Einhörner, hehre Elfen und Zauberschulen: Klischees in Fantasy-Büchern
Einhörner, hehre Elfen und Zauberschulen
Vor kurzem bin ich auf TikTok auf eine Reihe von Videos gestoßen, die sich über die Klischees vor allem in der sogenannten Young-Adult-Fantasy lustig macht. Ich muss gestehen, dass mich das schon ins Nachdenken gebracht hat. Vor allem seit Harry Potter sind Zaubererschulen irgendwie Standard und seit der „Biss“-Reihe muss es unbedingt ein Liebes-Dreieick zwischen der Heldin und einem blonden und einem dunklen Freund sein. Wer es sich als Fantasy-Autor*in leicht machten möchte, greift gerne in die übliche Klischeekiste.
Für die klassischen Klischees der Fantasy darf man zu Recht Tolkien heranziehen. Mit ihm zog das Standard-Völkergemisch der „High Fantasy“ in die Literatur ein. Wir alle wissen automatisch, wie Zwerge, Elfen, Halblinge sind und wie sie zu sein haben. Elfen sind immer ätherisch schön, sprechen weise Worte und sind gütig. Zwerge geraten bei Felsformationen ins Schwärmen, verachten das Gold nicht und sind im Kampf gute Gefährten. Halblinge haben haarige Füße, essen sehr viel und sind eigentlich nicht unbedingt böse, wenn das Abenteuer an ihnen vorübergeht. Drachen lieben übrigens ihre Schätze noch mehr als Zwerge das Gold. Dies sind Dinge, die nach Tolkien nicht nur in etlichen Fantasy-Romanen vorkommen, sondern sie haben sich ja auch per „Dungeon and Dragons“ in das allgemeine Gedächtnis von Fantasy-Fans eingebrannt.
In der heroischen Fantasy haben wir dann immer den Barbaren, der mit seinen Waffen gegen böse Mächte kämpft. Stark, muskelbepackt schwingt er sein Schwert. Er sagt wenig. Sein Schicksal ist meistens tragisch: Andere Stämme haben seine Eltern ermordet und ihn als Sklaven gefangengenommen; als Sklave geboren worden ohne seine Eltern zu kennen ... jedenfalls total tragisch. Aber da ein weiser Meister sich seiner annimmt, er selber als Gladiator ausgebildet wird oder das magische Amulett findet, das ihn superstark macht kämpft er sich jetzt durch die Welt. Meistens nicht unbedingt für Recht und Gerechtigkeit, aber auch. In der heroischen Fantasy sind Städtebewohner meistens verweichlicht. Priester opfern immer Jungfrauen für irgendwelche Götter. Nekromanten sind definitiv immer böse. Immer. Zudem gibt es meistens noch das ultimative magische Amulett, den ultimativen magischen Ring, der irgendwie dem Barbaren dann doch noch aus der Patsche hilft. Wenn es nicht seine naturgegebene List und seine Instinkte sind, denn die Wildnis ist ja viel besser als die Stadt. Rosseau lässt grüßen.
In der Mädchen-Fantasy wimmelt es von Prinzessinnen. Oder von Feen. Oder Feenprinzessinnen. Oder Zaubererfeenprinzessinen. Oder Meerjungfrauenfeenprinzessinen, die zaubern können. Gute Hexen sind bisweilen auch noch da. Meistens mit Flügeln und einem Zauberstab fliegen sie durch die Gegend. Sie haben alle beste Freundinnen, die natürlich auch magische Fähigkeiten haben oder etwas Besonderes können. Eine normale beste Freundin? Nein. Alle müssen irgendwas können. Meistens gibt es die naive Freundin, die etwas grummelige Freundin, die enthusiastische Freundin. Und eigentlich ist die grummelige Freundin auch gar nicht so grummelig, aber wir brauchen halt auch mal einen Kontrast für die Handlung. Prinzen sind natürlich auch vorhanden, die sind aber bei Mädchen-Fantasy halt nicht so wichtig wie in der Young-Adult-Fantasy. Denn es geht ja generell um Liebe und Frieden und so. Nicht unbedingt um Liebe zwischen den Geschlechtern. Es gibt natürlich Einhörner. Schmetterlinge. Viel Glitzer und viel Zauberei. Klar, das Böse gibt es auch noch. Vor uralter Zeit hat aber die Vorfahrin der Prinzessin das Böse gebannt. Aber ein dummes Missgeschick - die Vase, in der der Böse drin ist, wird zerbrochen, ein Buch wird gelesen, was nicht gelesen durfte - wird der Böse wieder freigelassen. Es ist übrigens meistens ein Mann. Weil es ja eine Helden-Prinzessin ist. Logisch. Mutig stellt sich dann natürlich die - atem hol - Zaubererfeenprinzessin mit Glitzer und Liebe dem Feind. Oftmals geht es aber auch ohne das Böse. Sondern da ist die Freundschaft bedroht, weil eine neue Prinzessin ins Land kommt oder man wird darüber belehrt, dass man gewisse Dinge nicht tun soll, weil das böse Folgen haben kann. Nicht wahr, Mein Kleines Pony?
