Hauen & Stechen - Bücher, Amazon, Handel und Selbstverleger (3/4) - Der offene Brief der Selbstverleger (3/4)
Hauen & Stechen
Bücher, Amazon, Handel und Selbstverleger (3/4)
Der offene Brief der Selbstverleger
Ob das eine gute Idee war?
Stefan Holzhauer hat einen – wie es gerade en vogue ist - offenen Brief verfasst. Ich schätze Stefan in der Regel, aber auch ihm kann es passieren nicht hinreichend nachgedacht zu haben, bevor ein Text öffentlich wird und er sich zu einfach macht.
Zunächst einmal fällt mir auf, dass der Ton des Briefes so klingt, als wäre der Verfasser - wie man es volkstümlich umschreiben könnte - mächtig angepisst. Er ist unfreundlich, arrogant und überheblich. Gerade das wirft er auch – zumindest zwischen den Zeilen – dem stationären (Buch-)Handel vor.
Mal ehrlich. Wenn ich Buchhändler wäre und mir einer in diesem Ton einen Brief schreibt und ich stelle fest, der möchte, dass ich seine und die Bücher anderer Selfpublisher vertreibe: Was würde ich tun? Zum einen nennt der Verfasser des Briefes mich quasi Idiot, ich arbeite in einem althergebrachten System und boykottiere ihn und andere Selbstverleger ohnehin generell. Diese Typ möchte also von mir, ich soll nun seine Bücher verkaufen. Besonders viel sprichwörtlicher Honig wird einem Buchhändler in diesem Brief nicht um den Bart geschmiert. Wäre ich also ein Buchhändler, ich fände darin nur schwerlich hinreichend Motivation, um den Brief überhaupt zu Ende zu lesen.
Ich zitiere mal ein paar Absätze und jeder darf sich nun fragen, ob diese Absätze einer möglichen kommenden Zusammenarbeit zuträglich sind.
(...) Nicht erst in den letzten Monaten werden Selfpublisher und ihre Bücher im gesamten Buchhandel (offline wie online) boykottiert, ihre Bücher nicht auf Lager gelegt und auf Leseranfrage noch nicht einmal bestellt, selbst wenn es gängige Werke oder gar Bestseller sind. Die Bücher werden GAR NICHT ANGEBOTEN, man hat als Selfpublisher keine Möglichkeit seine Bücher in die Läden oder Onlineshops zu bekommen, wenn man sich nicht den uralten, angesichts des Internets längst obsolet gewordenen, Traditionen der Branche unterwirft und ein Heidengeld dafür abdrückt, in irgendwelche okkulten Kataloge aufgenommen zu werden. (...)
(...) Wir Selfpublisher sind der Meinung, dass kein Buchverkäufer den Verkauf von Büchern behindern oder gar Kunden vom Kauf von Büchern abhalten sollte. Der Buchhandel hat kein Recht, eine Autorengruppe, »in Beugehaft« zu nehmen. Oder, noch schlimmer: Komplett zu ignorieren und dem Kunden vorzuenthalten. Obendrein sollte kein Buchverkäufer seine eigenen Kunden falsch informieren oder ihre Einkäufe dadurch behindern, dass sie behaupten, dieses und jenes Buch gar nicht zu kennen und auch nicht beschaffen zu können. Damit widerspricht der Buchhandel seinem eigenen Versprechen, qualitativ besser als die Onlinekonkurrenz zu sein, insbesondere als das vielgeschmähte Amazon. (...)
(...) Mal im Ernst, liebe Buchhändler: es gibt ein Leben abseits der ISBN und auch abseits des VLB. Wenn jemand ein Buch eines Selfpublishers bei euch kaufen möchte, dann geht ins Internet (kennt ihr das? Das gibts schon ein paar Jahre), und nutzt die Suchmaschine eurer Wahl, um nach dem Namen des Autors und/oder dem Titel des Buches zu suchen. Das ist gar nicht so schwer. Und dann werdet ihr das finden. Und dann kann man freundlich bei dem Indie-Autor oder der Selfpublisherin anfragen, ob der oder die euch das Buch schickt. Das machen die bestimmt, sogar sehr, sehr gerne. Und was ist dann passiert? Der Kunde hat das Buch bei euch gekauft, und nicht bei Amazon, und ihr macht den Reibach und nicht Cthulhu Bezos. Wäre das nicht supereinfach? (...)
Würde ich also nun nach Möglichkeiten suchen, Bücher von Selbstverlegern zu vertreiben? Wäre ich nach diesen Sätzen offen für einen Dialog? Wollte ich gemeinsam nach Lösungen suchen? – Öhh, nööö! - Hätte mich dieser offene Brief auf Papier erreicht, würde ich ihn (wohl nicht einmal zu Ende gelesen) in der Rundablage »P« ablegen, aber auch mein Computer bietet ja den Papierkorb zur Entsorgung von Datenmüll an.
