auf sich, indem er einem der Tiere ein langgezogenes, schauriges Geheul entlockte. Coco sah, daß er es mit dem Kreuz gepfählt hatte. Die Spitze des Holzkreuzes war ins Herz der Bestie gedrungen. Doch immer noch waren vier der Bestien übriggeblieben. Sie stürzten sich jetzt auf Sheldon, offenkundig entschlossen, ihren gefährlichsten Feind endgültig zu vernichten.
Sheldon riß den Weihwasserflakon aus der Reisetasche, verspritzte den Inhalt auf die entsetzt zur Seite springenden Tiere und stand im nächsten Augenblick keuchend und blutend neben der zitternden Coco.
„Was tust du hier?“ erkundigte er sich schweratmend. „Warum bist du mir gefolgt?“
Er wartete Cocos Antwort nicht ab, packte sie an der Hand und floh mit ihr zum Portal. Die Bestien folgten ihnen, aber Sheldon gelang es immer wieder, sie mit dem restlichen Weihwasser auf Distanz zu halten.
Endlich erreichten sie das Portal. Sheldon warf es mit letzter Kraft hinter sich zu, dann brach er plötzlich zusammen.
Coco ließ sich neben ihm auf die Knie fallen, riß ihm das Hemd vom Leib, zerfetzte es in Streifen und fertigte ein paar Notverbände daraus an.
Sheldon kam wieder zu sich. Seine Augen glänzten fiebrig. Er richtete sich langsam auf, starrte auf das Portal und schüttelte den Kopf, ohne auszusprechen, was ihn bewegte. Coco sah die tiefe Verzweiflung in seinen Augen und war entschlossen, herauszubekommen, was ihn quälte. Über ihre Schulter blickte sie zum Portal zurück. Die Bestien ließen sich nicht sehen; sie hatten offenbar Weisung, das Anwesen nicht zu verlassen. Aber sie waren zu hören, und die widerlichen, schmatzenden Geräusche waren nicht dazu angetan, Coco zu beruhigen. Die Höllenhunde stillten offensichtlich ihren Blutrausch an den Opfern des Rudels.
„Laß uns gehen“, murmelte Sheldon.
Coco half ihm auf die Beine, doch er brach wieder zusammen.
„Ich besorge einen Wagen“, entschied Coco, aber sie zögerte plötzlich, sich von Sheldon zu entfernen.
Sie wagte es nicht, ihn allein zu lassen, nicht in so unmittelbarer Nähe des Dämonenanwesens.
„Gut.“ Sheldon nickte und blickte an sich herab. Mit seinem nackten Oberkörper und den blutdurchtränkten Verbänden konnte er sich unmöglich auf den Weg machen. Entsetzte Passanten hätten mit Sicherheit die Polizei alarmiert und zu wissen begehrt, was geschehen war.
Coco schaffte es schließlich, Sheldon ein paar hundert Meter hügelabwärts zu schleppen. Er war wieder ohnmächtig geworden. Sie wartete, bis er zu sich kam und schärfte ihm ein, sich nicht vom Fleck zu rühren. Dann eilte sie in den Ort, besorgte sich einen Leihwagen und raste zurück. Erleichtert stellte sie fest, daß Sheldon seinen Platz nicht verlassen hatte. Er war bei vollem Bewußtsein, aber der Fieberglanz in seinen Augen machte deutlich, daß es noch einige Komplikationen geben würde.
Coco half ihm beim Einsteigen, dann fuhren sie zurück zu dem kleinen Haus.
„Ich hole einen Arzt“, entschied Coco, als sie es geschafft hatte, Sheldon ins Bett zu legen.
„Keinen Arzt“, widersprach Sheldon.
Coco wollte Einspruch erheben, aber dann fügte sie sich seinem Wunsch. Sie pinselte seine Wunden mit Jod aus und erneuerte die Verbände.
„Warum bist du mir gefolgt?“ wollte er wissen.
