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... Martin Clauß über Lesefaule und Pendler in Japan, sowie Lesen auf dem Handy

Martin Clauß ... Martin Clauß ...
... über Lesefaule und Pendler in Japan, sowie Lesen auf dem Handy

Martin Clauß schickte uns am 4. Juni eine Mitteilung, dass er in Zukunft Handyromane über die Seite Handystory.de zu verlegen gedenkt...

Handyromane? Lesen am Display? - Häh?

Mir reichen doch schon die SMS meiner herzallerliebsten Lebensgefährtin.

Dennoch wurde ich neugierig, zumal Martin auch auf den Erfolg des Formats in Japan, dem Land der Mangas und Monster hinwies. Japaner, na gut. Die kannte ich von Neuschwanstein, sowie aus Godzilla-, Horror-, Action- und Kurosawa-Filmen und vom Sushi-Essen. Nicht unbedingt die Grundlage, die es mir ermöglicht etwas Substantielles zu Martins Plan zu schreiben.

Daher haben wir ihn selbst mal gefragt...

Zauberspiegel: Mit Falkengrund willst Du den Handyroman nach Deutschland bringen. Wie lang und steinig wird der Weg werden, um dieses Format populär zu machen? Oder planst Du eine Zusammenarbeit mit diesem oder jenem Handyvertrieb?
Martin Clauß: Innerhalb von zwei Jahren müsste sich eigentlich zeigen, ob im deutschsprachigen Raum ein Interesse besteht, Romane und Kurzgeschichten auf dem Handy zu lesen. Bis dahin dürfte sich die Adresse handystory.de herumgesprochen haben. Anstatt mich in groß angelegten Geschäftsmodellen zu verheddern, konzentriere ich mich lieber auf gut geschriebene Storys und vertraue auf mein Konzept von kostenloser, bequemer Lektüre. So kann man jederzeit spontan reinlesen, Texte kopieren und an andere weitergeben. Auch Skeptiker können das Medium ohne Aufwand antesten.

Zauberspiegel: Wie sieht ein Handyroman aus? Gibt es ein Titelbild? Werden die als Nur-Text geliefert?
Martin Clauß: Meine Handyromane haben, wie die meisten japanischen auch, kein Titelbild. Da die einzelnen Episoden recht kurz sind, wäre es zu aufwändig, für jeden Teil ein Cover zu erstellen. Reine Texte beanspruchen außerdem weniger Speicherplatz und sind besser kompatibel zu den unterschiedlichen Geräten. Ich biete ja vier Dateiformate zur Auswahl an: html, txt, prc und jar (Java-Dateien). Nicht alle würden das Einbinden eines Covers ermöglichen.

Zauberspiegel: In Japan ist dieses Format populär. Wie erklärt sich das? Was ist die Erfolgsgeschichte?
Martin Clauß: In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends war unter jugendlichen Japanern das Schreiben und Lesen von Fortsetzungsromanen auf Websites oder in Blogs sehr beliebt. Schnell wurde es technisch möglich, solche Texte auf dem Handy zu lesen und sie sogar auf dem Handy zu schreiben. Damit begann der Boom. In den Großstädten Japans pendeln täglich Millionen Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln zur Schule oder zum Arbeitsplatz, oft stundenlang. Schon immer wurde in den Zügen und U-Bahnen viel gelesen, hauptsächlich kleinformatige Romane oder Mangas, die man auch im Stehen leicht in der Hand halten kann. Da war es naheliegend, das Handy zum Lesen zu nutzen, sobald die Technik es erlaubte. Außerdem sind viele lesefaule Jugendliche erst durch ihr Handy zum exzessiven Lesen gekommen, da der Schreibstil einfacher ist und die Lesehäppchen schön klein sind. Bald wurden die beliebtesten Handyromane dann auch in gedruckter Form veröffentlicht – viele davon schafften es auf Bestsellerränge.

