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Die Verrohung der Menschen - »Wolfzeit«

WolfzeitDie Verrohung der Menschen
»Wolfzeit«

Mit seinem Film „Wolfzeit“ nahm der gefeierte österreichische Regisseur Michael Haneke („Funny Games“) schon im Jahr 2002 eine dystopische Welt vorweg, in der jeder Einzelne um die wenigen verbleibenden Ressourcen kämpft und das Recht des Stärkeren regiert.

Nun ist der Film erstmals auf BluRay erschienen, in einem schmucken Mediabook des Labels „Camera Obscura“.

WolfzeitMichael Haneke schont sein Publikum nicht. In seinen Filmen geht es immer knallhart zur Sache, da wird einem optisch, aber vor allem psychisch stets eine Menge zugemutet. Zudem hält das Unfassbare bei ihm Einzug in das Alltägliche, sei es in der Gestalt gewalttätiger Nachbarn („Funny Games“) oder in den aufbrechenden sexuellen Leidenschaften einer Mitvierzigerin („Die Klavierspielerin“). Mit seinem Film „Wolfzeit“ hat Haneke in Cannes 2003 seine Zuschauer einmal mehr gespalten, aber das passierte ihm seit „Benny’s Video“ ja eigentlich ständig. Wenn in „Wolfzeit“ zu Beginn eine Familie in ihre abgelegene Waldhütte fährt, dort auf bewaffnete Eindringlinge trifft, die den Vater trotz seiner Beschwichtigungsversuche kurzerhand erschießen, scheint es zunächst so, als sei auch hier wieder das Chaos in einen Mikrokosmos eingedrungen, als würde sich Haneke nun dem Überlebenskampf der Mutter (einmal mehr: Isabelle Huppert) und ihrer beiden minderjährigen Kinder widmen. Doch schnell erkennt der gefesselte Zuschauer, dass hier eine ganze Welt aus den Fugen geraten ist, dass es hier um einen kollektiven Überlebenskampf geht: Eine Zigarette tauscht man gegen eine Büchse Thunfisch und für einen Liter Wasser bietet man sogar seinen Körper an.

WolfzeitVielleicht sieht die Welt ja schon in wenigen Jahren wirklich so aus – Haneke deutet an, dass so manche der natürlichen Ressourcen erschöpft ist; möglich wäre auch, dass ein Krieg zu dieser Situation geführt hat. Doch auf das „Warum” kommt es dem Regisseur gar nicht an, er interessiert sich vielmehr dafür, wie die Menschen in dieser extremen Lage miteinander umgehen. „Wolfzeit“ ist ein überaus düsterer Film, der nicht nur thematisch wenige Hoffnungen bestehen lässt, sondern auch optisch häufig in Dunkelheit versinkt. In diesen ästhetisch sehr ansprechenden Momenten arbeitete Haneke mit seinem Kameramann Jürgen Jürges („Christiane F.: Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“) ausschließlich ohne Kunstlicht, was die klaustrophobische Wirkung dieser Szenen noch um ein Vielfaches verstärkt. Die Ausweglosigkeit dieses Existenzkampfes, das sich ständig wiederholende Aufbäumen gegen die Unterdrückung und die Hilflosigkeit der ausgenutzten Schwachen wachsen im Laufe des Films zu einer enervierenden Resignation an, die sich auch in Michael Hanekes filmsprachlichen Mitteln widerspiegelt: So manche Szene wirkt redundant. Aber diese Wiederholungen scheinen dann schon wieder Sinn zu ergeben, da sie mithelfen, die grauenvolle Wahrhaftigkeit des Gezeigten besser zu verstehen. Und spätestens dann ist Hanekes bis dato utopischster Film näher an der Realität als alle seine anderen vorherigen Werke.

WolfzeitRund zwanzig Jahre nach seiner Erstaufführung ist „Wolfzeit“ vermutlich einer der am wenigsten bekannten Filme des mehrfach ausgezeichneten Österreichers. Im Vergleich zu den bereits erwähnten Arbeiten, aber auch hinsichtlich der danach noch realisierten Werke wie „Caché“, „Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte“ oder „Liebe“, ist die Kritik seinerzeit eher harsch mit „Wolfzeit“ umgegangen. Vor dem Hintergrund des aktuell wieder in Europa tobenden Krieges und der damit auf dem ganzen Kontinent einhergehenden Ressourcenknappheit hat Hanekes Utopie aber eine ungeheure Aktualität bekommen. Die BluRay-Erstveröffentlichung des Films als Mediabook bei Camera Obscura liefert ein sehr gutes Bild (im Widescreen-Format 2,35:1), bei dem auch die extrem dunklen Passagen noch einen guten Eindruck hinterlassen. Der Ton liegt leider nur im französischen Original im DTS HD Master Audio 5.1 vor, der deutsche Synchronton ist im DTS HD Master Audio 2.0 aufgespielt. Optional sind auch deutsche Untertitel verfügbar. Die Extras bestehen aus einem Making Of (27 Minuten), dem französischen Trailer und einem deutschen Teaser, einer „Behind the Scenes“-Fotogalerie sowie einem zwanzigseitigen Booklet mit zahlreichen großen Fotos sowie einem wissenschaftlichen Essay von Prof. Dr. Marcus Stiglegger zu den mythologischen Motiven in Hanekes Film.

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