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Pokemon Go: Das Digitale, das Reale und der Mischmasch

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumnePokemon Go:
Das Digitale, das Reale und der Mischmasch

In den späteren Jahren wird sich die Generation derer, die momentan aufwachsen, an jenen herrlichen Sommer des Jahres 2016 erinnern, in dem für mehrere Monate einfach Liebe, Frieden und Gerechtigkeit in der Luft lagen. Scharen von Teenagern - und junggebliebenen Erwachsenen - zogen durch die Lande, immer einen Blick auf das Smartphone-Display, die Powerbank nahebei und jagten virtuelle Taschenmonster. In der realen Welt.

Das Prinzip der Augmentierten Realität ist nicht gerade neu - auch das Spielprinzip an sich nicht, denn schon vorher gab es Ingress. Allerdings fehlte es diesem Spiel ein wenig an Appeal, es gab eine Hardcore-Fangemeinde, aber Momentum gewann das Spiel der Firma Niantic nicht. Allerdings hatte diese Firma dann schon Daten und Erfahrung, als Nintendo auf die Idee mit Pokemon Go kam. Sämtliche Pokestops etwa, die zu Beginn der App implantiert worden sind, basieren auf Ingress-Daten.

Die Augmentierte Realität war auch schon vor Pokemon Go als Konzept alles andere als unbekannt - aber sie war zu weit von der Realität entfernt als dass sie wirklich begreifbar gewesen wäre. Es war wie mit allen neuen Dingen: Sie werden skeptisch beäugt, man kann sich nicht vorstellen, wozu sie gut sein sollten und dann kommt jemand daher, der eine Idee hat und zack, fertig. Natürlich haben wir dann schon immer gewußt, dass Augmentierte Realität nützlich sein kann.

Doch Pokemon Go brachte diese Technik näher, holte sie spielerisch in unseren Alltag und war deswegen bahnbrechend. Das Spiel zeigte auf, was alles machbar war - wenn man heutzutage virtuelle IKEA-Möbel auf dem Smartphone hin- und herschiebt oder wenn Apple Augmentierte Realität auf dem iPhone X möglich macht; all das ist ein Nachfolger im Geiste von Pokemon Go. Wir haben den Nutzen erkannt. Wir haben begriffen, wie es geht. Ja, es ist nützlich. Es macht Spaß.

Pokemon Go begeisterte dabei diejenigen, die mit dem Gameboy die erste Generation der Spiele spielten genauso wie die Teenager, die eventuell noch nie etwas von dem Spiel in der Hand gehabt hatten. Es sprang ohne weiteres über die Altersbarriere und vereinte Hardcore- und Gelegenheitsspieler*innen. Es setzte zudem die vielgescholtene Generation Sofakartoffel in Bewegung. Und sorgte gleichzeitig für Unverständnis.

Ein Unverständnis, das angesichts der aktuellen Safari-Zonen-Aktion in Dortmund wieder hochgekommen ist und dass zeigt, wie gespalten das Verhältnis in Deutschland zu digitalen Dingen immer noch ist. Nein, es zeigt, wie sehr wir immer noch unterscheiden zwischen Digitalem und Realem Leben. Versammeln sich Hunderttausende von Menschen zu einem Public Viewing, die dann ihre Smartphones benutzen und das Netz genauso überlasten wie Fans von Pokemon Go: Yeah, großartig, wie alle diese Leute friedlich miteinander feiern, diese Stimmung ist auch das, was zu so einem Event dazugehört, das sind echte Fussball-Fans.

Wenn dagegen Hunderttausende im Westfalen-Park sich zu einem Event verabreden, bei dem sie mit dem Smartphone virtuelle Taschenmonster fangen, dann so: Haben die Leute Langeweile? Deutschland ist echt im Arsch, Notrufe kommen da doch nicht durch, der ganze Quatsch gehört abgeschafft und vor allem ist das natürlich nicht das reale Leben. Denn das reale Leben findet draußen statt, wo man sich mit Menschen trifft, miteinander redet und ... gemeinsam irgendwas macht? Merkt ihr selber, oder?

