Ein Dampfschiff gerät in Brand
Ein Dampfschiff gerät in Brand
Hilflos trieb M. Clemens, der erste Maschinist des Dampfschiffs, auf dem Erie-See und musste mit ansehen, wie die "Erie" ausbrannte.
An Bord des Schiffs hat sich auch jener Mann befunden, der dank Theodor Fontanes Ballade als "John Maynard" in die Literatur einging.
Nachdem ich auf der Buchmesse ein Bilderbuch, herrlich illustriert, mit der Ballade entdeckt hatte, war meine Neugierde auf den Hintergrund der Geschichte geweckt.
Am Kai von Buffalo bricht das Dampfschiff Erie zu seiner üblichen Fahrt auf. Sie soll über den Erie See hinauf nach Detroit und von dort aus über die Verbindungslinie der "St. Clair-Straße" sowie die beiden anderen großen Seen nach Chicago.
Dies entsprach der üblichen Schifffahrtsroute, die so die Umrundung der Great Lakes umgehen sollte und die wichtigen Städte Buffalo, Detroit, Chicago miteinander verbinden.
Buffalo war die östlichste Anlegestelle im Lake Erie, in unmittelbarer Nähe der Niagara-Falls, die den Lake Ontario von den vier Schwesterseen (Lake Erie - Lake Huron mit Georgian Bay - Lake Michigan im Südwesten und Lake Superior im Norden) abtrennen.
Von Buffalo aus konnte man über die Seen die (Industrie-) Städte Cleveland, Toledo und Detroit am Ufer des Erie-Sees erreichen, bevor man den kleinen St. Clair-Lake und den St. Clair-River durchqueren und in den Lake Huron einfahren konnte. Damals wie heute weniger mit bedeutenden Städten an seinen Ufern, ist er doch der "Mittler" zwischen Lake Michigan mit Chicago und Milwauke und dem Lake Superior, der als Wasserstraße wenig Bedeutung hat(te), da an seinem Ufer kaum Industriestädte lagen.
Die Erie war zur damaligen Zeit eines der stattlichen Dampfschiffe. In den USA waren Dampfschiffe vor allem für den Verkehr auf den Great Lakes von Bedeutung, da sie, wie bereits erwähnt, die Möglichkeit bot, die langen Landwege entlang der Uferrouten der großen Seen zu umgehen. Die Lakes waren auch die ersten Seen, die in den USA von Dampfschiffen gequert wurden. 1807 begann auf dem Lake Ontario die Dampfschifffahrt2 mit einem Dampfschiff, das ein Ingenieur namens Fulton konstruiert hatte.
In einem kleinen Newsclipping des Buffalo Daily Journal wird beschrieben, dass die Erie dazu in der Lage war, die Wasserstrecke Buffalo - Chicago (immerhin über 2.100 Kilometer) in vier Tagen zurück zu legen. Wieviel Zeit mit den Stops an insgesamt zehn auf der Strecke liegenden Häfen zugebracht wurde, die dem Be- und Entladen von Passagieren und Transportgütern sowie dem Nachladen von Holz zur Befeuerung der Maschinen verwendet wurde, ist nicht festgehalten.
Die Erie war ein Dampfschiff einer weiterentwickelten Generation, mit stattlichen 497 Tonnen Gewicht und einer 30 Mann starken Besatzung. Es war ein Seitenraddampfer, versehen mit großen Schaufelrädern auf beiden Seiten eines schlanken, langgezogenen Rumpfes (anders als die Schaufelraddampfer des Missisippi, die man vielleicht beim Gedanken an Dampfschiffe vor Augen hat, vergleichbar vielleicht mit der weiter unten abgebildeten "Earl of Liverpool"). Wie alle Raddampfer der damaligen Entwicklungsperiode hatte auch die Erie noch 2 Masten für Segel und lediglich einen Schornstein in der Mitte des Schiffs. Eines der großen Probleme - da eine stete Gefahr für Brände - waren jene Übergangsstellen zwischen den Metallkonstruktionen wie Dampfkesseln oder Schornsteinen und den Holzkonstruktionen (z.B. alle Deckaufbauten und Böden). So war es auch hier.
Knapp vier Stunden nach dem Ablegen in Buffalo hatte die Erie die Nähe des Ortes Silver Creek im State New York erreicht und war noch etwa 13 Kilometer von der Anlegestelle entfernt.
