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Das Kriminalgericht - Sensationsprozesse und deutsche Geschichte

Das Kriminalgericht

Sensationsprozesse und deutsche Geschichte

 

Vier abendfüllende Fernsehfilme, die von Georg Tressler inszeniert wurden, gelangten im Jahr 1964 unter dem Sammeltitel „Kriminalgericht“ zur Erstausstrahlung im ZDF. Nun hat man die sehenswerten Schwarz-Weiß-Schätze, die sich mit sensationellen Gerichtsprozessen, aber auch mit den Gräueln der NS-Diktatur beschäftigten, aus den Archiven geholt und erstmals auf DVD wieder zugänglich gemacht.

Den Filmemacher Georg Tressler (1917-2007) kennt man heutzutage wohl in erster Linie als Regisseur des Jugendfilmklassikers „Die Halbstarken“, mit dem anno 1956 die beiden Hauptdarsteller Horst Buchholz und Karin Baal über Nacht berühmt wurden. Der Film prägte eine ganze Generation und war hierzulande eines der ersten ernsthaften Beispiele, sich mit der Lebensrealität Jugendlicher in der Wirtschaftswunderzeit auseinanderzusetzen. Kurze Zeit später konnte Tressler mit der B.-Traven-Adaption „Das Totenschiff“ dann auch auf dem internationalen Markt punkten, weswegen er bereits 1961 für die US-Fernsehserie „Disneyland“ einen zweiteiligen Film über Leben und Werk Ludwig van Beethovens mit dem seinerzeit auch im Ausland äußerst populären Karlheinz Böhm inszenieren durfte. Georg Tressler blieb dennoch überwiegend deutschen Produktionen verhaftet, wo er sich alsbald in erster Linie Arbeiten fürs Fernsehen widmete. Es entstanden unter seiner Leitung erfolgreiche Fernsehserien wie „Gestatten – Mein Name ist Cox“ mit Günter Pfitzmann oder „Gertrud Stranitzki“ mit Inge Meysel. Im Jahr 1964 führte Tressler schließlich bei den vier abendfüllenden Fernsehfilmen der Reihe „Kriminalgericht“ Regie, die auf Gerichtsakten, Protokollen und historischen Dokumenten basieren und deswegen mitunter in einem semidokumentarischen Stil gehalten sind. Die Spielszenen werden dabei jeweils von einem juristischen Sachverständigen kommentiert.

„Der Fall Krantz“ ist der erste der vier Filme, und die darin behandelte Geschichte dürfte knapp 100 Jahren nach ihrem Geschehen noch immer der eine oder andere kennen. Immerhin hat sie auch Achim von Borries 2004 fürs Kino verfilmt, als „Was nützt die Liebe in Gedanken“, mit den beiden damaligen Newcomern Daniel Brühl und August Diehl in den Hauptrollen. Im Jahr 1927 werden in der Wohnung gutbürgerlicher Leute in Berlin die Leichen von zwei jungen Männern gefunden. Unter dringendem Tatversacht steht Paul Krantz (Bernd Kummer), der mit beiden befreundet war und bei dem man eine Art Bekennerschreiben findet. Gemeinsam mit Günther Scheller (Alexander Paris) hat er einen Selbstmörderclub gegründet und beschlossen, den Rivalen Hans Stephan (Marc Luxemburger), Günthers Schwester Hilde (Eva Maria Gebel) und anschließend sich selbst umzubringen. Vor Gericht muss Krantz nun seine Version des verhängnisvollen Abends glaubwürdig darlegen. „Der Fall Calmette“ aus dem Jahr 1930 ist heutzutage vielleicht nicht mehr ganz so bekannt. Um das gleichnamige Serum, benannt nach dem französischen Immunologen Albert Calmette, hatte es seinerzeit einen großen Skandal gegeben. Denn in Lübeck sollten etliche Kinder mit dem neuen Calmette-Serum gegen Tuberkulose geimpft werden, wobei es zu einem Unglück kam. Über 70 der Säuglinge verstarben daran innerhalb kurzer Zeit. Das Kriminalgericht musste nun herausfinden, was genau hier vorgefallen war und wen von den deutschen Ärzten Prof. Dr. Deycke (Hans Fitze), Prof. Dr. Klotz (Viktor Warsitz) und Dr. Altstaedt (Wolf von Gersum) an dem Fall eine Teilschuld traf.

