Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit dem »Santa Fé Trail«?
Wie war das mit dem »Santa Fé Trail«?
: Anfang September 1821 fällte ein Mann namens William Becknell in der kleinen Stadt Franklin im Osten Missouris eine Entscheidung, die 25 Jahre später zur Übernahme des amerikanischen Südwestens durch die USA führen sollte. Daß sein Handeln derartige Folgen haben würde, daran dachte Becknell nicht. Als er beschloß, mit einer Kolonne von Packtieren, beladen mit Stoffen, Haushaltswaren, Werkzeugen, Ackergeräten, und anderen Gütern Richtung Mexiko zu ziehen, wollte er lediglich seine Haut retten. Verschuldet bis zum Hals, bedroht von mehreren Gerichtsverfahren und seinen wütenden Gläubigern, setzte er alles auf eine Karte, riskierte einen noch schlimmeren Bankrott, riskierte seine Freiheit und sogar sein Leben, um finanziell wieder auf die Füße zu kommen. Die Geschichte dieses Mannes ist so „amerikanisch“ wie kein Klischee es besser beschreiben könnte.
Becknell, entweder 1787 oder 1788 in Virginia geboren versuchte sich in seinem Leben als Heimstätter, Farmer und Geschäftsmann. 1807 heiratete er. Als 1812 der Krieg zwischen den USA und England ausbrach, meldete er sich zur Armee, diente bis 1814 und schied als Captain aus dem Dienst. Seine junge Frau starb überraschend – vermutlich im Kindbett. Becknell heiratete erneut, und zeugte 5 Kinder. Er arbeitete als Frachtwagenlenker und Fährmann und träumte davon, große Geschäfte zu machen. 1818 kaufte er von den Kindern des berühmten Daniel Boone die Salzmine. Gleichzeitig bemühte er sich um eine politische Karriere.
Das Salzgeschäft brachte nicht die erhofften Gewinne, und seine Kandidatur für das Parlament von Missouri scheiterte. Becknell hatte sich für die Finanzierung seines Wahlkampfes hoch verschuldet und sah kaum eine Möglichkeit, seine Gläubiger zu befriedigen.
1821 wurde er kurzzeitig verhaftet. Ein Gericht trug ihm auf, seine Schulden innerhalb eines Jahres zu begleichen, anderenfalls drohte ihm längere Haft.
Becknells verzweifelte Idee war, kurzfristig im Pelzhandel – der noch immer sehr lukrativ war – Geld zu verdienen. Er investierte 300 Dollar in den Kauf von Handelswaren und zog westwärts. Dann allerdings entschied er sich, nicht ins Indianerland zu ziehen und Pelze einzutauschen, sondern die Nordprovinz von Mexiko anzusteuern. Er wußte, daß es in Mexiko großen Bedarf an amerikanischen Waren gab. Die Versorgung New Mexicos durch die Zentralregierung in Mexico City war marginal.
Bislang war der Handel mit Importgütern nach Mexiko von französischen Händlern dominiert worden. Becknell konnte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal sicher sein, daß er überhaupt bis nach Santa Fe gelangen würde. Es kursierten Geschichten, wonach spanisch-mexikanisches Militär jeden amerikanischen Eindringling an der Grenze verhaftete und in den Kerker warf. Für Becknell war das allerdings keine Drohung. Er fürchtete in Missouri ein schlimmeres Schicksal für den Rest seines Lebens.
Was er nicht wissen konnte war, daß die Vorsehung diesmal zu seinen Gunsten arbeitete. Just im Jahr 1821 hatte Mexiko gegen das spanische Mutterland rebelliert und sich für unabhängig erklärt. In der Folge wurden die Kontrollen an den Grenzen gelockert und die Handelsschranken mit Amerika aufgehoben. Besser konnte es für Becknell nicht kommen.
Den alten Jagdpfaden von Indianern und frühen Pelzhändlern folgend, zog er mit seinem Packtierzug über den Raton Pass und erreichte Santa Fe, die Hauptstadt New Mexicos, wo man anscheinend nur auf ihn gewartet hatte.
