Wenn der Earp mit dem Zahnarzt … - Dietmar Kuegler’s Tombstone
Wenn der Earp mit dem Zahnarzt …
Dietmar Kueglers »Tombstone«
Der Klappentext des Blitz Verlags zu diesem Roman seiner Reihe »Arizona Legenden« gibt uns folgende Auskunft:
An einem kalten Oktobertag des Jahres 1881 peitschten in der pulsierenden Silberminenstadt Tombstone im Südosten Arizonas auf offener Straße etwa dreißig Schüsse. Der Gunfight am O. K. Corral kostete drei Männer das Leben und machte die Sieger unsterblich. Wyatt Earp und Doc Holliday wurden zu Western-Legenden.
Dieser packende Roman, ergänzt durch historische Erläuterungen und Abbildungen, erweckt die dramatischen Ereignisse von Tombstone und die handelnden Personen zum Leben.
Die im Klappentext angekündigten Abbildungen sucht man leider vergebens. Dabei verfügt Dietmar Kuegler über reichhaltiges (nicht nur historisches) Bildmaterial zum Thema. Warum die Abbildungen nicht enthalten sind, kann uns wohl nur der Verleger erklären. Das Fehlen ist bedauerlich …
Der Roman an sich stammt aus dem Jahr 1985 und ist solide recherchiert – wie man es von Kuegler, dem Mastermind hinter »Ronco« und »Lobo« gewohnt ist. Was schon auffällt: der Text enthält viele Dinge, die man in so mancher Aufbereitung des Stoffes um die berühmte Schießerei nicht findet. Kuegler ist nicht nur ein guter Westernautor, sondern auch beschlagen mit der Geschichte. Er schreibt dann eben nicht nur von der Legende, sondern auch über die Fakten hinter dem Mythos.
Kuegler räumt im Nachwort aber freimütig ein, dass er 1985 noch nicht soviel wusste wie heute, und hat noch einiges im Romantext korrigiert und an die neuen Forschungsergebnisse angepasst, anderes in einem recht umfangreichen Anhang noch erläutert. Der Autor legt in diesem Anhang den Schwerpunkt nicht auf die Earps und ›Doc‹ Holliday, sondern auf die Clantons, die Verlierer der Schießerei, denn über die ist ja weniger bekannt.
Dieser Anhang allein ist den Roman wert. Kuegler setzt sich mit dem Mythos des ›Gunfight am O.K. Corral‹ auseinander, ordnet ihn ein und erklärt, dass diese Geschichte im Rahmen der Gesamtgeschichte eigentlich ein untergeordnetes und überbewertetes Ereignis ist.
Und der Autor macht in diesem Nachwort auch eins klar: Die Geschichte des sogenannten ›Wilden Westens‹ ist im Fluss und es werden durch Historiker immer neue Fakten ans Licht gespült, so dass authentische Western und auch Sachbücher oft längst eher zur Legende gehören.
Kuegler ist sich dessen bewusst und behauptet nie, seine Romane (und auch seine Sachbücher) wären der historisch letzte Schluss. Er weiß eben, dass die Forschung immer noch mitten in der Arbeit steckt und da noch längst nicht alles so festgemauert in der Erden ist wie in Schillers Glocke.
Im Zauberspiegel Interview zum Thema Geschichte des Westens sagte er:
Die Quellenlage der Pionierzeit ist also gut. Die Amerikaner sind sorgfältige Archivare. Es ist nur manchmal ein Problem, da das Land so groß ist, weil sich manche Akten nur in regionalen und lokalen Sammlungen befinden. Wenn man z. B. die Zeit, in der Wild Bill Hickok Gesetzesvertreter in Hays (Kansas) war, untersuchen will, das habe ich getan, müssen Sie sowohl in das Stadtarchiv von Hays, als auch in die Akten der Historical Society von Kansas steigen. Dann finden Sie buchstäblich alles; handschriftliche Briefe und Berichte von Hickok selbst, Briefe des Kommandanten von Fort Hays, Briefe des Gouverneurs von Kansas, Zeitungsartikel der lokalen Presse. Das ist manchmal sehr mühsam und langwierig, obwohl die lokalen Historiker unglaublich hilfsbereit sind. Und man muss erst einmal in diese abgelegenen Gegenden fahren. Das ist selbst für amerikanische Historiker schwierig.