Der Tonfall des Briefes ist in keiner Weise dazu angetan, dass der Buchhändler sich mit diesem Problem befassen will und das eigene System aus ISBN und VLB (=Verzeichnis lieferbare Bücher) zu hinterfragen und nach Lösungen für Selbstverleger zu suchen. Eher würde sich sagen: Bleibt doch bei Amazon und dem Direktvertrieb. Mit solch ›höflichen‹ Typen will ich nichts zu tun haben.
Da wollte nur einer Frust abladen und hofft darauf, dass viele andere genauso gefrustet sind, aber zu mehr taugt ein so verfasster Brief in keiner Weise. Ganz ehrlich. Hier wird an der Zielgruppe (auf ncht einmal hohen Niveau) vorbei gepöbelt, jedenfalls dann wenn man mehr will, als einfach nur rumzumaulen.
Bevor wir weitermachen, steht ein kleiner Exkurs in Sachen Selbstverleger an ...
Und nun wieder zu dem offenen Brief ...
Im Laufe der Briefes offenbart sich ein weiteres Problem. Und meines Erachtens zeigt es, dass da noch kaufmännische Defizite (bei Selfpublishern) sind, die es zu beheben gilt (vielleicht der nächste große Seminarmarkt »Kaufmännisches Grundwissen für den Selbstverleger«) und es dem Buchhandel noch einfacher machen, diesen Brief zu ignorieren:
Ich zitiere noch mal …
Nur: verlangt bitte nicht von einer Einzelperson (vulgo: Selfpublisher) dieselben Rabatte, die euch auch die Töchter international agierender Verlagsgiganten wie Hachette oder Bonnier einräumen, denn der kleine Selfpublisher kann das nicht. Und schicken müssen er oder sie euch das Buch auch noch, das kostet Porto — und dann bleibt gar nichts mehr übrig, wovon man leben könnte.
So, so … Man soll nicht die gleichen Rabatte verlangen wie von den Großen. Das simple Rechenexempel der Kalkulation sollte auch der Selfpublisher beherrschen. Eine der grundlegenden Regeln ist: Es wird kein Rabatt abgezogen, der nicht vorher hineingerechnet wurde. Also wer keinen Rabatt für den Buchhandel einrechnet, der steht eben dem Handel gegenüber auf dem Schlauch und hat eben nichts was er einräumen kann. Im übrigen räumen nicht nur internationale Großverlage dem Buchhandel (Groß- wie Einzelhandel) den Rabatt ein. Das tun auch Verlage kleiner (nicht jeder kleiner Verlag publiziert alte Heftromane zu Preisen, die nicht buchhandelstauglich sind) und mittlerer Größe. Ehrlich, die schaffen das auch und das durch das simple Wunder der Kalkulation (eine althergebrachte, aber dennoch immer noch gängige und vor allem nötige Aktion). Ich habe den Eindruck, dass so mancher selbstverleger seine Bücher so kalkuliert wie ein Fanzine (Druckkosten plus Porto = Preis). Das ist aber keine Kalkulation, die für den Handel taugt.
Gehen wir mal zu den Grundregeln des Handels. Ich versuche es einfach zu erklären. Der Handel (also auch der Buchhandel) lebt von dem Unterschied von Einkaufspreis und Verkaufspreis (und das seit vielen tausend Jahren, aber das ist keinesfalls überkommen, denn auch die modernsten Handelsunternehmen machen es so). Der Händler, der also mit Gegenständen (Autos, Bücher, Bierflaschen, Fleisch, Gemüse, Stahlträger, Jeans, Brötchen, Pütt un' Pannen, Damenhygieneartikel, Kondomen Zahnpasta, Waffen) Handel treibt, verkauft eine Ware zu einem gewissen Preis, die er vorher zu einem niedrigeren Preis eingekauft hat. Aus dieser Differenz (manchmal auch Handelspanne genannt) bezahlt er seine Steuern, seine Angestellten, seine Miete, seine Energiekosten und zu guter Letzt muss er davon seinen Lebensunterhalt bestreiten (auch Händler haben sich an Dinge wie Kleidung, feste Nahrung, ein Dach über den Kopf und fließend Wasser gewöhnt).