Die Bevölkerung war regelrecht ausgehungert nach Waren in guter Qualität, nachdem die spanische Verwaltung den Markt kurzgehalten und die Franzosen aufgrund ihrer Monopolstellung häufig nur minderwertige Güter geliefert hatten. Becknell verkaufte seine Handelsgüter direkt von den Packsätteln herunter. Er erzielte für Baumwolle und Kaliko den geradezu unerhörten Preis von 3 Dollar pro Yard (nach heutiger Kaufkraft über 100 Dollar).
Als Becknell Santa Fe am 13. Dezember wieder verließ, hatte er nicht nur alle Waren, sondern sogar seine Packtiere mit erheblichem Gewinn verkauft. Die 300 Dollar, die er investiert hatte, hatten sich in 6.000 Dollar in Silbermünzen verwandelt (nach heutigem Wert fast 200.000 Dollar).
Als er im Januar 1822 nach Missouri zurückkehrte, konnte er mit einem Schlag seine Schulden bezahlen und begann umgehend, einen weiteren Handelstransport auszurüsten. Diesmal kaufte er große Frachtwagen, die von Maultieren gezogen wurden. Im Mai 1822 brach seine Karawane auf. Der Zug durch die Plains des heutigen Kansas, über die unwegsamen Gebirgspässe, die bis dahin nur von Packtierzügen bezwungen worden waren, durch wasserarme Regionen wie die Cimarron-Wüste, in der Becknell, seine Männer und Zugtiere fast verdursteten, wurde zu einer schrecklichen Strapaze, für die er bei Ankunft in Santa Fe allerdings triumphal belohnt wurde.
Diesmal hatte er fast 3.000 Dollar für Waren und Ausrüstung ausgegeben – und er erzielte einen Gewinn von 91.000 Dollar.
Zwei Jahre darauf zog er erneut nach Santa Fe. Jetzt war er nicht mehr der einzige. Jahr um Jahr machten sich lange Handelskarawanen auf, um den ca.800 Meilen langen Weg nach New Mexico zurückzulegen. 1825 half Becknell einer Landvermesser-Expedition der Armee, die Route zu kartographieren. Bereits zu dieser Zeit wurde er als „Vater des Santa Fe Trails“ gefeiert – und so ist er in die amerikanische Geschichte eingegangen.
Raststationen für den Strom von Wagentrecks entstanden entlang der Route. Die bekannteste und bedeutendste wurde das Fort von Charles und William Bent am Arkansas, der damaligen Grenze zu Mexiko.
1846 zog die „Army of the West“ unter dem Kommando von Stephan Watts Kearny den Santa Fe Trail hinunter, um New Mexico für die USA einzunehmen. Zu dieser Zeit war der Santa Fe Trail die vermutlich betriebsamste und lukrativste Handelsstraße Nordamerikas. Mein Freund, der Historiker Bill Gwaltney, verglich den Santa Fe Trail mit einer „Autobahn, auf der nur Trucks fahren dürfen“. Hier bewegten sich keine Siedlerkolonnen, hier waren nur Händler und Waren unterwegs.
So blieb es bis etwa 1880; dann war die Eisenbahnlinie nach Santa Fe fertiggestellt, und der Warenverkehr verlagerte sich auf die Schiene.
Vom Bankrotteur war Becknell innerhalb weniger Jahre zum wohlhabenden Mann geworden. 1827 wurde er zum Friedensrichter des Saline County in Missouri ernannt. Danach ging sein Traum in Erfüllung, in das Parlament des Staates gewählt zu werden. 1832 diente er im „Black Hawk Krieg“ in der Missouri-Miliz.
1835 lockte ihn, wie viele andere, die Aussicht auf weiteren Reichtum und Landbesitz nach Texas. Er verkaufte seinen Besitz in Missouri und zog ins Red River County. Als der Unabhängigkeitskampf der Texaner begann, diente Becknell zeitweise als Texas Ranger. Nach Gründung der Republik Texas kandidierte er für das Parlament des jungen Staates. Zehn Jahre später, bei Eintritt von Texas in die Vereinigten Staaten, fungierte er als Leiter des Staates für die ersten Kongresswahlen.
William Becknell, der „Vater des Santa Fe Trails“, starb am 30. April 1865 auf seinem Besitz in der Nähe von Clarksville.
Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de