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Ringos Plattenkiste: Tuxedomoon - Desire

Tuxedomoon - Desire

 »Music was my first love« sang John Miles anno 1976. Meine auch, sieht        man von Uschi L. mal ab, der blonden Nachbarstochter, mit der ich im zarten  Alter von 6 Jahren fast täglich zusammen war. Bis sie wegzog. Mit ihren Eltern natürlich.

Aber um die geht es hier nicht, sondern um Musik. -

Einzig und allein.

 

Heute werfe ich mal wieder einen Blick in die Achtziger, ein Jahrzehnt, das kulturell in jeder Hinsicht für radikale Erneuerung stand. Der Bombast der Siebziger war passe, ebenso wie der recht kurzlebige Punk. Aus diesem aber entstanden neue Stile wie z.B. der so genannte Post-Punk, New Wave, Gothic, Independent, EBM, Industrial und vieles mehr. Hierzulande gab es dann noch die dümmliche NDW, über die ich mich aber lieber ausschweige. Die Charts wurden weltweit von Synthie-Pop beherrscht und in den Achtzigern gab es wohl mehr One-Hit-Wonders als in manch anderem Jahrzehnt. Von Vielen werden die Achtziger ja hochgelobt, ich hingegen fühlte mich in ihnen eher unwohl, was nicht nur an der Musik lag, sondern auch am Kleidungsstil. Aber nicht alles war ungenießbar, man musste nur ein wenig suchen und fand wahre musikalische Perlen. Um eine davon geht es heute. Eine Band, die sich stilistisch nirgends richtig einordnen lässt und Einflüsse aller Art aufwies und Genres wie New Wave, Avantgarde und Experimental miteinander kombinierte. Die Rede ist von Tuxedomoon. Ein seltsamer, aber wohlklingender Name der wenig Sinn zu machen scheint. Ein Tuxedo ist ein Smoking und Moon ist bekanntlich der Mond. So seltsam wie der name, ist stellenweise auch die Musik der Boys aus San Francisco.

Tuxedomoon wurde in der zweiten Hälfte der Siebziger gegründet, als Punk noch hip war und wies neben Punk-Einflüssen auch Elemente elektronischer Musik auf, was ihre Musik zu etwas völlig eigenständigem machte. Hauptmitglieder waren Steve Brown und Blaine L. Reininger. Brown war Mitglied des Künstlerkollektivs The Angels of Light und kannte Reininger vom College her, wo sie gemeinsam einen Kurs in elektronischer Musik belegten.

Steven Brown, der Saxophon und Keyboards bediente und sang, zählte zu seinen musikalischen Vorbildern Brian Eno, Bernard Hermann, David Bowie und John Cage. Reininger spielte seit seiner Kindheit Gitarre und Violine und studierte später Musiktheorie.

Tommy Tadlock, ebenfalls ein Angel of Light, begann die beiden unter seine Fittiche zu nehmen und ihnen Platz zum Üben und Aufnehmen in seinem Haus zur Verfügung zu stellen. Tadlock beriet die beiden auch in Sachen Technik und baute nützliche Tools für das Project, z.B. eine pyramidenförmige Basis für Reiningers Effektgeräte. Tuxedomoon verwendeten alle Instrumente, die ihnen unter die Finger kamen, z.B. Violine, Saxophon, Synthesizer und auch Gitarren. Einen Schlagzeuger gab es nicht, der Rhythmus kam vom Drumcomputer. Nach und nach stießen weitere Musiker hinzu: Leadsänger Winston Tong und der Filmemacher Bruce Geduldig. Tong war der Sohn chinesischer Auswanderer und hatte einen Abschluß in Theaterschauspielerei und belegte später Kurse in klassischem Gesang. 1969 entwarf er ein Dinosaurier-Malbuch. Die Auftritte der Band waren legendär, denn für jedes Konzert ließen sie sich stets Neues einfallen. Sie bezeichneten ihre Auftritte gerne als Theatrical electronic Cabaret. Regelmäßig traten sie mit den Residents (Ringo berichtete), Pere Ubu, Devo und Cabaret Voltaire auf. Geduldig war zwar festes Bandmitglied, spielte aber kein Instrument. Stattdessen war er für Bühnenbld und Lightshow zuständig. Dies unterstreicht die Tatsache, dass sich Tuxedomoon nicht als Band im klassischen Sinn verstanden, sondern als Kunsprojekt.

