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... Jörg Weigand über Jugendschutz, Indizierungen und Schundkampf

Jörg Weigand... Jörg Weigand ...
... über Jugendschutz, Indizierungen und Schundkampf

Dr. Jörg Weigand ist Jahrgang 1940. Er war beim ZDF, hat oft über den Jugendschutz gearbeitet, Romane geschrieben, war Herausgeber und ist ein Kenner populärer Genre. Kurzum: Er ist ein idealer Interviewpartner für den Zauberspiegel und als sich die Gelegenheit ergab, haben wir Jörg Weigand einen umfangreichen Fragenkatalog zugesandt. Wir bringen das Interview heute und an den kommenden zwei Sonntagen in drei Teilen.

Jörg WeigandZauberspiegel: Moin Herr Dr. Weigand. Die erste Frage, die mich bewegt ist, dass Sie mittlerweile als Experte für den Heftroman und dessen Autoren gelten. Einst haben Sie sich in das Thema Jugendschutz eingearbeitet, und es entstand in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass Sie den Positionen der „Gefährdung der Jugend durch den Heftroman“ recht nahestanden – ich denke da an ein Interview, das Sie vor ca. 40 Jahren mit Dietmar Kügler als Exposéredakteur und Autor in einem Beitrag für das ZDF geführt haben und das diesbezüglich recht kritisch war.
War das Ihrer journalistischen Pflicht und Ihrer Aufgabe als Berichterstatter geschuldet oder hat sich Ihre Ansicht seither grundsätzlich gewandelt?
Dr. Jörg Weigand: Sich mit dem Heftroman zu beschäftigen und gleichzeitig über den Jugendschutz zu informieren, darin sehe ich keinen Gegensatz. Schon damals, als ich in Wyk auf Föhr Herrn Kügler besucht habe,  hatte ich, glaube ich zumindest, einen guten Überblick über den Romanheftmarkt, die diversen Verlag und – zumindest – die wichtigsten Autoren. Lassen Sie mich vorab eins klarstellen: Für mich gilt der Grundsatz, dass nicht die Erscheinungsform eines Textes oder Romans (als Heft, Taschenbuch, Broschur oder Hardcover) wichtig und entscheidend ist, sondern allein die Inhalt und die stilistische Darstellung. Es gibt nicht wenige Heftromane, die um einiges besser sind als viele als Taschenbuch oder in gebundener Form veröffentlichte Romane. Und es gibt viele Romanschreiber, die vom Romanheft kommend sich in die Höhen des Hardcovers hochgearbeitet haben. Ich will damit sagen: Das Heft als Publikationsform abzuqualifizieren, ist einfach ignorant und dumm und zeugt von wenig vernünftigem Urteilsvermögen. Ich habe vor Jahren  in einem längeren Aufsatz in der vom Börsenverein für den deutschen Buchhandel herausgegebenen Zeitschrift „Aus dem Antiquariat“ dargestellt, wieviel Weltliteratur bereits in Heftform auf den Markt gebracht wurde: Robert Louis Stevenson, Zola, Balzac, Kleist, Edgar Allen Poe, Cooper, Gerstäcker, Jack London… Wollen Sie noch mehr hören? Die Liste ließe sich fast unendlich fortsetzen.
Mein Interview mit Kügler vor vier Jahrzehnten basierte auf der Tatsache, dass die beiden Italowestern-Serien „Ronco“ und „Lobo“, besonders aber die zweite Serie, zwar für erwachsene Leser geschrieben und konzipiert wurden. Dass sie aber von unverhältnismäßig vielen jugendlichen Lesern konsumiert wurden, wie sich auf den Leserbriefseiten unschwer ablesen ließ. Da gab es zum Beispiel einen Roman, in dem gleich zu Beginn die Vergewaltigung einer jungen Indianerin en detail über mehrere Seiten hin geschildert wurde. Und Dietmar Kügler war nicht nur Exposéredakteur dieses Heftes, sondern auch der ausgestaltende Autor. Deswegen habe ich ihn vor die Kamera gebeten und habe ihn mit der Tatsache konfrontiert, daß die Art der Schilderung in diesem Heft, andere ähnlicher Machart lagen mir vor, für einen erwachsenen Leser erträglich sein mag, dass dies aber für ein kindlich-jugendliches Gemüt nicht geeignet ist. Ich gehe da eigentlich ziemlich mit der sogenannten „Lerntheorie“ konform, die davon ausgeht, dass das kindlich-jugendliche Wesen von solchen Schilderungen auf Papier oder im Bild durchaus beeinflußt und geformt wird - und zwar negativ. Das mag nicht auf alle jungen Menschen zutreffen, aber immerhin auf so viele – das zeigen Untersuchungen -,  dass Vorsicht geboten erscheint. Es ist richtig, dass von der Serie „Ronco“ letztlich kein einziger Titel indiziert wurde, allerdings kamen dafür zwei „Lobo“-Titel auf den Index, nämlich die Nummern 75 und 76. Dazu muss man wissen, dass die Bundesprüfstelle ja nie aus eigenem Ermessen tätig werden durfte, sie musste auf Anträge von berechtigter Seite warten, dazu gehörten die zuständigen Ministerien vom Bund und in den Ländern. Wenn also ein Titel nicht gelesen wurde, und war er noch so schlimm in den Augen möglicher Prüfer, dann konnte er auch nicht beanstandet werden. Und dazu noch: Die Presse war nie und ist auch nicht antragsberechtigt bei der Bundesprüfstelle. Aufgabe der Presse ist es, bestehende Tatsachen und Trends aufzuzeigen. Die Presse ist kein Büttel irgendeiner Behörde und darf es auch nicht sein.
Gerade als Vater zweier Söhne, deren Wohl mir naturgemäß sehr am Herzen lag und liegt, habe ich mich sehr intensiv mit der Materie befasst, was mir bei meiner Arbeit als ZDF-Reporter zugutekam, ich kannte mich gut aus. Das erleichtert natürlich die Arbeit und sollte selbstverständlich sein. Aber selbst in diesem Fall galt für mich das Prinzip möglichst absoluter Neutralität bei der Berichterstattung. Ich denke, ich habe immer betont und herausgestellt, dass in meinen Augen Jugendschutz vonnöten ist, dass ich aber die Art und Weise, wie zu Anfängen der Bundesprüfstelle unter ihrem Vorsitzenden Walter Schilling verfahren wurde,  nie gutgeheißen habe. Ich habe das wiederholt, auch in Zeitschriftenaufsätzen und in meiner Monographie zur Geschichte des Leihbuchs nach 1945, bemängelt und als falsch tituliert.

