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Bestseller-Biographie: Leichenfledderei oder Literatur? – November 2011

Auf eine Mail mit Uschi ZietschBestseller-Biographie:
Leichenfledderei oder Literatur?
November 2011

Biographien verkaufen sich umso besser, wenn ein großer Name auf dem Cover steht. Ist das dann gleich die Ausbeutung eines Menschenlebens? Und ermöglichen solche Bestseller das Erscheinen weniger kommerzieller Bücher? Oder erschweren sie sie sogar? Uschi Zietsch hat dazu interessante Antworten parat und ganz nebenbei auch gute Lese-Tipps für die kalte Jahreszeit.

 

Zurzeit ist die Biographie von Steve Jobs in aller Munde. Amazon rechnet sogar damit, dass es das umsatzstärkste Buch des Jahres wird. Wie stehst du dazu? Ist es die finanzielle Ausbeutung eines Schicksals oder eine angemessene Betrachtung eines interessanten Lebens?

Uschi: Für die Biographie von Steve Jobs aktuell interessiere ich mich zwar offen gestanden nicht, aber ich finde es gut, dass sie erscheint.

Ich finde das sehr interessant, insofern der Inhalt (m)einen hohen Anspruch erfüllt und nicht einfach nur reißerisch gedacht ist; an vorderster Stelle sei da die ganz hervorragende Truman-Capote-Biographie von Gerald Clarke zu nennen, die zeigt, wie man seriös und trotzdem spannend ein Leben ausbreiten kann.

Es hat natürlich etwas extrem Voyeuristisches, ich betrachte dies aber vor allem vor dem historischen Hintergrund, dem Ambiente, es ist eine sehr informative Sozialstudie – weniger der beschriebenen Person als vielmehr des Umfeldes, in dem sie gelebt und auf das sie Einfluss gehabt hatte (bzw. umgekehrt). Diese Historien sind für mich viel interessanter als Romane dazu.

Ich betrachte hier nur die seriösen Biographien, die zumeist in Zusammenarbeit mit der beschriebenen Person entstanden sind und von diesen genehmigt wurden. Ein ernsthafter Biograph setzt sich sehr intensiv mit dieser Aufgabe auseinander, schließlich geht es hier um intime Dinge, an die man mit Fingerspitzengefühl herangehen muss und Vertrauenswürdigkeit beweisen muss; er hat unglaublich aufwendige Recherchen und Interviews zu betreiben, was wie im Fall von Gerald Clarke tatsächlich bis an den Rand des Zusammenbruchs führen kann. Es sind bedeutende Zeitdokumente, die unser Leben vor x Jahren sehr viel genauer und besser darstellen als jedes andere Geschichtsbuch. Bei den Geschichtsbüchern geht es nur um die Ereignisse, bei Biographien aber um die Menschen, die mit diesen Ereignissen umgehen müssen oder sie erst hervorrufen. Ob nun Buch oder Film, ich schätze solche Dokumentationen.

Bedeutend sein können auch Autobiographien, wie etwa „Wüstenblume“ von Waris Dirie. Derzeit lese ich Andreas Altmanns „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und mein eigenes Scheißleben“, ein stilistisch hervorragendes Dokument aus dem für einen Städter schier unglaublichen Leben in einem höchst bigotten katholischen bayerischen Ort – Altötting, was aus naheliegenden Gründen an sich schon spannend ist. Am wichtigsten aber, und das möchte ich wirklich jedem ans Herz legen, ist die authentische KZ-Tagebuchgeschichte von Ana Novac, „Die schönen Tage meiner Jugend“. Authentischer geht es nicht, da so gut wie nichts durch Erinnerung verzerrt wurde. Das ist für mich ein unglaublich wertvolles Zeitdokument, um zu erfahren, „wie es war“, und um alle Facetten der menschlichen Seele kennenzulernen.

Verlage weisen gerne darauf hin, dass solche Bestseller wichtig sind, um auch die „kleineren“ Bücher zu finanzieren? Aber ist das noch der Fall? Oder wollen Verlage nur noch „Best Seller“ haben und vernachlässigen Randgebiete immer mehr? Man denke nur an den diesjährigen Literaturnobelpreisträger, der in Buchhandlungen mit seiner Lyrik kaum präsent ist.

Uschi: Tja, das Problem mit Lyrik ist, dass sie schon immer ein Randnischendasein geführt hat – ich habe auch keine Lyrik daheim, weil ich ganz offen und ehrlich nichts damit anfangen kann. Sicherlich gibt es einige Sachen, die finde ich toll, aber das sind Ausnahmen. Deswegen wird der diesjährige mir völlig unbekannte Nobelpreisträger auch bei mir ein Schattendasein führen.

