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... Dietmar Kuegler über Mythen und Geschichte des Westens

Dietmar Kuegler... Dietmar Kuegler ...
... über Mythen und Geschichte des Westens

Wir sprachen mit Dietmar Kuegler bereits über seine Arbeit für »Ronco« und seine Karriere als Westernautor, obwohl da mit Sicherheit noch Fagen offen sind. Immerhin gehört Kuegler einer Generation von Heftromanautoren an, die noch viel zu tun hatte. Die Leser des Zauberspiegels bekommen die Möglichkeit, diese Lücken zu schließen. Wir hingegen wechseln nun das Thema von der Fiktion zu den Fakten und beginnen ein zweiteiliges Interview zur Geschichte des Westens und seines Verlags.

 

Kuegler und Frau in Salt Lake City vor dem großen Tempel, den die Mormonen nach ihrem Treck nach Westen in jahrzehntelanger Arbeit errichteten. Zauberspiegel: In »The Man Who Shot Liberty Valance« heißt es: »When the legend becomes fact, print the legend«. Wenn man nun, wie Sie, ein Experte für die Geschichte des Westens ist, wie oft haben Sie es mit Mythen und Legenden zu tun gehabt und kann man noch bis zu den tatsächlichen Fakten vordringen? Wie ist die Quellenlage? Kann man Mythos und Wahrheit überhaupt voneinander trennen?
Dietmar Kuegler: Das muss man, und das geht auch – wie sonst sollte man Geschichte beschreiben? Man hatte früher bei uns immer die Vorstellung, dass die Freiheit im amerikanischen Westen bedeutete, dass man machen konnte, was man wollte und dass es keine Bürokratie gab. Weit gefehlt. Überall, wo sich Menschen zusammenfinden, entstehen Regeln und zwangsläufig Bürokratie. Das scheint ein Naturgesetz zu sein. Allenfalls in den ersten Tagen eines wilden Goldrausches wurden Regeln und Gesetze missachtet. Anarchie ist immer nur Übergang. Dann setzte gnadenlos die dem Menschen anscheinend angeborene Regelwut ein. Es wurden Papiere gefertigt, Akten angelegt, Amtsträger gewählt oder eingesetzt, die für Ordnung und Gesetz sorgen sollten. Jedes Nest hatte einen Schreiber, der über alle Vorgänge Buch geführt hat. Jeder Marshal oder Sheriff hat seine Berichte angefertigt. Kam es zu einer Schlägerei oder schlimmeren Auseinandersetzungen, wurden Gerichtsverhandlungen angesetzt. Dieses Klischee aus Filmen, wonach sich zwei Männer gegenseitig über den Haufen schießen und der Sieger unbehelligt von dannen reitet – das war extrem selten. Die Regel war in einem solchen Fall ein Gerichtsverfahren, das mit Verurteilung oder Freispruch endete – in jedem Fall mit einem dokumentierten Vorgang.
Beispiel: Als der Sheriff C. P. Owens in Holbrook (Arizona) 1887 einen gesuchten Viehdieb festnehmen wollte und dabei – weil die Familie Widerstand leistete – 3 Männer erschoss und einen schwer verwundete, wurde natürlich gerichtlich untersucht, ob er sich im Rahmen seiner Amtspflicht verhalten hatte oder wegen Totschlags angeklagt werden müsste.
Nach dem legendären Duell im O. K. Corral in Tombstone mussten die Brüder Earp selbstverständlich vor Gericht. Es sind viele Zeugen befragt worden. Erst vor wenigen Jahren haben Juristen, die die Akten geprüft haben, festgestellt, dass der Freispruch der Earps auch nach heutigem Standard zu Recht erfolgte.
Die ständige Präsenz von Waffen machte Auseinandersetzungen zwangsläufig gewalttätig, aber das hatte fast immer juristische Folgen.
Siedler, die sich einfach irgendwo in der Wildnis niederließen, erlebten in der Regel eine böse Überraschung, wenn Beamte der Landbehörde auftauchten und ihnen bedeuteten, dass sie illegal auf Regierungsland saßen und entweder bezahlen mussten – obwohl sie das Land gerodet und urbar gemacht hatten – oder zu verschwinden hätten.