Zauberspiegel: Wie sind Sie mit dem Thema „Jugendschutz“ mit Bezug auf die Genre-Romanszene in Berührung gekommen und welchen Einblick hatten Sie in die Indizierungspraxis der Bundesprüfstelle?
Ich hatte mit deren Richtlinien immer ein Problem. Ich habe die damals harten Sachen selbst seit meinem sechsten, siebten Lebensjahr gelesen und geguckt (mit Billigung meiner Mutter), aber ich habe mich nie gewalttätig entwickelt, bin Zivi geworden und habe mich in den 53 Jahren meiner Existenz noch nie geprügelt.
Können Sie uns aufgrund Ihrer Erfahrungen etwas über die Kriterien der (damaligen) BPjS sagen? Auf welche Untersuchungen und Schlußfolgerungen haben sich deren Entscheidungen gestützt? Haben sich die Verantwortlichen dazu in die Karten schauen lassen und darüber mit Ihnen im Rahmen Ihrer journalistischen Recherchen gesprochen?
Dr. Jörg Weigand: Bereits in der Schule habe ich während des (mich langweilenden Unterrichts) unter der Bank „Tom Prox“ und „Billy Jenkins“, aber auch „Utopia“-Hefte gelesen und bin deswegen einige Male unangenehm aufgefallen, wurde sogar deswegen getadelt. Einmal gab es einen Eintrag ins Klassenbuch.  Will sagen. Ich kannte mich auf dem Romanheftmarkt ganz gut aus, als ich nach abgeschlossenem Volontariat beim ZDF in Bonn eine feste Stelle als Korrespondent erhielt. Bei Gelegenheit einer Indizierung habe ich den Auftrag erhalten, für die damalige „Drehscheibe“ einen Beitrag zu fertigen, der sich mit der Problematik im allgemeinen und mit der Problematik in diesem besonderen Fall auseinandersetzte.
Natürlich war es Pressevertretern nicht erlaubt, bei der Entscheidungsfindung des Prüfungsgremiums dabei zu sein, auch hat sich außer dem Vorsitzenden niemand dazu geäußert. Das war zu meiner Zeit Rudolf Stefen, der anders als sein Vorgänger Schilling einen besseren Überblick über die Medienlage hatte. Ich habe mich öfters mit ihm unterhalten, so dass ich nach und nach ziemlich genau Bescheid wusste. Dreh- und Angelpunkt war das entsprechende „Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften“. Das ist überall nachzulesen und muss hier nicht exemplifiziert werden. Grundsätzlich wurden vor allem Druckerzeugnisse aller Art unter den Gesichtspunkten “exzessive Gewalt“, „verbotene Sexpraktiken“, „Kinderpornographie“  und „politischer Extremismus“ untersucht. Dabei gab es vom Gesetz her immer relativ viel Spielraum. Das Prüfgremium war nicht immer gleich besetzt, so dass es schon vorkommen konnte, dass ein Text unbeanstandet durchkommen konnte, der es das nächste Mal bei einer anderen Personalzusammensetzung nicht geschafft hätte. Man muss freilich auch sagen, dass eine Indizierung ja kein Verbot war. Die Urteile der BPS galten nie für erwachsene Leser, man untersagte die Lektüre für Kinder und Jugendliche, also für  junge Menschen in der Entwicklung. Damit sie nicht auf den Titel aufmerksam und damit darauf neugierig wurden, war eine Werbung untersagt. Aber auf Verlangen durfte der Titel an Erwachsene weiterhin verkauft werden. Da gab es dann das Phänomen, dass so manche Leihbücherei in indizierte Titel einen Stempel anbrachten: „Indiziert. Verboten“. Das lockte so manchen erwachsenen Leser, dem man die Lektüre sozusagen unter dem Ladentisch anbot.

