DORA - eine Möglichkeit
DORA - eine Möglichkeit
Wenn, dann kann er sich nicht daran erinnern. Denn gestern Abend war Karl in seiner Stammkneipe und der Abend dehnte sich dann doch etwas aus. Kein Wunder, dass er nicht gerade präsentabel aus dem Bett stieg. „Guten Morgen. Ich bin DORA. Ihr*e Duisburger-Organisations-Assistent*in. Bitte geben Sie an, ob meine Stimmlage weiblich, neutral, männlich sein soll.“ „Weiblich,“ knurrt Karl und macht erstmal Licht. Altmodisch per Lichtschalter. Gewisse Dinge macht er lieber doch noch selbst. DORAS Stimme klingt tatsächlich eine Spur weiblicher und charmanter. „Möchten Sie die Standard-Einstellung oder ins Auswahlmenü?“ - „Standard“. Der Kopfschmerz setzt jetzt mit Wucht ein. Verdammt, er sollte in seinem Alter tatsächlich kürzer treten. Es dauert einige Sekunden, bis DORA wieder so klingt, wie er sie in Erinnerung hat. „Guten Morgen, Karl. Den geplanten Punkt Fensterputzen habe ich von deiner To-Do-Liste gestrichen, schließlich wird es den ganzen Tag regnen.“ Karl gibt ein nichtdefinierbares Geräusch von sich. Es könnte ein „Aha“ gewesen sein. „Ich habe gestern die Apotheke mit Aspirin-Tabeltten ergänzt. Sie befinden sich wie immer im Badschrank, links, oberhalb der Halstabletten.“ Karl grummelt irgendwas in Richtung „Danke“, gähnt und verschwindet im Bad.
„Zehn Jahre DORA, das ist, meine Damen und Herren, wirklich eine Erfolgsgeschichte. Sicherlich, am Anfang standen etliche Bedenken. Nicht nur von den Datenschützer*innen an sich.“ An dieser Stelle blickte Stefan Hajdamovic lächelnd in die Runde. Der Vertreter der Stadtwerke, federführend für die Betreuung der KI, genoss es sichtlich im Rampenlicht zu stehen. „Auch natürlich die Bürger*innen Duisburgs hatten am Anfang wehrhafte Einwände gegen DORA. Vor zehn Jahren waren die Künstlichen Intelligenzen zwar schon den Kinderschuhen entwachsen, besuchten aber - wenn ich das Bild gebrauchen darf - immer noch eher den Kindergarten als die weiterbildenden Schulen. ChatGBT, Dall-E haben zwar wundersame Dinge vollbracht, aber die Möglichkeiten von DORA waren damals noch nicht wirklich absehbar. Abgesehen davon, dass die kulturelle Akzeptanz noch nicht dermaßen vorhanden war wie heute. Das Frankenstein-Monster, HAL, all die unzähligen Horror-Filme, in denen Produkte mit einer KI oder diese selbst sich gegen den Menschen auflehnt … “
„Schau mal, ich habe einen Termin beim Einwohnermeldeamt!,“ sagte Juli und fuchtelte mit ihrem Smartphone vor Karl herum. „Hat natürlich DORA für mich gebucht. Und schon gefragt, ob ich wisse, wann ich umziehen werde, mir Formulare für den Mieter bereitgestellt und gefragt, ob der Sperrmüll bestellt werden soll, sie hat mir eine Umzugsfirma vorgeschlagen.“ Karl nickte verdrossen, während er sein Körnerbrötchen - DORA hatte daran gedacht, das Abo beim Bäcker zu verlängern - in sich hineinmümmelte. DORA war es auch gewesen, die ihn an das Treffen mit Juli erinnerte. Vorsorglich hatte DORA auch noch mal den Wisch- und Saugroboter durch die Wohnung geschickt. Dass in der Spüle noch eine Menge Geschirr lag, das war Juli mittlerweile von Karl gewohnt. Irgendwann, das hatte sie sich fest vorgenommen, würde sie ihm diese Unart nochmal austreiben. In manchen Dingen war Karl allerdings auch wirklich altmodisch. Sie fühlte sich bei dem Gedanken, alles im Haushalt