Damit ist klar, dass da längst noch nicht alles ausgewertet ist. Wer sich also heute aufgrund alter Sachbücher (aus dem späten 20. Jahrhundert) hinsetzt und Romane schreibt, der sollte nicht behaupten, wirklich historische Romane bzw. authentische Western zu schreiben, denn er ignoriert den wahren Stand der Forschung.
Kuegler selbst ist so realistisch festzustellen, dass auch seine älteren (und oft halbwegs authentischen) Texte nicht mehr dem Stand der Forschung entsprechen. Aber wie im Falle »Tombstone« schließt der eine oder andere historische Fakt nicht aus, einen spannenden Roman zu lesen zu bekommen. Und das ist Tombstone fraglos. Die Lektüre war ausgesprochen angenehm. Ich habe mich amüsiert. Aber wie sagte Kuegler selbst im bereits zitierten Interview zum Thema Legende und Wahrheit im Western
Deswegen wird man den Mythos auch nicht zerstören, wenn man die Realität in sachlicher Form darstellt. Man verändert allenfalls seinen Stellenwert. Aber Mythen gehören, genau wie Legenden, zur Natur des Menschen. Die Tatsachen mögen noch so klar auf der Hand liegen oder dokumentierbar sein, der Mensch braucht auch die Romantik, braucht das Mysterium, das menschliche Handlungen oft umgibt. Er braucht die Legende wie die Luft zum Atmen. Die Realität braucht den Traum, um das Leben abzurunden. Es ist ein Zusammenwirken von Kopf und Herz. Ich behaupte, dass ohne diese beiden Elemente, die sich scheinbar widersprechen, sich im Grunde aber fundamental ergänzen, das Leben manchmal unerträglich wäre. Ich sage auch ketzerisch: Die Legende kann das Interesse wecken, das zur Wirklichkeit führt. So war es jedenfalls bei mir.
Und damit wünsche ich dem Roman viele Leser. Mir jedenfalls hat er gefallen und ich werde mich mal in den Antiquariaten nach weiteren Kuegler-Romanen umsehen …
TOMBSTONE
Hier noch eine Bildergalerie aus Tombstone, die Dietmar Kuegler im Juni 2014 aufgenommen hat, als er eine Reisegruppe durch den Wilden Westen führte. Hier auch sein Reisetagebuch zu diesem Tag in einer der wohl legendärsten Städte des Wilden Westens ...
Kommentare
Auf jeden Fall ist der Westen eine hoch interessante Thematik, die sehr vielschichtig betrachtet werden kann. Denn man darf nie die Hintergründe und Lebensumstände der Menschen vergessen oder heutige Maßstäbe anlegen. Die fehlende Infrastruktur und die fast völlige Abwesenheit von Recht, Gesetz und staatlicher Ordnung stellten die Menschen vor die Problematik, so ziemlich alles selbst regeln zu müssen.
Hab' das leider in Hörbüchern mehrfach falsch gehört. Meine Schüler machen's richtig.
Im Kelter-Verlag gab es ca. 1982 die kurzlebige "Berühmte und berüchtigte Westmänner"-Reihe im Zeitschriftenformat, zu der Sie die Nr. 1 beigesteuert haben. In einem der zwei erschienenen Bände wurde erwähnt, dass eine bald kommende Ausgabe sich "Wyatt Erarp" annehmen würde. Wäre der in "John Gray" erschienene Roman um Wyatt Earp von Ihnen besagter Roman für die Magazinreihe gewesen?