Zauberspiegel: Der Jugendschutz hat den Heftroman in den Fünfzigern bis Siebzigern arg gebeutelt. Aus heutiger und auch (teilweise) damaliger Sicht waren das oft geradezu lächerliche Gründe waren, eher dem schon seit dem Kaiserreich andauernden Kampf gegen Schund und Schmutz entlehnt, denn Entscheidungen auf der Höhe der Zeit. Mittlerweile wirken die Begründungen der Fünfziger bis Siebziger auch als komische Nummer.
Sie sind als Journalist den amtlichen Jugendschützern sehr nahe gekommen. Können Sie uns eine persönliche Einschätzung über die damalige Arbeit der Behörde geben? Wie lief eigentlich eine Indizierung ab, und was waren die Folgen für die betroffenen Verlage?
Dr. Jörg Weigand: In der Frühzeit der Bundesprüfstelle beschränkte sich die Prüfung eines Romans vor allem auf eine reine „Stellensuche“: Es wurde so und so oft in dem Western geprügelt oder geschossen, das reichte schon. Unter Stefen ging man dazu über, die Gesamttendenz eines Romans zu beachten; da konnte eine harte Szene durchaus unbeanstandet bleiben, wenn sie für den Fortgang der Handlung oder für die Erklärung eines bestimmten Verhaltens der Protagonisten wichtig war. So wurde unter Schilling ein Abenteuerroman von Karl-Herbert Scheer, den dieser  unter Pseudonym veröffentlich hatte und der in der Sahara spielte, indiziert, weil die begleitende Frau in einem im Saharasand verschütteten Panzer  sich an der Panzerluke die Brustwarze eingeklemmt hatte. Oder ich weiß von Günter Dönges, dass einer seiner Western deswegen indiziert wurde, weil das nackte Knie einer Reiterin angeblich allzu lasziv beschrieben wurde. Das sind in der Tat lächerliche Gründe. Doch es gab natürlich auch sehr berechtigte Indizierungen. Ein Beispiel aus einem sogenannten Sittenroman: Dort beschäftigt sich ein Vater sehr intensiv mit dem knospenden Körper seiner halbwüchsigen Tochter. In denke, darüber muss man kaum weitere Worte verlieren.