Natürlich braucht ein Verlag Bestseller, die die „schwächeren“ Titel mitziehen und dann auch mal „finanzielle Ausnahmen“ ermöglichen, bei denen man vielleicht keinen Gewinn erzielt. Man denke an den gigantischen Verwaltungsapparat; in die Kalkulation eines Buches fällt jeder Kugelschreiber und jede Putzstunde hinein. Und am liebsten hätte ein Verlag natürlich nur Bestseller, ganz klar. Ich habe Anfang der 80er-Jahre mit meinen ersten Geschichten angefangen, in Kontakt mit Verlagen zu treten. Damals gab es überhaupt keine Förderung von Jungtalenten, man musste schon gewaltiges Glück haben, um genommen zu werden. Niemand wollte Aufbauarbeit betreiben und dafür etwa auch noch Geld ausgeben.

Das hat sich heute etwas – aber leider nur etwas – gebessert. Das heißt, man hat heute durchaus höhere Chancen, sein Buch an den Verlag zu bringen, jedoch der Verlag übernimmt weiterhin nur in Ausnahmefällen Aufbauarbeit und kümmert sich ansonsten nicht weiter um das Mauerblümchen. Für den Autor sehr frustrierend, weil sich sein Buch dadurch nicht verkaufen kann, und weil er dadurch nicht lange im Programm bleiben darf. Der „Vorwurf“ wird natürlich dem Autor gemacht, dass keiner sein Buch haben will – nur, woher soll der Leser wissen, dass es das Buch gibt? Hier wäre noch ein gewaltiger Handlungsbedarf, das Budget nicht nur für die teuer eingekauften Bestseller aufzubrauchen, sondern sich auch mal um die „hauseigenen“ Jungautoren zu kümmern und sie sorgfältig aufzubauen. Die Jungautoren sind schließlich zu allem bereit, um bekannt zu werden, so viel Aufwand wäre das gar nicht. Es gibt zwar wie gesagt Ausnahmen hiervon, aber meistens muss der Jungautor selber sehen, wo er bleibt, seine gesamte Pressearbeit selber machen und finanzieren.

Was übrigens einige heutige Bestsellerautoren früher ebenso machen mussten. Das ist eigentlich nicht der Sinn und Zweck des Verlags und sollte auch nicht Aufgabe des Autors sein, aber idealistische Verleger und Kulturförderer gibt es eben nur im Kleinverlags- und Mittelstandsbereich (es gibt hier einige sehr engagierte und traditionelle Verlage, die aber leider seit dem großen Börsencrash immer mehr dem Massensterben anheim fallen), alle anderen sind reine Wirtschaftsunternehmen, bei denen die Führungsspitze nur am Kontostand interessiert ist.

Uschi, wie immer an dieser Stelle vielen Dank, für deine Antworten und dieses Mal auch für interessante Lese-Tipps!

Bis zur nächsten »Mail mit Uschi« im Dezember!

Kommentare  

#1 McEL 2011-11-12 01:41
Wieder einmal nur allzu wahre Worte!
Was mich persönlich an Biografien interessiert, ist neben den authentischen Zeitzeugnissen bei Menschen wie Steve Jobs, die durch eine Erfindung oder auf künstlerischem Gebiet Außergewöhnliches geleistet haben, wie sie das geschafft haben. Was sie dazu befähigt hat, zu der "Größe" zu werden, über deren Leben und Werk man mehr wissen will.

Oder - im Fall eines Todes durch Krankheit - auch die Frage, wie der Mensch seinem Tod begegnet ist. Bevor jetzt jemand "Voyeurismus!" brüllt: Ich habe eine Zeitlang Sterbebegleitung im Hospiz gemacht und dabei so manchen Tod hautnah erlebt. Oft wurde von den Sterbenden und auch ihren Angehörigen die Frage gestellt, wie man mit der Situation des unausweichlich nahenden Todes umgehen soll. Steht darüber etwas in einer Biografie (von wem auch immer), kann ich diese Information an die Betroffenen weitergeben, was ihnen vielleicht hilft, ihre Angst vor dem Ende zu überwinden.

Anderes Thema: Lyrik
Ja, das führt seit geraumer Zeit (= zig Jahrzehnten) ein Nischendasein. Ich vermute aber, dass das zum Teil (!) mit der "modernen" Form zu tun hat, ohne Reime und oft auch ohne erkennbaren Sinn und Verstand.
Kleine Anekdote: Ich habe eine Zeitlang regelmäßig an der jährlich stattfindenden Ausschreibung eines renommierten Lyrikpreises teilgenommen mit Gedichten, die sich zwar nicht reimen, aber immer noch Sinn & Verstand besaßen. Als ich mir dann ansah, welche Gedichte das Rennen gemacht hatten, las ich ausschließlich welche (buchstäblich!) ohne Punkt und Komma, mit durchgehender Kleinschreibung und inhaltlich so verworren, dass wahrscheinlich nur die jeweiligen Autoren darin einen Sinn erkannten.
Also habe ich beim nächsten Mal Gedichte eingereicht, die diesem Muster entsprechen. Ich musste mir echt die Gehirnwindungen verknoten, um ein paar "Schrott-Gedichte" zustande zu bringen. Aber - :D - diese sinn- und hirnlosen Gedichte habe es bis zur Auswahlrunde geschafft (den Preis aber nicht gewonnen, weil doch ein Hauch von erkennbarem Sinn darin zu finden war)! :eek:
Dazu fiel mir dann nur ein: Arme Lyriklandschaft!
Die Moral von der Geschicht': Ich dichte weiterhin (nicht nur aber auch) mit Reimen, mit Sinn und in alter Lyrikertradition und verlege diese Sammlungen notfalls selbst für all die Leute, die die "alte" Art der Lyrik zu schätzen wissen.