Auch die Presse der damaligen Zeit war früh vor Ort und ziemlich exakt. In meiner Sammlung habe ich z. B. die erste Zeitung des Territoriums Arizona – faszinierend. Die allermeisten Tatsachen sind also zu 90% feststellbar und nachvollziehbar. Das ist die historische Wahrheit. Der Mythos hingegen ist das Unfassbare, das sich um Ereignisse bildet, die von der Norm abweichen. Den Westernmythos gab es schon im 19. Jh. im amerikanischen Osten, wo alles das, was sich im Westen des Landes abspielte, mit wohligem Schaudern angesehen wurde: Wilde Indianer; Menschen, die mit dem Revolver an der Hüfte herumliefen; Streitigkeiten, die von Mann zu Mann ausgetragen wurden – solche Geschichten machen einerseits Angst, üben aber auch eine starke Faszination aus, weil alles, was gegen die Regeln im bürgerlichen Leben steht, abstoßend und anziehend zugleich ist. (Das macht ja auch den Reiz eines Westernromans aus.) Der „Wilde Westen“ war ein amerikanischer Begriff, den Europa übernommen hat. Wenn sich Männer – wie in Tombstone – auf offener Straße ein Duell liefern, ist das ein Vorgang, der Nervenkitzel auslöst. (Schauen Sie sich die Sensationslust nach Verkehrsunfällen an.) Allein, dass so etwas möglich ist/war, hat Menschen aufgeregt. Dass solche Geschehnisse auch im Westen Amerikas rechtliche Folgen hatten, spielte schon damals eine Nebenrolle.
Deswegen wird man den Mythos auch nicht zerstören, wenn man die Realität in sachlicher Form darstellt. Man verändert allenfalls seinen Stellenwert. Aber Mythen gehören, genau wie Legenden, zur Natur des Menschen. Die Tatsachen mögen noch so klar auf der Hand liegen oder dokumentierbar sein – der Mensch braucht auch die Romantik, braucht das Mysterium, das menschliche Handlungen oft umgibt. Er braucht die Legende wie die Luft zum Atmen. Die Realität braucht den Traum, um das Leben abzurunden. Es ist ein Zusammenwirken von Kopf und Herz. Ich behaupte, dass ohne diese beiden Elemente, die sich scheinbar widersprechen, sich im Grunde aber fundamental ergänzen, das Leben manchmal unerträglich wäre. Ich sage auch ketzerisch: Die Legende kann das Interesse wecken, das zur Wirklichkeit führt. So war es jedenfalls bei mir.
Die Quellenlage der Pionierzeit ist also gut. Die Amerikaner sind sorgfältige Archivare. Es ist nur manchmal ein Problem, da das Land so groß ist, weil sich manche Akten nur in regionalen und lokalen Sammlungen befinden. Wenn man z. B. die Zeit, in der „Wild Bill“ Hickok Gesetzesvertreter in Hays (Kansas) war, untersuchen will – das habe ich getan–, müssen Sie sowohl in das Stadtarchiv von Hays, als auch in die Akten der Historical Society von Kansas steigen. Dann finden Sie buchstäblich alles; handschriftliche Briefe und Berichte von Hickok selbst, Briefe des Kommandanten von Fort Hays, Briefe des Gouverneurs von Kansas, Zeitungsartikel der lokalen Presse. Das ist manchmal sehr mühsam und langwierig, obwohl die lokalen Historiker unglaublich hilfsbereit sind. Und man muss erst einmal in diese abgelegenen Gegenden fahren. Das ist selbst für amerikanische Historiker schwierig.

Kuegler und Frau am Eingang von Fort Laramie (Wyoming). Zauberspiegel: 1982 haben Sie das „Magazin für Amerikanistik – Zeitschrift für amerikanische Geschichte“ von der Buchhandlung Graff in Braunschweig übernommen. War das der Startschuss für ihren Verlag für Amerikanistik? Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Zeitschrift zu übernehmen?
Dietmar Kuegler: Ich bin dazu „gezwungen“ worden – nein, im Ernst, die Zeitschrift stand vor dem Absterben. Der Gründer und damalige Herausgeber, Thomas Ostwald, ist ein guter Freund von mir und suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, das Heft zu erhalten. Der Graff-Verlag hatte ihm definitiv bedeutet, dass er die Zeitschrift einstellen und die vorhandenen Reste auf die Müllhalde karren würde. Das war Anfang der 1980er-Jahre.