an eine einzige App - oder KI - zu binden auch nicht gerade wohl. Deswegen hatte sie auch nur die Spülmaschine mit DORA verbunden. Na gut, die Waschmaschine auch. Aber seitdem war der Stromverbrauch gesunken und sie brauchte weniger Wasch- und Spülmittel.DORA setzte nämlich alles erst in Gang, wenn es wirklich notwendig war. Das war auch viel besser für die Umwelt. Und damit war das merkwürdige Gefühl, dass Juli manchmal beschlich, auch schon wieder beschwichtigt. Wobei sie natürlich auch Freund*innen hatte, die DORA komplett freie Hand im Haushalt liessen. Das fand Juli sehr gruselig. Schließlich konnte alles einmal schief laufen …
„Heute noch,“ fuhr Hajdamovic fort, „gibt es noch Besorgnis, dass DORA den Anwender*innen Schaden zufügen könnte. Aber die Wahrscheinlichkeit sich im Haushalt zu verletzen ist tatsächlich weitaus höher als eine Fehlhandlung von DORA. Glauben Sie mir, es war ein hartes Stück Arbeit zu entscheiden, wo DORA wirklich komplett autonom lernfähig sein, sich weiterentwickeln sollte. Den Anwendenden nutzt es ja wenig, wenn DORA sich nicht an den persönlichen Gewohnheiten und Bedürfnissen ausrichten kann. Da könnten wir auch glatt zurück zu den Apps gehen, die unter einer schicken Oberfläche nur Verknüpfungen zu anderen Diensten boten. Nein, DORA ist deswegen ein Erfolg, weil DORA lernt. Wobei sie schon im rudimentären Zustand sehr ausgefeilt ist. Das muss sie auch sein, denn DORA muss gebraucht werden. DORA arbeitet zum Beispiel mit allen Schnittstellen gängiger Smart-Home-Systeme zusammen und ist auf neue Standards eingerichtet. Natürlich ist DORA mit allen Schnittstellen städtischer Systeme verbunden. Notwendig ist natürlich erstmal, dass man selbst per Hand über DORA mit der Stadt kommuniziert - später dann hat DORA alle notwendigen Angaben, um Termine zu organisieren, beim Einkaufen zu helfen. Das Kulturleben der Stadt ist natürlich auch ein Bestandteil von DORA.“
Was Karl an DORA wirklich schätzen gelernt hatte: Das Einkaufen war weniger stressbehaftet. Er hatte seinen Einkaufszettel bei DORA abgelegt. Also Dinge, die er als Standard betrachtete. Mehl, Milch, Nudeln … etc. pp. DORA wiederum durchforstete online alle Angebote der Lebensmittellhändler und bestellte automatisch die Standards von selbst nach. Der Supermarkt lieferte sie dann anschließend, wobei DORA den Termin buchte, der für Karl am Optimalsten war. So konnte Karl sich stressfrei am Samstag in die Stadt begeben - wenn er per Rad oder per Bus unterwegs war, wurden ihm Punkte auf einem Green-Deposit-Konto gutgeschrieben, die er dann überall in der Stadt eintauschen konnte. Dass DORA die optimalste Route berechnete, war klar. Früher hätte das wohl die App der DVG oder des VRRs hinbekommen. Und er erinnerte sich dunkel, dass die App der Ruhrbahn auch schon Fahrrad- und eScooter-Stationen verzeichnet hatte. Allerdings hätte er dann zwei oder drei Apps gebraucht, alleine um die Fahrtkosten für den Bus, die Bahn, den Fahrrad-Verleih und oder den eScooter abzurechnen. Bei DORA genügte ein Klick. Ein Klick benötige er auch nur, um ein Kinoticket zu kaufen, in die Oper zu gehen oder eine Lesung zu besuchen. DORA hatte natürlich auch die Funktion eines Leseausweises für die Stadtbücherei. Und er konnte alleine bestimmten, welche Daten er für welche Händler in der Stadt freigab.