Hinter den sieben Bergen ragt die Zaubererschule in den Himmel. Seit Harry Potter geht es in der Young-Adult-Fantasy kaum ohne diese. Ob sie nun Hogwarts oder die Schule der tierischen Zauberwesen heißt: Zauberschulen müssen einfach sein. Damit natürlich auch die verschiedenen Häuser mit den verschiedenen Zuschreibungen. Es gibt immer das böse Haus, dann das gute Haus und vielleicht noch sowas wie Hufflepuff. Die jugendlichen Heldenfiguren sind zu Beginn des Romans meist ganz normal, nur passiert in ihrer Umgebung irgendwas Seltsames. Oder sie bekommen irgendwann mal geoffenbart, sie wären gar keine normalen Menschen sondern Zauberer, Hexen, Feen, Vampire, Meerjungfrauen oder -männer. Das hat man natürlich ihnen verheimlicht, weil … also entweder sind die Eltern tot oder die wollten nichts mit Magie zu tun haben oder die Verwandten wollten nichts mit Magie zu tun haben. Gerne auch genommen: Ab einem bestimmten Alter zeigen sich magische Kräfte. Da schwebt man eines Tages überm Bett, die Katze spricht zu Einem oder unversehens entfacht man einen Zauberspruch, der in die Hose geht. Bekanntermaßen sind die Heldenfiguren ja dann meist Diejenigen, die legendäre Praktiken der Magierkunst herrschen können, die sonst keiner kann. Freunde haben die auch - meistens muss man natürlich vor der besten Freundin verbergen, dass man was Besonderes ist, aber das geht meistens daneben, generell darf die Umwelt ja nie erfahren, was man kann, weil ... ähm ... Vorurteile. , Die Heldinnen schwanken meistens zwischen zwei Freunden hin und her, am Ende wird es der Dunkelhaarige. Vermutlich ist einer der anderen Freunde auch noch schwul und die beste Freundin wird im nächsten Band dann die Gegnerin, nachdem man im ersten Band gegen den bösen Erzzauberer gekämpft hat. Vermutlich wird die Gegnerin dann am Ende des 2. Bandes durch die Macht der Liebe bekehrt. Im 3. Band taucht vermutlich der vermeintlich bezwungene Erzzauberer auf oder einer seiner Schüler, sein Sohn oder sein Schwippschwager. Man muss ja schließlich eine Trilogie schreiben, wenn man Fantasy schreibt, gelle?
Klischees sind halt Klischees. Sie sind auch nicht unbedingt schlecht. Als Autor*in musst du nicht jedesmal ausführlich erzählen, was ein Einhorn ist und kann oder warum ein Drache gefährlich ist. Aber als Autor*in sollte man es sich halt nicht zu einfach machen. Das führt dann zu sehr langweiligen Büchern, in denen man schon auf Seite Eins ahnt, was auf Seite 1054 passieren wird. Einige Dinge sind für das Erzählen von Geschichten natürlich notwendig. Ohne Konflikt keine Spannung, ohne Motivation der Heldenfiguren keine Entwicklung. Es ist daher notwendig, dass die Protagonist*innen einen Tritt in den Allerwertesten bekommen wie Bilbo von Gandalf. Aber die ersten Bücher der Shannara-Chroniken etwa sind so langweilig, weil sie genau Tolkiens Anleitung befolgen ohne irgendwas Neues oder Überraschendes zu liefern. Was hinterher auch nicht besser wird glaube ich, aber irgendwann verschwimmen die ganzen Shannara-Chroniken halt in der Erinnerung.
Wie immer bleibt nur das Schlechte oder sehr Gute im Gedächtnis. Es muss ja auch nicht gleich eine komplette Umkehrung wie bei Terry Pratchett sein: Elfen sind bei ihm hinterhältig, böse und gemein. Wobei das aber auch seinen Reiz haben kann. Klischees sind etwas, was zur schnellen Charakterisierung dienen kann, zur schnellen Schilderung einer Situation. Dennoch: Zaubererschulen, die nach Hogwarts klingen oder die Liebesromanze zwischen der Heldin und dem blonden und dem dunkelhaarigem Freund … muss ja nun wirklich nicht sein. Wie wäre es denn mal mit einem Liebes-Dreieck zwischen der lesbischen Heldin und ihren Freundinnen? Oder mal einen Trans-Charakter, der auch nach der Berufung halt Zweifel an sich hat, weil er irgendwie nicht in die binären Geschlechtererwartungen passt?