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Trauer im Social Web: Wie?

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-Kolumne

Trauer im Social Web:
Wie?

"Das sind Wörter, bloße Wörter, nicht? Du sag'! Aber dennoch: Es ist etwas in ihnen: ein Schwindeln, ein Ziehen, ein Sehnen, ein Drängen." So Octavian im Rosenkavalier, direkt zu Anfang der Komödie für Musik von Hugo von Hoffmansthal. Dass Wörter schwindeln machen können, dass sie einen hinabreißen können, dass Wörter drängen - für Octavian, der in diesem Moment noch das Liebesabenteuer der Marschallin aus der Nacht in den Tag retten möchte alles eine einzige Erfahrung.


Vergeblich aber sein Aufbegehren gegen den Tag, an dem die Marschallin alle haben, denn die Maschinerie des Tages hat schon angefangen sich zu manifestieren. Die Maschinerie des Tages steht nicht still und die Welt auch nicht. Wenn das für ein solches erfreuliches Taumeln der Gefühle gilt, gilt das nicht auch genau so für die Trauer? 

Denn auch wer trauert, der will den Tag nicht. Und taumelt ebenfalls von einer Gefühlsregung in die andere - im besten Falle hat man sich noch wappnen können, hat täglich Abschied nehmen können weil man wusste: Die Krankheit führt zum Tode, die letzten Tage sind nahe. Wie bei der Liebe ist das Gefühl extrem - so in DER ZEIT eine Bestatterin:

Trauer ist aber eine Mischung aus ganz vielen Gefühlen: Wut, Ungerechtigkeit, Schuldgefühle, Liebe, Dankbarkeit, oft auch Erleichterung. (...) Wenn wir trauern, haben wir in kurzer Zeit mit extremen Gefühlsschwankungen zu tun. Das sind wir nicht mehr gewöhnt.

Manchmal ist es einem verwehrt, Abschied zu nehmen. Wegen eines Unfalls. Wegen einer Terrorattacke wie in München. Oder einfach, weil ein Mensch für sich entscheidet, dass er genug gelitten hat und deswegen den Freitod wählt. Für die Art von Trauer nach Katastrophen haben wir schon einige Schemata gefunden, auf die wir prompt zurückgreifen: #JesuisParis schreiben wir und ziehen die französische Nationalflagge über unsere Avatarbilder, twittern eifrig Tipps für #OffeneTüren, nutzen die Funktion von Facebook um nachzusehen, ob Bekannte in Sicherheit sind.

Kann man dies aber Trauer nennen? Oder ist das nur das, was wir Mitleid nennen können in den Zeiten des Social Webs? Anteilnahme. Mitfühlen. Soweit wir es aus der sicheren Warte unserer Häuser können und vermögen und ja, auch ein Erschrecken. Ein Erschrecken darüber, was Menschen anderen Menschen antun können und was Menschen, weil Stimmen in ihrem Kopf es ihnen befehlen, weil sie auf Drogen sind, weil sie glauben, das Paradies wartet auf sie, ja, was Menschen anderen Menschen antun können ist schrecklich. "Die Hölle, das sind die Anderen." So schließt Sartres Stück "Hinter verschlossenen Türen". Keine neue Erkenntnis, aber eine, die wir gerne verdrängen: "Der Mensch ist des Menschen Wolf." Manchmal.

Was aber, wenn uns die Trauer jenseits der Terror-Attacken nahe kommt, weil ein geliebter Mensch zugrunde gegangen ist? Wenn sie uns zu nahe kommt, weil auf einmal jemand nicht mehr da ist? Wenn wir hineingeworfen werden in ein Tohuwabohu jenseits unseres Alltags? Wenn wir den Tag nicht wollen, wenn wir mit den Fragen ringen, wenn wir Zweifel haben und die Traurigkeit uns vollständig erfüllt? Wie können wir da trauern in diesem Social Web? Wie können wir die Wut, den Zorn, die Verzweiflung öffentlich kund tun? Müssen wir das? Oder reicht es nicht erst mal nichts zu tun? Aber dem stehen die Sorgen derjenigen entgegen, die uns aus dem öffentlichen Web kennen. Die sich dann erst recht sorgen, wenn wir ohne ein Wort zu sagen abtauchen.

Es gibt kein richtiges und kein falsches Trauern. Es gibt keinen Knigge-Ratgeber dafür. Es gibt keine Richtlinien, an die wir uns halten können. Und gerade das irritiert uns. Für jedes Problem findet sich bei YouTube ein HowTo. Schminken, Uhren reparieren, Waschmaschine entkalken - für diese handfesten Dinge gibt es Lösungen. Sicher: Es gibt Rituale, die wir im normalen Leben vermittelt bekommen haben. Es gibt Muster und Anweisungen. Wir wissen alle irgendwie, dass man Schwarz trägt, dass man auf einer Beerdigung respektvoll ist. Gleichzeitig frönen wir aber dem Leichenschmaus und reden über die schmutzigen Anekdoten aus dem Leben des Verstorbenen. Im Social Web aber finden wir nicht den Halt, den wir sonst gewohnt sind. Wir finden nicht die schnelle Lösung auf unser Problem. Google verrät uns den nächsten Bestatter. YouTube blendet bei der Suche nach "Selbstmord" noch die Telefonhotline der Seelsorge ein. Da versagt das Social Web - jedenfalls in dieser Hinsicht: Die schnelle Antwort, die schnelle Schmerzbefriedung, die schnelle Alltagsfindung. Sie gibt es nicht. Das, was in uns brennt, was gestillt werden möchte, was Tage und Nächte unerträglich macht ist nichts, was mit einer Reihe von netten freundlichen Schminkvideos ins Reine gebracht werden könnte. 