Ein Überlebender, Andrew Blila, beschreibt was dann geschah:
Mr. Blila hielt sich im Quartier der Steuerleute auf und bereitete sich für die Nacht vor, gemeinsam mit einem Steuermann. Beide hörten mit einem Mal ein Geräusch, das Andrew Blila als so ungewöhnlich empfand, dass er seinen Begleiter darauf ansprach. Dieser beruhigte mit der Bemerkung, dass wahrscheinlich nur ein Boilerkopf abgeplatzt wäre oder ähnliches.
Allerdings hielt das Geräusch an - eine Mischung aus Brüllen und Krachen, vermischt mit dem Trampeln von Füßen. Wieder sprach Blila es an, der Seemann jedoch versuchte den Jungen zu beruhigen. (...) Andrew Blila ging zur Kabinentür, öffnete sie und fand sich einer soliden Feuerwand gegenüber. (...)
Blila hatte es dem Mann zu verdanken, dass er mit dem Leben davon kam - als einer von wenigen. Der Mann nahm eine Decke, die er als Schild vor Flammen und Hitze weit vor sich und über seinem Kopf hielt. Mit der Anweisung, dass der Junge sich direkt hinter ihm halten sollte, stürzte er sich durch die Flammen. Nachdem sie aus der direkten Bedrohung der Flammen entkommen waren, warf der Seemann einige Planken über Bord, die auf dem Deck gelegen hatten, und wies den Jungen an hinterher zu springen.
Tatsächlich wurden die beiden gerettet - sie gehörten zu den letzten, die von einem Boot aufgenommen werden konnten.
Andrew Blila selbst kam so gut wie unverletzt davon, der Seemann jedoch starb wenige Tage nach ihrer Rettung an den schweren Verbrennungen, die er erlitten hatte3.
Die Erie war voll beladen mit Gütern und Passagieren, sie hatte den ganzen Weg nach Chicago vor sich. An Bord befanden sich nach unterschiedlichen Zahlenangaben zwischen knapp 200 bis rund 300 Personen, darunter neben der Mannschaft eine ganze Reihe deutsch-schweizerischer Auswanderer (der Schiffseigner nannte eine Zahl von etwa 150), die per Schiff in die westlichen Regionen der Lakes reisen wollten.
Zur Zeit der Explosion war der Kapitän des Schiffes auf dem Oberdeck. Als ihm klar wurde was geschehen war, eilte er - seinen eigenen Angaben zufolge - zur Kabine der weiblichen Passagiere. An Bord befanden sich nur etwa 60 bis 100 Rettungswesten, die zu allererst für die Frauen vorgesehen waren. Allerdings hatte sich das Feuer mit solcher Geschwindigkeit ausgebreitet, dass er die Kabine nicht mehr betreten konnte.
Es gab keine Möglichkeit den Brand zu löschen, die Maschinen des Schiffs waren nicht erreichbar, so konnte man vom Maschinenraum aus die Maschinen nicht stoppen. Einzig die Rudergänge waren frei, also gab der Kapitän Befehl zum harten Kurswechsel. Man versuchte das Ufer zu erreichen.
Gleichzeitig ließ man die Rettungsboote zu Wasser. Nur ein einziges konnte mit Passagieren bestückt werden - die anderen kenterten und liefen voll Wasser. Inzwischen waren ein Teil der Passagiere und Mannschaft bereits von Bord, in Schwimmwesten, auf Planken oder anderen treibenden Stücken des Schiffs, teilweise auch ohne alle Hilfsmittel. Augenzeugen, die sich am Ufer des Sees aufhielten, beschrieben, dass man überall Köpfe aus dem Wasser ragen sehen konnte.
Zum Glück für die wenigen Passagiere, die sich von Bord hatten retten können, war ein weiteres Dampfschiff in ihrer Nähe. Aufgrund des schlechten Wetters hatte die Clinton ihre Fahrt unterbrochen und war vor Anker gegangen. Als bei abflauendem Wind die Reise wieder aufgenommen worden war, hatte man gegen zehn Uhr das Feuer entdeckt und war der Erie zu Hilfe gekommen.
