MANIAC: Seelenwirbel und Verwirrbruchrealitäten
MANIAC
Seelenwirbel und Verwirrbruchrealitäten
Die Straßenaufnahmen wirken, als ob man sich in einer Reinkarnation von Gibsons Sprawl befände - nur ohne allgegenwärtiges Dach. Das sind nicht unsere Achtziger. Spätestens wenn der ein Dealer mit einer sarkastischen Koala-Puppe Schach spielt wird das sowas von klar. Abgesehen von den putzigen Robotern, die den Hundekot wegmachen...
Von Anfang verwirrt MANIAC und das Verwirren scheint Programm dieser Serie zu sein. Eine Serie, die von Verwirrungen und Wirbeln der eigenen Seele handelt, muss wohl auch so anfangen. So verwirrend, dass wir uns als Zuschauer fragen, wo wir gerade sind. Gleichzeitig aber beginnt die Handlung an sich eigentlich recht banal: Zwei Menschen haben sich für eine wissenschaftliche Studie gemeldet. Das sind zum Einen Owen Milgrim - gespielt von Jona Hill - und zum Anderen Annie Landsberg - dargestellt von Emma Stone. Während Annie an der Studie teilnimmt, weil sie nach einer der Pillen, die dort verabreicht werden süchtig geworden ist, ist das für Owen eher ein Ausweg aus einem Dilemma. Sein Bruder hat eine Frau sexuell belästig und Owens Vater verlangt, dass er im Zeugenstand für den Bruder lügen soll. Bei Annie geht es dann auch, wie man in eine Rückblende erfährt, um einen Unfall, bei dem sie ihre ältere Schwester verloren hat.
Wunderbare Ausgangsszenarien für ein Drogenexperiment, nicht wahr? Und beinahe fliegen die Beiden auch hochkant raus, wenn nicht gerade der führende Wissenschaftler vor ihren Augen sterben würde. Was zu einem neuen Chefwissenschaftler führt, der erfährt, dass der Computer, der all diese Experimente mit den Drogen überwacht, von der Assistentin mit dem Emotionsprofil von dessen Mutter versehen wurde. Und der Computer hat gerade eine Krise, denn er und der ehemalige Chefwissenschaftler haben wohl zarte Bande miteinander geknüpft. Was natürlich seine Auswirkungen auf das Experiment mit den Probanden hat, denn schließlich könnte der Computer diese gar nicht mehr aus seiner Obhut entlassen wollen...
Seltsam, aber so sind die Drehbücher geschrieben und so ist die Serie von Cary Joji Fukunaga gedacht und geplant worden. Wobei das nicht so ganz stimmt, der Macher der ersten Staffel von True Detective hat sich eine schwedische Serie zum Vorbild genommen - in wieweit es hier Parallelen gibt, wo die Abweichungen liegen, das sind Fragen, die hier nicht erörtert werden können. Ganz einfach, weil wohl keiner bisher das Original kennt oder gesehen hat. Außer die Schweden. Aber wenn die Sprache auf True Detective kommt, dann ahnt man als Zuschauer schon leicht, was man erwarten kann.
Wobei: Wenn Owen zu Beginn als schizophren dargestellt wird, bei dem die Realitätsebenen schon von selbst ab und an durcheinanderschwappen - Popcorn-Mais poppt auf einmal auf, Erdbeben erschüttern die Umwelt und imaginäre Personen weisen ihn an, Plänen Folgen zu leisten, die er nicht kennt. Wenn daher schon die Ausgangssituation nicht gerade fassbar ist - was vielleicht auch den Koala beim Schachspiel erklären könnte, wenn das nicht eine Szene mit Annie wäre - ist das was folgt für den Zuschauer aberwitzig. Sicher, er weiß: Durch die verschiedenen Pillen werden verschiedene Dinge ausgelöst. Das Ziel des Wissenschaftlers ist ja eine Pille, die Menschen von allen ihren Psychosen und seelischen Krankheiten heilen soll. Der Prozeß gliedert sich in drei Phasen, die man als Zuschauer gut verfolgen kann.