1979 stieß Peter Principle mit seinem Bass hinzu, und eine erste EP mit dem Titel „No Tears“ wurde von Ralph Records (Ringo berichtete) veröffentlicht. No Tears war eine gelungene Synthese aus Punk und Electronic und avancierte bald zu einem Kult-Klassiker. Ein Jahr später erschien ihr erstes Album mit dem Titel Half Mute und die Band tourte quer durch Europa, wo sie sich vor allem in Belgien und den Niederlanden großer Popularität erfreuten. Danach ließen sie sich gemeinsam in New York unter, wo man sie zur so genannten No Wave (Ringo berichtete) zuordnen konnte.

1981 ging die Band wieder ins Studio, um ihr zweites Album aufzunehmen, und um dieses geht es heute.

Die Besetzung sah aus wie folgt:

Steven Brown: alto saxophone, soprano saxophone, keyboards, lead vocals

Peter Principle (Peter Dachert): bass guitar, guitar, synthesizer, drum programming

Eine kurze Erläuterung zu diesem seltsamen Pseudonym: Das Peter-Prinzip ist eine These von Laurence J. Peter, die lautet: „In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.“

Blaine L. Reininger: violin, guitar, keyboards, arrangement, lead vocals

Winston Tong: lead vocals, backing vocals

Unterstützt wurden die mondsüchtigen Frackträger von:

Vicky Aspinall: violin

Al Robinson: cello

Produziert wurden die Aufnahmen von Gareth Jones und der Band selbst. An den Reglern saß ebenfalls Gareth Jones.

Jones war ein junger, aufstrebender Musikproduzent, der zuvor für John Foxx gearbeitet hatte und anschließend ordentlich Karriere machen sollte. Jones produzierte später Acts wie Depeche Mode, Einstürzende Neubauten, Ideal, Fad Gadget und viele andere.

Die Geigerin Vicky Aspinall war Mitglied der radikal-avantgardistischen Punkband The Raincoats.

Desire erschien 1981 im Standard Sleeve in einem für die Achtziger typischem Design: 2-farbige Photographien sehr kontrastreich collagenartig vor einfarbigem Hintergrund. Die Rückseite zeigt die Tracklist. Die Photos stammen von Stefano Paolillo, einem italienischstämmigen New Yorker. Das Design stammt von Patrick Roques, der eine Art Stammdesigner der Band war und später Covers für Malaria, die Soloalben der Tuxedomoon-Mitglieder und Lydia Lunch entwarf. Roques prägte mit seinen Arbeiten maßgeblich den visuellen Stil des musikalischen Undergounds der Achtziger.

Hier die Tracklist des Original Albums:

Seite 1:

  1. East
  2. Jinx
  3. • • •
  4. Music #1
  5. Victims of the Dance
  6. Incubus (Blue Suit)

Seite 2:

  1. Desire
  2. Again
  3. In the Name of Talent (Italian Western Two)
  4. Holiday for Plywood (Holiday for Strings)

Sehen wir uns die Songs ein wenig genauer an

East eröffnet das Album mit einer wehklagenden Violine, zu der sich bald die Bassgitarre und eine seltsam jaulende Orgel gesellen. East ist ein schleppendes Instrumental, beunruhigend und düster. Daran ändert auch das melancholische Saxophon nichts. Im Hintergrund ist das sägende Cello Robinsons zu hören. Ein gelungenes Intro, das sich langsam aufbaut und nahtlos in den Folgetrack übergeht.

Jinx ist ein wehmütiger Song mit typisch Achtziger Drumcomputer, wavigem Bass und mehrstimmigem Streicherarrangement, bei dem vor allem Reiningers Violine besticht. Tong singt jammernd, anklagend und flehend mit seiner dunklen Stimme, dass man glatt meint, er begeht nach diesem Song Suizid. Ein durch und durch düsterer Song mit eingängiger Melodie und Hitpotential in den Innsmouth-Charts...

Zu diesem Song gibt es auch ein recht unappetitliches Video, in dem unter anderem Zwänge thematisiert werden. Der Song wurde als Single ausgekoppelt, mit Incubus auf der Flipside. Das Wort Jinx hat mehrere Bedeutungen und lässt sich mit Zauberspruch, Verhexen oder Unglücksbringer übersetzen. Seine Ursprünge hat der Begriff als Jynx in der römischen oder als Iynx in der griechischen Mythologie, wo das Wort in Verbindung mit Objekten schwarzer Magie gebracht wird.

• • • ist eine etwas nervige Klangcollage aus allerlei unangenehmen Geräuschen und dauert gottseidank nur eine Minute.

Music #1 ist wieder ein Instrumental, abermals mit nervigen und teils schmerzhaften Geräuschen. Im Hintergrund wabert ein Synthesizerklangteppich begleitet von einem dumpfen Basslauf.

Diese ersten vier Tracks bilden eine Art Suite, die zwar aus einzelnen Tracks besteht, die aber fließend ineinander übergehen. Mit knapp 15 Minuten ist dieses Format für die Achtziger völlig ungewöhnlich.

Victims of the Dance ist ein gelungener Darkwave-Song, abermals sehr düster, bedrohlich und unheilschwanger, aber dennoch voll blasphemischer Eleganz. Tongs Gesang ist mehrstimmig und klagend, der Text ist stellenweise nur gesprochen.

Incubus (Blue Suit)ist ein kraftvoller und tanzbarer Electro-Punk-Song mit sägender Gitarre in bester No Tears-Tradition. Reiningers Violine ist diesmal weitgehend im Hintergrund.

Seite 1 ist dann zu Ende, drehen wir die Platte also um

Desire setzt den Trend von Incubus fort, ist aber gemäßigter, da die Gitarre fehlt. Auch Reiningers Violine kommt hier wieder zum Zuge. Tong singt und rezitiert seine Lyrics wie gehabt mit tiefer Stimme. Neben dem Drumcomputer gibt es hier vereinzelt auch Klänge einer richtigen Snare-Drum zu hören.   Nach knapp der Hälfte gibt es einen ausgedehnten Instrumentalpart. Desire ist mit 7 Minuten der längste Song des Albums, sieht man von der Suite der ersten Plattenseite mal ab.

Again ist wieder experimenteller, voll blubbernder Sounds aus diversen Synthesizern und anderen Tasteninstrumenten und mutet stellenweise ein wenig sakral an. Tongs Part ist weniger Gesang, denn Spoken Word.

In the Name of Talent (Italian Western Two) macht seinem Namen alle Ehre, denn dieser Track klingt wie eine wavig-elektronische Komposition eines Ennio Morricone für einen Spaghettiwestern.

Holiday for Plywood (Holiday for Strings) tanzt völlig aus der Reihe, denn er steht in krassem Gegensatz zum bisher gehörten. Hier gibt es Pizzicati und ein zuckersüßes Streicherarrangement. Tong versucht sich bei deisem Song als Sinatra-Impersonator. Fast meint man, ihn mit einem Martini an der Bar stehen zu sehen. Tuxedomoon wären aber nicht Tuxedomoon, wenn es zwischendurch nicht immer wieder schräge Töne zu hören gäbe.

Dann ist diese tolle Platte leider schon aus. Desire fand den Weg 1981 oder 1982 zu mir, als ich in der Faschingszeit durch die oberfränkische Kreisstadt Hof schlenderte und meinen dortigen Lieblingsplattenladen aufsuchte. Tuxedomoon kannte ich nicht, aber das Album sprach mich visuell sehr an und so kaufte ich es schließlich. Daheim angekommen, hörte ich es wieder und wieder an, konnte gar nicht genug davon bekommen. Desire war genau mein Ding. Rhythmisch, modern, eingängig und dennoch sperrig und vor allem zwischen allen musikalischen Stühlen. Nicht einzuordnen war diese gelungene Melange aus New Wave, Electronic, kraftvollen Songs, zuckersüßem Schmalz. Und dann noch diese völlig ungewöhnliche Instrumentierung mit Geigen und Saxophon. Eigentlich ein Unding zu dieser Zeit, da doch alle alten Zöpfe längst ab waren. Aber Tuxedmoon scherten sich wenig um Konventionen, weder um die dogmatisch-snobistischen der Achtziger, noch um die überholten der Siebziger. Tuxedmoon machten stets ihr eigenes Ding und waren primär nicht als Band zu verstehen, sondern als Multimediakunst. Kritiker bescheinigten dem Sound der Band eine Aura stumpfer Eleganz und einen mehr europäischen Stil, denn einen US-Amerikanischen. Andere wiederum attestierten ihnen, sie strahlen ein gewisses Unbehagen aus.

Textlich agierten sie ähnlich anspruchsvoll und behandelten Themen wie z.B. gesellschaftlicher oder psychologischer Natur, ebenso wie Konsumverhalten, Kultur oder psychische Störungen.

Desire wurde in verschiedenen Versionen mit unterschiedlichen Covern veröffentlicht, erschien auch auf Kassette, in den Neunzigern dann  schließlich auch auf CD mit Bonustracks, bzw. der No Tears-Ep als Zusatz.

Nach Desire zog die Band komplett nach New York, tourte weiterhin fleissig durch Europa und veröffentlichte 1982 die Musik zu einem Ballett von Maurice Bejart mit dem Titel Holy Wars. Reiniger verließ die Band und die Besetzung wechselte grundlegend, als auch Tong ausschied. 1987 erschien das für lange Zeit letzte Studioalbum mit dem Titel You. Tuxedomoon waren musikalisch auch an einigen Filmprojekten beteiligt: 1981 für Edo Bertoglios Downtown 81, 1987 für Wim Wender´s  Der Himmel über Berlin und 1988 für Bob Visser`s Plan Delta. Wer gerne mehr über die Band erfahren möchte, sollte sich Isabelle Corbisier's 2008er Buch Music for Vagabonds – the Tuxedomoon Chronicles besorgen

Was wurde aus den Beteiligten?

Steven Brown zog nach Mexiko und ist seit 2004 wieder bei Tuxedomoon. Zwischendurch veröffentlichte er zahlreiche Soloalben und kollaborierte mit anderen Musikern wie z.B. Blaine Reininger.

Peter Principle wurde ebenfalls wieder Member, bevor er 2017 im Alter von 62 Jahren in Brüssel verstarb. Als Todesursache wird ein herzinfarkt oder ein Schlaganfall vermutet. Principle veröffentlichte insgesamt 3 Soloalben.

Blaine L. Reininger verließ 1983 die Band und widmete sich seinen zahlreichen Soloprojekten und zog nach Griechenland. Seit der Reunion 2004 ist er wieder mit an Bord.

Winston Tong verließ die Band 1985 und veröffentlichte einige Soloalben, bevor er sich 2005 für 2 Konzerte wieder der Band anschloss.

 

 © by Ringo Hienstorfer  (05/2024)

Das wars mal wieder für heute. Beim nächsten Mal geht es um eine Band, die zu ihrer Lebzeit kein einziges Album veröffentlichte, sondern nur einige Singles.

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