Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Hic sunt dracones

Hic sunt draconesHic sunt Dracones

Wie heißt sie nun, die Bemerkung auf der Karte von Lenox - bezieht sie sich nun auf Drachen? Oder doch auf Dragonier, wie ebenfalls vermutet werden kann.
"hic sunt dracones"

So beliebt der Begriff in den verschiedenen Sprachen ist, z.B. "Here there be Dragons" gerade im angloamerikanischen Raum, so wenig historisch tatschlich belegt ist dieser Begriff.

Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass diese Aufschrift immer dann auf Karten auftaucht, wenn die Gestalter der Karte auf die Tatsache hinweisen wollten, dass es sich um unbekanntes Land handelte, in dem Monster vermutet werden.

Es gibt nur eine einzige (bekannte) historische Karte, auf der die lateinische Aufschrift "HC SVNT DRACONES" - also "hic sunt dracones" auftaucht:

Es ist eine Karte, die einen im Durchmesser nur knapp 13cm umfassenden Globus bedeckt: Den legendären Lenox Globus.
 
Der Weg hin zu diesem Thema war abenteuerlich: In vielen Büchern, egal ob Fantasy oder Historisch, finden sich Landkarten unterschiedlichster Qualität. Ich las im Bericht über die Spiel 2008 über den Campaign Cartographer, eine Software zum Erstellen von Landkarten, und versuchte mich, gemeinsam mit einem anderen Mitarbeiter, darin. Für mich gehört zur Praxis immer auch ein gewisses Maß an Theorie, also enterte ich das Internet mit der Suche nach Hintergrundinformationen über die Geschichte der Landkarten, kam auf den Themenbereich "Handel und Kultur" und so ging es weiter. Als dann das Buch "Here there be Dragons" in meine Finger geriet, landete ich bei dem Begriff "Hic sunt Dracones". Selbstverständlich hatte ich angenommen, dass der Mythos, Kartenzeichner hätten diesen Begriff in der Tat zur Kennzeichnung der "Terra Incognita" in großem Stil verwandt. Interessant war es dann, auf die Widersprüche zu stoßen - und auf den Lenox Globe, Urheber einer Phrase, die sogar Eingang ins Coding gefunden hat.
 
Dieser Globus erhielt seinen Namen nach seinem seiner Besitzer, James Lenox, einem New Yorker, der als großer Menschenfreund und Förderer bezeichnet wird. Wer die Weltkugel hergestellt hat, ist unbekannt. Als Sohn eines reichen schottischen Kaufmannes erbte Lenox neben einigen Millionen auch wertvolle Grundstücke in New York. So konnte er es sich leisten, sein Leben mit dem Sammeln von Büchern und Kunstgegenständen zu verbringen – darunter eben der nach ihm benannte Globus. Aus seinem Besitz erwuchs die New Yorker Bibliothek.
 
Lenox kam mehr oder weniger durch Zufall in den Besitz des Globus. Ein guter Bekannter von Lenox entdeckte diesen Globus mehr oder weniger durch Zufall bei einem New Yorker Architekten, den er in dessen Privathaus besuchte. Die Kinder des Architekten spielten auf dem Boden mit einer Kugel herum, die sie von ihrem Vater erhalten hatte. Dieser hatte die Kupferkugel 1855 in Frankreich gekauft und festgestellt, dass man sie am Äquator wie eine Schachtel öffnen konnte und sie innen hohl war. Aufgrund der Begeisterung der Kinder hatte er sie ihnen gegeben. Stevens, so hieß der Gast, dem die Besonderheit dieser Kugel bewusst wurde, war auf den ersten Blick klar, dass es sich bei dem Stück um eine wirklich außergewöhnliche Entdeckung handelte. Um sich zu vergewissern, dass er mit seiner Vermutung richtig lag, bat Stevens darum, den Globus mitnehmen zu dürfen. Er zeigte ihn einigen ausgewählten Historikern, die seine Vermutung bestätigten1.
 