So ist ein -sagen wir mal - Buchhändler darauf angewiesen, wenn er die Ware bestellt was er dafür bezahlen und was er dann dem Kunden dafür abknöpfen soll. Jetzt betritt ein Kunde den Buchladen und sagt, er wolle das Buch "Auf die Hörner genommen" des Selbstverlegers Fritz Lakritz käuflich erwerben. Der Buchhändler öffnet nun das Internet (wie es ihm in den offenen Brief vorgeschlagen wird), findet die Seite des Selfpublishers und sieht einen Endpreis. Denn so stellt sich laut Stefan Holzhauers Brief der Selbstverleger den Vorgang vor.
Jou, aber sonst? Wo ist der Preis für den Wiederverkäufer?
Manchmal hatte ich das Gefühl, dass der Handel in dem Brief so gesehen wird wie Klein Fritzchen ihn sich im Kindergarten vorstellt. Nehmen wir nochmal den entsprechenden Satz aus dem Brief.
Wenn jemand ein Buch eines Selfpublishers bei euch kaufen möchte, dann geht ins Internet (kennt ihr das? Das gibts schon ein paar Jahre), und nutzt die Suchmaschine eurer Wahl, um nach dem Namen des Autors und/oder dem Titel des Buches zu suchen. Das ist gar nicht so schwer. Und dann werdet ihr das finden. Und dann kann man freundlich bei dem Indie-Autor oder der Selfpublisherin anfragen, ob der oder die euch das Buch schickt. Das machen die bestimmt, sogar sehr, sehr gerne. Und was ist dann passiert? Der Kunde hat das Buch bei euch gekauft,
So, jetzt sieht der Buchhändler dem Kunden in die Augen und beschließt ihn zu verärgern und sagt, dem erwartungsvollen Gegenüber, er werde das Buch nicht beschaffen. Warum denn das? Eben weil der Wiederverkäufer (Buchhändler) nicht ersehen kann, was für ihn beim Verkauf übrig bleibt. Aber genau das ist das, wovon er lebt.
Spielen wir das Szenario weiter. Der Buchhändler beschließt in Service zu machen und dem Ruf der Servicewüste Deutschland zuwiderzuhandeln. Da er keinen Widerverkäuferpreis findet, sucht er nach den Kontaktdaten und weil er dem Kunden schnell helfen will, wählt er die angegebene Nummer. Aber nur der Anrufbeantworter ist da. Er vertröstet nun den Kunden und bittet ihn am kommenden Tag wiederzukommen. Dann schreibt der Buchhändler eine Mail an Fritz Lakritz (unseren Modellselbstverleger). Der Buchhändler bittet darin um die Konditionen für sich. Möglicherweise antwortet der Selbstverleger ihm dann, dass vom Endpreis von 7,90 € so um die 20 % als Rabatt für den Wiederverkäufer einräumt. Also um die 1,60 €. Ein Lacher.
Dafür den ganzen Aufwand ... Und es könnten mehr Kunden kommen, die Bücher von Selbstverlegern kaufen wollen. Jedes mal den ganzen Aufwand für einen unbestimmten Ertrag? Nee, dann gibt der Buchhändler dem Kunden lieber den Link zum Selbstverleger mit und überlässt dem Selbstverleger den Direktvertrieb.
Mal ehrlich: Wenn der Selbstpublisher sein Buch via Amazon und oder Beam (als eBook) vertreibt, dann weiß der Selfpublisher vorher auch was beide ihm übrig lassen. Er kennt die Konditionen genau. Kein Selbstverleger, der bei Verstand ist, würde zum Beispiel ein Druckauftrag ohne genauen Endpreis erteilen. Der Buchhändler soll aber genau das machen. Zu ungewissen Konditionen verkaufen. Ein Gedanke, der eher unausgegoren und fern der Realität ist.
Es sei auch noch gesagt, dass diese Konditionen vor allem deshalb so gut sind, weil Amazon nur einen gewissen Service bietet (wozu auch der Geldeinzug gehört, weil Amazon dann keine Schwierigkeiten bekommt, seinen Anteil zu erhalten). Der Versand (und damit die Kosten desselben) liegt dann beim Selbstverleger. Wenn Amazon die Bestellung komplett abwickelt und seinen ganzen Service bietet, steigt Amazons Anteil von 15 auf über 50 %. Auch Beam behält eben seinen Anteil, um sich seinen Service (Bereitstellung und Pflege des Servers, die Sicherheit desselben, Abwicklung der Bestellung) bezahlen zu lassen. Und: Wen wundert das noch? Das haben die (von Amazon und Beam) kalkuliert und nicht etwa einer Kristallkugel bzw. dem Kaffeesatz entnommen.