„DORA kann in der Tat viel, aber DORA braucht auch ihre oder seine Grenzen. So ist der DORA-Verbund eine zusätzliche Option, die genutzt werden kann, aber nicht muss. Momentan sind es vor allem die großen Geschäfte, die im DORA-Verbund zusammengeschlossen sind. Der Vorteil für den Kunden: Er gibt den Zugang auf seine Daten frei, sobald der das Geschäft betritt. Sobald er es wieder verlässt, wird dem Händler die Autorisierung auch wieder entzogen. Allein, um hier wirklich zu garantieren, dass keine Daten hinter dem Rücken der Kund*innen übermittelt werden, dass jederzeit volle Kontrolle gewährleistet ist - ja, meine Damen und Herren, das war schon ein Kraftakt der besonderen Art. Der Vorteil dieser Methode ist natürlich eine bessere Beratung - Einzelhändler*innen können sich anschauen, was der Kunde auf seiner Wunschliste gespeichert hat, bestenfalls haben sie nach einer Terminvereinbarung das Gewünschte schon im Laden. Sie werden jetzt denken, dass das nichts Neues ist - „Click und Collect“ ist direkt schon wieder altmodisch geworden in unseren Zeiten. Für Massenware mag das gelten, aber kaufen Sie einen Maßanzug, meine Herren, kaufen Sie ein Abendkleid, meine Damen, stets von der Stange? Das Individuelle, das Einzigartige, das ist es doch, was heute und auch schon gestern gefragt war. Und das wiederum ist heute für Alle möglich. Sie stöbern in den Designvorlagen der Shops, bekommen den passenden Stoff vorgeschlagen, geben ihre Maße ein und bekommen das individuelle Stück per Post geliefert. Oder sie erleben das Ganze im Laden vor Ort, mit zusätzlicher Beratung durch geschultes Personal.“
„Und wenn das Kleid jetzt doch nicht passen sollte?“, erkundigte sich Karl. Die Überraschung für Juli sollte ja schon eine gelungene sein. „Keine Sorge,“ versicherte ihm die Verkäuferin, „wir können es natürlich ändern lassen oder sie geben es einfach zurück.“ Sie machte einen Vermerk auf ihrem Smartpad. „Wie zufrieden sind Sie mit der Jacke, die Sie bei uns gekauft haben?“ Jacke? Karl überlegte. Ach so, stimmt, DORA hatte ihn auf das Sonderangebot des kleinen regionalen Ladens aufmerksam gemacht. Bei der Gelegenheit hatte der den Maker-Service entdeckt und von seinem Green-Deposit ein Kleid für Juli bestellt. „Ach, die. Alles bestens.“ - „Sehr schön. Falls Sie ein passendes Accessoire brauchen, einen Schal vielleicht? Eine Mütze?“ „Nein, danke.“ Die Verkäuferin hakte erneut etwas auf ihrem Smartpad ab und lächelte dann. „Prima. Hier ist ihr Kleid, wenn Sie möchten können Sie die Pflegehinweise in DORA abspeichern lassen.“ - „Ach, das geht?“ - „Natürlich.“ - „Habe ich nicht gewußt.“ - „Falls Sie das für ihre Jacke versäumt haben sollten, kann ich Ihnen die Hinweise noch nachträglich übermitteln.“ Was Karl natürlich wollte. Später, als er zu Hause war und DORA öffnete - er prüfte immer noch die Ausgaben nach - poppte die Nachricht auf, dass die Pflegehinweise für das Kleid und die Jacke abgespeichert wurden. Karl wies DORA an, ihn daran zu erinnern die Hinweise fürs Kleid später an Juli zu übermitteln. Aber vorerst - vorerst brauchte er etwas zu Essen. „DORA, bestell bitte beim Bambus das Übliche.“ - Ein Plingen. Dann saget DORA: „Frühlingsrollen, Ente in Erdnusssauce und eine Literflasche Cola werden in einer Stunde geliefert. Da du bei den letzten Bestellungen Trinkgeld gegeben hast, habe ich das direkt mit einberechnet.“
„Oh, seien Sie versichert, dass DORA wirklich nur innerhalb gewisser Parameter aufmerksam lernt, was die Besitzenden wollen. Ich kann natürlich nicht Details der Technik verraten, denn immerhin waren wir damals die Ersten, die DORA auf die Schiene setzten und - um im Bild zu bleiben - ins Rollen brachten. Dies gelang uns mit einem Verbund von Start-Ups, der vor Ort vorhandenen Technikunternehmen und einer deutschlandweiten Kooperattion führender IT-Spezialisten. DORA ist, das muss ich nochmal betonen und betone es stolz, eine deutsche Entwicklung. Vor zehn Jahren waren wir zwar noch in Verhandlungen mit China, haben uns aber nach einigen Verhandlungen entschieden, DORA in Alleinverantwortung zu entwickeln. Und glauben Sie mir, als der erste Prototyp auf der CES vorgestellt wurde - was hagelte es da nicht an Anfragen! Sicherlich hätte DORA schneller fertig werden können, aber zu welchem Preis? Das, meine Damen und Herren, war die Frage, die wir damals gestellt haben. Heute, zehn Jahre später, können wir mit Fug und Recht sagen: Es war die richtige Entscheidung. Das Ruhrgebiet als Silicon Valley hat gezeigt, wozu es fähig ist. Ein weiser Mensch sagte einmal: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Dies, meine Damen und Herren, solle auch das Schlusswort des kleinen Vortrags gewesen sein. Später wird es noch eine Pressekonferenz geben, wir haben das Material selbstverständlich botfreundlich aufbereitet.“