Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Ringos Plattenkiste: Samurai - Samurai

Samurai - Samurai

»Music was my first love« sang John Miles anno 1976. Meine auch, sieht        man von Uschi L. mal ab, der blonden Nachbarstochter, mit der ich im zarten  Alter von 6 Jahren fast täglich zusammen war. Bis sie wegzog. Mit ihren Eltern natürlich.

Aber um die geht es hier nicht, sondern um Musik.

Einzig und allein.

 

Heute kehre ich wieder ins gewohnte Terrain gestandener Rockmusik zurück und widme mich einer sehr guten, aber leider erfolglosen Band aus den Siebzigern, die Jazzrock spielte. Wie wir wissen, wurde in den Siebzigern alles ausprobiert, was auszuprobieren war. Ebenso wurden Stile miteinander gemischt und kombiniert. Jazzrock war eine solche Kombination, die man auch als eine Spielart des Progressive Rock bezeichnen kann. Bekanntester Vertreter dieses Genres war die Band Colosseum, die es zu großer Bekanntheit und Beliebtheit brachte. Im Umfeld dieser Band gab es weitere Bands, die aber teils sehr kurzlebig und inzwischen vergessen sind.

Um eine dieser Bands geht es heute: Samurai.

Bevor es Samurai gab, gab es die Band The Web, die ihre Existenz dem britischen Keyboarder und Sänger Dave Lawson verdankte. Den kennen wir schon. Lawson wurde 1945 in Alton, einem kleinen und sehr alten Marktstädtchen in der Grafschaft Hampshire geboren. Der Name der Stadt hat, nebenbei erwähnt,  nichts mit dem Gläsernen Schwert Mythors zu tun. Dave erhielt eine klassische Ausbildung an verschiedenen Musikschulen. Unter anderem lernte er sein Handwerk sogar an der Musikschule der Royal Air Force, wo er Klarinette, Saxophon und Querflöte erlernte, bevor er sich dem Klavier zuwandte. Nach seiner Ausbildung arbeitete er als Session- und Studiomusiker, und spielte unter anderem in der Deep Purple-Vorgängerband Episode Six Schlagzeug,  bevor er sich schließlich eigenen Projekten zuwandte.

So stieg er in die eingangs erwähnte Band Web ein, die ihn wegen ihrer 2 Schlagzeuger interessierte. Web war anfangs stark vom US-amerikanischen Soul beeinflusst, änderte die Richtung aber nach und nach und wurde jazzbetonter.  Die Formation brachte drei Alben heraus, bevor sie sich in Samurai umbenannte. Neben Lawson waren John Eaton, John Watson, Kenny Beveridge, Lennie Wright, Tom Harris und Tony Edwards Bandmitglieder. Allesamt zur damaligen Zeit mehr oder weniger unbeschriebene Blätter in der Musikwelt und hauptsächlich als Sessionmusiker tätig, wo sie sich auch kennenlernten. Web veröffentlichten 3 Alben sowie einige Singles und entwickelten ihren Stil. Für ein viertes und letztes Album wurde die Besetzung um einen Saxophonisten erweitert und der Name in Samurai geändert. Tom Harris war zwischenzeitlich ausgestiegen, da er sich um seine Familie kümmern und deshalb einer geregelten Arbeit nachgehen musste. Die Band war in einem Umbruch begriffen, außerdem wurde der Bandname ständig falsch geschrieben. Mal hieß es „Webb“, ein andermal „The Web“. Durch seine Zeit in der RAF, wo er teilweise in fernost stationiert war, hatte Lawson ein Faible für die japanische Kultur und ihr Feudalsystem. So war es dann kein Wunder, dass Web fortan Samurai hießen. Auch wurde ein neuer Plattenvertrag bei Greenwich Grammophone unterzeichnet, einem unabhängigen Kleinlabel, wo Lawson auch Tony Reeves kennenlernte, mit dem er später noch zusammenarbeiten sollte.

Greenwich war ein sehr kurzlebiges Label, das nur eine Handvoll Alben herausbrachte. Aufgenommen wurde im Londoner Wessex-Studio, das sich in einem umgebauten Gemeindesaal einer ehemaligen Kirche befand. Unter anderem nahmen King Crimson (Ringo berichtete) ihre ersten 3 Alben dort auf. Später waren dort die Sex Pistols, The Clash, XTC und viele andere dort zu Gast. Mitte der Siebziger kaufte Jethro Tulls (Ringo berichtete) Plattenfirma Chrysalis das Studio. Im Jahre 2003 wurde es schließlich an eine Wohnungsbaugesellschaft veräußert, die Wohnraum daraus machte.

