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... Thomas Thiemeyer über Nachfolgen, Leser und »Die Stadt der Regenfresser«

Thomas Thiemeyer ... Thomas Thiemeyer ...
... über Nachfolgen, Leser und »Die Stadt der Regenfresser«

Endlich ist er da, der lange und mit einiger Spannung erwartete erste Jugendroman von Thomas Thiemeyer. Unter dem Titel »Die Stadt der Regenfresser« startet der Autor in seine »Chroniken der Weltensucher«. Ein Auftakt, der sich sehen lassen kann! Mehr noch, »Die Stadt der Regenfresser« ist ein Buch geworden, das man jedem Freund unterhaltsamer Abenteuerliteratur nur empfehlen kann.

Begeistert von der Lektüre, konnte ich nicht anders, als Thomas umgehend anzuschreiben und ihn nach einem Interview zu seiner neuen Reihe zu fragen. Eine Bitte, welcher der Autor gerne nachkam.

Thiemeyer, Thomas: Die Stadt der Regenfresser – Chroniken der Weltensucher Band 1Zauberspiegel: Hallo Thomas. Klasse, dass du dem Zauberspiegel schon wieder Rede und Antwort stehen willst – wo wir dich doch gerade erst zu »Nebra« interviewt haben. Umso schöner, dass du auch Zeit und Lust hast einige Fragen zu »Die Stadt der Regenfresser« zu beantworten.
Bevor wir zum Buch an sich kommen, hätte ich eine ganz allgemeine Frage. Nach dem Weggang von Kai Meyer bei Loewe hast du ja gewissermaßen dessen Stelle ausgefüllt. Ohne deine Arbeit damit im Mindesten schmälern zu wollen: Es sind zweifellos große Fußstapfen, in die du da trittst. Was ist das für ein Gefühl?

Thomas Thiemeyer: Ich versuche, mir darüber keine all zu großen Gedanken zu machen. Ich sage mir immer: Das betrifft in erster Linie die Mitarbeiter des Loewe-Verlags. Wie sie das Buch herausbringen, positionieren und bewerben ist ihr Ding. Und was ich bisher gesehen habe, machen sie einen großartigen Job. Hinzu kommt, dass ich mit Kai Meyer befreundet bin und er sogar schon mal ein Bild von mir gekauft hat.
Aber manchmal, in einer stillen Stunde überkommt mich so ein Gefühl, dass die Schuhe eben doch verdammt groß sind.

Zauberspiegel: Damit auch schon zum Buch an sich. Könntest du uns ganz zu Beginn in einigen wenigen Sätzen erzählen, worum es in »Die Stadt der Regenfresser« geht?
Thomas Thiemeyer: Es geht um einen fünfzehnjährigen Jungen namens Oskar Wegener, der im Berlin des ausklingenden 19. Jahrhunderts sein Dasein als Taschendieb fristet und eines Tages in die Gewalt eines zwielichten und unheimlichen Mannes gerät. Es stellt sich heraus, das dieser Mann – Carl-Friedrich Donhauser – ein unehelicher Sohn des großen Naturforschers Alexander von Humboldt ist. Und genau wie sein Vater bereist er die Welt, entdeckt versunkene Kulturen und stößt auf seltsame Wesen und gefährliche Gegner. An seiner Seite, und in Begleitung von Eliza, seiner haitianischen Haushälterin, sowie Charlotte, der Nichte des Forschers, darf Oskar mit auf Reisen gehen. Was er dabei erlebt ist dann so haarsträubend, dass es ihm daheim in Berlin kein Mensch glaubt.

Zauberspiegel: »Die Stadt der Regenfresser« ist Buch, das sich gleichermaßen an erwachsene wie jugendliche Leser richtet. Bislang hast du ja hauptsächlich Bücher Geschrieben, die rein für ein erwachsenes Publikum gedacht waren. Worin machen sich hier Unterschiede bemerkbar? Inwiefern war der Schreibprozess ein anderer?
Thomas Thiemeyer: Zunächst einmal gar nicht. Zu Beginn steht der Wunsch nach einer spannenden, mitreißenden Geschichte mit all den Elementen, die eine solche Story verlangt: Exotische Orte, interessante Figuren, überraschende Wendungen. Auch sprachlich gibt es zunächst mal kaum Unterschiede. (Was vielleicht damit zusammenhängt, dass ich in erster Linie für mich schreibe und nicht für eine imaginäre Leserschaft.)
Die Unterschiede offenbarten sich später im Detail. Während ich mir im Thriller oftmals längere Einführungen erlaube, besteht im Jugendbuch der Wunsch nach einem unmittelbaren Eintauchen in die Geschichte. Keine langen Einstiegsszenen, sondern der direkte Kontakt mit den Hauptfiguren. Szenen mit Dichte und Atmosphäre.  Die Personen müssen direkt fassbar sein, sich vom Papier lösen und ein Eigenleben erlangen. Nicht wie im Erwachsenenbereich, wo ich mir für die Entwicklung mitunter mehrere Kapitel Zeit lasse und widersprüchliche, psychologisch komplexe Charaktere erschaffen kann. Jugendbuchprotagonisten definieren sich im wesentlichen über ihre Handlung, was natürlich einen unmittelbaren Einfluss auf die Geschichte hat. Das Tempo ist tendenziell höher und die Struktur straffer. Alles Dinge, die ich gelernt habe, während ich die Bücher schrieb.

