Leventon, Melissa (Hrsg) - Kostüme Weltweit
Kostüme weltweit
herausgegeben von Melissa Leventon
Beide waren Zeitgenossen, Racinet (1825-1893) und Friedrich Hottenroth (180-1917), sammelten und veröffentlichten in Farbe gegossene Abbildungen und Beschreibungen von "Kostümen" (eigentlich Kleidungsstile) aus unterschiedlichen Epochen und aller Welt.
Albert Charles Auguste Racinet war Franzose, Sohn eines Litographen und arbeitete selbst als Illustrator. Ebenso wie Hottenroth, auch Lithograph, außerdem Brauchtumsforscher, Maler und Autor aus Deutschland, hatte er eine Passion für Kleider, Accessoires und Alltagsgegenstände. Während Racinet eine Sammlung von Einzelheften für gebildete Leser und interessierte Sammler herausgab, lag Hottenroths Werk "Trachten, Haus-, Feld- und Kriegsgeräthschaften der Völker alter und neuer Zeit" direkt als Gesamtwerk vor.
Was beide Werke voneinander unterscheidet ist ihr Bekanntheitsgrad. Racinet verbreitete sich rasch, bereits 1888 wurde aus den Einzelheften eine Sammelausgabe in mehreren Bänden. Hottenroth, der einen großen Teil seines Lebens auf Forschungsreisen unterwegs war, wurde nach seinem Tod in einem Frankfurter Heim für verarmte Künstler eher vergessen. Hottenroths besonderes Verdienst ist die Sammlung der Vielfalt an Trachten in Deutschland, aus dem Raum Nassau, dem Rheingau etc.
Hottenroth, der in Fortsetzungsausgaben arbeitete, berief sich in seinen Werken unter anderem auf Racinet, ein weiteres Zeichen für die Bedeutung, die Racinets Arbeit zu diesem Zeitpunkt bereits erreicht hatte.
Lange Zeit als die zentralen Basiswerke betrachtet, weiß man inzwischen, dass sowohl Racinet als auch Hottenroth sich zwar auf Primärquellen stützte, jedoch gerne "Zugeständnisse" an die dramatische Gestaltung oder .... machten, falls nötig.
Solche Primärquellen für Racinet waren beispielsweise Werke der Entdecker von Nimrud, Austen Henry Layards Buch "Nineveh and its Remains", Aquarellzeichnungen indischer Künstler aus dem 18. Jahrhundert über die indische Kleidung der Zeit, oder Tagebuchaufzeichnungen englischer Gentlemen aus dem 18. Jahrhundert über die neue Hosenmode oder den neuen dreiteiligen Anzug.
Racinets Arbeiten über zeitgenössische Mode waren so bedeutend, dass man sie bereits zu seinen Lebzeiten in einem französischen Modejournal veröffentlichte. Vielleicht ist der eine oder andere schon über Abbildungen aus diesem ersten aller reinen Modemagazine gestolpert.
Diese Beispiele machen deutlich, welche Bedeutung die Arbeiten der beiden Künstler haben.
Entsprechend umfangreich ist die Auswahl an Abbildungen, die für das vorliegende Buch getroffen wurden. Ziel war es nicht eine Komplettausgabe zu schaffen, sondern die Kostüme in ihren verschiedenen Bedeutungszusammenhängen, also nach Epochen und Regionen sortiert, beziehungsweise hinsichtlich Accessoires wie Schuhen, Taschen oder Hüten.
Jede Abbildung wird kurz beschrieben, in aller Regel wird eine Quelle angegeben und von welchem der beiden Künstler die Zeichnung stammt.
Sehr spannend ist es zu sehen, wie sich Trachten und/oder allgemeine Kleidung nach Region oder sozialem Stand unterscheiden, beispielsweise der Juden im Mittelalter, oder der einer einfachen Prostituierten um 1590 im Vergleich zu der darunter abgedruckten Darstellung einer Kurtisane aus vornehmen venezianischen Kreisen aus dem gleichen Zeitraum.
Immer wieder betont das Buch auch die Tatsache, wo Hottenroth oder Racinet "nachhalfen", sei es bei der farblichen Ausgestaltung, der Entscheidung zur Übernahme aus anderen Quellen trotz der Unsicherheit, ob diese ihrerseits authentisch waren, oder der räumlichen oder zeitlichen Zuordnung. Gerade diese Tatsache, die Beschreibung und kritische Würdigung der Darstellungen machen den besonderen Reiz dieses Buches aus. Darstellungen der Bildtafeln zu finden ist nicht weiter schwer, sie finden sich an vielen Stellen im Internet ebenso wie in verschiedenen Veröffentlichungen. Vergleiche zu anderen Darstellungen und Hinweise auf Fehler oder Fehleinschätzungen von Hottenroth oder Racinet sind wichtig - gerade um auch selbst immer wieder zu merken, wie leicht man sich selbst beeinflussen lassen kann - woher sollte man auch wissen, dass die gelb-grün-golden-rote Farbkombination des Mailändischen Adeligen aufgrund der ungewöhnlichen Kombination recht unwahrscheinlich ist.
Wie ... wen das interessiert? Nun ja, den gängigen Gewandungsfreund sicherlich weniger, ebenso wenig einen Autoren, die sich in dem Buch Hinweise, Ideen und Anregungen holen möchten. Für jemanden, der akribisch forscht und genau wissen möchte, durchaus hilfreich.
Für jemanden wie mich, der sich für Geschichte und Epochen interessiert, ist Mode als Ausdruck von Lebensgefühl, Selbstverständnis, Werthaltungen und Regeln als Teilbereich spannend, bringen viel Alltägliches zum Ausdruck und machen Geschichte lebendig.
Noch ein wenig mehr über das Buch in dem Interview mit der Lektorin der deutschen Ausgabe, Heidi Müller, das heute gleichzeitig online gegangen ist.
Kostüme weltweit:
Original von Racinet: Stanford University, California, USA
Ausschnitt Hottenroth, Griechisch: The New York Public Library, Digital Collection