Der Look-See: Rätsel, Horror und Innovation
Der Look-See:
Rätsel, Horror und Innovation
Dass der Kanal knapp anderthalb Millionen Abonnenten hat spricht vielleicht schon für ihn, aber bekanntermaßen ist die Anzahl von Zahlen nur eine Anzahl von Zahlen solange man keine Beziehungsgrößen hat. Interessanter ist, dass der Kanal bislang eher unter dem Radar fungiert. Wer sich mit der etwas dunkleren Szene auf YouTube - Creepypasta, Horror, Grusel, Reddits über erlebte Geisterbegegenungen oder Petscope, last but not least - vertraut ist, der stößt relativ schnell auf die Produktionsfirma. Eines dieser typischen zwei, drei, vier Mann-und Frau-Unternehmungen. Mit einem kleinen Etat. Das sieht man den Webserien und den Kurzfilmen, zweimal in der Woche kommt entweder das Eine oder Andere, zwar auch an, dafür aber macht der Kanal eine Menge wett, wenn es um das Erzählen von Geschichten geht. Wie zum Beispiel beim Look-See.
If you yourself will not release, it will come and take a piece. Mit dem IT ist an dieser Stelle kein Clown gemeint sondern der Look-See, eine Kreatur im Anzug - Slenderman lässt grüßen - und einem Kopf ohne Extremitäten, dafür aber mit einem extrem verstörendem Grinsen, dass Zähne entblößt, denen ich persönlich nicht zu nahe kommen möchte. Was allerdings mit dem Fallen-Lassen, dem Ablegen im Spruch gemeint ist - das erforschen wir mit der ersten Staffel.
Panisch sucht eine Frau Zuflucht auf einer Toilette. Irgendwas ist hinter ihr her und wir als Zuschauer*innen wissen auch bald, dass der Look-See auf ihrer Fährte ist. Während die Frau den an die Tür der Toilette geschriebenen Motto-Spruch liest, also das If you yourself..., kommt der Look-See ihr immer näher. Es gelingt ihr kurz, ihn in die Irre zu führen. Sie streift dann ihren Ehering ab und es sieht so aus, als wollte sie ihn in die Toilette werfen. Sie zögert aber. Was der Look-See nutzt - wenig später sehen wir, dass der Frau die Hand fehlt, an der der Ring zu sehen war. Anders als andere überlebt sie aber die Begegnung.
So weit, so Folge Eins. In den nächsten Folgen ahnen wir allmählich, dass all die Figuren, die vom Look-See heimgesucht werden Dinge hinter sich lassen müssten, um sich weiter zu entwickeln. Da ist der Vater, dessen Tochter ertrank und der seitdem nicht von den Erinnerungen an sie lassen kann. Da ist die Ehefrau, die nach der in die Brüche gegangenen Beziehung ihrem Mann nicht vergeben kann. Jede Figur in der ersten Staffel hat eine Schuld, ein Trauma. Das führt dazu, dass man den Look-See rasch als Metapher deutet. So weit, so gut.
Oder auch nicht, denn die ausgestrahlten Folgen erzählen die Handlung nicht chronologisch. Das wird dem Zuschauer, der Zuschauerin aber auch erst beim sogenannten Supercut klar, den Crypt.tv nach dem Ausstrahlen aller Folgen einer Webserie jeweils zusammenstellt. Was ich als Folge Eins beschrieb ist gar nicht Folge Eins. Stattdessen beginnt die Serie in einer Aula einer kleinen Schule und einem Massenmord an Schülern, die vergiftet wurden. Und während schon bei den einzelnen Folgen klar war, dass Figuren sich kennen oder dass mehr dahinter stecken muss als nur eine Monster-der-Woche-Serie, versuchen wir als Zuschauer und Zuschauerinnen die Puzzleteile zusammenzulegen.
Ist der Look-See wirklich eine Metapher für versäumte Reue? Versäumte Vergebung? Was hat der Mord an den Schülern mit ihm zu tun? Wurde er herbeigerufen, eine kurze Szene in der eigentlichen ersten Folge würde das nahelegen, da findet eine Polizistin offenbar die Überreste eines Rituals? Staffel Eins erklärt sich nicht. Staffel Eins vertraut darauf, dass wir als Zuschauer*innen uns selbst einen Reim auf die Geschehnisse machen.
Wer darauf hofft, dass in Staffel Zwei, die vor kurzem lief, Dinge aus der ersten Staffel erklärt werden - Fehlanzeige. Stattdessen springt die Serie in das Jahr Neunzehnhunderdreißig und erzählt zu Beginn von einem Mord und Selbstmord eines Bankiers, der wegen der Wirtschaftskrise offenbar in den Ruin getrieben wurde. Dessen Bruder zieht mit seiner Familie aufs Land. Es ist nicht ganz klar, ob der Bruder jetzt in die Geschäfte der Bank verstrickt war, ob er seinen Bruder in den Ruin trieb - der Look-See ist der Familie auf den Fersen. Wir erfahren einige neue Facetten der Fähigkeiten des Monsters und erleben die Geschichte aus diversen Blickwinkeln. Rasch wird klar: Fast alle in der Familie haben Etwas, was sie loslassen müssten, um sich zu entwickeln...
Fans waren von der zweiten Staffel etwas enttäuscht, erwarteten sie doch eine Fortsetzung der Handlung aus der ersten Staffel. Und nein, Staffel Zwei erzählt keine Origin-Story, keine Wie es dazu kam-Geschichte. Stattdessen dürfen auch wir wieder raten, Teile zusammensetzen, uns auf die Spur begeben. Wobei auch Staffel Zwei fast ohne Dialoge auskommt, die Geschichte also durch den Schnitt, die Bildauswahl und den Soundtrack - manchmal ist der ein wenig zu dröhnend - erzählt werden muss. Das bringt ein stark visuelles Element hinein, dass manchen Serien gut zu Gesicht stünde.
Und nach und nach, wenn man sich die beiden Staffeln mehrere Male anschaut - insgesamt sind das an die vierzig Minuten - werden Dinge klarer. Vor allem in Staffel Zwei, denn diese Handlung findet an einem Abend statt und wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Dabei sind einige Elemente vorhanden, die ebenfalls gleich sind: Die rückwärts laufende Uhr des Look-See. Gibt diese die Zeit an, die dem Opfer noch bleibt? Warum kriecht aus der Uhr ein weiteres Monster? Ist es vielleicht so, dass man ein bestimmtes Ritual vollziehen muss, um den Look-See zu rufen, dass dann eine Inkarnation von ihm die Aufgabe erledigt und es immer wieder einen neuen Look-See geben wird? Das Finale von Staffel Zwei scheint sowas anzudeuten. Antworten müssen wir selbst finden. Was aber nicht so schlimm ist, denn so tauchen wir beim erneuten Zusehen tiefer in die Handlung ein, sehen die Kleinigkeiten, die vorhanden sind und eventuell reimen wir uns eine zufriedenstellende Erklärung für all das zusammen.
Mit dem Look-See jedenfalls beweist mal wieder eine kleine Firma mit einfallsreichen Ideen, was YouTube auch leisten kann und sollte: Originellen kreativen Content an den Zuschauer, die Zuschauerin bringen. Die Folgen der Webserie - und nicht nur dieser übrigens - sind kameratechnisch gut inszeniert, da hat jemand ein Auge für Einstellungen und Kameraführung. Nur der Soundtrack, der permanent vorhanden ist in manchen Episoden, könnte eine Spur leiser und subtiler sein.