In der Tat war diese „Kugel“ etwas ganz Besonderes: Aus dem Kinderspielzeug ist inzwischen eine historische Rarität und Sensation geworden, gilt der Lenox-Globus doch als die älteste noch erhaltene Weltkugel der nachkolumbianischen Ära. Er ist der zweit- oder drittälteste Globus weltweit, in seiner Bedeutung vergleichbar mit dem sogenannten „Erdapfel“ von 1492.  In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts hergestellt, erinnert er in seinen Darstellungen stark an den sogeannten „Globus Jagellonicus“, der ebenfalls aus diesem Zeitraum stammt. Dieser Globus ist in Krakau, an der Jagellon Universität in Polen beherbergt, was ihm auch zu seinem Namen verholfen hat. Der Globus Jagellonicus jedoch ist in eine astronomische Uhr eingebunden. Dass es mehr als diese beiden Globen gegeben haben muss, nimmt man anhand dreier „Broschüren“ aus dem Jahr 1509 an, die sich mit Weltkugeln beschäftigen und diese erwähnen. Erhalten geblieben aus dieser Epochs sind eben nur diese beiden. Gefolgt werden sie von dem sogenannten „Green Globe“ und dem Globus von Johannes Schröder (1515).
 
Aufgrund der Befestigungspunkte an zwei gegenüberliegenden Stellen kann man davon ausgehen, dass der Globus einmal eine Achse besaß, vielleicht sogar Teil einer astronomischen Uhr war.
 
Diese Erdkugeln und die Verbindung zwischen ihnen ist die Frage: Wann und wie verbreitete sich die Kunde über den Fund der amerikanischen Kontinente und wie wurden sie auf Karten dargestellt. Sehr früh nach seiner Entdeckung (ein Buch nur 80 Jahre nach der Entdeckung des Lenox Globus) galt dieser als eine "reaction against the theory that it would be possible to walk westward from Cuba to Spain dry-shod“2.
 
Auf dem Lenox Globus berühren sich Japan und Südamerika fast. Südamerika, auf der Karte als „Mundus Novus“ bezeichnet, grenzt im Norden an drei Inseln: „Zipangu“ (Japan), Cuba (damals „Isabel“ genannt) und „Spaniola“, heute Haiti. Bereits vier Jahre später wird die amerikanische Region südlich des Äquators auf Karten auch tatsächlich als „Amerika“ bezeichnet. Aus dem Jahr 1514 gibt es eine Karte, die man Leonardo da Vinci zuschreibt, und auf der zwei große Inseln nördlich und südlich des Äquators, die gemeinsam die Kennung „Amerika“ tragen. Europa ist nicht sehr detailliert dargestellt, die Umfassungslinien des Kontinents sind eher grob und fassen Portugal, Frankreich und die britischen Inseln als Einheit zusammen. Dies deutet darauf hin, dass es nicht primär darum ging, eine möglichst exakte Darstellung des Bekannten zu bieten, sondern eher die neuen Entdeckungen irgendwie einzuordnen.
 
Fast vollständig hingegen fehlt die ansatzweise korrekte Abbildung der Ostküste Nordamerikas. Das wird mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit daran liegen, dass dem Schöpfer des Globus zwar die Kenntnisse über die Forschungen der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert in Südamerika vorlagen (Amerigo Vespuci teilte 1503 seinem Finanzier Lorenzo de Medici in einem Brief Erfahrungen von seiner dritten Reise mit). Es gibt eine ganze Reihe von Inseln, die ohne Namensbezeichnung sind, und die aufgrund ihrer Maße und Form nicht zuzuordnen sind. Sie liegen im Indischen Ozean und könnten ebenso Australien wie Java darstellen.
 
Sehr schnell verändert sich in dieser Zeit das Wissen des europäischen Menschen über die Welt westlich des Horizonts. In München beispielsweise wurde die Entdeckung des Columbis im März 1493 bekannt, so konnte der „Erdapfel“ von Martin Behaim (Nürnberg, 1492) noch gar keine ausfeilten Informationen über den neuen Kontinent enthalten, der Lenox Globus und der Globus Jagellonicus geben deutliche Hinweise auf die damalige Kenntnis der „Neuen Welt“. Magellan und seine Reise rund um die Welt in den Jahren 1519-1522 bewies, dass Amerika und Asien viel weiter voneinander entfernt lagen, als man angenommen hatte. Dies ermöglichte dann auch wieder eine frühere Datierung der verschiedenen angesprochenen Globen. Spanische und Portugisische Seefahrer entdeckten und kartographierten die Küsten von Südamerika. Weniger  genau wurde die von Nordamerika ebenfalls erfasst.

Anhand verschiedener Details war es also möglich, den Globus zeitlich zu platzieren. Auf dem Lenox Globus ist die „Terra Sanctae Crucis“ vermerkt, eine damals verbreitete Bezeichnung für die Küste Südamerikas. Da diese erst 1500 erforscht wurde, kann der Globus erst nach dieser Zeit entstanden sein. Weitere Hinweise zur Datierung und Einordnung der Karte sind weitere Besonderheiten, nicht zuletzt die bereits erwähnte Beschriftung „HC SVNT DRACONES“.

