Hauen & Stechen - Bücher, Amazon, Handel und Selbstverleger (2/4) - Der offene Brief der Autoren
Hauen & Stechen
Bücher, Amazon, Handel und Selbstverleger (2/4)
Der offene Brief der Autoren
Damit wären wir dann also beim ersten Teil des Thementages und beginnen mit Amazon. Dieses Internetkaufhaus ist ein Konzern. ein recht großer sogar. In dieser Rolle nicht als Wohltäter im Dienste der Menschheit, sondern eher in eigener Sache aktiv.
[Exkurs Konzern]
[Exkurs Konzerne Ende]
Da gibt es nun einen offenen Brief an Amazon in Gestalt der Herrn Bezos (Gründer und Präsident von Amazon) und Kleber (Geschäftsführung »Amazon Deutschland«), den bereits von 1717 (Stichtag: 29.08.2014, 12:30 Uhr) deutsche Autoren unterschrieben haben. Es gibt auch Autoren und Autorinnen, die ihre Unterschrift ganz bewusst verweigert haben. Eine davon ist Mara Laue und sie schreibt im Zauberspiegel darüber.
In diesem Brief finden sich viele Wahrheiten. Amazon kämpft gerade mit den Verlagsgruppen »Hachette« und »Bonnier« um Konditionen. Das Internetkaufhaus greift zu drastischen, aber eben durchaus legitimen (und im Handel durchaus gängigen) Mitteln. Ich will an dieser Stelle nicht aus dem Handeln des Internetshops resultierenden moralisch-ethischen Dimensionen dieses Tuns und Handelns diskutieren. Aber das sind auch nicht die Kategorien, die das tägliche Geschäft eines Konzerns bestimmen. Ich will auch auf ein paar andere Sachen hinaus und Amazon nicht einfach nur verteufeln (ich verweise auf den Exkurs).
Amazon teilt seinen Kunden also mit, dass die Bücher von Autoren aus der sogenannten Backlist der betroffenen Verlage erst verzögert ausliefern kann oder verneint gar die Lieferbarkeit. Dazu sei gesagt, dass Maschinen und Algorithmen nicht so gut lügen können wie ein menschlicher Verkäufer. Es fällt eben auf. Autoren fühlen sich nun in »Geiselhaft« genommen. Das ist aber nur eine Facette der Geschichte. Und wie sich gleich zeigen wird, ist das Verhalten des Konzerns Amazon so ungewöhnlich nicht und durchaus Teil einer gängigen Praxis. Dazu gibt es dann noch weitere Facetten.
Man blicke zurück ins Jahr 2012. Da listete Kaufland (wie Lidl zur Schwarz Beteiligungs GmbH gehörend) die Biere der Krombacher Brauerei aus. Der Grund: Kaufland wollte mehr WKZ (=Werbekostenzuschüsse) also Geld von der Krombacher Brauerei, um Werbung und Aktionen zu finanzieren. Da geht es vielleicht für einen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank um »Peanuts«, aber nicht für den Handel. Da geht’s schon mal um Beträge im siebenstelligen Bereich. Da ging es - wie im aktuellen Zwist zwischen Amazon und den Verlagen - um bessere Bedingungen.
Solche Auslistungen sind im Handel bereits des Öfteren passiert. Beispiele sind: Edeka hat mal Müllermilch und McCain ausgelistet und in den Regalen von REWE fand sich auch mal keine Dosensuppen von Sonnen-Bassermann. Das sind noch längst nicht alle und auch nur Teil dessen was bekannt ist.
Man mag nun sagen, dass das Buch ein Kulturgut ist und nicht mit solch profanen Dingen wie Bier, Dosensuppen, vorgebackenen Kartoffelprodukten wie Pommes Fritz oder Milcherzeugnisse gleichzusetzen ist. Das ist mir persönlich zu romantisch. Aus der Sicht eines Händlers spielt das Produkt keine Rolle. Der Vorgang ist der Gleiche, egal ob es um Kulturgüter, Nahrungsmittel, Toilettenpapier oder Autos geht. Hinzu kommt, dass Amazon ja gar nicht soweit ging, die Bücher komplett auszulisten, sondern zunächst einmal nur verzögert liefert.