Zauberspiegel: Auch wenn man sich Entscheidungen und den Ausgang des Gesamtverfahrens wie um Die letzten 120 Tage von Sodom oder Der stählerne Traum ansieht, drängt sich mir eigentlich mehr auf, dass es weniger um Jugendschutz, denn um den Kampf gegen Schmutz und Schund ging. Mir als gnadenlosem Belletrist sind viele der Entscheidungen einfach nur suspekt und es entstand der Eindruck, dass das Instrument Jugendschutz als Möglichkeit gesehen wurde, bestimmte Medien vom Markt zu drängen.
Wenn Sie auf Ihre Erfahrungen mit der Bundesprüfstelle zurückblicken, würden Sie sagen, daß es in dieser Behörde Intentionen gab, die Unterhaltungsliteratur zu steuern?
Für mich hatten manche der gestellten Anträge den Anschein von „Zensur“. Wie würden Sie diese Praxis heute sehen?
Dr. Jörg Weigand: Jugendschutz, so die Definition, ist Kampf gegen Schund und Schmutz. Aber das heißt nicht, dass man über die Arbeit den Markt regulieren wollte. Konnte man auch nicht, das zeigt die langjährige Praxis. Dass ich mit der Spruchpraxis der BPS durchaus nicht konform ging, sehen Sie an der Tatsache, dass ich bei der anstehenden Indizierung vom „stählernen Traum“ eine Dokumentation zusammengestellt habe, die gegen eine Einschränkung des Vertriebs dieses Romans anging. Das Ganze wurde in Heynes Science-Fiction-Magazin (einem Taschenbuch) veröffentlicht und kürzlich in einer Monographie von Rainer Eisfeld (im von Reeken-Verlag) noch einmal abgedruckt, weil beispielhaft. Ich denke, man kann von einer redlichen Absicht des Gesetzgebers ausgehen, der Kinder und Jugendliche schützen wollte, als das Gesetz formuliert wurde. Exzesse nach links wie nach rechts müssen den ausführenden Dienststellen und Ämtern angelastet werden. Vergessen werden darf auch nicht, dass ein Teil der Indizierungen auf Verbotsurteilen der Gerichte beruhen, die ebenso das Recht und die Pflicht der Marktbeobachtung hatten.
Und Zensur? Nach unserem Grundgesetz gibt es bei uns keine Zensur. Und formaljuristisch gesehen haben wir auch keine, seit 1945 auch noch nie gehabt, abgesehen von den Besatzungsbehörden unmittelbar nach dem Krieg, die sowieso nach Gutdünken und sehr willküklich verfuhren. Denken Sie nur an die lange Liste verbotener Literatur, die in der sowjetischen Besatzungszone erstellt wurde. Da stand viel Naziliteratur drauf, zu Recht, aber da gab es auch manchen Titel, der nichts darauf zu suchen hatte.

Zauberspiegel: In diesem Zusammenhang geht’s auch um das bewegte Bild. Die FSK-Einschätzungen bei Filmen fallen immer weiter. Filme mit Szenen wie "Herr der Ringe" hätten früher nur eine 16er, wenn nicht gar eine 18er bekommen.
Zu den Filmen: Wie sehen Sie diese Entwicklung? Kann man hier von einem allgemeinen Abstumpfungsprozess sprechen, dem die FSK hinterherläuft?
Dr. Jörg Weigand: Dazu kann ich wirklich nichts sagen, denn ich bin kein Kinogänger. Ich bin leidenschaftlicher Leser, in den letzten 20 Jahren hat mich kein einziger Kinosaal gesehen. Im Filmgeschäft wird es sein wie bei den Printmedien bzw. in der Konditorei. Da sich das Publikum an immer mehr Süßes gewöhnt hat, wird immer noch mehr Zucker zugefügt, damit es noch besser schmeckt. Gleiches gilt wohl für Sex und Gewalt. Doch irgendwann ist es halt zu viel des Guten, das müsste jeder verstehen können.

