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Charles Robert Saunders: Taufpate für „Sword and Soul“

Charles Robert Saunders: Taufpate für „Sword and Soul“

Poul Anderson veröffentlichte 1978 seinen Aufsatz „On Thud and Blunder“, in dem er sich mit Problemen der Heroic Fantasy auseinandersetzt. Auf Deutsch erschien dieser Beitrag 1981 in der Sammlung „Das Tor der fliegenden Messer“. Bevor Anderson an verschiedenen Punkten die weitgehende Ahnungslosigkeit der Autoren behandelt, widmet er sich auch einen Absatz lang den Hintergrundwelten:

„Die meisten HF-Kulturen beruhen auf alten europäischen Kulturen und sind oft ein Mischmasch aus dem römischen Imperium, dem Mittelalter und der frühen Neuzeit, garniert mit einem Schuss pharaonischen Ägyptens, asiatischer Nomaden und weiß Gott was sonst noch. Das ist an sich nicht schlecht. Howard hatte viel Erfolg mit dieser Mischung, und in der Tat war ja der westliche Teil des Eurasischen Kontinents während der Völkerwanderung ein wahrer Schmelztiegel, wenn man das byzantinische Reich als den zivilisierten Kern des Christentums betrachtet. Ich glaube aber, dass die Zeit gekommen ist, nach Inspirationen aus anderen Milieus zu suchen: aus dem Orient, aus dem Nahen Osten, aus Nord- und Schwarzafrika, aus der indianischen und polynesischen Tradition, aus der ganzen Welt – und ich freue mich, dass einige Autoren bereits damit begonnen haben.“

Einer dieser Autoren war ohne Zweifel Charles Robert Saunders. Saunders wurde am 3. Juni 1946 in der kleinen Stadt Elizabeth in der Nähe von Pittsburgh geboren. 1968 verließ er die Universität von Lincoln mit einem Abschluss in Psychologie. Ein Jahr später erhielt er seine Einberufung nach Vietnam. Saunders tat das, was viele junge Amerikaner in seiner Lage taten: er ging nicht nach Vietnam, sondern nach Kanada - und dort blieb er für den Rest seines Lebens.

Charles Saunders war ein großer Fan von Robert E. Howards Heroic Fantasy und Edgar Rice Burroughs’ Tarzan. Allerdings fiel ihm bald auf, dass alle Helden seiner Vorbilder weiß waren und Farbige fast immer nur einen Platz auf der Schurkenseite hatten. Wenn Charles Abenteuer eines farbigen Helden lesen wollte, musste er sie schon selbst schreiben!

Und das tat er dann auch. 1974 veröffentlichte Charles Saunders die Kurzgeschichten „Kibanda Ya Kufa: The Hut of Death“ und „The City of Madness“, die ersten beiden Geschichten um den Ilyassai-Krieger Imaro. Nach weiteren Abenteuern mit dem Krieger erschuf Saunders noch in der Geschichte „Agbewe‘s Sword“ die Amazone Dossouye, deren Abenteuer auf dem gleichen Kontinent Nyambani („Heimat“ auf Swahili) spielten wie die Imaros. Drei von Saunders‘ Kurzgeschichten kamen beim Verlag DAW in Anthologien unter: Lin Carter nahm „The City of Madness“ in die Sammlung „The Year’s Best Fantasy Stories: 1975“ auf, „The Pool of the Moon“ schaffte es in „The Year’s Best Fantasy Stories: 1977 und Jessica Almonson wählte „Agbewe’s Sword“ für ihre Sammlung „Amazons!“ aus. Alle drei erschienen 1981 auf Deutsch: „Die Stadt des Wahnsinns“ in Terra Fantasy 81 „Tempel des Grauens“, „Der Mondteich“ in Terra Fantasy 88 „Der dunkle König“ und „Agabewes Schwert“ in „Amazonen!“ bei Bastei.

Dabei sollte es allerdings bleiben. Donald Wollheim, damals in leitender Position bei DAW, überzeugte Saunders, seine bisher erschienenen Kurzgeschichten zu überarbeiten und in Romanform zusammenzufassen. „Imaro“ erschien 1981 - allerdings erst, nachdem der Untertitel „The Epic Novel of a Black Tarzan!“ gestrichen worden war, gegen den die Erben von Edgar Rice Burroughs gerichtlich vorgegangen waren. Ein zweiter Band, „The Quest for Cush“, erschien 1984, die Fortsetzung „The Trail of Bohu“ 1985, und dann war erst einmal Schluss: DAW zog die Reißleine, weil die Verkäufe hinter den Erwartungen zurückblieben. Die große Zeit der Heroic Fantasy war vorbei. High Fantasy hatte sie abgelöst, die Belgariad-Saga und die Nebel von Avalon zogen in die Bücherregale ein. Imaro schaffte trotzdem den Sprung über den Atlantik, landete allerdings in Frankreich: „Imaro“ und „La Route du Cush“ kamen 1986 im Pariser Verlag Garanciére heraus, „La Piste de Bohu“ folgte 1987.

Saunders verfasste auch Drehbücher für zwei Filme, die allerdings gar nicht erst in die Kinos kamen, sondern gleich auf VHS-Videokassetten herausgebracht wurden. Die deutschen Titel dieser US-argentinischen Koproduktionen lauten „Im Reich der Amazonen“ und „Stormquest – die Rache der Amazonen“, und falls sich jemand über die afrikanisch klingenden Namen der überwiegend blassen und blonden Amazonenkriegerinnen wundert: Saunders hatte sie sich wesentlich dunkelhäutiger vorgestellt als die Produzenten.

Saunders arbeitete hauptberuflich als Journalist für eine kanadische Regionalzeitung, aber er hörte nie auf damit, Fantasy zu schreiben. Er inspirierte damit andere farbige Autoren, es ihm gleich zu tun, und gilt deshalb als Patenonkel der „Sword and Soul“-Stilrichtung innerhalb der Heroic Fantasy. Seine Romane um Imaro erlebten zwischen 2006 und 2009 eine Neuauflage, und die beiden „Griots“-Anthologien aus den Jahren 2011 und 2013 präsentieren eine Auswahl von Autoren, die die Grenzen des Genres erweitern. Griots sind westafrikanische Geschichtensänger und Erzähler und vergleichbar mit der Rolle der Barden im keltischen Kulturkreis.

Charles Robert Saunders lebte zuletzt allein und zurückgezogen in Nova Scotia. Er starb irgendwann während des COVID-Lockdowns 2020 – am 2. Mai war er noch am Leben, am 15. Mai fanden Handwerker seinen Leichnam.

Das DAW-Cover zum dritten Imaro-Roman „The Trail of Bohu“ zeigt Imaro, der auf einem Nashorn in die Schlacht reitet. Was hat Charles Saunders wohl von Marvels Wakanda und dem Black Panther gehalten?

 

Ebenfalls erwähnen möchte ich an dieser Stelle das 2003 erschienenen Rollenspiel „Nyambe“, das in einem präkolonialen Afrika spielt und mit dem Atlas Games damals eine ganze Menge an Auszeichnungen einsammelte:
https://atlas-games.com/nyambe

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