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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Isaac Charles Parker?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Isaac Charles Parker?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Ich habe an dieser Stelle (und hier) schon über das legendäre Bundesgericht in Fort Smith, Arkansas, geschrieben, aber das Leben des „Hängerichters“ Isaac Charles Parker wurde noch nicht umrissen. Das will ich heute nachholen.

ISAAC CHARLES PARKER wurde am 15. Oktober 1838 geboren, vor 183 Jahren. Seine Eltern waren relative wohlhabende Farmer, die ihm eine gute Schulbildung ermöglichten. Schon als junger Mann verdiente er sich selbst als Lehrer sein Studium. 1859, mit 21 Jahren, legte er die Anwaltsprüfung in Ohio ab und trat in die Kanzlei eines Onkels ein. Im Dezember 1861 heiratete er. Aus der Ehe gingen 2 Söhne hervor. 1862 eröffnete Parker seine eigene Kanzlei. Im Jahr zuvor hatte er erfolgreich für das Amt des Staatsanwalts von St. Joseph (Missouri) kandidiert. 1863 trat er als Freiwilliger in das 61. Missouri Emergency Regiment ein. Als der Bürgerkrieg zu Ende ging, hatte er den Rang eines Corporals erreicht.

Als Gegner der Sklaverei war er schon 1864 von der Demokratischen in die Republikanische Partei gewechselt. 1870 wurde er als Abgeordneter in den Kongress in Washington D.C. gewählt. Eine Zeitung schrieb: „Missouri hatte nie zuvor einen vertrauenswürdigeren und einflussreicheren Abgeordneten.“

Parker profilierte sich als fleißiger, kenntnisreicher und sehr fortschrittlich orientierter Politiker, der die Pensionsansprüche von Militärveteranen unterstützte, für Frauenrechte und Gleichberechtigung eintrat, sowie für die Rechte der Indianer plädierte. Mit all dem machte er sich bei seinen Kollegen im Parlament eher unbeliebt. Da er zunehmend populär und 1874 für den Sitz eines Senators nominiert wurde, wurde darüber beratschlagt, diesen „Störenfried“ möglichst elegant wieder loszuwerden.

Am 26. Mai 1874 ernannte Präsident U. S. Grant ihn zum Oberrichter im Utah-Territorium. Parker ersuchte den Präsidenten allerdings, ihn stattdessen zum Bundesrichter für den „Western District of Arkansas“ zu machen – das war das Indianerterritorium Oklahoma. Hier war der amtierende Richter William Story wegen erwiesener Korruption zurückgetreten. Parkers Ersuchen wurde stattgegeben. Er traf am 4. Mai 1875 in Fort Smith ein und eröffnete am 10. Mai seine erste Gerichtssaison. An jenem Tag ernannte er – was absolut ungewöhnlich war – den schwarzen Gesetzeshüter Bass Reeves zum Deputy US Marshal; er war der erste schwarze Bundesmarshal westlich des Mississippi.

Noch im Mai 1875 verhandelte Parker 18 Mordfälle und fällte 8 Todesurteile. Fast 160 weitere sollten in seiner Amtszeit folgen. Parker traf in Fort Smith eine völlig desorganisierte, chaotische Behörde an, in der es keine Strukturen gab. Beamte waren bestechlich. Akten verschwanden. Im Kellergefängnis des Gerichts herrschten katastrophale Verhältnisse. Insassen, ob schuldig oder unschuldig, lagen dicht gedrängt auf dem nackten Boden. Es gab wenige Koteimer und keine Waschgelegenheiten. Chronisten schrieben von „Sodom und Ghomorra“ und einer „Hölle auf Erden“. Prozesse zogen sich monatelang hin. Manche Verbrecher mussten aus formalen Gründen entlassen werden.

Der Zuständigkeitsbereich diess Bundesgerichts bezog sich auf das ganze Indianerterritorium – und hier lebte der „Wilde Westen“ mit allen Facetten wieder auf. Mord und Totschlag waren an der Tagesordnung. Niemand, der in Oklahoma unterwegs war, war seines Lebens sicher. Viele von Parkers politischen Gegnern hofften, er werde scheitern und von der Bühne verschwinden. Sie sollten sich täuschen. Parker war nicht nur ein brillanter Jurist, er war auch ein Mann mit administrativer Disziplin. Systematisch begann er das Bundesgericht in Fort Smith zu einer perfekten Justizmaschinerie zu machen. Penibel arbeitete er die liegengebliebenen Fälle auf. Akte für Akte. Er heuerte eine regelrechte Armee von Deputy US Marshals an. Insgesamt wohl um die 150, die das Indianerterritorium durchkämmten und den Gesetzlosen die Basis entzogen. Oklahoma galt als „die letzte Grenze“. Hierher zogen sich in jenen Jahren alle Schwerverbrecher des amerikanischen Westens zurück, weil sie glaubten, sich verstecken zu können.