Zauberspiegel: Da es kaum einen Journalisten gab, der sich so intensiv in die Praxis der FSK oder der BPiM eingearbeitet hatte wie Sie: Würden Sie persönlich diese sogenannten „Schutzeinrichtungen“ heute als überholt ansehen? Ist das, was man unter „Jugendschutz“ versteht, überhaupt noch nötig? War er je nötig?
Dr. Jörg Weigand: Ja und nochmal ja.

Zauberspiegel: Überhaupt machte der Jugendschutz immer den Eindruck, sich lediglich über populäre Medien herzumachen. Als der Heftroman an Bedeutung verlor, geriet er aus dem Fokus. Dafür rückten Medien wie Computerspiele in den Mittelpunkt. Heute ist es in erster Linie das Internet, das Aufmerksamkeit genießt.
Haben Sie persönlich überhaupt noch Bezug dazu, oder haben Sie nach Ihrer aktiven Zeit als Journalist mit diesem Thema abgeschlossen?
Dr. Jörg Weigand: Das täuscht. Der Jugendschutz hat durchaus auch den allgemeinen Zeitschriftenmarkt beobachtet und dort Ausgaben indiziert. Und er hat auch dort eingegriffen, wo eigentlich der sogenannte Kunstvorbehalt gilt, etwa bei de Sade, oder der Geschichte der O usw. Dass der Eindruck entstand, der Unterhaltungsbereich sei besonders im Fokus, erklärt sich daraus, dass eben nicht wenige Jugendliche zu solcher Lektüre gegriffen haben. Und die jungen Leser galt es ja zu schützen. Ich habe eine Zeitlang sehr intensiv über diese „Szene“ berichtet, nun lebe ich mehr meinen anderen Interessen, mache meine Anthologien und schreibe mehr im belletristischen Bereich. Sollen sich andere des Themas annehmen, das Internet und seine Auswüchse bieten genügend Angriffspunkte.

Zauberspiegel: Schon bei Computerspielen, aber erst recht beim Internet stößt das Thema Jugendschutz an Grenzen. Wie soll der deutsche Jugendschutz auf Seiten angewandt werden, die sich auf ausländischen Servern befinden? Sind in diesem Fall nicht endgültig die Grenzen erreicht? Was kann da eine BPjM denn noch ausrichten?
Wie sieht das der Journalist, der in das Thema eingedrungen ist?
Dr. Jörg Weigand: Dazu kann ich nichts sagen, damit habe ich mich nicht ausreichend beschäftigt. Vermutlich ginge ein Jugendschutz in diesem Bereich nur durch intensive internationale Zusammenarbeit, doch ich bezweifle, dass es alle Betroffenen so sehen und bereit sind, mitzumachen.

Zauberspiegel: Dr. Morton, gerade in Neuauflage bei der Romantruhe, war das Musterbeispiel wie ein Verlag mit einer Romanserie Tabus brach und bewusst in die Indizierung rannte und munter unterm Ladentisch weiterverkauft wurde. Wie beurteilen Sie die Serie damals und wie sehen Sie die heute? Taugt Morton immer noch als Tabubruch? Oder ist die Serie spätestens seit den Horrorfilmen der späten Siebziger und Achtziger Jahre hinter die Zeit gefallen und heute nur noch ein matter Abglanz einstigen ‚jugendgefährdenden’ Ruhms?
Dr. Jörg Weigand: Auch dazu kann ich wenig sagen. Eigentlich ist Dr. Morton, soviel ich weiß, nicht aus der Liste indizierter Medien genommen worden. Die Originaltexte sind also weiterhin indiziert. Wer sie unbearbeitet herausbringt, macht sich strafbar. Und bearbeitet – wer will das schon? Denn eigentlich handelt es sich um eine sehr schlecht geschriebene Romanserie, die nur wegen der einzelnen „Szenen“ Aufsehen erregte und im übrigen nichts Wesentliches zur Unterhaltung beigetragen hat. Wenn also diese tabuisierten Szenen wegfallen, was bleibt da noch?

