Wenn Stühle umfallen, ein toter Alk herumflattert und Zeit relativ ist
Wenn Stühle umfallen, ein toter Alk herumflattert und Zeit relativ ist
Man nehme:
Eine ganze Menge Autoren basteln aus den oben genannten Bestandteilen ihre Bücher. Kein Wunder, dass man im ersten Moment etwas stutzt, wenn man zu lesen beginnt. Mir jedenfalls ging es so.
Damit hat es sich aber auch schon mit den (in diesem Fall durchaus nicht langweiligen) Versatzstücken der "Childrens' Fantasy". Der Rest des Buches ist wie ein Geschenkkarton, in dem sich ein Karton findet, in dem ein Karton steckt, in dem ein Karton steckt, in dem ...
Allerdings dauert es eine ganze Weile bis dem Leser klar wird, wer dieses "ICH" ist, das vom mysteriösen Auftauchen und Verschwinden von Menschen berichtet, von dem alten bedrückenden Anwesen und der einem die Hausbewohner vorstellt.
Kim, so der Name des Jungen, ist 13 Jahre alt und nach dem überraschenden Tod seiner Mutter in England in dem alten Familiensitz "gestrandet". Die Beschreibung des Hauses auf den ersten Seiten läßt schon ahnen, dass an dem alten Gemäuer mehr dran ist.
Es war ein riesiges, bedrückendes Anwesen, das von der Welt abgeschnitten im tiefen, u-förmigen Tal des Flusses Skirl lag (...) Im Herzen von Skirl lag ein weiteres, sehr viel älteres Gebäude, das 600 Jahre zuvor erbaut worden war, vielleicht sogar noch früher - so genau wusste das niemand. (...) Wenn mir langweilig war, versuchte ich herauszufinden, wo genau sich das alte Haus befunden hatte, doch sein Grundriss und seine genaue Lage entzogen sich mir irgendwie jedes Mal. (S. 10/11)
Kim bleibt jedoch nicht lange allein! Er bekommt vom Schicksal einen Verwandten an die Seite gestellt, dessen "Vater vor drei" aus dem Haus geflüchtet war, um sich vor dem offensichtlichen Fluch zu retten, der über der Familie Drago zu liegen scheint: Ighty Ma-Tuu Clava.
Gemeinsam gehen sie die Aufgabe an den Fluch zu durchbrechen - und das sollten sie auch besser, wenn sie am Leben bleiben wollen.
Henry Porter, 1953 geboren, Autor und Erfinder der Welt um Skirl, ist in England bereits bekannt als Journalist und Redakteur (für den Observer und die englische Ausgabe von Vanity Fair) und als Schriftsteller bisher eher geheimdienstlastiger Romane. Seine Popularität stieg durch eine E-Mail-Debatte, die er sich mit dem damaligen britischen Premierminister Tony Blair lieferte, und die im Observer abgedruckt worden war. Henry Porter ist politisch aktiv und unterhält auf seiner Blogsite eine ganze Reihe Artikel zum Thema politische und bürgerliche Freiheiten (derzeit ist zum Beispiel die Frage nach der Einführung einer Identitätskarte in England hoch umstritten), sammelt zu diesem Thema auch Aritkel aus diversen Medien. Für September ist ein neuer Roman von ihm angekündigt, der wieder im Geheimdienstbereich zu spielen scheint.
Der Einstieg in das Buch war etwas verwirrend, man musste etwas darum kämpfen, die Informationen einzuordnen und einen Anfang zu finden. Dann blättert man unwillkürlich hin und her um herauszufinden, wann der Einstieg in die Geschichte spielt, bis man feststellt, dass ein simpler Blick auf die Überschrift des ersten Kapitels genügt hätte, um die Antwort zu finden.
Auch wenn die Hauptpersonen im Buch durch die Zeit und die Welt der Zeit wandern, spielt sich die ganze Geschichte in der Umgebung von Skirl und Skirl selbst ab. Wie anders konnte sich das Haus darstellen:
Das Haus sah aus wie ein Palast! Aus mindestens dreißig Schornsteinen stieg Rauch in den morgendlichen Himmel auf (...). Skirl wirkte wie in diesem Moment nicht wie ein Haus, sondern eher wie ein großer Ozeandampfer, der an einem Kai festgemacht hatte. Wie prachtvoll und uneinnehmbar Skirl aussah... (S. 285/319)
Und dann, mitten im Lesefluss ... ist das Buch mit einem Mal zu Ende. Ehrlich gesagt schwankte ich einen Moment zwischen etwas Ärger (weil schon vorbei), Anerkennung (für den ulitmativen Cliffhanger), einer ganzen Menge Fragen (ob der noch lose herumhängenden Fäden), um 5 Minuten später nochmal gefrustet zu werden (weil ich entdeckt hatte, dass es noch nichtmal in Englisch bereits eine Fortsetzung des Buches gibt).
Spannend war es dann noch beim "Wühlen" im Netz auf eine Information zu stoßen, die mit großer Wahrscheinlichkeit auch Henry Porter bekannt war: Im 18. Jahrhundert wurde es als ein schlechtes Omen angesehen, wenn ein Gast einen Stuhl umwarf, und - sehr abergläubische Gastgeber - vermieden es sogar, diese Person für ein Jahr wieder in ihr Haus einzuladen, um nichts Schlechtes auf sich zu ziehen.
Laut Verlagsangabe soll das Buch für Jugendliche ab 10 Jahren geeignet sein. Der englische Verlag empfiehlt es sogar bereits ab 8 Jahren. Acht Jahre scheint mir etwas zu jung für ein "normalgepflegtes" Kind zu sein, ein wenig zu hart finde ich es an manchen Stellen. Dieser Unterschied von zwei Jahren zwischen Leseempfehlungen von englischen zu deutschen Büchern ist gar nicht selten. Ich würde zehn Jahre für durchaus ausreichend halten.
Ach ... ups ... und fast vergessen: Ein Alk, der da im Titel herumflatterte, ist übrigens eine Bezeichnung für eine Vogelgattung. Genau genommen ist Alk etwas ungenau, denn im Buch handelt es sich um einen Riesenalk, eine Untergattung, die in Neufundland, Grönland, Island oder den Shelands lebte, und leider bereits ausgestorben ist. Porter ist Hobbyornithologe und kam zweifelsohne durch sein Hobby auf die Idee, diesen "Pinguin der Nordhalbkugel" als eine Gestalt zu wählen.
Zum Buch:
Henry Porter
House of Skirl, Meister der 13 Stühle,
aus dem Englischen von Anne Braun,
erschienen Juni 2008
336 Seiten, 14.0 x 21.5 cm
ISBN 978-3-7855-6362-5
Hardcover
Loewe-Verlag
Quellen (Texte und Abbildungen):
Wikipedia
Henry Porter Website
Website Edinburgh International Book Festival