Zauberspiegel: Welche Genres sind die populären? Oder gibt es das Format erfolgreich von Liebe bis Horror? Kann man den Handyroman als Heftromanersatz begreifen?
Martin Clauß: In Japan lesen viel mehr Frauen als Männer Handyromane – und mehr Jüngere als Ältere. Daher liegen dort vor allem Liebesromane, die den Alltag der Großstadtjugend widerspiegeln, voll im Trend. Aber auch Horror und andere Genres existieren. Im deutschsprachigen Raum kann das ähnlich laufen, muss aber nicht.
Und was die Heftromane angeht, ja, da sehe ich schon Parallelen. Heftromane waren/sind eher die preiswerte, leicht zu konsumierende Alternative zum Buch, und so etwas sind Handyromane im Prinzip auch. Romanhefte lassen sich rollen und umbiegen, in jede Tasche stecken und überallhin mitnehmen. Auch das Handy hat man immer dabei.

Zauberspiegel: Welche Perspektiven siehst Du in Deutschland? Werden Dir andere folgen? Wenn ja, welche Genres wird es da geben?
Martin Clauß: Das ist mit Abstand die schwierigste Frage! Es gibt ja bereits einen Anbieter von Handyromanen bei uns, nämlich die österreichische Firma Blackbetty mit ihren „Mobilebooks“. Die bieten ihre Texte allerdings kostenpflichtig an, ein Vorgehen, das sich zumindest in Japan nicht durchgesetzt hat – aber auch das kann hier völlig anders sein. Wir wissen praktisch nichts über die Zukunft des Handyromans in Europa. Werden es, wie in Japan, eher Amateure sein, die Handyromane schreiben, oder erweist sich das Medium auch als interessant für „junge Profis“ wie mich oder sogar für Bestseller-Autoren? Man könnte verschiedene Szenarien durchspielen, aber wenn man ehrlich ist, muss man zugeben: Es bleibt nichts übrig als die nächsten Jahre abzuwarten...

Zauberspiegel: Was erwartest Du wird eher gehen: Die Kurzgeschichte, der Kurzroman oder der Roman?
Martin Clauß: Als Kurzgeschichten-Fan hoffe ich, dass sich Handy-Leser auch für die knappe Form erwärmen werden, aber ich vermute, dass Fortsetzungsromane besser ankommen.

Zauberspiegel: Bei welchem Umfang ist der sinnvolle Umfang eines Handyroman überschritten oder gehen auch 1000-Seiten-Wälzer?
Martin Clauß: Formate wie prc oder Java-Dateien erlauben das Setzen von Lesezeichen, also wäre auch der 1000-Seiten-Wälzer auf dem Handy problemlos lesbar. Ich persönlich würde es aber spannender finden, sich Serien oder Fortsetzungsromane in kleinen Häppchen aufs Handy zu holen.

Zauberspiegel: Willst Du ausschließlich eigene Werke vertreiben oder auch Texte anderer Autoren vertreiben?
Martin Clauß: Ich habe nicht vor, ein Portal zu betreiben. Das würde mich zu sehr von dem abhalten, was mir am wichtigsten ist – vom Schreiben.

Zauberspiegel: Wo siehst Du den Handyroman in Deutschland in fünf Jahren?
Martin Clauß: Ich sehe nicht ganz die überschäumende Popularität wie in Japan, aber doch eine beachtliche Verbreitung. Ich sehe viele polemische Aufschreie über das Ende der Literatur, sehe aber auch viele junge Leute, die erst durch Handyromane zum Lesen kommen – genau wie seinerzeit bei den Romanheften und Comics. Große Verlage werden vor allem Leseproben ihrer Bücher fürs Handy anbieten. Kleine Verlage und Privatpersonen werden großen Spaß am Veröffentlichen von Handyromanen haben. Ahh, die Bilder verblassen – wo bin ich? – habe ich etwas gesagt?

Wer ist Martin Clauß?

Martin Clauß wurde 1967 in Esslingen am Neckar geboren, wo er – von einem Studienaufenthalt in Japan abgesehen – bis heute wohnt. Er studierte Japanologie und Anglistik und arbeitet als Japanisch-Lehrer und Autor. Seit frühster Kindheit schreibt er phantastische Literatur, hat sein Hobby mittlerweile zum Nebenberuf gemacht und träumt von hauptberuflicher Schriftstellerei. Die bisherigen Veröffentlichungen umfassen „Das große Anime Lösungsbuch“ (BoD), „Der Atem des Rippers“ (Atlantis), „Die Saat der Yôkai“ (Ueberreuter), „Das Blut des Tako“ (Ueberreuter). Einige dieser Bücher schrieb er zusammen mit seiner Frau Maho.

 

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