Produziert wurden die Aufnahmen von Drummer Lennie Wright. An den Reglern saß Robin Thompson, ein alter Hase der schon für Moody Blues, King Crimson, Melanie und auch Web gearbeitet hatte. Robin war übrigens ein enger Familienangehöriger der Wessex-Eigner.

Die Besetzung sah aus wie folgt:

Dave Lawson: Keyboards, Lead Vocals

John Eaton: Bass

Kenny Beveridge: Drums

Lennie Wright: Vibraphone, Drums, Percussion

Tony Edwards: Electric & Acoustic Guitars

Tony Roberts: Tenor Saxophone Flute, Bass Clarinet

Don Fay: Tenor, Alt & Baritone Saxophone, Flute

Tony Roberts spielte vor Samurai mit bekannten Acts wie Ian Carr, John Renbourne und Graham Collier zusammen, Don Fay sogar mit Elton John.

Noch ein paar Worte zu den Instrumenten.

Ein Vibraphon ist ein Perkussionsgerät mit Resonanzkörpern aus Metall, an deren oberen Enden Metallplättchen sitzen, die durch Öffnen und Schließen einen Vibratoeffekt hervorzaubern. Verwandt mit dem Vibraphon ist das Xylophon, das, wie der Name schon verrät, aus Holz besteht.

Eine Bassklarinette gehört zu den Holzblasinstrumenten und ist unter diesen ein wahres Riesending, das optisch wenig mit einer herkömmlichen Klarinette gemein hat: tatsächlich ist es überwiegend aus Metall und ähnelt dem Saxophon, das ebenfalls zu den Holzblasinstrumenten gehört. Die Klassifizierung richtet sich nämlich nicht nach dem Material des Instrumentes, sondern lediglich nach der Beschaffenheit des Mundstücks. Tatsächlich kann ein Holzblasinstrument (Woodwinds) – bis auf das Mundstück komplett aus Metall bestehen. Eine Trompete oder eine Posaune hingegen sind reine Blechblasinstrumente (Brass).

Hier die Tracklist des Original-Albums:

Seite 1:

  1. Saving it up for so long
  2. More Rain
  3. Maudie James
  4. Holly Padlock

Seite 2:

  1. Give a little Love
  2. Face in the Mirror
  3. As idried the Tears away


Die Platte erschien 1971 im Gatefold, das eine überwiegend in Blau gehaltene Zeichnung eines Japaners zeigt, der sich in Begleitung einer unbekleideten Frau befindet und sich gerade einen Joint dreht.

Die Innenseite zeigt ein Bandphoto und einige Credits.

 

 

 

 

 

Sehen wir uns die Songs ein wenig genauer an

Saving it up for so long beginnt mit einem pumpenden Basslauf in bester Seventies-Manier, der den Song durchgehend begleitet und ihm einen funky Sound verleiht, obwohl der Song sehr jazzig ist. Das Arrangement ist ausgeklügelt, was vor allem am Bläsereinsatz und dem coolen Vibraphon liegt. Ab dem zweiten Drittel erinnert der Song stark an Frank Zappa (Ringo berichtete).

More Rain ist lasziver, langsamer Barjazz mit Bongos und Querflöte, schwebend und dahintreibend. Ein sehr abwechslungsreicher Song, der vereinzelt sogar an Las Vegas Jazz und Broadway erinnert. Heutzutage würde man dies Downbeat nennen. Bis auf die Querflöte haben die Bläser bei diesem Song Pause.

Maudie James bringt diese gleich zu Beginn wieder zurück, ebenso wie die Bongos. Lawson gönnt sich hier einen kleinen Klavierpart, bevor ein wunderbares Saxophon-Solo einsetzt. Wie die Vorgängernummer auch, ist auch dieser Song sehr entspannt.

Holly Padlock Ein melancholisches Saxophon läutet den Song ein, bevor Lawson in sein Klavier hämmert und die Bassklarinette den Rhythmus vorgibt. Abermals erinnert der Song stellenweise an Broadway- Musical. Im zweiten Drittel gibt es ein cooles Orgelsolo zu hören.

Seite 1 ist dann zu Ende

Give a little Love ist der eingängigste Song des Albums und weist Westcoastrock-Anklänge auf. Gleich zu Beginn gibt es E-Gitarre mit Wah-Wah zu hören. Die Bläser stehen hier nicht so stark im Vordergrund, sodass der Song rockiger ist als der Rest. Auch Lawsons Gesang ist hier nicht so kopflastig und elfenhaft, sondern durchaus kraftvoll. Gegen Ende gibt es noch wilde Orgel- und Saxophon-Soli zu hören. Der Song wurde übrigens auch als Single mit „More Rain“ als Flipside ausgekoppelt.