Was hilft, wenn alles schwankt? Woran sich festhalten, wenn man in den Zustand des Chaos zurückgeworfen wird - tatsächlich ins Tohuwabohu? Sich an der Maschinerie des Tages festklammern. Vielleicht annehmen, dass man zerrissen ist, dass ein Teil fehlt, dass ein Stück weg ist. Akzeptieren, dass es Zeit braucht. Dass es nicht nach einer Woche, einem Jahr, dass es länger dauern wird bis die Wunde vernarbt ist. Auf jeden Fall: Weitermachen. Ist es einfach? Nein. "Ich weiß, Anna, aber es ist so schwer" aus Brechts Todsünden der Kleinbürger kommt einem in den Sinn - ebenso wie Spikes Ratschlag aus"One More with Feeling",

"Life is just this, it's living. You'll get along, the pain that you feel can only be healed through living. You have to go on living."

Schlussendlich aber bleibt natürlich die Frage:

"Where do we go from here? Why is the path unclear, when home is near?"

Wir wissen es nicht. Aber vielleicht hilft das Posten eines lustigen Videos bei Facebook, um Wenigstens einigermaßen klarzubekommen wo der Weg langführt. Irgendwann kommt man dann doch vielleicht nach Hause.

Kommentare  

#1 Des Romero 2016-08-06 09:04
Das Social Web ist sicher der richtige Ansprechpartner, wenn man sich bemitleiden lassen und seinem Kummer ein Forum geben möchte. Zur Bewältigung der Trauer trägt es nichts bei, außer vielleicht einigen gutgemeinten, aber nutzlosen, Aufmunterungsversuchen oder Beileidsbekundungen. Letztere bedienen unser Ego, das sich nach Aufmerksamkeit sehnt. Denn wenn wir es genau betrachten, ist Trauer um einen Menschen, den wir verloren haben, zumeist ein höchst egoistisches Gefühl. Wir erinnern uns etwa an viele schöne Stunden, die wir mit der verstorbenen Person verbracht haben, bedauern uns aber an sich selbst, weil uns diese Möglichkeit für die Zukunft genommen wurde. Da gilt es zuerst einmal, den Grund unserer Trauer zu erforschen. Trauern wir um einen Menschen um seiner selbst willen oder weil er ein Bestandteil unseres Lebens war und dort eine Lücke hinterlassen hat, die für uns ganz persönlich schmerzhaft ist?

Die Gesellschaft, in der wir leben, schult uns nicht darin, uns mit unseren Emotionen auseinanderzusetzen, kennt aber eine Reihe Medikamente, die unsere Gefühle vorübergehend betäuben, und ächtet den Alkohol, der eigentlich nichts anderes macht, aber unsere Funktionsfähigkeit einschränkt. In einer Welt, in der der Mensch lediglich funktionieren soll, lässt sie ihn allein mit seinen "seelischen" Problemen.

Wir können uns nur selbst helfen! Und je größer die persönliche Krise ist, desto mehr werden wir offen für eine unkonventionelle Herangehensweise und beschäftigen uns mit Lösungsansätzen, die wir zuvor noch abgelehnt hätten.

Zur Trauererkennung und -bewältigung etwa ist Youtube nicht ganz so nutzlos, wie der Artikel erahnen lässt. Ich verweise immer wieder gern auf die Vorträge von Robert Betz, der mit seinem rheinischen Charme Hilfe zur Selbsthilfe bietet.
Stellvertretend dazu hier mal ein Link, den ich auf Youtube gefunden habe:

www.youtube.com/watch?v=60uk-Tiwflg

Empfehlenswert auch sein Vortrag "Die Zeit heilt keine Wunden", den ich aber nicht im Netz gefunden habe, der aber über seine Homepage bestellbar ist.

Ebenfalls empfehlenswert ist René Eglis "Das Lola-Prinzip".

Es gibt noch eine Vielzahl anderer Helfer, doch Voraussetzung ist immer, dass man Willens ist, die gebotene Hilfe anzunehmen. Denn auch Trauer – und in stärkerem Maße Ärger, Wut und Hass – ist ein zerstörerisches Gefühl, das uns spürbar krank macht.
#2 Laurin 2016-08-06 19:32
Nun ja, Trauer ist für mich erst einmal auch ein Gefühl von Verlust, weil man den besagten Menschen mochte/liebte. Es ist also eigentlich die Form, eine nun endgültige Trennung zu verarbeiten. Ob man da "unkonventionelle Herangehensweisen" benötigt, lasse ich mal dahin gestellt, dass muss glaube ich jeder für sich selbst ausmachen. Trauerarbeit über oder im Social Web zu betreiben, halte ich allerdings für sinnlos. Hier kann man an den Menschen erinnern, aber das hat noch nichts mit dem verarbeiten von Trauer und Verlust zu tun. Letzteres muss man wohl weiterhin selber schaffen, da helfen weder Beileidsbekundungen noch gute Vorträge da sie auf die individuellen Gefühlsregungen des Einzelnen nur sehr bedingt eingehen können.

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