(...) It was a fearful sight. All the upper works of the Erie had been burned away. The Engine was standing, but the hull was a mass of dull, red flame. The passengers and crew were floating around, screaming in their agony and shrieking for help. (...)4
Die hastig herabgelassenen Rettungsboote der Clinton nahmen alle Passagiere auf, deren man in der Dunkelheit habhaft werden konnte. Ein zweites Schiff kam von Dunkirk und unterstützte die Rettung. Gegen ein Uhr Nachts waren die Deckaufbauten der Erie so weit herunter gebrannt, dass die Leute der Clinton sie nur noch als eine "Linie" ausmachen konnten. Man versuchte das Wrack noch in den nächsten Hafen zu schleppen - die Erie, oder besser das was von ihr übrig geblieben war, sank jedoch zuvor.
Man kappte die Seile, und gegen sechs Uhr hatte die Clinton den Hafen erreicht.
Zum Ausbruch des Feuers gab es unterschiedliche Mutmaßungen. Die Tatsache, dass das Feuer nicht direkt vom Kesselraum ausging und die Art der Explosion ließ darauf schließen, dass nicht die Technik versagt hatte. Ebenso schien aufgrund des sich rasend schnell ausbreitenden Feuers menschliches Versagen der Schürer im Maschinenraum auszuschließen.
Eine mögliche Erklärung waren die erst kürzlich beendeten Renovierungsarbeiten an der Erie. Dabei wurde das Schiff einer Generalüberholung unterzogen, der Rumpf neu farbversiegelt und auch die Holzplanken der Decks. Es wurde vermutet, dass die Farben noch nicht ausreichend abgetrocknet waren und durch die Hitzentwicklung in der Nähe von Maschinen und Schlot in Brand gerieten.
Ebenso wurde behauptet, dass das Holz des Zwischendecks nicht ausreichend gegenüber dem Dampfkessel des Schiffs abisoliert worden war. Hinzu kam offensichtlich, dass sich unter den Passagieren einige Mitarbeiter einer Firma befunden, die mit der Instandsetzung von Dampfschiffen ihr Geld machte. Sie waren auf dem Weg von Buffalo nach Erie, um dort das Schiff Madison zu streichen.
Sie hatten alle Materialien bei sich, unter anderem auch hochexplosive und stark brennbare Farben, Verdünner und Terpentin. Diese stellten sie in Korbflaschen in direkter Nähe der nicht ausreichend abisolierten Stellen ab. Durch die Hitzeentwicklung gerieten sie in Brand - Flüssigkeiten, die sich überall auf den Schiffdecks verteilten und die Flammen mit sich nahmen5.
Ein Mr. Tann, Passagier der Erie, berichtet von der Explosion im Hew-Hampshire Sentinel:
(...) He was walking on the promenade deck at the time, in company with a young lady (Miss Shearman) and had just reached the point above the boiler deck, where the demijohns of turpentine were, when the explosion took place. The explosion - which sounded like the puff of a high pressure boat, but not so loud - was followed by the ascension of a volume of dense black smoke, which our informant likened to a cloud of coal dust. Without feeling much alarmed, he stopped for an instant, when the smoke was directly succeeded by a column of red, lurid flame - communicating, in an instant, to every thing combustible - cracking the sky lights by its intense heat - and filling up the space, between decks, with what appeared to be a dense red flame6
Zunächst einmal ist John Maynard eine literarische Figur. In der Ballade um John Maynard, den heroischen Steuermann, benennt Theodor Fontane den Steuermann des Dampfschiffes Schwalbe mit diesem Namen. Er war an Bord als das Schiff auf seinem Weg von Detroit nach Buffalo (also die umgekehrte Strecke als in der Ursprungsgeschichte) in Brand geriet.
Und in der Tat gab es an Bord der "Erie" einen ähnlich heldenhaften Matrose, dem es zu verdanken ist, dass nicht noch mehr Menschen an Bord starben. Als das Feuer ausbrach, stand Luther Fuller in Dienst. Fuller stammte aus der Gegend von Buffalo, wird in manchen Quellen als "Steuermann" bezeichnet, in anderen als "Rudergänger". Der Unterschied, so wurde ich aufgeklärt, besteht in der Verantwortung: Während der Steuermann für die Führung des Steuers verantwortlich zu zeichnen hat, ist der Rudergänger der Mensch, der während seiner Wache seine Hände am Ruder hat. In vielen Fällen - vielleicht auch hier - wird dies identisch gewesen sein.