Face in the Mirror erinnert gleich zu Beginn wieder an Zappa, diesmal aber konkret an den Song „Mr. Green Genes“. Nach eineinhalb Minuten setzt nach dem Intro der eigentliche Song ein. Und wieder gibt es Las Vegas und Broadwayjazz zu hören, diesmal aber satt. Zwischendrin ist der Song mit Jazzrock vom feinsten garniert, vor allem der Part mit der verzerrten Gitarre und dem Vibraphon hat es in sich. Interessant ist auch der Rhythmuswechsel, denn ab und zu ist das Arrangement im ¾-Takt. Mit fast 7 Minuten ist es der zweitlängste Song des Albums.

As i dried the Tears away ist nämlich der längste und beginnt verspielt mit Vibraphon und Lawsons hellem Gesang. Zwischendrin gibt es einen ausgiebigen Part mit schrägen Klavier/Orgel-Improvisationen und Free Jazz-Anleihen.

Und dann ist die Platte leider schon zu Ende

Was Samurai da auf Vinyl presste, war allerfeinster Jazzrock mit gelegentlichen Prog-Ansätzen. Hin und wieder klingt die Musik mal ein wenig nach Frank Zappa, Colosseum und Blood, Sweat and Tears, ist insgesamt aber dennoch völlig eigenständig und originell. Vor allem die ausgeklügelten Arrangemenst mit dem harmonischen Zusammenspiel der verschiedenen Instrumente mit den samtig-warmen Bläser bestechen. Schade, dass Lawson und Co nicht mehr Erfolg beschieden war. Das Potential der Band erweist sich bei ihren kraftvollen Live-Auftritten, die deutlich rockiger sind, als die Studioaufnahmen. Was zum großen Teil wohl daran lag, dass aus Kostengründen die Bläser häufig zuhause bleiben mussten. Die Band entdeckte ich rein zufällig, als ich über Greenslade recherchierte und die Vorgeschichten der Musiker studierte. Vor einigen Jahren wurde das Album auf CD wiederaufgelegt, im schmucken Digipak mit kleinem Booklet und einigen Livetracks der Songs More Rain, Give a little Love und Holly Padlock als Bonusmaterial. Und diese Tracks sind interessant, denn sie sind rockiger als die Albumversionen.

Interessanterweise gab es noch eine zweite Band mit diesem Namen, die ebenfalls nur ein einziges Album produzierte und aus Japan stammte. Vielleicht bespreche ich es auch mal hier.

 

Was wurde aus den Beteiligten?

Dave Lawson gründete nach dem Aus mit einem weiteren Dave die Band Greenslade (Ringo berichtete), die die bisherige Jazzrock-Tradition fortsetzte und sie mit mehr Prog garnierte. Bemerkenswert an dieser Band war die Tatsache, dass es keinen Gitarristen, dafür aber 2 Keyboarder gab. Aber auch dieser Formation war wenig Erfolg beschieden, denn sie löste sich nach 4 Alben wieder auf. Lawson arbeitete weiter als Sessionmusiker, wurde aber auch in der Filmbranche tätig. So arbeitete er unter anderem am Soundtrack zu The Man Who Fell To Earth, Angel Heart, Mary Shelley’s Frankenstein und Star Wars mit. Für letztgenannten Film war er an der musikalischen Untermalung der legendären Mos Eisley-Szene beteiligt. Dave schrieb auch Songs für David Dundas, die Jeans-on-Eintagsfliege, spielte mit ehemaligen Yes-Musikern sowie der Band Foreigner zusammen und gönnte sich schließlich ein eigenes Tonstudio mit einer stattlichen Anzahl an Synthesizern, die als eine der größten in ganz Europa gilt.

John Eaton, Kenny Beveridge, Lennie Wright, Tony Edwards, Tony Roberts und Don Fay arbeiteten nach dem Split wieder als Sessionmusiker. Bis auf Tony Edwards, der vor einigen Jahren starb, sind vermutlich noch alle am Leben, haben sich aber aus dem Musikgeschäft zurückgezogen.

 

 

 © by Ringo Hienstorfer  (03/2024)

Das wars mal wieder für heute. Beim nächsten mal geht es um einen eine singende griechische Katze.

Zur Einführung - Zur Übersicht

 

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.