»Gewalt nur wenn sie Stil hat« - Die Tiuphoren stecken auch in uns
»Gewalt nur wenn sie Stil hat«
Die Tiuphoren stecken auch in uns
Für die Tiuphoren ist der Kampf eine Kunstform, und sie streben nach der perfekten Inszenierung ihrer Kämpfe. Die undurchdringliche Verteidigung durchdringen! Das unangreifbare Ziel treffen und töten! Und womöglich mit geringem Kollateralschaden, denn seien wir mal ehrlich: es ist keine Kunst, eine Gigatonnenbombe auf ein Ziel zu werfen und dabei nichts und niemanden zurück zu lassen, der den Ruf der Tiuphoren angstvoll weiterverbreiten könnte.
Das ist eine Lektion, die Russell Crowes Figur im Film „Gladiator“ erst noch lernen muss, als ihn sein Herr Proximo belehrt: „Alles, was du kannst, ist Töten, Töten, Töten. Das Publikum will keinen Metzger sehen, sie wollen einen Helden! Du willst, dass sie wieder kommen, also hör auf, deine Gegner in Stücke zu hacken, und fang an, das Publikum zu unterhalten!“
Und natürlich ist jeder andere Tiuphore auch der geborene Kunstkritiker, wenn es um Tod und Zerstörung geht. Nur die besten Kämpfer dürfen die Kriegsrüstung tragen, und ein Tiuphore muss sich auf die Rüstung einlassen und sich mit ihr verbinden können, um ganz vorne mitzuspielen. Wer nicht gut genug ist, dem bleibt nur der „Innendienst“.
Auch in der Wahl ihrer Ziele sind Tiuphoren anspruchsvoll. Einen Gegner zu schlagen bringt keine Anerkennung, wenn das gar keine Herausforderung darstellt. In dieser Hinsicht ähneln sie den Yautya-Jägern aus den „Predator“-Filmen und den Hirogen aus „Star Trek:Voyager“.
Das heißt freilich nicht, dass schwache und wehrlose Gegner irgendwie Schutz genießen würden; falls sie irgend etwas besitzen, was die Jägerspezies haben will, dann nimmt man es ihnen weg, zerstört den Rest, den man nicht selbst mitnehmen kann, und zieht weiter. Schließlich soll auch kein potentieller Gegner einen Nutzen daraus ziehen können.
Über die Tiuphoren wissen wir inzwischen, dass sie das planetengebundene Leben hinter sich gelassen haben und nur noch in ihren Sterngewerken zwischen den Welten (und Galaxien?) herumziehen. Sie sind ein sehr altes Volk (wie auch die Yautja und die Hirogen), und ihre Kultur hat das Feuer verloren, das sie einmal aus den Höhlen zu den Sternen geführt hat; diese Völker haben keine Fragen mehr an das Universum, weil sie schon alle Antworten zu kennen glauben. Irgendwo auf der Treppe der Evolution haben sie den Anschluss verpasst – jetzt suchen sie die Herausforderung nicht um der Macht und der Ressourcen willen, sondern um sich selbst zu beweisen, dass sie nicht schon die Reise in die Bedeutungslosigkeit angetreten haben. Sie wollen nichts mehr erschaffen, das sie überdauern soll. Ganz im Gegenteil … irgendwann werden sie einen Punkt erreichen, an dem die einzigen verbliebenen würdigen Gegner andere Tiuphoren sind, und damit beginnen, sich gegenseitig auszulöschen.
Schreckliche Leute, nicht wahr?
Aber sie sind gar nicht so verschieden von uns, wie wir gerne denken. Denn geht es nicht auch in erfolgreichen Computerspielen wie in der „Assassin's Creed“-Reihe darum, Verteidiger auszumanövrieren und eine Zielperson zu eliminieren – schnell, leise und aus nächster Nähe, um danach wieder zu verschwinden wie ein Geist?
Beim irdischen Militär unserer Gegenwart verfolgt man heute ja eher den Ansatz, eine Zielperson mit dem höchstmöglichen Abstand zu töten. Aus zwei Kilometern Entfernung mit einem Scharfschützengewehr, wenn es nicht anders geht, aber wesentlich lieber aus einer Distanz von tausenden Kilometern mit einer Lenkrakete, die von einer Drohne abgefeuert wurde. Effektiv, effizient, aber völlig ohne Stil. Und man verbreitet damit Zorn statt Furcht, wie uns zahlreiche Bilder aus den aktuellen Einsatzgebieten der US-Kampfdrohnen zeigen.
Wie ungleich befriedigender für die Zuschauer ist es da, wenn im Kino oder im Fernsehen Helden und Schurken auf Tuchfühlung gehen und sich womöglich noch in liebevoller Choreographie mit scharfem Stahl duellieren. Na gut, es darf auch mal ein Lichtschwert sein.
Doch zurück ins Perryversum. Welche Möglichkeiten haben die Völker von Phariske-Erigon eigentlich, sich der Tiuphoren zu erwehren?
Die Tiuphoren haben keine ortsgebundene Infrastruktur, die man bedrohen oder zerstören könnte wie die Hibernationswelten der Frequenzmonarchie. Sie werden sich also nicht treiben lassen, sondern den Kampf immer nur zu ihren Bedingungen suchen. Natürlich könnte man ihnen Fallen stellen und hoffen, möglichst viele Sterngewerke zu vernichten, bevor sie sich wieder abgesetzt haben, aber – wie oft soll das funktionieren, und wie hoch wird der Preis ausfallen, der dafür zu zahlen wäre?
Man kann den Tiuphoren auch ausweichen und ihnen so lange lohnende Ziele vorenthalten, bis sie irgendwann damit beginnen, sich selbst zu zerfleischen – das ist der Weg in die Purpurteufen. Freilich stellt sich die Frage, wie viel von der Galaxis dabei mit zur Hölle fahren würde.
Der schwierigste, aber auch potentiell lohnendste Ansatz zur Abwehr der Bedrohung durch das Imperium der Empörer wäre sicherlich, diesem Volk eine Herausforderung zu präsentieren, der sie sich nicht verweigern können und an der sie wieder wachsen könnten. Nur bitte nichts so Langweilig-Banales wie die Bewachung eines Kosmonukleotids – das hat schon der Wachflotte Ordobans nicht gut getan. Für eine Retroversion der entstehenden Negasphäre von Tare-Scharm ist es andererseits wohl noch ein wenig zu früh. Wir wissen ja schließlich, dass sich ARCHETIM erst in gut vierzigtausend Jahren um dieses Problem kümmern wird!
Nachtrag aus aktuellem Anlaß: Jan Philip Reemtsma hat als Chef des Instituts für Sozialforschung seinen Abschied genommen und dabei eine Rede gehalten über "Gewalt als attraktive Lebensform betrachtet". Ich traue mich zwar nicht, daraus zu zitieren, aber verlinken will ich den Beitrag der "Welt" dann doch einfach mal ...
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