„Der Fall Nebe“ sticht in vielerlei Hinsicht aus der Reihe heraus. Im Gegensatz zu den ersten beiden Fällen, die jeweils rund eine Stunde lang sind, besteht diese authentische Geschichte aus zwei Teilen, die darüber hinaus noch jeweils rund 90 Minuten lang sind. Außerdem haben die Vorkommnisse hier eigentlich nichts mit dem Kriminalgericht zu tun und spielen fast ausnahmslos außerhalb der Justizsäle (abgesehen von einem kürzeren dokumentarischen Segment vor dem Volksgerichtshof mit dem berüchtigten Roland Freisler als Vorsitzendem). Im Mittelpunkt steht der Reichskriminaldirektor Arthur Nebe (Günther Neutze), der sich früh bei den Nationalsozialisten beliebt macht und die Karriereleiter in der Berliner Kriminalpolizei erklimmt. Autor Hellmut Andics („Bürgerkrieg in Russland“) und der juristische Kommentator Prof. Dr. Eugen Kogon (u.a. Autor des Buches „Der SS-Staat – Das System der deutschen Konzentrationslager“ aus dem Jahr 1946) zeichnen dabei von Nebe ein durchaus ambivalentes Bild, das auch einen Mann voller Gewissensbisse zeigt, der immer wieder versucht haben soll, die von ihm und seinen Männern verlangten Gräueltaten abzuschwächen und deswegen insbesondere zur Entstehungszeit dieser Miniserie als Teil des militärischen Widerstands galt. Von dieser Einschätzung ist man heute zwar wieder abgekommen, aber „Der Fall Nebe“ schildert dennoch anschaulich und durch viele wertvolle historische Aufnahmen untermauert, wie sich während der NS-Zeit Kriminalpolizei und Gestapo feindlich gegenüberstanden.

Alle vier Fernsehfilme der Reihe „Kriminalgericht“ sind von Georg Tressler kurzweilig und informativ in Szene gesetzt worden. Mit einer ganzen Reihe überaus talentierter Theater- und Fernsehschauspieler ist ihm hier die Bebilderung einiger authentischer Fälle geglückt, die sich auch heute noch des Interesses der Zuschauer sicher sein können. Dabei sind alle drei Fälle inhaltlich überaus verschieden und fordern ihr Publikum heraus, sich selbst ein Urteil über die Angeklagten zu bilden. Spannend am „Fall Calmette“ ist beispielsweise auch, dass er aufgrund des großen öffentlichen Interesses nicht in einem Gerichtssaal, sondern in einer Turnhalle verhandelt wurde und es währen des Prozesses auch zu einem Lokaltermin im Labor des Impfarztes kam. „Der Fall Nebe“ ist fraglos der nach wie vor komplexeste und spannendste der drei Fälle, der ganz nebenbei auch jede Menge interessanter Fakten über den Zweiten Weltkrieg transportiert. Jeder geschichtlich oder kriminalistisch interessierte Mensch sollte sich diese rare Serienausgrabung nicht entgehen lassen. Die DVD-Erstveröffentlichung wartet mit einem weitgehend guten Bild (im Vollbildformat 1,33:1) auf. Der deutsche Originalton (in Dolby Digital 2.0) ist ebenfalls in Ordnung, wenngleich einige Passagen, die mit Setton aufgenommen wurden, etwas schwer zu verstehen sind. Extras sind keine vorhanden.

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