Natürlich ist die Unterscheidung zwischen einem digitalem Anteil und einem - nun - realem, analogem Anteil im eigenen Leben durchaus sinnvoll. Aber es ist sinnvoller von Anteilen, von Aspekten, von Facetten zu reden. Der Fussballfan die Fussballbegeisterte, der oder die ein Selfie macht und das teilt - was ist das? Digital, analog, real? Ein kurzer Blick aufs Smartphone wegen der Ergebnisse - digital, analog, real? Natürlich ist alles real, alles findet in dem einen Moment dieses einen Lebens statt. In diesen Momenten überlappen sich nur die Ebenen, greifen die Realitäten ineinander, die wir im Leben für uns geschaffen haben. Das Digitale ist genauso real wie das Analoge.

Im Grunde genommen ist alles ein einziger Mischmasch, fließt alles ineinander über und vermengt sich. Wir bemerken das noch nicht mal unbedingt. Wir haben die digitale Technik in unser Leben integriert und fragen ohne Weiteres SIRI nach aktuellen Wetterdaten, stellen uns über das Internet unser Unterhaltungsprogramm zusammen. Dabei ist es egal, ob wir per smartem Fernseher gerade Netflix oder Amazon abrufen, einen Film, der auf einer Festplatte im Haus gespeichert ist. Es macht für das Leben nach dem Dienst keinen Unterschied. Außer vielleicht, dass man im smarten Haushalte vom Büro aus die Schalousien herunterlassen kann, damit es kühl ist, wenn man nach Hause kommt.

Pokemon Go ist ein Spiel, das Leute auf dem Smartphone und mit der normalen Realität spielen. Während der religiöse Gläubige, die Anhängerin einer Religion darauf hoffen muss, dass es neben dem Alltag noch eine andere, spirituelle und unsichtbare Welt gibt, weiß der Pokemon-Go-Spieler, die Spielerin, dass diese existiert. Mit dem magischen Tool Smartphone eröffnet sich eine weitere Dimension. Neben unserem analogem Leben wird die Ebene des Digitalen sichtbar. Erfahrbar.

Und in beiden Ebenen gilt: Wir sind soziale Wesen. Wir können auf Dauer nicht ohne einander. Mit allen Vor- und Nachteilen. Und es gilt auch die Erfahrung: Was im digitalen Bereich beginnt, setzt sich im analogen Bereich fort. Wenn Menschen für ein digitales Spiel den Weg nach Dortmund auf sich nehmen, sich dort miteinander unterhalten, sich kennenlernen - dann mag man meinen, dass Deutschland im Arsch sei. Oder man erkennt, dass Verständnis und Respekt füreinander eventuell auch auf andere Aspekte des sogenannten Normalen Lebens abfärben kann. Allemal besser, als auf irgendwelche Fussballspieler mit türkischen Namen nach verlorenen Spielen einzudreschen. Nicht wahr?

 

Kommentare  

#1 Cartwing 2018-07-06 06:59
Eine "Walking Dead" - Variante erscheint ja auch bald. Dann kann man "The Walking Dead" im doppelten Sinne live erleben ;-)
(zumindest jene, die ohne Smartphone die Straße überqueren 8) )
#2 Laurin 2018-07-06 16:12
Zitat:
" Wir sind soziale Wesen. Wir können auf Dauer nicht ohne einander. "
Jetzt verstehe ich auch, warum manche vor die fahrenden Autos anderer laufen wenn sie realitätsverloren auf ihr Smartphone sehen. Es geht eben nichts gegen etwas zwischenmenschlichen Kontakt, auch wenn dazwischen etwas Autoblech steht. :lol:
Aber mir soll es egal sein, wenn sie ihren Spaß dabei haben. So machen sie zumindest keinen Blödsinn, überfallen Rentner, wollen dir die neue Ausgabe des "Wachturm" andrehen oder gehen gar in die Politik um dort Dummheiten im Quadrat zu verzapfen. So hat alles eben seine guten und schlechten Seiten.

Und wer oder was ist SIRI? Wie das Wetter wird, sehe ich auch, wenn ich am Morgen die Rollos hochziehe. ;-)
#3 Loxagon 2018-07-06 22:37
Pokemon Go mochte ich noch nie und werde es auch NIE mögen, Die Handhelddinger sind hin und wieder okay, aber da müsste man mal endlich einiges verbessern:

eine richtig gute Story wäre mal toll. Schwarz/Weiß ging da genau in die richtige Richtung, weil endlich die Frage aufkam: "Werden Pokemon nicht in Wahrheit nur ausgenutzt? Ist es nicht Tierquälerei, sie in diesen Bällen zu halten?"

Dass der vermeintliche Schurke dann natürlich nur selbst ein Opfer war, lag aber schon zu Beginn des Spiels auf der Hand.

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