Zauberspiegel: Während deine Erwachsenenromane Mystery-Thriller sind, hast du dich mit »Die Stadt der Regenfresser« einem ganz anderen Genre zugewandt: dem Abenteuerroman. Was hat dich dazu bewogen?
Thomas Thiemeyer: Ich hatte schon länger eine Idee für eine Buchreihe, die im ausklingenden  19.Jh. spielt. Mich fasziniert einfach diese wundersame Welt von vor über hundert Jahren, in der eine Aufbruchstimmung herrschte, wie wir sie vielleicht nie wieder erleben werden. Die Elektrizität steckte noch in den Kinderschuhen und Deutschland wurde von einem Kaiser regiert. Die Welt war zu weiten Teilen unerforscht und die weißen Flecken auf den Landkarten unermesslich groß. Wir fingen gerade an die Lüfte zu erobern und der Ozean war ein dunkles, tiefes Nichts. Für einen Entdecker ein herrlicher Zustand.  So kam es zu der Idee einen Abenteurer zu erschaffen, der all das entdecken darf und dazu noch viel mehr. Und was läge näher, als ihn als Verwandten des womöglich größten Naturforschers aller Zeiten anzulegen, dem unvergleichlichen Alexander von Humboldt? Das war die Geburtsstunde von Carl Friedrich.

Zauberspiegel: Hast du dich beim Schreiben an klassischen Abenteuergeschichten orientiert? Wenn ja, an welchen?
Thomas Thiemeyer: Aufmerksame Leser werden sicher die eine oder andere Ähnlichkeit meiner Figuren mit bestehenden literarischen Vorbildern erkennen. Auch bestimmte Handlungselemente dürften vertraut wirken. Ich habe das ganz bewusst so angelegt. Ich wollte ein Gefühl der Vertrautheit bei meinen Lesern erzeugen, ein Gefühl von Geborgenheit und Wiedererkennen, ohne die literarischen Vorbilder zu kopieren. Ein Oskar Wegener mag einige Charaktereigenschaften eines Oliver Twist haben, er besitzt aber auch ein paar neue, die ihn ungewöhnlich machen. Carl Friedrich von Humboldt wiederum mag ein wenig an William von Baskerville aus »Der Name der Rose« erinnern, auch wenn er wesentlich kräftiger ist und sein Haar zu einem Chinesenzopf zusammengebunden trägt. Ich greife bei meinen Figuren gerne auf Klischees zurück um diese dann zu verändern und zu durchbrechen. So bekommen sie etwas Frisches und Einprägsames, ohne den Leser durch ihre völlige Fremdartigkeit zu irritieren.

Zauberspiegel: Ein Großteil der Handlung des Romans spielt in den südamerikanischen Anden. Kennst du diesen Schauplatz aus eigener Erfahrung? Woran hast du dich beim Beschreiben der Schauplätze orientiert?
Thomas Thiemeyer: Südamerika ist für mich leider noch ein weißer Fleck auf der Landkarte. Ich bin eher der Mittelmeer- und Afrikaspezialist. Ich musste also auf umfangreiches Recherchematerial zurückgreifen.
Aber natürlich habe ich vor, irgendwann mal dorthin zu reisen. Bis es soweit ist, schicke ich Oskar und Humboldt dorthin. Die sollen mal die Lage erkunden und mir erzählen, wie es war.

Zauberspiegel
: Im Zentrum des Romans steht der Forscher Carl Friedrich Humboldt, der sich selbst als illegitimen Sohn des berühmten Alexander von Humboldt bezeichnet. Wie kam es dazu, dass du gerade diesen Abenteurer als Vorbild für den von dir entworfenen Charakter genommen hast?
Thomas Thiemeyer: Alexander von Humboldt war eines der letzten wirklichen Universalgenies. Er betrieb Forschungen in den Bereichen der Physik, Chemie, Geologie, Mineralogie, Vulkanologie, der Botanik, Zoologie, Klimatologie, Ozeanographie und Astronomie. Da er in Kontakt mit ungezählten internationalen Spezialisten stand, schuf er ein riesiges wissenschaftliches Netzwerk. Dieses fachübergreifende Denken und Forschen ist etwas, was in unserer Zeit fehlt. Heute sind die Universitäten voll von Wissenschaftlern, die so hochspezialisiert arbeiten, dass sie kaum etwas von dem mitbekommen, was zwei Türen weiter erforscht wird. Außerdem ist er ein deutscher Forscher und ich wollte Romane schreiben, die ihre Wurzeln in Deutschland haben.

