... Bernward Schneider über Todeseis, Spittelmarkt und Flammenteufel
… Bernward Schneider …
… über Todeseis, Spittelmarkt und Flammenteufel …
Ich bin 1956 in der Nähe von Hildesheim geboren und im Hauptberuf Rechtsanwalt
Eines Tages hatte ich den Gedanken, dass es wohl ein paar Geschichten gibt, die ich zum Literaturgeschehen beisteuern könnte, und so fing ich mit dem Schreiben an. Das war Anfang der neunziger Jahre.
Nicht bewusst, aber wenn ich doch den Namen eines Schriftstellers nennen sollte, der mich wahrscheinlich beeinflusst hat, und der in meiner Jugend viel bedeutete, dann Karl May. Er bedeutet mir auch heute noch viel, deshalb bin ich auch Mitglied in der Karl-May-Gesellschaft.
Die Weimarer Republik und Zeit des Nationalsozialismus haben mich von jeher stark interessiert, und besonders die Ereignisse, die am 30. Januar 1933 zu Hitlers Machtergreifung führten, haben mich immer wieder beschäftigt. Die Idee zu Spittelmarkt war dann eines Tages einfach da, und ich schrieb sie auf 5 oder 6 Papierblättern handschriftlich nieder. Alles Wesentliche des späteren Romans war in diesem Entwurf bereits vorhanden.
Der Anwalt Eugen Goltz reist im Auftrag des Bankiers Philipp Arnheim nach New York, um die Scheidung von dessen amerikanischer Ehefrau Florence zu regeln. Goltz reist mit der Bremen und macht auf dem Schiff die Bekanntschaft der ebenso schönen wie undurchsichtigen Artistin Irene Varo. In New York erfährt von einem mysteriösen Pharao, dem Oberhaupt einer okkulten Geheimgesellschaft in Berlin, die mit der nationalsozialistischen Bewegung in Verbindung zu stehen scheint. Kurz darauf kommt Florence Arnheim auf rätselhafte Weise ums Leben. Als Irene spurlos verschwindet, kehrt Goltz nach Berlin zurück. Er muss herausfinden, dass er selbst im Visier des Geheimbundes steht. Angewidert und fasziniert zugleich nähert er sich der Geheimgesellschaft der Brüder und Schwestern vom Licht und macht eine furchtbare Entdeckung
Das ist der Klappentext, mehr möchte ich nicht verraten.
Der Roman spielt vor dem Hintergrund des Reichstagsbrandprozesses im Herbst 1933, nachdem der Reichtstagsbrand selbst ja schon in Spittelmarkt eine Rolle gespielt hat. Anwalt Eugen Goltz erhält einen Telefonanruf. Eilig sucht er seine Mandantin, die Tänzerin Alice Resow, in einem Hotel in der Lietzenburger Straße auf. Doch als er ihr Zimmer betritt, ist sie bereits tot. Goltz beschleicht sofort das Gefühl, in eine Falle gelockt worden zu sein. Im nächsten Moment stürmt die Gestapo in das Hotel, hat aber zu Goltz Überraschung nur Interesse daran, Alice Tod wie einen Selbstmord aussehen zu lassen. Das ist auch das Anliegen des Bankiers Arnheim, der Goltz am nächsten Tag in seiner Kanzlei aufsucht. Noch brisanter sind die Informationen, die Goltz von einer Kollegin der Toten erhält. Der Anwalt beschließt, die Hintergründe des mysteriösen Falls aufzuklären. Eine heiße Spur führt ihn zurück in die Nacht des Reichstagsbrands vom 27. Februar 1933. Aber es gibt auch Spuren, die in eine ganz andere Richtung führen.
Goltz ist ein anwaltlicher Ermittler. Dieser Ermittlertypus steht dem privaten Ermittler und dem Privatdetektiv näher als dem Kommissar. Er unterscheidet sich von dem polizeilichen Ermittler vor allem dadurch, dass er eine größere Nähe zum Täter aufweist. Abgesehen von meiner eigenen beruflichen Nähe zu diesem Ermittlertypus kam ein polizeilicher Ermittler für mich auch deshalb nicht in Frage, weil er dem öffentlichen Interesse zu sehr verhaftet ist. Der anwaltliche Ermittler hat einen großen Vorteil, der ihn vor allen anderen Ermittlertypen auszeichnet: Er unterliegt der anwaltlichen Schweigepflicht und kann dadurch Dinge erfahren und berichten, die einem Kommissar, aber auch einem privaten Ermittler, niemals anvertraut werden würden.
Er schlittert ungewollt in seine Fälle hinein, merkt aber schnell, dass er sich der Herausforderung nicht entziehen kann, weil sie auch ihn selbst etwas angeht. Er hilft sich also selbst, wenn er sich der Aufgabe stellt. Zumal es sich bei der Unternehmung von Goltz um Fälle handelt, die nicht einzeln dastehen, sondern die durch ein großen Ganzes miteinander verbunden sind, also letztlich ein einziger Fall, der sich über mehrere Jahre erstreckt.
Hauptperson des Krimis ist Gladys, die Geliebte eines Londoner Unterweltkönigs. Dieser Mann wird umgebracht. Gladys ist Zeugin des Mordes und muss außer Landes fliehen. Das nächste Schiff, dass sie nach Amerika bringen kann, ist die Titanic, und so kommt es, dass Gladys an Bord ist, als die Titanic am Morgen des 10. April 1912 von Southampton aus in See sticht.
Die Idee zu einem Titanic-Krimi hatte mein Verlag, und das hatte natürlich mit dem 100. Jahrestag der Katastrophe zu tun, aber die Idee stieß bei mir sogleich auf eine große Resonanz. Ich konnte mit dem Thema etwas anfangen.