Zauberspiegel: Besten Dank für diesen ersten Teil des Interviews.
Dr. Jörg Weigand: Auch Dank von meiner Seite.

Horst Hermann von Allwörden


Die Fragen für den Zauberspiegel stellte: Horst Hermann von Allwörden
(unterstützt von C. Feldese)

Kommentare  

#16 Cartwing 2017-08-01 18:34
Zitat:
Jeder Zehnjährige weiß heute das z.B. Zombies usw. fiktiv sind
Kinder sind eben nicht immer in der Lage zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. Bzw. wollen sie das gar nicht immer. Klar wissen sie, dass es sowas wie Zombies oder Chucky die Mörderpuppe nicht gibt, aber sie können durchaus Fiktion und Realität auf spielerische Art vermischen. Können ihre eigene Realität erschaffen. Phantasie genug haben sie.

Bestes Beispiel: Der Fall James Bulger. Zwei Zehnjährige sahen Anfang der 90er den "Chucky" Film und entführten daraufhin ein zweijähriges Kind. Dieses Kind war dann Chucky. Die Kinder wussten, dass Chucky fiktiv war, aber der Hass, den sie für diese Puppe empfunden haben, der war echt, der war real. Den Rest der traurigen Geschichte kennt man ja
#17 Laurin 2017-08-01 19:08
Richtig, Cartwing.
Und doch ist dies in diesem Punkt ein Einzelfall.
Da kommt sogar ein Lottogewinn häufiger vor.
Von daher sehe ich keinen Grund, hier nun auf Filme, Bücher, Heftromane oder Spiele loszugehen und diese aufgrund ihrer Inhalte für alles verantwortlich zu machen. Das greift einfach nicht und ist die einfachste Lösung bei der man nicht mal wirklich denken muss.
#18 Cartwing 2017-08-01 21:53
Zitat:
Von daher sehe ich keinen Grund, hier nun auf Filme, Bücher, Heftromane oder Spiele loszugehen und diese aufgrund ihrer Inhalte für alles verantwortlich zu machen
Das macht doch auch keiner. Es geht auch gar nicht darum, die Filme oder Bücher zu verdammen oder für irgendwas verantwortlich zu machen.
An dem, was dieser spezielle Film ausgelöst hat, sind nicht die Macher Schuld. Es gibt keinen Schuldigen. Nicht mal den Onkel, der ihnen den Dreck zugänglich gemacht hat oder die Eltern, die ihm vertraut haben. Das ist ja das Traurige.
Aber ob Einzelfall oder nicht (eher nicht, denn es gibt noch viele weitere Fälle, die nur nicht so bekannt oder gar verfilmt wurden) denke ich halt, dass man zumindest versuchen sollte, Kinder vor gewissen Inhalten zu schützen, einfach weil man nie wissen kann, wie sie darauf reagieren oder das verarbeiten.
#19 Sarkana 2017-08-01 23:11
zitiere Feldese:
Genau dem würde ich in dieser Absolutheit angesichts der sogenannten "Lerntheorie" widersprechen. Ich halte es eher für abwegig, die Wirkung dieser Faktoren (Gewaltdarstellungen im Bild und Buch) so herunterzuspielen. (Dann könnten wir die FSK und Entsprechendes sofort eindampfen.)

Es ist inzwischen hinlänglich erwiesen, daß weichgespülte Bilder und Szenen ein sehr viel größeres Problem sind. Gewalt schreckt eher ab, wenn ihre Wirkung nicht verschwiegen wird. Aber genau das ist das Ergebnis deutscher Eingriffe - nicht die Gewalt als solche wird unterdrückt, sondern die Darstellung des Ergebnisses.
Was die FSK angeht, machen Franzosen und Dänen nicht halb soviel Theater wie wir Deutschen. Beide Länder sind nicht gewalttätiger, als Deutschland - Dänemark sogar eher weniger. Und die Dänen nehmen auch das Thema Sex sehr viel gelassener - sogar seit Jahrzehnten.
#20 Hermes 2017-08-01 23:24
Zitat:
Zu einem speziellen Maß an Prüderie möchte ich nicht zurückkehren. Seltsamerweise ist aber gerade dort eher ein Umschwung zu beobachten, oder?)
Wir haben in den letzten Jahren Millionen Menschen aufgenommen, deren religiöse Überzeugung Frauen schon das Zeigen der Haare verbietet, deren Prediger es als unmoralisch empfinden wenn Frauen Parfüm auflegen und kurze Röcke tragen.
#21 Sarkana 2017-08-01 23:56
zitiere Hermes:
Wir haben in den letzten Jahren Millionen Menschen aufgenommen, deren religiöse Überzeugung Frauen schon das Zeigen der Haare verbietet, deren Prediger es als unmoralisch empfinden wenn Frauen Parfüm auflegen und kurze Röcke tragen.