Apropos Backlist: Wer außer Amazon und - vielleicht - ähnlich gelagerte Online-Shops sind in der Lage die Backlist von Verlagen so anzubieten und zu präsentieren? Eine Buchhandlung, egal wo in den Straßen und Fußgängerzonen unserer Dörfer und Städte, hat rein vom Platz her gar nicht die Möglichkeit die Backlist der diversen Verlage so zu präsentieren wie Amazon (und -vielleicht - andere Buchhändler im Internet) das können. Die Buchhnadlung kriegt ja schon nicht mehr die jährlichen Neuerscheinung unter. Dass Amazon sich diese Leistung nun besser bezahlen lassen will, wen wunderts? Es ist ein Konzern (mehr braucht es als Antwort nicht).
Aber: Ich könnte die Bücher, sollte ich diese über eine Buchhandlung bestellen, genauso schnell in Händen halten. Aber dazu müsste ich das Haus verlassen ... Aber damit wären wir dann schon beim Buchhandel.
Mich stört an diesem Brief durchaus etwas anderes. Machen wir uns nichts vor. Auch im Buchhandel gibt es WKZ. Damit werden quasi Präsentationsflächen gekauft, jene begehrten Tische auf denen sich die Bücher bei ›Thalia‹ (auch zu einem Konzern gehörend - auch wenn die Kette wohl verkauft werden soll) und anderen Ketten stapeln. Da, auf diesen Tischen, werden nämlich die Bücher verkauft. Buchhändler nennen die Bücher in den Wandregalen spöttisch ›Dekoration‹.
Aber es gibt auch Verlage, die können oder wollen es sich nicht leisten für die entsprechend aufmerksamkeitserregende Präsentation zu zahlen. Nun denn, diese Verlage haben Pech gehabt und deren Bücher landen oft nicht einmal mehr in der ›Deko‹, sondern werden eben nur auf ausdrückliche Bestellung eines Kunden beschafft. Und das soll »fairer Buchhandel« sein? Nee – ist es nicht. Wirklich nicht. Wo bleiben da die offenen Briefe, auch der Autoren, die sich über Amazons Verhalten aufregen und von dieser Praxis, ob guter Platzierung, auch profitieren.
Wie passt denn folgende Äußerung der Autoren (von denen einige von den WKZ bestimmt profitieren) des offenen Briefs dazu?
Wir Autorinnen und Autoren sind der Meinung, dass kein Buchverkäufer den Verkauf von Büchern behindern oder gar Kunden vom Kauf von Büchern abhalten sollte.
Irgendwie so gar nicht ... oder?
Wir erreichen nun moralische Dimensionen und da wirds schwierig, denn – um ein Bild der Bibel aufzugreifen – wer ist denn soweit ohne Schuld, um Steine werfen zu können. Ich kann niemanden erkennen. Hier wird - meiner Meinung nach - nur versucht, Einzelinteressen zu wahren. Das ist legitim, aber in dem Fall sollte man es auch sagen. Nur dann klingt der Brief schon weniger wichtig und könnte als egoistisches Gejammer abgetan werden.
Es ist eben verdammt einfach, Amazon zu verteufeln, wie das eben so ist mit einem Konzern. Da hat jeder reichlich Angriffsflächen zu bieten, gerade wenn es um moralische Aspekte geht (doch das ist nicht das Tagesgeschäft eines Konzerns). Manche mehr als andere. Auch Amazon ist ja auf mehreren Kriegsschauplätzen aktiv. Da geht es um Löhne und Arbeitsbedingungen, Zeitarbeitsfirmen, Steuertricks (zu denen das britische Unterhaus gar einen Untersuchungsausschuss hatte – was mich wundert, hat doch die Politik (aller Industrieländer) erst ein solches Verhalten (nicht nur) Amazons durch Gesetzgebung ermöglicht) und mehr.
Wäre es ob all dieser Anwürfe nicht deutlich konsequenter von Autoren, Verlegern, Selfpublishern (zu denen kommen wir auch noch), den weiteren Geschäftspartnern und auch den Kunden nicht nur ihre eigenen Angelegenheiten im Blick zu haben, sondern Amazon zu boykottieren. Nichts mehr liefern – nichts mehr kaufen! Das wäre doch ethisch in Ordnung und solidarisch.