21 Jahre amtierte der eiserne Richter. Er bearbeitete in dieser Zeit 13.490 Fälle, von Schwerkriminalität bis zum Diebstahl. Er fällte mehr Todesurteile als jeder andere Bundesrichter in der Pionierzeit. 79 wurden vollstreckt. Das brachte ihm die Bezeichnung „Hängerichter“ ein. Vergessen wird, dass weit über 13.000 Prozesse mit Gefängnisstrafen oder Freisprüchen endeten. Daneben reformierte er das Gefängniswesen, und er räumte jedem Angeklagten alle prozessualen Chancen ein, die das Gesetz vorsah. Sein Prinzip war: „Jede Straftat muss geahndet werden. Nicht die Härte der Strafen schreckt den Täter ab, weil jeder Täter ohnehin glaubt, ungeschoren davonzukommen. Abschreckung wird nur dadurch erzeugt, dass jede Tat gesühnt wird, dass jeder Täter sicher sein muss, dass er zur Verantwortung gezogen wird. Egal wie. Der Glaube, das Gesetz ungestraft brechen zu können, muss ihm genommen werden. Dann schreckt er vor der Tat zurück.“

Vergessen wird auch, dass Parker ein Gegner der Todesstrafe war, dass er sich aber in den engen Regeln der amerikanischen Gesetzbarkeit gefangen sah. Bereits in seinen ersten Zeitungsinterviews erklärte er ultimativ: „Wir sollten die Todesstrafe abschaffen.“ Er fügte immer hinzu, dass die gesetzlichen Vorgaben ihm bei Kapitalverbrechen keine Wahl ließen. Die emotionale Bürde zeichnete ihn und ruinierte seine Gesundheit. Entgegen der Legende hat Parker die Hinrichtungen im Hof des Gerichtsgebäudes niemals vom Fenster seines Büros aus beobachtet. Alle entsprechenden Behauptungen sind falsch.

Neben seiner Arbeit als Richter war er Mitglied im Schul-Ausschuss von Fort Smith. Er war Präsident des Aufsichtsrates des St. Johns Hospital und im Rat der Episcopal-Kirche.

Viele von Parkers Gerichtsverfahren waren spektakulär, etwa die Fälle gegen Cherokee Bill, gegen die Rufus-Buck-Bande, gegen Belle Starr. Zwei Drittel der von ihm gefällten Urteile wurden vor dem Obersten Bundesgericht der USA angefochten. Dabei ging es keineswegs nur um Todesurteile, sondern um grundsätzliche juristische Interpretationen, die Parker angesichts der ausufernden Kriminalität in Oklahoma strikter auslegte als die Richter in Washington. Deprimierend für ihn war, dass trotz seiner konsequenten Anwendung des Gesetzes keine Besserung der Verhältnisse in Oklahoma spürbar war. Die Kriminalität ging nicht zurück.

1895 verlor das Bundesgericht in Fort Smith einen Teil seiner Kompetenzen. Die Zuständigkeit für das Indianerterritorium wurde auf mehrere Justizdistrikte aufgeteilt. Zu dieser Zeit war Parker gesundheitlich bereits schwer angeschlagen. Als die Sitzungswochen 1896 begannen, war er zu krank, um dem Gericht vorzustehen. Er litt unter „Bright’s desease“, einer schweren Nierenkrankheit. Sein Körper war aufgeschwemmt. Am 1. September 1896 endete die Gerichtsbarkeit über das Indianerterritorium. Parker gab sein letztes Interview vom Krankenbett aus. Hier sprach er diesen Satz: „Mein einziges Lebensziel war immer Gerechtigkeit. Kein Mensch, der von anderen Erwägungen beeinflusst wird, ist als Richter geeignet. Behandle alle gleich und gerecht war meine Devise, und ich habe dem Geschworenen oft gesagt: ‚Bestrafen Sie keinen Unschuldigen, aber lassen Sie keinen Schuldigen entkommen.‘‘Am 17. November 1896 starb er, nur 58 Jahre alt. Nie gab es eine größere Beerdigung in Fort Smith. 2019 enthüllte die Stadt ein Denkmal für Isaac Charles Parker.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die kommende Ausgabe

 

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