Ich war zu dieser Zeit schon regelmäßiger Mitarbeiter gewesen, und zwar der Einzige mit professioneller Verlagserfahrung. Ich hatte bereits eine Reihe von Sachbüchern im „Motorbuch-Verlag“ veröffentlicht, und Thomas hat mir quasi die Pistole auf die Brust gesetzt und gesagt: „Du bist verantwortlich, wenn das Magazin stirbt, wenn Du es nicht weitermachst. Du bist der Einzige, der das kann.“
Es war damals die einzige Zeitschrift dieser Art in Deutschland. Alle vergleichbaren Projekte waren bereits eingegangen, z. B. „Calumet“, „Western Journal“ u. a. Der Appell von Thomas Ostwald blieb nicht ohne Folgen. Ich hatte einige schlaflose Nächte; denn ich war Autor, kein Verleger, und ich hatte – das gebe ich offen zu – Angst vor der wirtschaftlichen Verantwortung. Gleichzeitig hatte er aber meinen Ehrgeiz geweckt, und meine Leidenschaft. Ich wollte unbedingt, dass diese Zeitschrift überlebte. Also habe ich zugesagt und das Heft übernommen. Dabei waren mir die Schwächen des Objekts völlig klar und ich hatte auch Ideen, wie man es verbessern konnte. Aber dazu musste ich meine Ersparnisse opfern, und ich hatte gerade ein Haus gekauft und war mit monatlichen Hypothekenzahlungen belastet.
Dennoch: Durch meine Sachbucharbeit hatte ich bereits erste Kontakte zu möglichen Autoren, um meine Pläne umzusetzen. Also wuchs in meinem Kopf die Idee, die Zeitschrift als Grundstein für einen größeren Plan zu nehmen, für einen Fachverlag für amerikanische und indianische Geschichte.
Da das Kind einen amtlichen Namen haben musste, habe ich sofort das Gewerbe für den „Verlag für Amerikanistik“ angemeldet. Dann folgte ein bürokratischer Kampf, weil die Post den Versand unter diesem Namen nicht akzeptieren wollte, solange ich nicht im Handelsregister eingetragen war. Daher musste ich zum Notar und den Handelsregistereintrag vornehmen. Danach kam die Mitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer und im Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Damit saß ich „in der Falle“ und war plötzlich vollgültiger Verleger. Aber je mehr das Projekt Gestalt annahm, desto geringer wurde meine Furcht davor. Im Gegenteil, mir wurden die Vorteile bewusst.
Ich hatte in den 1970er-Jahren mehrfach vergeblich mit Buchprojekten bei großen Verlagen angeklopft. Immer hieß es: „Zu speziell.“ Mein letztes Amerika-Buchprojekt war ein Buch über die Texas Rangers gewesen, das der „Motorbuch-Verlag“ eher widerwillig produziert hat, obwohl es sich dann als ziemlich erfolgreich herausstellte. Ich wollte Bücher über den amerikanischen Pelzhandel schreiben, über die Geschichte der Trapper – eines der maßgeblichen Kapitel der Öffnung des amerikanischen Westens. Keine Chance. Einige Jahre nach meiner Verlagsgründung habe ich diesen Plan mit meinem Buch „In der Wildnis die Freiheit“ wahr gemacht – und das Buch wurde von meinem kleinen Fachverlag um die 10.000-mal verkauft.
Die vorher erwähnten Erfahrungen setzten bei mir einen gedanklichen Prozess in Gang: Wenn die großen Verlage sich weigerten, meine Wunschprojekte zu realisieren, dann würde ich es eben selbst machen. Aber das war in diesem Moment Zukunftsmusik.
Schon knapp ein Jahr nach der Verlagsgründung hatte meine redaktionelle Linie das „Magazin für Amerikanistik“ stabilisiert. Die Auflage wuchs, und ich hatte Blut geleckt und wagte mich an das nächste Projekt. Ich hatte die Doktorarbeit eines österreichischen Generals auf dem Schreibtisch: „Indianische Kriegsführung in den Plains und östlichen Waldgebieten Nordamerikas“. Ein sperriger Titel, aber ein grandioses Werk. Ich kratzte weitere Ersparnisse zusammen und ging damit in die Produktion. Dieses Buch brachte den Durchbruch für meinen Verlag. Es wurde ein internationaler Erfolg – und ist noch heute im Programm. Das war 1984. Von da an hatte der Verlag eine Reputation, und ich habe alles Geld, was damit verdient wurde, in die Ausweitung des Programms gesteckt. Jeden Pfennig. Gelebt habe ich damals immer noch von den Heftromanen.

Kuegler und Frau am Crazy Horse Monument in den Black Hills: Hier wird ein ganzer Berg in eine über 170 m hohe Reiterstatue zu Ehren des Lakota-Häuptlings Crazy Horse umgeformt. Die Arbeiten dauern schon seit 60 Jahren an. Zauberspiegel: Der Verlag ist ja dem Sachbuch über die US-Geschichte verhaftet. Was war der erste Titel? Wie viele Bücher haben Sie verlegt? Wie war die Entwicklungsgeschichte des Verlages? Und wo steht er heute?
Dietmar Kuegler: Der erste große Erfolg war die „Indianische Kriegsführung“, wie gerade erwähnt. Davor hatte ich schon ein kleines Buchprojekt in limitierter, nummerierter Auflage realisiert – eine Methode, die ich im Laufe der Zeit kultiviert habe; seltene Bücher in Sammlerauflagen. Der Titel war „Hundert Tage unter den Goldfindern von Ober-Kalifornien“, ein Augenzeugenbericht über den kalifornischen Goldrausch. Ich meine mich zu erinnern, dass die Auflage nicht mehr als 200 Stück betrug.
Es passierte dann etwas, woran ich gar nicht gedacht hatte: Zu dieser Zeit liefen die Olympischen Spiele in Kalifornien. Ein unglaublich cleverer Chefredakteur einer Schleswig-Holstein'schen Zeitung, dem ich eines der kleinen Bücher geschenkt hatte, sah die Verbindung: Goldrausch – Goldmedaillen - Kalifornien. Er brachte Auszüge aus dem Buch, von mir kommentiert und mit historischem Bildmaterial versehen, als wöchentlichen Sonderdruck in seiner Zeitung. Innerhalb von 3 Wochen war unser Buch ausverkauft.
Heute besteht mein Verlag seit fast 30 Jahren. Ich habe in dieser Zeit an die 250 Buchprojekte produziert. Der Rahmen reicht von populären Sachbüchern über akademisch-wissenschaftliche Werke bis zu geschichtlichen Reiseführern (die ich selbst verfasst habe). Ein Teil des Programms steht im Internet unter www.amerikanistik-verlag.de.
Die ersten 10 Jahre waren Aufbaujahre, in denen das Programm Konturen annahm. Die zwei größten Auflagenerfolge waren damals „Das große Indianerhandbuch“ und „Das große Trapperhandbuch“, Handarbeitsbücher für Hobbyisten. Dann habe ich – auf der Grundlage meiner Erfahrungen im Heft – Buchserien etabliert: „Amerikanistik Bibliothek“, eine populärwissenschaftliche Reihe mit Themen von der Indianistik bis zur Pioniergeschichte. „Trail Books“, Bücher mit reinen Western-Themen wie die „Wyatt Earp Story“, „Doc Holliday“ usw. Es entstand „Military Men“, Bücher über Militärgeschichte, sowie die Reihe „Indianer“. Die erfolgreichste Serie war „Nord und Süd“ – 25 Bände über den amerikanischen Bürgerkrieg.
Mitte der 1990er-Jahre erfolgte der internationale Durchbruch. Ich hatte Kontakt zu einem der bedeutendsten Völkerkundler der Welt bekommen, bezogen auf die nordamerikanischen Indianer, den englischen Autor Colin Taylor. Daraus entstand eine enge Freundschaft. Die gemeinsame Begeisterung für den amerikanischen Westen und seine Geschichte führten uns zusammen. Unglaublicherweise gab es von diesem Mann noch keine deutschsprachigen Bücher. Ich war der Erste, der einen Taylor-Titel in Deutsch herausbrachte: „Die Crow“. Für ihn entwickelte ich schließlich eine zweisprachige Buchreihe: „Bilingual Americanistic Books“. Die hier erscheinenden deutsch-englischen Bücher über die materielle Kultur der Plainsindianer wurden weltweit zu Rennern. In Amerika und England wurde man auf meinen Verlag aufmerksam, und Colin Taylor öffnete mir die Tür zum großen „British Museum“ in London, um das bedeutendste Projekt seines Lebens zu realisieren, die Veröffentlichung eines seit 140 Jahren geheim gehaltenen Manuskripts des amerikanischen Malers George Catlin über die O-Kee-Pa-Zeremonie der Mandan-Indianer (eine Fruchtbarkeitszeremonie des mächtigsten Dorf-Indianerstamms im heutigen Nord-Dakota).
Das Buch erschien 1996 zweisprachig und war in der wissenschaftlichen Welt eine Sensation. Es gilt heute noch als die wichtigste Veröffentlichung Taylors, der inzwischen leider nicht mehr lebt. Dieses Buch öffnete mir weltweit Türen. Es folgte die Zusammenarbeit mit der „Colorado Historical Society“ in Denver, sowie mit der historischen Gesellschaft von Pennsylvania. Seither verlege ich auch rein englischsprachige Werke, und wer in einige Museumsshops des Nationalpark-Service in den USA kommt, der findet häufig Bücher des kleinen deutschen Verlags von der Nordseeinsel Föhr, etwa am Little Big Horn in Montana. Zahlreiche amerikanische Mailorder-Buchversender mit dem Spezialgebiet Indianer und Pionierzeit führen meine Buchtitel, ebenso indianische Trading Posts. Der Schlüssel zum Erfolg waren immer persönliche Kontakte in den USA.
Zu diesem Zweck habe ich das Imprint „Tatanka Press“ eingeführt, weil der deutsche Verlagsname für englisch-amerikanische Zungen kaum auszusprechen ist. Es gibt auch eine eigene Webseite für diese Bücher: www.tatankapress.com, und seither haben bei mir einige der wichtigsten amerikanischen und kanadischen Völkerkundler und Historiker veröffentlicht. Der Titel „Sitting Bull’s Pipe“ war sogar für den „Golden Spur Award“ nominiert. Die gerade erschienene Doktorarbeit eines finnischen Wissenschaftlers über indianische Schildbemalungen wurde in den maßgeblichen amerikanischen Fachmagazinen rezensiert.
Ich selbst bin dadurch auch als Autor in den USA bekannt geworden und habe mehrere Artikel in US-Wissenschaftsmagazinen veröffentlicht – es ist eine große Seltenheit, dass solche Magazine einen ausländischen Autor über ihre Pioniergeschichte schreiben lassen; die Amerikaner glauben meist, dass nur sie selbst dazu imstande seien. Ich habe inzwischen auch Vorträge in den USA gehalten; am renommierten St. Olaf College in Minnesota genauso wie vor staatlichen Historischen Gesellschaften.
Das „Magazin für Amerikanistik“ ist noch immer mein „Flaggschiff“. Ich bin zur Zeit allerdings dabei, meine verlegerischen Aktivitäten einzuschränken; ich werde schließlich älter, will selbst wieder mehr schreiben und habe leider keinen Nachfolger. Das macht mir Sorgen.

Kuegler und Frau in den Badlands von South Dakota Zauberspiegel: Die Geschichte des Westens ist eine sehr zwiespältige Sache. Sie geht einher mit Landnahme im kolonialen Stil, Sklaverei und blutigen Kriegen. Es gab viele, so erscheint es uns Laien, ambivalente Persönlichkeiten zwischen Held und Schurke.
Wie spannend ist es, den Geschichten und den Köpfen dahinter auf den Grund zu gehen? Und wie hat sich das Bild der eigenen Geschichte in den USA in den letzten vier, fünf Jahrzehnten gewandelt?

Dietmar Kuegler: Es gab/gibt in den USA eine Phase der „political correctness“, die darauf aus ist, die vielen ethnischen Gruppen zu einigen und möglichst Konfrontationen zu vermeiden. Das ist ein löblicher Vorsatz, der aber manchmal zu einer „historical incorrectness“ geführt hat, weil man hier gelegentlich das Fähnchen nach dem Wind hängt und historische Persönlichkeiten pauschaliert. Geschichte ist aber eine sehr differenzierte Sache. Kein Mensch ist nur gut und nur böse. Wir alle haben beide Elemente in uns. Das war schon immer so. Entsprechend haben Handlungen und Ereignisse auch differenzierte Hintergründe und Folgen.
Die Eroberung des Westens war Kolonialpolitik – nichts anderes als das, was sich auch in Afrika, Asien, Australien und Südamerika abgespielt hat. Kein Kolonialvolk hat sich dabei mit Ruhm bekleckert, um es salopp zu sagen. Die Möglichkeit, sich in der Sturm-und-Drang-Periode vor dem Einsetzen fester zivilisatorischer Strukturen zu bereichern ist verlockend und weckt in den meisten Menschen Raubtierinstinkte.