Der Kapitän berichtet in der nachfolgenden Untersuchung, dass er Luther Fuller angewiesen habe, das Steuer hart in Richtung Ufer zu legen um möglichst nahe an das rettende Land zu kommen, ein brennendes Dampfschiff war kaum mehr zu retten, schon gar nicht in einer solchen Sitaution.
Offenbar harrte Fuller tatsächlich aus, ebenso übrigens wie der größte Teil der anderen Mannschaft. Währenddessen waren laut verschiedener Berichte die übrigen Mitglieder der Mannschaft damit beschäftigt, die Passagiere zu retten, die Geschwindigkeit des Schiffs doch noch irgendwie zu drosseln - was anhand des Feuers ein Ding der Unmöglichkeit war. Wie bereits oben beschrieben waren zwei der drei Rettungsboote umgeschlagen und voll gelaufen, nur eines - das Kleinste der drei - konnte erfolgreich zu Wasser gelassen werden. Dann arretierte das Steuerruder und die Erie war nicht mehr lenkbar.
Hier nun unterscheiden sich die Berichte: Während Kapitän Titus berichtet, dass Fuller auf seiner Position ausharrte und dort den Tod fand, berichtet einer der Überlebenden, der bereits oben vorgestellte Mr. Blila, dass Fuller mit schweren Verbrennungen über Bord gesprungen war nachdem klar war, dass das Ruder nicht mehr zu beeinflussen war. Blila, damals Laufbursche auf der Erie, war später lange Jahre ein vielgeachtetes Mitglied verschiedener historischer Gruppen der Region Buffalo. Tatsächlich taucht in einem Register ein alter Mann anderen Namens auf, der von sich selbst behauptet während des Brandes der Erie am Ruder gestanden zu haben.
Dazu verweise ich auf die Rezension zu dem Buch aus dem Kindermann-Verlag, die heute gleichzeitig hier erscheint.
1 Bericht des Augenzeugen M. Clemens, veröffentlicht in der New-Hampshire Patriot and State Gazette, Concord, USA, August 26, 1841, Vol. XXXII, No. 1681; New Series Vol. VIII, No. 351, p. 3, column 4
2 Meyers Großes Konversations-Lexikon, Ausgabe von 1906
3 http://homepage.mac.com/joel_huberman
4 THE NIAGARA COURIER-EXTRA., Lockport, Thursday Morning, August 12, 1841
5 George Salomon Wer ist John Maynard? - Fontanes tapferer Steuermann und sein amerikanisches Vorbild, Fontane Blätter, Heft 2, 1965,
6 The New-Hampshire Sentinel, Keene, New Hampshire, USA, 8. September 1841
1-4 Karl Radunz, 100 Jahre Dampfschiffahrt 1807-1907,Schilderungen und Skizzen aus der Entwicklungsgeschichte des Dampfschiffes, Rostock, 1907
5 Theodor Fontane, Gedichte von Theodor Fontane. J. G. Cottasche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin, 10. Auflage, 1905
6 Theodor Fontane, Illustrationen von Tobias Krejtschi, John Maynard, Poesie für Kinder, Kindermann Verlag
Scientific American, 21.10.1848, Volume 4, Issue 5, p. 35
http://homepage.mac.com/joel_huberman bietet eine beeindruckende Kollektion an Originaltexten aus der örtlichen Presse sowie deutsche Quellen und Begleitmaterial zum Thema Dampfschifffahrt.
Victoria Brehm, Sweetwater, Storms, and Spirits: Stories of the Great Lakes, University of Michigan Press, 1991
Kommentare
Ist irgendwie gruselig, das dieser Artikel einen Tag
vor diesem schweren Busunglück veröffentlicht
wird. Erschreckend wieviel Ähnlichkeit in den beiden
Vorkommnissen steckt.
Klar, es ist nicht so spektakulär wie Titanic oder Hindenburg, aber darum geht es ja auch gar nicht.
Es sind viele Menschen gestorben auf diesem Schiff - wie es übrigens jede Menge Schiffe gab, die auf den Great Lakes verunglückt sind.
Mir hat diese Geschichte und die des Busses eigentlich nur wieder deutlich gemacht, dass es jeden Moment "soweit" sein kann.
Harantor fragt: Welche denn?
Schade das der tot ist!!!!!!!!!!