Zauberspiegel: Carsten Kuhr hat über »Die Stadt der Regenfresser«, dass mit diesem Buch quasi die „Renaissance der klassischen Abenteuerliteratur eingeleitet wurde. Was stehst du zu diesem Statement? Wie fühlt man sich als Autor angesichts eines derartigen Lobes?
Thomas Thiemeyer: So wie ich mich bei Lob immer fühle: Es ist mir peinlich, aber gleichzeitig freue ich mich. Komisch, oder?

Zauberspiegel: Wie gut hat dir persönlich der Ausflug ins Abenteuergenre gefallen? Was hat dir beim Schreiben besonders viel Spaß gemacht?
Thomas Thiemeyer: Ich bin so begeistert, dass ich mich nach Fertigstellung des 2. Bandes gleich an Band 3 gemacht habe. Meine arme Lektorin. Die kommt kaum noch zu anderen Dingen.
Was mir soviel Freude bereitet, ist die Loslösung von den lästigen Sachzwängen. Gewiss, es steckt immer noch eine Menge Recherche in diesen Romanen, aber im Vergleich zu meinen Erwachsenenromanen darf ich viel freier drauf los fabulieren. Es ist, als würde ich alle Leinen kappen und einfach auf und davon segeln.
Vielleicht ist es aber auch einfach nur die Faszination für diese wundersame Zeit, wer weiß?

Zauberspiegel: »Die Stadt der Regenfresser« ist ja nur der Auftaktband zu den »Chroniken der Weltensucher«. Auf deiner Homepage ist zu lesen, dass du den nächsten Roman bereits fertiggestellt hast und den dritten in Angriff nimmst. Auf was dürfen wir uns in den kommenden Bänden freuen?
Thomas Thiemeyer: Als nächstes geht es in das Reich der Tiefsee. Humboldt und seine Gefährten bekommen den Auftrag, nach einem Ungeheuer zu suchen, das den Mittelmeerraum vor Kreta für Schiffe zur Todesfalle werden lässt. Sie werden dabei in Abenteuer hineingezogen, die ihre wildesten Vorstellung übertreffen. Ich gebe zu, das klingt ein wenig nach 20.000 Meilen unter dem Meer, aber das geschieht mit voller Absicht. Die Leser werden schnell merken, dass die Geschichte eine völlig andere Wendung nimmt. Ich habe Jules Verne sogar einen Gastauftritt verpasst, ebenso Nikola Tesla. Ich frage mich, ob den beiden die Geschichte wohl gefallen hätte...

Zauberspiegel: Werden die »Chroniken der Weltensucher« nach Band drei abgeschlossen sein, oder besteht die Möglichkeit, dass du wir Oskar, Charlotte und Co noch öfter in Aktion sehen?
Thomas Thiemeyer: Das hoffe ich natürlich sehr. Ideen gibt es genug. Aber ob es ein Wiedersehen gibt, hängt einzig und allein von den Lesern ab.

Zauberspiegel: Vielen Dank, Thomas, für dieses Interview!
Thomas Thiemeyer: Ich habe zu danken.



Thomas Thiemeyer (* 1963) ist ein deutscher Illustrator und Schriftsteller.
Er studierte Kunst und Geologie in Köln. 1989 wurde sein erstes Jugendbuch im Ravensburger Buchverlag veröffentlicht, für den Thiemeyer auch als graphischer Berater arbeitete. Danach machte er sich selbständig und arbeitet seither als Illustrator. Als freier Künstler illustriert er Spiele, Jugendbücher, Buchumschläge und vieles mehr. Unter anderem arbeitete er für Heyne, Arena, Fantasy Productions, Beltz & Gelberg, Harper Collins, Random House und Wizards of the Coast. In jüngerer Zeit arbeitete er mit dem amerikanischen Regisseur Darren Aronofsky zusammen. Seine Arbeiten wurden mehrfach mit dem Kurd-Laßwitz-Preis und dem Deutschen Phantastik Preis ausgezeichnet.
2004 erschien bei Droemer Knaur sein Debütroman »Medusa«. Alle seine Romane wurden zu Bestsellern und in zahlreiche Sprachen übersetzt: Italienisch, Spanisch, Niederländisch, Tschechisch, Polnisch, Russisch, Koreanisch sowie Slowenisch. Mit »Die Stadt der Regenfresser«, dem Auftaktband der »Chroniken der Weltensucher«, ist nun sein erstes Buch für jugendliche und erwachsene Leser gleichermaßen im Loewe-Verlag erschienen.
Thomas Thiemeyer ist Mitglied des Autorenforums Montsegur.
Mehr zu Thomas und seiner Arbeit findet sich auf seiner Homepage

 

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