Als die Sklaverei in Amerika anfing, war sie eine weltweit tolerierte Praxis. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde sie immer umstrittener, und in den USA teilte sie (neben anderen Gründen) letztlich das Land.
Die Indianerkriege mit ihren Exzessen gelten heute vielfach als Ethnozid, sogar amerikanische Historiker sprechen von einem „Jahrhundert der Schande“. Das ist im Grunde aber schon wieder zu pauschal, weil die indianischen Völker ebenfalls sehr differenziert gesehen werden müssen. Es gab sehr friedliche, gastfreundliche Stämme, die gnadenlos ausgenutzt und verdrängt wurden, und es gab Völker, deren tragende Kultursäule die Kriegsführung war und die sich wehren konnten (und sich z. T. erfolgreich wehrten). Letztlich siegte die unermessliche Zahl von Siedlern, die in den Westen drängte, und die Beinahe-Ausrottung der Bisons entzog vielen Völkern die Lebensgrundlage.
Damit beantworte ich schon die Frage nach dem gewandelten Verständnis von der eigenen Geschichte in den USA. Wie überall gibt es auch in Nordamerika unbelehrbare Menschen, die nachweisbares Unrecht nicht einsehen wollen. Die meisten Amerikaner aber bemühen sich inzwischen um eine ausgewogene Sicht. 
Es gibt noch immer Menschen im tiefen Süden, die der Plantagenidylle nachtrauern und die Sklavenhaltung für ein Gebot der Bibel halten. Aber das ist eine winzige Minderheit. Bei den meisten Südstaatlern paart sich der Stolz auf die Vorfahren mit der realen Erkenntnis, dass die Konföderierten Staaten ein politischer Fehler waren, keine Zukunft gehabt hätten, und dass viele wirtschaftliche Probleme des heutigen Südens noch immer auf den Bürgerkrieg zurückgehen, der ebenfalls als Fehler gesehen wird. Sie wissen, dass die ökonomische Basis des Südens schon Anfang der 1860er-Jahre vor dem Kollaps stand und Sklavenhaltung eine moralische Bürde war, die den Süden die internationale Anerkennung kostete.
In den Indianergebieten gibt es diesen Zwiespalt ebenfalls. Es gibt noch immer Menschen, die wir ohne Weiteres als Rassisten bezeichnen können, die voller Vorurteile über Indianer sind und ihnen inzwischen die Erfolge als Spielkasino-Unternehmer neiden. Eine Mehrheit aber bedauert die Art und Weise, wie das Land in Besitz genommen wurde und sieht in den Kulturen der Indianervölker eine Bereicherung für die ethnische Mischung der USA.
Was in Europa wenig beachtet wird: Sehr viele gebrochene Verträge mit den Indianerstämmen sind inzwischen wieder in Kraft. Reaktiviert von den Gerichten des Landes. Ihre Umsetzung erfolgt lediglich nach heutigen Standards. Spezielle Fischereirechte, Jagdrechte, freie Religionsausübung – das alles ist wieder garantiert. Andere Leistungen werden in Dollars abgegolten. Die Indianergebiete werden von den Stämmen autonom verwaltet, mit eigener Stammesregierung, Stammespolizei, Justiz und teilweise sogar Steuerhoheit. Die sozialen Probleme in vielen Reservationen sind nicht vom gegenwärtigen Staat verursacht, auch wenn die Wurzel von manchem Übel in der Kulturzerstörung im späten 19. Jh. zu suchen ist. Sie haben ihren Grund meist in stammesinternen Problemen und wegen des besonderen Rechtsstatus der Reservationen als Treuhandland.
Die amerikanische Mentalität – von der ich in einem früheren Interview sprach – neigt oft dazu, Helden und Schurken miteinander zu vermischen. Ein guter Freund drüben sagte mal: „Ein Mann kann ein Held sein, zum Schurken werden und wieder zum Held aufsteigen.“ Das ist eine vorzügliche Beschreibung. Amerikaner können in ihren Urteilen extrem sein. In jedem Fall gibt es meistens eine zweite Chance. Wer stürzt, kann sich wieder beweisen und auf die Beine kommen. Dann sind seine Missetaten oder Misserfolge meist schnell vergessen.

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