Wenn ich mich nun aber in der Diskussion all dieser moralischen Aspekte ergehen würde … und dabei dann auch die ethisch-moralischen Widersprüche in unser aller (demzufolge auch das eigene) Leben berücksichtigen würde, weil wir bei Amazon kaufen und Waren und Dienstleistungen anderer Konzerne nutzen. Das gäbe ein dickes Buch, an dem ich die kommenden Jahre arbeiten (und an den Themenfeldern verzweifeln) würde. Der Rahmen eines Zauberspiegel-Lei(d)t artikels wäre in jedem Fall bei weitem gesprengt. Vielleicht käme ich am Ende zu dem Schluss mir eine Schaufel zu schmieden, in die Wälder zu ziehen, gelegentlich ein Eichhörnchen zu erschlagen (die kribbeln so schön beim Runterschlucken) und in einer Erdhöhle zu leben. Fernab aller Konzerne.
Also sollten wir die moralisch-ethische Kirche mal im Dorfe lassen und dieses Pferd nicht zu Tode reiten, denn da sollte sich jedweder erstmal an die eigene Nase fassen, bevor man sich aufs hohe Ross schwingt. Also: Wir lassen das moralisch-ethische mal aus diesen Betrachtungen heraus und halten uns an einen Romancharakter von David & Leigh Eddings, den Eunuchen Sadi, der uns wissen ließ:
Ich habe die Welt nicht gemacht. Ich versuche nur darin zu leben.
Das sagt uns auch: Bleiben wir mit beiden Beinen im Hier und Jetzt: Das ist gängige Handelspraxis. Lebt damit.
In den offenen Brief der Autoren heißt es
Viele Autoren und Autorinnen haben Amazon unterstützt, als es eine kleine Startup-Firma mit neuen Ideen war. Auch unsere Bücher haben Amazon geholfen, eines der größten Unternehmen der Welt zu werden. Wir haben Amazon Millionen in die Kassen gewirtschaftet, viele haben mit Amazon kooperiert und tun das noch heute. Viele von uns haben ihre Backlist bei Amazon, haben Rezensionen und Beiträge geschrieben.
Mag sein. Doch als Amazon 1994 gegründet würde, gab es die – ich möchte es mal die erste - Internet-Euphorie nennen. Alle Welt erwartete die nächste industrielle Revolution mit dem Internet als Motor des Aufschwungs. Als dann diese Euphorie zur Blase wurde, weil das Netz technisch überhaupt noch nicht soweit war (man erinnere sich an Krach machende Modems mit – im Vergleich zu heute – mehr als bescheidenen Leistungsmerkmalen) und die Flatrate nur ein Traum, dachten alle, es wäre vorbei. Amazon entwickelte sich aber konsequent weiter. Andere gaben auf oder meinten gar, das Internet bliebe ein Tummelplatz für Spinner, bestenfalls zur Nachrichtenübermittlung geeignet, aber mit den drei Buchstaben DSL begann der Aufschwung und Amazon war ganz vorn dabei. So war es dann auch ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Die Autoren gaben über die Verlage ihre Bücher und Amazon etablierte den Online-Handel (und die Pflege der Backlist) damit.
Man darf nicht so tun, als ob die Autoren (bzw. ihre Verlage) nur gegeben hätten und quasi für den Aufstieg Amazons verantwortlich wären. Was in Deutschland niemand so recht wagte, zog Amazon durch. Dabei ist es klar und logisch, dass man zunächst Verlage über Konditionen anlockt. Ebenso klar und logisch ist es, dass man – nach erreichen einer bestimmten Marktmacht – diese Konditionen anziehen und dem eigenen Vorteil anpassen will. Dabei gibt es schon heute – insbesondere kleine – Verlage, die sich mit der Materie nicht ausreichend beschäftigt haben und 55 % vom Nettoverkaufspreis an Amazon abführen, weil sie den vollen Service des Hauses nutzen. Es gibt auch das Angebot eines Shops. Das kostet nur 15 %, allerdings muss da der Verlag den Versand selbst übernehmen, aber Amazon zieht das Geld ein und überweist es weiter. Es gibt da noch weitere Modelle. Da muss der potentielle Amazon-Partner auch mal ein bisschen nachdenken.