Ich bekam beim Lesen dieses ›offenen Briefes‹ manchmal das Gefühl, dass sich der gemeine Selbstverleger als Gottes Geschenk an Leser und Handel betrachtet und allein deswegen schon mal bevorzugt behandelt werden soll. Los lieber Buchhandel, rollt den roten Teppich aus. Der Leser wird kommen und die Druckerzeugnisse der Selbstverleger schubkarrenweise holen kommen ... - Da denkt der Laie und Hobbypsychologe an Größenwahn. - Nein, ihr seid nur ein zusätzliches Angebot zu etwa 100.000 Neuerscheinungen der Verlage und keiner wartet auf den Selbstverleger, erst recht nicht wenn ihr solche Briefe schreibt.
Also, dieser offene Brief ist ein grandioser Schuss in den Ofen. Da heißt es ran ans Reißbrett und einen neuen entwerfen. Es steht zudem zu hoffen, dass der nicht allzuoft unterschrieben und verschickt wurde, denn das ganze Machwerk ist misslungen.
Allein schon die Vorstellung auf die Präsentationstische zu wollen. Das hat schon was. Verlage zahlen Ketten WKZ (zur Erinnerung, das sind Werbekostenzuschüsse und die sind nach mit in die Preise kalkuliert worden) und auch in kleinen Buchhandlungen (die wohl keine WKZ bekommen) liegen da die Follets, Browns, Kings und wie die Bestsellerautoren so heißen mögen, die dem Buchverkäufer seine Kosten tragen helfen. Da, auf die Präsentationstische der Verkaufsschlager, will der Selbstverleger hin? Das spricht eher für eine gewisse Selbstüberschätzung als von gesunden Selbstvertrauen.
Da wird einer meiner Zitatklassiker wieder. Wie sagte Dr. Frasier Crane noch in »Cheers« so schön ...
Tell me Cliff. What color is the sky in your world?
Wenn also der Selbstverleger in die Buchhandlungen will, so muss er dem Buchhändler eine Plattform zur Verfügung stellen, die die Bücher so vieler Selfpublisher (und vielleicht auch Kleinverlage und Selbstverleger, die für andere mitproduzieren) wie möglich erfasst und auch dann auch den Wiederverkäuferpreis ausweist. Dazu braucht es jemanden, der das Ding pflegt und betreut. Bin gespannt, ob das jemand macht und ob er/sie/es das freiwillig und möglichst kostenlos macht, denn der gemeine Selfpublisher kann ja nicht soviel ... [Freiwillige vor ...! Wie wärs, Holzi?]
Aber das wäre mal ein Angebot an den Buchhandel, das als Gesprächsgrundlage dienen könnte. Da könnte dieser dann die notwendigen Infos abrufen und Bücher bestellen, wenn der Kunde es wünscht. Das wäre ein echtes Diskussionsangebot an den Buchhandel, damit er mit Selfpublishern in geschäftlichen Kontakt treten kann. Dazu sollte man dem Buchhandel in einem Begleitbrief vielleicht etwas freundlicher kommen und auch ein wenig Honig mitbringen, den man um vorhandene oder nicht vorhandene Bärte schmieren kann.
Wie sehen die zu ziehenden Schlüsse aus den beiden offenen Briefen nun aus? Dazu an derer Stelle mehr ...
Der Thementag ... Offene Briefe
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Kommentare
Ironischer Ansatz? Ehrlich? Ironie ... Das fällt überhaupt nicht auf. Aber das ist tatsächlich der einzige Ansatz, den Brief auch nur ansatzweise ernst zu nehmen, ohne den Verfasser Vollidiot nennen zu müssen. Aber ich gehöre wahrscheinlich zu den 99% der Menschheit, die Ironie in den falschen hals bekommen, wenn Sie nich gekennzeichnet ist. Mir fehlen viele Indikatoren für Ironie. Doch ich bin ja auch nich bei Deutschlandradio Kultur. Ich muss eben noch viel lernen
Ja genau, es fehlte nur noch der Satz: Wir - die Selbstverleger (von Fliesen)- verdrängen das etablierte Verlagswesen ... Selbst wenn ich von dem "ironischen Ansatz" gewusst hätte, wäre der Artikel nicht anders geworden. Der Brief hat zuviel Original-Selfpublishergeschwätz.
Das sehe ich genauso.
Als Schreiberling, der sich selbst als Selfpublisher betätigt, kann ich über das Geschwätz meiner "Kollegen" einfach nur den Kopf schütteln.
Wer keine Ahnung von den Regeln und Bedingungen des Marktes hat, sollte sich als Anbieter vom Markt besser fernhalten.
Auch für Selfpublisher gilt:
Es gibt keinen Anspruch auf Erfolg!
Und es gibt für Selfpublisher auch keinen Anspruch auf bevorzugte Behandlung.