Zitat:
Was übrigens einige heutige Bestsellerautoren früher ebenso machen mussten.

Ja, (fast) jeder Bestsellerautor hat mal genauso klein angefangen wie die noch nicht Bestsellerautoren. Ich habe gerade die Biografie ;-) von Hermann Hesse gelesen. Der hat den Druck seiner ersten Bücher selbst bezahlt und etliche Jahre lang kaum was verkauft, bis ihm der Durchbruch gelang und er schließlich den Nobelpreis erhielt. Ohne sein "Klappern", die eigenen Werke selbst zu verlegen und an den Käufer zu bringen, hätte er das wohl nicht oder erst viel später geschafft.
#2 Uschi Zietsch 2011-11-12 08:18
LOL, das mit der Lyrik ist dann wohl ein gegenseitiges Schulterklopfen: je weniger verständlich, umso besser? Loriot hatte recht! :lol:
Übrigens hat auch Goethe seine Texte selbst bezahlen müssen ... und die Situation damals war genau die gleiche wie heute. Aber das ist ein anderes Thema ... ;-)
#3 Kerstin 2011-11-15 16:41
Dem Großteil der modernen Lyrik kann ich auch nichts abgewinnen. Ich war selber ganz erstaunt, dass ich diese Woche die Zusage bekam, dass mein Gedicht (mit Reim und Sinn) in einer Anthologie erscheint.

Ich habe mehrere Gedichtbücher im Regal, nehme die auch von Zeit zu Zeit heraus und lese mit Freude darin, lerne auch mal gute Gedichte auswendig. Das sind aber durchweg ältere Werke, deren Autoren nicht mehr unter den Lebenden weilen.

Bei den modernen Sachen, die ihr beschreibt, geht es doch oft zu wie bei des Kaisers neuen Kleidern: Keiner will sich als Banause outen, indem er ausspricht, dass er da keinen Sinn drin erkennen kann. So eine Kompetenz, die offene Kritik möglich macht, wird ja auch schon in der Schule im Keim erstickt. Als ich mir mal die Pisa-Fragen angesehen habe, bin ich fast hinten rüber gefallen: Da sollten die Schüler doch tatsächlich auch die Leistung des Autors bei einem Text beurteilen. Wenn wir das gewagt hätten, wären die Lehrer im Sechseck gesprungen! Und plötzlich soll man sich darüber nicht nur Gedanken machen dürfen, sondern sogar müssen?

Zu den Biographien: Da wundere ich mich immer über die Verkaufszahlen und argwöhne, dass viele der Bücher eher verschenkt werden und nicht gelesen, zuminest nicht bis zum Ende. Gerade bei Prominenten aus dem Showbusiness interessiert mich doch nicht die Bohne, wie die ihr Leben gefristet haben. Im Zweifelsfall reicht mir ein kleiner Überblick aus dem Internet, wenn ich dann doch mal was über XY wissen will. Aber ich habe halt generell wenig Interesse an den Promis.

Eine gute Bekannte von mir hat mal eine solche Biographie über einen Schlagersänger geschrieben, mit dem sie gut befreundet ist (ansonsten ist sie aber ganz vernünftig, echt!) Da gab es so viele Vorgaben, was da alles mit rein musste. So musste fast jeder Promi, der irgendwie mit dem Schlagerzirkus zu tun hatte, seinen Senf dazu geben, damit dessen Fans das Buch auch kaufen sollten. Um eine halbe Seite Blabla von ihrem Idol zu lesen! Am Ende hat der Sänger aber doch, kurz bevor es in Druck ging, seine Einwilligung zurückgezogen, so ist das nie auf den Markt gekommen. Ohne die Leistung meiner Bekannten schmälern zu wollen: Ich glaube nicht, dass der Welt damit viel verloren gegangen ist.

Allerdings habe ich auf die Weise auch die Hintergründe gesehen, wie es ums Geld geht und wie der Inhalt stellenweise kräftig geschönt wurde, um niemanden zu kompromittieren (z. B. in Sachen Bunga-Bunga, wenn es auch damals noch nicht so hieß).

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