Nur Amazon und andere virtuelle Läden können überhaupt alle Neuerscheinungen (so um die Hundertausend) aus dem klassischen Verlagssystem und deren Backlist, dazu auch die Publikationen aus dem Bereich der Selbstverleger anbieten. Der stationäre Buchhandel ist wie ein Flaschenhals. Rein physisch kann keine Buchhandlung diese Fülle des Angebots auch nur ansatzweise vorrätig halten.
Mittlerweile hat man sich bei Amazon durch Features (wer das kauft, kauft auch das), Erweiterungen der Angebotspalette und erstklassigem Kundenservice eine Ausnahmestellung erarbeitet, die sie nun in eine Position versetzt, die es schwer macht, Konkurrenz zu sein. Amazon ist nun ein großer Konzern geworden, der sich so benimmt wie Konzerne mit großer Macht es nun mal tun. So wie sich kein Benzinpreis ohne ExxonMobil bildet (weil Exxon – in Deutschland besser als ESSO bekannt – über zwei Drittel der Raffineriekapazitäten verfügt) bilden wird, so sucht auch Amazon seinen Gewinn zu optimieren und seine Marktmacht zu steigern. Amazon nimmt, so muss der Idealist entnervt feststellen, nicht mal zu Unrecht eine herausragende Position ein.
Mir fällt auf Anhieb nichts ein, dass eine ernsthafte Alternative zu Amazon ist. Weltbild hätte in Deutschland so was werden können. Immerhin haben die Augsburger auch Ende der Neunziger das Onlinegeschäft eröffnet. Doch daraus haben die Herrschaften in Augsburg aber nix gemacht. Der Start war viel versprechend, aber wurde nicht bzw. nur ungenügend weiter entwickelt. Vielleicht liegt das am bisherigen Eigentümer, der katholischen Kirche (bzw. den deutschen Bistümern), denn dort dauern Entscheidungen schon mal ein paar Jahrhunderte. Jedenfalls aht man vel zu lang auf Kataloge und Geschäfte gesetzt und das Onlinegeschäft stiefmütterlich behandelt.
Und sonst?
Ich sehe nichts was Amazon als Gesamtpaket das Wasser reichen könnte. Ich kann da nicht nur das Buch und die Verfilmung kaufen, sondern auch gleich noch Wolle und Stricknadeln, um beim Gucken des Films dann noch ein paar Wollsocken zu stricken. Das ist ein bunter Gemischtwarenladen.
Dieser Gemischtwarenladen genannt Amazon hat ja auch die Spezies der Selbstverleger (aka Self Publisher) für sich entdeckt. Diese bekommen da – wenn sie es richtig anstellen – gute Konditionen. Ob das immer so bleiben wird, weiß man nicht. Was da passieren wenn, wenn Amazon dieses Marktsegment für beherrscht hält bzw. sich unentbehrlich gemacht hat, kann man sich ausmalen. Aber erst mal ist es ein Paradies. Aber nun geht’s auf zu neuen Zielen, denn es gilt auch für Selbstverleger den Buchhandel zu erobern.
Aber das ist dann das Thema des nächsten Teils.
Der Thementag ... Offene Briefe
Hauen & Stechen - Bücher, Amazon, Handel und Selbstverleger
Kommentare
AMAZON hatte sich gebründet mit der Philosophie ein Kaufhaus zu sein indem man alles kriegt. Okay.Von sowas habe ich in den 80er Jahren immer geträumt. Und sowas kann mächtig sein. Diese Machtstellung allerdings schamlos auszunützen ist kein Traum, sondern Horror.
Aber naja, jeder bekommt was er verdient.
Das ist die Marktwirtschaft die doch jedes Unternehmen haben will, nur den Aktionären verpflichtet aber doch nicht denen die keine Aktien halten. Wo kämen wir denn da hin, wenn Unternehmen ihren Mitarbeitern oder gar Kunden etwas gutes tun würde? Das wäre doch der Niedergang der Wirtschaft.....