Ich fürchte das führt hier zu weit - aber die Aufnahme ist weniger das Problem, als der politische Unwille zu Integration. Deshalb kommen wir den hinzukommenden (Moral)vorstellungen sämtlicher Migranten sehr weit entgegen - in geradezu vorauseilender Art und Weise. Aber da das in die "Zensur" nur indirekt (über das gesamtgesellschaftliche Klima) und auch verzögert erkennbar ist, scheint mir an der Stelle noch nicht viel erkennbar. Noch schwappt die aufkommende Prüderie vorrangig aus den USA herüber - denen wir ja auch so seltsame Konstrukte wie die Jugendpornographie zu verdanken haben. Die große Migrationswelle wird sich erst in geschätzt zehn Jahren so richtig niederschlagen - oder eben auch nicht - das hängt davon ab, ob die Meinung die aufnehmende Gesellschaft möge sich den Hinzugekommen anpassen sich wirklich durchsetzt. Momenten sieht es nur bedingt danach aus. Aber wie gesagt, daß scheint mir an der Stelle zu weit zu führen, das zu erörtern.
#22 Laurin 2017-08-02 09:25
Also ich kann hier nur den letzten zwei Kommentaren von Sarkana völlig zustimmen.
Und was die FSK z.B. angeht, so wird sie genauso funktionieren, wenn sie als Empfehlung genutzt und nicht mit Indizierungen und damit der Zensur durch die Hintertür verbunden wird.
Aber ich glaube, ich komme mit Feldese und Cartwing hier nicht auf einen Nenner, da die Sichtweise gänzlich unterschiedlich ist. Von daher lasse ich es mal damit bewenden, weil sich die Diskussion hier so nur im Kreis drehen würde, was ja auch nicht hilfreich ist.
#23 Cartwing 2017-08-02 14:23
auch ich stimme in einigen Punkten zu. Als Vater von noch minderjährigen Kindern sieht man manche dinge aber wohl mit anderen Augen
#24 Laurin 2017-08-02 15:47
Das war jetzt ja auch nicht böse gemeint, Feldese und Cartwing. ;-)
Aber es bringt ja auch nichts, wenn man sich anfängt im Kreis zu drehen (da wird mir nur schwindelig :lol: ).
Und mal so gesehen nutzt der Jugendschutz so oder so nichts, wenn Eltern sich nicht mit ihren Kindern beschäftigen und sie lieber vor den Fernseher setzen um Ruhe vor ihnen zu haben.
Es kann immer passieren, das Kinder mal etwas sehen, was sie nicht direkt oder gleich richtig verarbeiten können und dann sollten die Eltern da sein um mit ihnen darüber zu reden und ihnen helfen so etwas zu verarbeiten. Aber leider gibt es auch nicht wenige Eltern, die hier für die Kleinen nicht gerade ein positiver Anlaufpunkt sind.

Aber nu ist gut, ich lasse das mal als Schlusswort so im Raum stehen ... gelle :-)
#25 Harantor 2017-08-03 10:54
Ich habe in Kommentar #3 aus dem Interview mit Prof. Dr. Kaspar Maase zitiert. Das komplette Interview ist wieder online: www.zauberspiegel-online.de/index.php/frage-antwort/im-gesprch-mit-mainmenu-179/31448-kaspar-maase-ueber-schund-schmutz-und-jugendschutz

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