„Weil ich dich liebe“, sagte sie einfach. „Ist das so schwer zu verstehen?“
Er schwieg, schloß die Augen und bewegte die Lippen. Coco legte ihre schmale, kühle Hand auf seine Stirn.
„Du brauchst einen Arzt“, sagte sie wieder.
Er hob die Lider. „Keinen Arzt.“
Coco eilte in die Apotheke. Sie besorgte einige Medikamente und saß dann stundenlang an Sheldons Bett, legte ihm kühlende Umschläge auf, hörte seltsame Wortfetzen, die sich nur schwer in einen logischen Zusammenhang bringen ließen und war mehr denn je entschlossen, hinter Sheldons Geheimnis zu kommen, um ihm die Hilfe zu bringen, die er brauchte.
Gegen Morgen fiel er in einen unruhigen Schlaf. Als er erwachte, war er fieberfrei.
„Ich habe Hunger“, sagte er.
Coco erhob sich und lächelte glücklich. Sie war todmüde, aber sein guter Zustand gab ihr Schwung und neue Kraft. Sie bereitete das Frühstück zu, brachte es ihm ans Bett und versuchte, ihn zu füttern, aber Sheldon bestand darauf, allein zu essen.
„Wer wohnt in dem Haus, das von den tollwütigen Hunden bewacht wird?“ fragte sie ihn, nachdem er seinen Hunger gestillt und sich eine Zigarette angesteckt hatte.
Sheldon lag entspannt im Bett und benutzte ein Kopfkissen als Rückenstütze.
„Ich weiß es nicht“, erwiderte er.
„Du weißt es nicht?“ Cocos Stimme klang ungläubig.
Er nickte und fügte hinzu: „Ich kenne nicht seinen Namen.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Ich kann es dir nicht erklären.“
„Aber ich muß es wissen!“ rief sie aus. „Warum bist du hingegangen?“
Er antwortete nicht und starrte an ihr vorbei ins Leere. Coco spürte, wie es in ihm arbeitete.
„Ich habe dich beobachtet“, gestand sie. „Du hast Weihwasser mitgenommen, einen Rosenkranz, und dieses Holzkreuz.“
„Wir Iren neigen zur Frömmigkeit“, wich er ihr aus.
„Du bist nicht in die Kirche gegangen“, wies sie seine fadenscheinige Ausrede zurück. „Im Gegenteil. Dein Besuch galt eher der Hölle.“
Er musterte sie erstaunt. „Warum sagst du das?“
„Entspricht es nicht der Wahrheit?“
Er hob die Schultern und schien etwas Barsches äußern zu wollen, aber dann entsann er sich der heldenhaften Rolle, die Coco gespielt hatte, und sagte: „Ich verdanke dir mein Leben. Ich bin dir zu größtem Dank verpflichtet, aber gerade deshalb, gerade weil ich dich liebe, kann ich dir nicht mitteilen, was sich hinter diesem Besuch verbirgt.“
„Du sagst, daß du mich liebst“, hielt sie ihm vir. „Liebe kennt keine Geheimnisse. Liebende teilen Freud und Leid.“
„Aber nicht das Entsetzen. Ich kann und darf dich nicht in Gefahr bringen.“
„Ich fürchte mich nicht vor Dämonen.“
Er blinzelte erstaunt. „Warum sagst du das?“
„Ich habe gute Gründe für diese Erklärung“, sagte sie zögernd, vermied es jedoch, ihm ihre schwarze Vergangenheit zu unterbreiten. Es hatte keinen Sinn, die Lage in diesem Augenblick zu komplizieren. Und er bestand nicht darauf, daß sie ihm ihre Worte erläuterte. Er war viel zu sehr mit seinem eigenen Problem beschäftigt.
„Ich möchte schlafen“, sagte er. „Ich fühle mich immer noch ziemlich schwach.“
Coco duschte sich und legte sich dann auch ins Bett. Sie erwachte erst am späten Nachmittag und hörte Sheldon herumgehen. Rasch stand sie auf, kleidete sich an und traf Sheldon auf der Terrasse. Er trug weite Shorts und ein rotes Polohemd, saß in einem bequemen Stuhl und hielt ein Glas mit Whisky und Soda in der Hand.
„Wie ich sehe, geht es dir schon wieder besser“, sagte sie.
Er wandte den Kopf, lächelte schwach und murmelte: „Du siehst hinreißend aus.“
„Sieh mich nur genau an! Du wirst bald mit der Erinnerung an mich leben müssen.“
Ein Schatten fiel über Sheldons Gesicht. „Wie soll ich das verstehen?“
„Wir trennen uns.“
„Wir trennen uns?“ murmelte er ungläubig.
Coco setzte sich. „Ich kann nicht mit einem Mann zusammenleben, der vorgibt, mich zu lieben, und gleichzeitig beweist, wie wenig ernst er es meint.“
„Fängst du schon wieder damit an?“
„Du hast die Wahl“, sagte sie ruhig. „Entweder totale Offenheit - oder Trennung.“
„Das ist Erpressung“, knurrte er.
Coco fühlte, daß sie nicht ganz fair handelte. Schließlich bewahrte sie vor Sheldon ihre eigenen, keineswegs unbedeutenden Geheimnisse, aber sie konnte ihm nur helfen, wenn sie Bescheid wußte.
„Es gibt zwischen Himmel und Erde ein paar Dinge, die nicht greifbar sind“, begann er zögernd. „Sie entziehen sich einfach unserer Kontrolle, obwohl sie uns kommandieren und vernichten können. Es ist unsere heilige Pflicht, sie zu bekämpfen und...“
Er suchte nach Worten und hatte sichtlich Mühe, ihr sein Problem verständlich zu machen.
„Dämonen“, kam ihm Coco entgegen.
„Ja. Woher weißt du das?“
„Das gestrige Erlebnis hat mir die Augen geöffnet“, behauptete sie.
„Ich stamme aus einem kleinen irischen Dorf, aus Cruelymoe“, fuhr er fort. „Vor vier Jahren hat sich dort eine Tragödie zugetragen. Wir wurden das Opfer eines...“
Er unterbrach sich erneut. Alles in ihm sträubte sich dagegen, Coco einzuweihen. Er hatte Angst, daß sie ihn für einen Narren halten würde. Wer glaubte schon an Geister? Andererseits hatte Coco selbst erlebt, was im Schloßpark des Dämonen geschehen war. Aber konnte sie nicht auch glauben, lediglich auf ein Rudel wilder Hunde gestoßen zu sein?
„Weiter!“ drängte Coco.
Er gab sich einen Ruck. Vier Jahre lang hatte das Wissen um das Grauen wie eine Zentnerlast auf seiner Seele gelegen. Es hatte seine Jugend verdunkelt und sein Leben in neue Bahnen gelenkt. Plötzlich drängte alles in ihm danach, sich der geliebten Frau zu eröffnen und dabei das Mitgefühl, das Verständnis zu finden, das ein Mann in seiner Lage brauchte.
„Meine Schwester Clara wurde von dem Dämonen getötet“, sagte er und nahm einen großen Schluck aus seinem Glas. Seine Kinnladen mahlten, als müßte er Stahl zerbeißen. „Sie blieb nicht das einzige Opfer seines Blutrausches. Wir konnten ihn verletzen und vertreiben, aber er verfluchte uns und schwor, uns alle zu vernichten.“
„Die Blooms?“
„Das ganze Dorf.“
„Aber seitdem sind vier Jahre vergangen.“
„Und er ist viermal zurückgekehrt“, bestätigte Sheldon grimmig. ..Und jedesmal mußten einige von uns ihr Leben lassen. Der Dämon wird keine Ruhe geben, bis er uns alle getötet hat. Es sei denn, wir kommen ihm zuvor.“
„Ich verstehe“, sagte Coco. „Deshalb bist du unterwegs. Du wolltest den Unhold töten. Du wolltest ihn in seinem Schloß aufsuchen.“
„Ich bin nicht einmal völlig sicher, ob ich die richtige Spur verfolge“, sagte Sheldon zögernd, „aber vieles spricht dafür, daß der Gesuchte in dem Schloß hier haust. Du hast selbst erlebt, wie schwierig, wenn nicht gar unmöglich es ist, sich ihm zu nähern.“
„Kann nicht die Polizei...“ begann Coco unsicher, unterbrach sich aber sofort, weil sie aus eigener Erfahrung wußte, wie wenig sinnvoll es war, sich auf die Hilfe von Behörden zu verlassen, in deren Vorstellungswelt es keinen Platz für Spuk und Geister gab, die nur glaubten, was sich sachlich beweisen ließ.
„Die Polizei!“ höhnte Sheldon bitter. „Natürlich mußten wir sie jedesmal rufen, sobald der Dämon zugeschlagen hatte, aber wenn wir begannen, die Wahrheit zu schildern, ernteten wir nur blanken Hohn und erweckten den Verdacht, ein paar Morde verschleiern zu wollen, die im Zustand der Trunkenheit von Dorfbewohnern begangen wurden.“
„Ich kann dir helfen“, sagte Coco.
„Du?“ echote er verblüfft.
„Ja.“ Sie nickte. „Ich kenne einen Mann, der die Bekämpfung der Dämonen zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat.“
„Ein Magier?“
„Nein. Ein nüchterner Beamter, ein Mann, der im Dienste des Staates steht.“
„Du machst Witze.“
Coco lächelte dünn. „Ich kann verstehen, daß du meine Worte als Verhöhnung betrachten mußt, aber du wirst rasch begreifen, wie ernst sie gemeint sind. Es gibt in jedem Land der Welt ein paar Behörden, die gute Gründe haben, ihre Arbeit vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten. Ich weiß zum Beispiel, daß in den USA ein Geheimausschuß alle UFO-Vorfälle registriert und durchleuchtet, und ich weiß, daß man in England schon vor einigen Jahren begonnen hat, das Dämonenunwesen nicht länger als ein Fantasieprodukt von Spinnern hinzustellen. Ich bin nicht befugt, dir Details dieser Organisation mitzuteilen, aber ich werde dafür sorgen, daß sie euch hilft.“
„Kennst du die Leute?“
Coco lächelte. „Ich kenne den Großinquisitor.“
„Wen?“
„Den Großinquisitor“, wiederholte Coco. „Eine schaurige Bezeichnung, nicht wahr? Aber sie ist zutreffend.“
„Warum haben wir in Cruelymoe noch nichts von diesen Leuten gehört?“
„Wie schon gesagt: die Organisation ist geheim. Sie kann es sich nicht leisten, an die Öffentlichkeit zu treten, denn die Tatsache ihrer Existenz würde auch Skeptiker davon überzeugen, von welchen Gefahren wir bedroht sind. Und sie würde, so fürchtet man, eine Welle von Furcht und Verunsicherung auslösen.“
„Wenn das so ist“, meinte Sheldon und stellte sein Glas aus der Hand, „muß ich unsere Begegnung als einen geradezu unwahrscheinlichen Glücksfall empfinden, denn ohne ihn wäre ich vermutlich niemals von der Existenz dieser Männer unterrichtet worden.“
„Ein Glücksfall“, sagte Coco und ließ sich auf seinem Schoß nieder, „ist unsere Begegnung doch sowieso.“
Kommentare
Der Roman ist nun wirklich interessant genug, um daraus auch ein adäquates Hörspiel machen zu können. Und wieder einmal nur, um auf eine entsprechende Länge zu kommen, wurden weitere Elemente eingebaut. Ist auch grundsätzlich nicht zu verdammen, aber eine gewisse "Ähnlichkeit mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen" sollte schon vorhanden und nicht zufällig sein...