Allerdings: Dass Owen und Annie sich immer wieder in ihren jeweiligen Welten begegnen ist nicht vorgesehen bei diesem Prozeß. Nebenwirkungen von Annies Missbrauch und Owens nicht ganz gefestigter Persönlichkeit? Schnell wird aber auch klar, dass der Computer selbst das Ziel hat, die Probanden nicht zu heilen - während diese durch die verschiedenen Realitäten ihres Gehirns irren, Facetten ihrer selbst erleben, wie das in der Serie erklärt wird. Auf der Suche nach Linderung verlangt es dem Computer nach Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die ewig währt. Jedenfalls solange wie der Mensch als solches in einem Koma leben kann. Bis dahin verspricht der Computer aber immerwährende Glückseligkeit - das Paradies. Wenngleich auch nicht auf Erden, so wenigstens im Kopf der Probanten. Ende gut, alles gut.
Doch das Glück muss immer wieder neu gefunden und erarbeitet werden. Vor allem gegen Widerstände. Denn nur wenn wir wissen, was das Glück nicht ist, können wir das Glück schätzen. Erst als Owen von Annie getrennt wird, weil Annie auf der Glücksversprechen des Computers hereingefallen ist - natürlich gibt es hier einen Haken - erkennt er wie wichtig das Kämpfen um das eigene Seelenglück sein kann. Und wenn es darin besteht, den Bruder ans Messer zu liefern, dann besteht es genau darin. Annies Erkenntnis auf ihrer Reise durch das eigene Innenleben sieht anders aus. Erst, als sie begreift, dass sie sich selbst verziehen muss und sich vom Bild der Schwester lösen kann, kann sie nach vorne blicken und ihr Leben neu in den Griff bekommen.
Handelt MANIAC nicht aber auch von dem Verhältnis eines Sohns - der Chef-Wissenschaftler - zu seiner Mutter? Schließlich bekam der Computer ja genau Emotionen, die aus ihren Werken extrahiert wurden. Ohne, dass der neue Chef oder dessen Mutter davon wussten. Und während der seine Mutter als Popanz abstempelt, ist diese durchaus daran interessiert zu erfahren, was genau jetzt der Computer durchlebt. Andererseits: MANIAC ist auch eine Liebesgeschichte. Die zwischen der Assistentin und ihrem Chef. Also dem neuen. Oder ist MANICA nicht gleichzeitig auch eine Serie über die Beziehungen einer Familie? Die Milgrams - wer da wohl als Namensgeber fungiert hat? - sind dermaßen dysfunktional, dass sie gerne in einer der schicken Serien der Neunziger als Hauptelement agieren könnten.
Natürlich kann man MANIAC auch vorwerfen, sämtliche SF- und Fantasy-Klischees zu einem verwirrenden Genre-Cocktail zu mischen, in dem eine Prise Sopranos, eine Prise Achtziger-Familien-Drama beigemischt wurde, abgeschmeckt mit einer guten Prise Kubrick. Und wäre Emma Stone nicht, wer weiß ob die Geschichte an sich durch alle Folgen tragen würde - bisweilen scheint Jona Hill nur den Leidensblick eine Labradors zu können, ja, natürlich möchte man ihn in die Arme nehmen und knuddeln, aber nach zwei Folgen möchte man wenigstens einmal was Anderes sehen: Lächeln wäre schon schön. Oder so.
Würde MANIAC diese Collagen nur zum Selbstzweck anfertigen, wäre MANIAC eine reine Persiflage, wäre man nach Folge Drei wohl nicht mehr dabei. Aber diese ganzen Irrungen, Wirbel, die ganzen Überraschungen und die Erkenntnis, dass doch mehr dahintersteckt als man meint - vor allem, wenn man sich die Serie noch einmal anschaut, das erste Mal bekommt man nicht alles mit - rechtfertigt diese seltsame Genre-Mixtur aus Gangster-Historien-Familien-Fantasy-SF-Drama. Wenn am Ende des Jahres die Serienhighlights aufgezählt werden, dann wird MANIAC mit Sicherheit dabei sein. Zu Recht. Auch, wenn sie verwirrend, bizarr, seltsam und teilweise auch sehr schwarzhumorig ist.