Sie liebt den Protagonisten! (Oktober 2014)
Klar darf autor das sein, aber dann bitte den Text in der Schublade lassen und nur selbst lesen. Die Überstilisierung des Protagonisten, weil autor sich zu sehr mit der Figur identifiziert und sie über-idealisiert ist ein absolutes No-Go. Das haben wir bei Frank Herberts „Dune“ gesehen, der Duncan Idaho einfach nicht sterben lassen konnte und ihn immer wieder klonte und jedes Mal peinlicher darstellte; vor allem gab es mit ihm fast nur noch Sexszenen in Alt-Herren-Manier, wie ich es leider auch bei Heinlein und Vance schon erleben musste, wo man sich schon fragt, meine Herren, äh, wie läuft das denn so bei Ihnen ...?
Ebenso hat Anne Rice mit ihrem Lestat vollends übertrieben bis zur Unlesbarkeit.
Und wenn dann auch noch Sex zu sehr in den Vordergrund gerückt wird, da fragt man sich dann schon, wer da wirklich mit wem schläft. Nicht missverstehen, ich hab überhaupt kein Problem mit Sexszenen, aber ich merke es doch, wenn diese Beschreibung nur dem Selbstzweck dient, ... der ... ach was, ich sag es jetzt einfach: Onanie, denn das langweilt mich unendlich und ich möchte nicht noch mehr und noch mehr davon.
Der Autor vergisst den Leser und nimmt ihn nicht mit auf die Reise ... das geht nicht.
Es ist unerlässlich, dass der Autor eine gewisse Distanz zu seinen Figuren wahrt, um sie für die Leser identifizierbar (über liebenswert bis hassenswert) zu halten. Wenn die beschriebenen Figuren realistisch wirken sollen, dann müssen sie Ecken und Kanten haben und auch mal so handeln, wie leser es nicht goutiert oder es ihn überrascht. Es muss ja Raum bleiben, dass leser sich sein eigenes Bild über den Charakter und sein Verhalten machen kann, dass er sich denkt „was würde XY machen, wenn ...“ und nicht „ah ja, da weiß ich schon, was passieren wird, denn XY wird sich so und so verhalten, gähnschnarch“. (Daraus entsteht übrigens auch keine Fanfiction!)
Ein Überheld, der sich nicht mehr weiterentwickeln kann ... neeeeeee. Den kann man irgendwo als Nebenhandlung kurz mal bringen, aber nicht als Hauptfigur. Wo bleiben da die Konflikte, die Probleme? Wie sagt Dr. House? „Lang-wei-lig!“
Ich-Perspektive? O Poesia, das auch noch! Graus! Schauder! Dann gibt es ja überhaupt nur eine einseitige Darstellung, die Autorin erzählt ihren Liebes-Helden-Traum ...
Es gibt Geschichten, die kann man im Prinzip nur aus der Ich-Perspektive erzählen. Nabokovs „Lolita“ ist so ein Fall, wobei er auch hier den Kniff von auktoriellen Einschüben findet, in denen Humbert Humbert von außen geschildert wird (Gericht, Psychiater), um ein gewisses Gleichgewicht der Sachlage herzustellen. Denn natürlich lässt der Ich-Erzähler so ein paar Kleinigkeiten aus, die den Fall in ganz anderem Licht erscheinen lassen ...
Aber wir könnten seine Beweggründe niemals so nachvollziehen, würden wir ihn nur aus der 3. Person erleben. Die inneren Monologe, woraus logischerweise der Roman hauptsächlich besteht, würden dadurch sehr langweilig geraten, und es geht ja schließlich um das verquaste soziopathische Gefühlsleben Humberts, aus dem seine Handlungen resultieren. Weil er unmittelbar seine Sicht der Dinge darstellt, gerät die Handlung äußerst dynamisch und spannend und vor allem diskussionswürdig. Er stellt sich zugleich als Opfer und Täter dar, wir erleben eine atemberaubende Achterbahnfahrt durch sein Gehirn, was Nabokov in unerreichter Perfektion gelingt.
So etwas halte ich beispielsweise für unverfilmbar, weil wir da immer nur die äußere Sicht haben und die logischerweise filmische Konzentration auf die „skandalösen“ Handlungsteile (indem vor allem Lolita personifiziert wird und kein imaginäres Bild mehr ist) alles verfälschen würden. (Ist verfilmt worden, ich weiß, interessiert mich aber nicht, weil das nur Murks sein kann.)
Der Ich-Erzähler kann die Geschichte natürlich im Präsens und der allergegenwärtigsten Gegenwart erzählen, was ich für eine sehr schwere Schreib-Disziplin halte, denn man kann keine Einschübe bringen und keine poetischen Kniffe wie „Ich begegnete ihr das erste Mal, als ...“, die schöne Beschreibungen zulassen. Der Ich-Erzähler hat dadurch so gut wie keine Vergangenheit. Ich finde es auch schwierig, Ortswechsel darzustellen und desgleichen mehr. Im Grunde kann so etwas nur durch Tagebucheinträge gelingen ...
Also ist es einfacher, finde ich, in der Retrospektive zu erzählen, weil man dadurch auch auf gleichzeitige andere Geschehnisse verweisen kann, die dem Erzähler erst hinterher zur Kenntnis gelangen, dem Leser aber an passender Stelle mitgeteilt werden. Der Autor hat dadurch mehr Möglichkeiten des Erzählens, beispielsweise auch mit Einschüben in der 3. Person.
Aber es gibt dann natürlich auch noch den ganz großartigen Kniff „... und dann starb ich“, wie in „Boulevard der Dämmerung“ geschehen, wo der Ich-Erzähler am Ende als Leiche im Swimmingpool treibt und seine Geschichte so zum Ende führt. Sein Leben quasi in der letzten Sekunde noch einmal durchlebt und uns episch darbringt auf einer anderen Zeit-Ebene (denn Zeit ist ja relativ, wie wir alle wissen), bevor seine Seele sich davonmacht und der Geist endgültig erlischt.
Dadurch weiß man eben auch bei solchen Geschichten nicht mehr, ob der Ich-Erzähler tatsächlich überlebt, was die Spannung aufrechterhält.
Kommentare
Zitat: Euch ist schon klar, dass ihr damit jeden Heftromanhelden beschrieben habt, den es gibt
Ich denke Liebe, Sex & Witz sind in etwa die größten Herausvorderungen an die Fähigkeit, das Talent eine Geschichte zu erzählen.
Nichts, das sich von leichter Hand bewerkstelligen läßt ohne in Kitsch, Peinlichkeit oder der Nichtexistenz einer Pointe zu verenden.
Sollte also immer gut überlegt sein.
bonté