Der Untergang der Titanic bedeutete für 1507 Menschen einen schrecklichen Tod im eisigen Atlantik, und das Motto »Frauen und Kinder zuerst«, das an den Rettungsbooten ausgegeben wurde, verstellt den Blick darauf, dass keineswegs alle Frauen und Kindern gerettet wurden. Auf der Titanic waren nicht nur Millionäre der ersten Klasse unterwegs, die sich bei ihrem Pokerspiel vom Untergang des Schiffes nicht stören ließen, sondern die Mehrzahl der Passagiere reiste in der dritten Klasse, es waren sehr arme Menschen, die nach Amerika auswanderten. Unter den Menschen, die mit der Titanic untergingen, waren ganze Familien, von denen niemand überlebte, darunter auch allein reisende Frauen mit mehreren kleinen Kindern.
Die Tragödie der Titanic ist ein Beispiel dafür, wie Sicherheit und Vernunft sich den Zwängen der Ökonomie beugen müssen. Daran hat sich ja nichts geändert - im Gegenteil. Der Terror des Geldes wird immer schlimmer. Die Geschichte der Titanic ist daher keine Vergangenheit, sondern ein Mythos, der von Jahr zu Jahr aktueller wird. Die Titanic rast mit zunehmender Geschwindigkeit auf den Eisberg zu, genauso wie vielleicht die ganze Menschheit auf das kollektive Verderben. Nirgendwo ist ein Kapitän zu sehen, der besonnener handeln würde als Kapitän Smith.
Eine starke und selbstbewusste Frau. Außerdem ist sie unkonventionell, was sich auch durch ihre Herkunft aus dem Milieu des Londoner Ostens erklärt. Ihre Schönheit ist ihr Lebensunterhalt. Sie ist der Typus Edelprostitiuierte mit gefährlichen Freunden, eine Fleisch gewordene Männerphantasie, die aber aufgrund ihrer starken Persönlichkeit auch bei Frauen gut ankommt.
Ja, ein Konkurrent ihres Freundes Phil.
Gladys` ermordeter Freund wollte mit John Jacob Astor ins Geschäft kommen und hat sich zu diesem Zweck mit Astor auf der Titanic verabredet. Astor brauchte seinerseits Unterstützung von Londoner Freunden, um sich im New Yorker Vergnügungsgeschäft zu behaupten. Durch Astor erfuhr ein Konkurrent von dem Treffen, der enge Verbindungen zu Phils bestem Londoner Partner unterhielt. Nachdem Phil ausgeschaltet worden war, trat dieser an dessen Stelle, um selbst mit Astor ins lukrative Geschäft zu kommen, und er erfuhr so auch von Gladys, und welche Rolle sie spielte. Sie wird zu einer Gefahr für die Bande und soll sterben.
Ein ehemaliger britischer Offizier und nunmehriger Versicherungsdetektiv.
Er reist im Auftrag der Lloyds Versicherung in London, bei der die Titanic gegen Schäden versichert ist, und soll acht geben, dass es auf der Jungfernreise, die zu einem ungünstigen Zeitpunkt und unter ungünstigen Bedingungen stattfindet, nicht zu Fahrlässigkeiten seitens der Schiffsführung kommt.
Was alle bösartigen Verbrecher eint, ist die Ansicht, dass der Zweck die Mittel heiligt und jeder sich selbst der Nächste ist. Das Leben ist ein Kampf (oder auch eine Art Krieg), in dem es zwangsläufig Sieger und Verlierer gibt. Daher ist alles erlaubt, was zielführend ist. Verzichtet man darauf, unerlaubte Mittel zu benutzen, ist man selbst der Verlierer. Noch schlimmer als dieser Typus sind diejenigen, die glauben, dass die Welt menschliche Opfer braucht. Natürlich nicht sie selbst, sondern andere. Zu dieser Sorte gehört auch der Hauptverbrecher.
Für ein paar Cent sicher nicht, und vielleicht auch nicht die eigene Mutter, aber die meisten Menschen ganz sicher schon, sofern der Preis stimmt.
Raubold ist ein Berichterstatter, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Er erlebt nicht nur den Untergang der Titanic, sondern er hat auch Gladys kennengelernt, sodass er von ihrem Schicksal berichten kann. Durch Raubold hat in einem übertragenen Sinne natürlich auch der Autor von Gladys erfahren, sodass er ihre Geschichte erzählen kann, und nur die paar Details, die auch Raubold nicht kannte, entstammen der Phantasie des Autors.
Das Ende wäre wahrscheinlich anders ausgefallen, wenn die Geschichte nicht auf der Titanic gespielt hätte. Ich habe mit dem Gedanken an ein anderes Ende gespielt, aber schließlich schien mir nur das Ende, wie es sich dann herausgebildet hat, als stimmig.
Es gibt keine bestimmten Vorlieben. Wenn mich eine Geschichte fasziniert, ist es egal, ob sie in der Vergangenheit oder der Gegenwart (oder vielleicht auch einmal in der Zukunft) spielt.
Im Frühjahr 2013 wird der 3. Krimi um den Berliner Anwalt Goltz erscheinen, und wahrscheinlich gibt es irgendwann einen 4. Goltz-Krimi. Außerdem spukt mir die Idee zu einem in meiner Heimatstadt Hildesheim spielenden Kriminalroman im Kopf herum. Mal sehn!
Kommentare
bereits gelesen habe, bin ich durch das gelesene Interview sehr gespannt auf das neue Buch. Mein Freund liest es gerade - und ich muss warten....
www.zauberspiegel-online.de/index.php/-krimi-und-thriller-unter-der-lupe-341/9800-todeseis
lesen.