Überhaupt war es dem Schaffer des Globus wichtig zu zeigen, dass gerade Asien eine gefährliche Gegend gewesen sein muss. Schiffe und Meeresungeheuer gehen einher mit Schiffwracks. Da Costa, ein Historiker, die damals als einer der Ersten die Gelegenheit hatte das Stück zu begutachten, schreibt über die “Drachenbeschriftung”:
 

In this region (i.e. China, called East India on the globe) near the equatorial line, is seen Hc Svnt Dracones, or here are the Dagroians, described by Marco Polo as living in the Kingdom of Dagroian.  These people... feasted upon the dead and picked their bones (B.II. c.14, Ramusios ed.)3

 
 
Da Costa nimmt hier ganz deutlich Stellung zur Art und Weise, wie diese Beschriftung seiner Meinung nach zu interpretieren ist: Er sieht darin eine Erwähnung der Dagronier, die Maro Polo bereits beschrieben hatte.
 
Die Dragonier werden von Marco Polo als ein Königreich beschrieben, das von einem Prinzen regiert wird. Dort würde man eine eigenartige Sprache sprechen. Offenbar, zumindest schreibt Marco Polo dies so, haben sie sich der Oberherrschaft des großen Khan unterworfen. Seine Schilderung des Volkes als kulturlos und unzivilisiert rührt vor allem von der Tatsache her, dass sie Götzenbilder anbeten, Zauberer und Beschwörer holen um Kranke zu heilen, und dass sie bei Todkranken eine Form von aktiver Sterbehilfe praktizieren: Sie halten den Kranken Mund und Nase zu um sie zu ersticken. Während mir dies durchaus vorstellbar erscheint, beschreibt Marco Polo weiter, dass die so Getöteten als Speise für die Hinterbliebenen zubereitet werden. Vom Körper des Toten dürfe nichts übrig bleiben, sonst würde die Seele des Verstorbenen bestraft werden. Die Knochen, so Marco Polo, würden gesammelt und in eine Höhle in den Bergen gebracht werden, wo man sie zur Ruhe bettete4.
 
Der Begriff der Dragoianer taucht in unterschiedlichen Ausgaben der Bücher von Marco Polo in verschiedenen Schreibweisen auf, darunter auch unter der Bezeichnung Dagoyam oder Deragola. Es ist nicht vollständig klar, welche Region damit gemeint ist, viele Historiker und Forscher sehen darin eine Region im Osten einer Insel, die als Indragiri oder Andagiri bezeichnet wird. Beim Versuch dieses Königreich, Marco Polos bezeichnet es als eines der acht Königreiche, zu lokalisieren, gelangte man zu dem Schluss, dass es sich wohl um eine Region auf der Insel Sumatra gehandelt haben soll5.
 
Wäre dies der Fall, würde sich der Satz „Hic sunt dracones“ tatsächlich auf die Dragoianer beziehen, hätte sich der Globus in der Platzierung desselben geirrt. Denn wie bereits erwähnt ist im Kupfer des Lenox Globus diese Region an der Ostküste Asiens eingraviert. Ist es nun so, dass der Begriff nur auf dieser Karte auftaucht, oder ist er (durch eine Laune der Geschichte) nur einfach der einzig erhaltene Globus, der diese Aufschrift trug?! Eigentlich schade, zu schön ist die Vorstellung, dass die Kartenmacher an jenen Stellen, die unbekannt, bedrohlich und unerforscht waren, "Hic sunt Dracones" schrieben, sozusagen als Warnung und Hinweis darauf, dass man sich dort in eine "Terra Incognita" begab.
 
In der Tat tauchen auf dem Lenox Globe Seemonster auf, die sich beispielsweise von der weitgehend unbekannten westlichen Welt auf Portugal hin bewegen. 


Quellen:

1 Henry Stevens, Recollections of Mr. James Lenox of New York and the Formation of His Library (1886)
2
John Fiske, The Discovery of America, Volume II, Kessinger Publishing, 2005
3 da Costa, "The Lenox Globe," Magazine of American History, vol. 3, no. 9, Sept. 1879
4
Marco Polo, The Travels of Marco Polo, , Veröffentlicht von Cosimo, Inc., 2006

Eine hervorragende Beschreibung des Globus, vor allem auch der Darstellung der Kontinente und eine Diskussion der daraus resultierenden Bedeutung findet sich: Hier (Link öffnet sich in einem neuen Fenster und verlässt die Seiten von Zauberspiegel).

 

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles