Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Der Luftpirat und Matthias - Band 5 Abenteuer im unbekannten Lande

Der Luftpirat und MatthiasBand 5 –
Abenteuer im unbekannten Lande

Was Innovation und abstruse Ideen betraf, reichte vor dem 1. Weltkrieg keine Serie an  »Der Luftpirat« heran, nach Einschätzung vieler Experten die erste Science-Fiction-Reihe der Welt überhaupt. Erschienen sind um 1910 genau 165 Abenteuer, die in einem Format herauskamen, das zwischen dem heutigen A5 und A4 angesiedelt war. Ich unternehme nun eine Lesereise und berichte über die Abenteuer des Luftpiraten. Folgt mir auf diesem Weg ...


Abenteuer im unbekannten LandeBand 4 – Der Luftpirat im Diamantenlande 
Schauplatz:
Erde. Erde. Columbien. Bogota und unbekannte Urwaldregionen

Vorbemerkung
Zur letzten Lesereise kam im Kommentarteil von einem Leser der Vorschlag, die schönen Titelbilder größer einzuscannen. Ich finde die Idee toll und habe den Herausgeber Ralph Ehrig angeschreiben und gefragt, ob er mir höher aufgelöste Cover zur Verfügung stellen könnte – bisher keine Antwort. Also Ralph, wenn du das liest und meine Mail untergegangen ist – wie siehts aus? Handtellergröße reicht ja schon. Leider ist mein Scanner nicht so gut, sonst würde ich selbst Versuche anstellen. Außerdem: Ich müsste Kopien scannen, Ralph hat die Originalvorlagen, die geben wohl mehr her.

Außerdem ist mir aufgefallen, dass es nützlich wäre, eine Rubrik „Was bisher geschah“ einzuführen.

Das wirkt auf den ersten Blick vielleicht etwas übertrieben.

Der „Luftpirat“ wird zwar mitunter als „Großvater von Perry Rhodan“ bezeichnet, aber eine kontinuierliche Handlung findet man hier nicht. Auf den Umschlägen heißt es sehr deutlich:

„Jeder Band ist vollständig abgeschlossen“.

So ganz richtig ist das aber nicht.

Dieser Satz war damals, um 1910, eine wichtige Werbestrategie, um sich vom seit 50 Jahren etablierten Lieferungs-Heftroman abzusetzen, der eine durchlaufende Handlung hatte. Der Einzelheftvertrieb war relativ jung – es gab erst seit 5 Jahren (1905) Heftromane ohne durchlaufende Handlung. Und die Verleger waren sehr stolz auf diese Innovation, die damals beim Verkauf mehr Möglichkeiten bot – denn nun konnte man auch Laufkundschaft,  Gelegenheitskäufer und Kiosk-Kunden erreichen. Ein Lieferungsheft-Leser  dagegen musste fast immer ein Abo abschließen, dass dann nach Hause gebracht wurde. (Dieser Lieferer hat den Namen dieser Heftromansorte geprägt: Lieferungsroman, Kolporageroman - Kolportage = auf der Schulter tragen, Hintertreppenliteratur = Hefte wurde am Lieferungseingang abgegeben).  

Trotzdem man sich also von der Kolportage absetzen wollte, war es den Machern des Luftpiraten wichtig, einen roten Faden in die Einzelhefte einzubauen.

Die Rubrik „Was bisher geschah“ wird sich zwar über längere Strecken nicht ändern. Aber mitunter sammelt der Käptn neue wichtige Crewmitglieder auf, oder das Luftschiff/Raumschiff liegt für ein paar Hefte in der Werft zur Überholung, weil ihm etwas Schreckliches zustieß. Insofern ist es nicht ganz unwichtig, kurz auf frühere Hefte hinzuweisen.
Also:

Was bisher geschah
Europa, um 1905. Kapitän Mors war einst ein genialer Ingenieur, der im Kaukasus lebte. Auf seine großartigen Erfindungen wurde bald ein Ring von hochkrimineller politischer Abenteurer aufmerksam, die versuchten, ihn in seine Ziele einzuspannen. Als Mors merkt, das er benutzt wird, versucht er auszusteigen. Die Verschwörer ermorden seine Familie und stellen es so hin, dass er für schuldig gehalten wird. Im Geheimen baut der Ingenieur mit anderen Verfemten und ihm treuen Gehilfen ein gigantisches Kriegs-Luftschiff aus Metall, rüstet es mit hypermodernen selbsterfundenen Superwaffen aus und räumt zunächst unter seinen Feinden auf, die er in den Wirren der russischen Aufstände 1905 in Odessa in einer Art Privatkrieg grausam hinrichtet.
Danach zieht er als Robin Hood der Lüfte durch die Welt und überfällt Schiffstransporte, Gold- und Diamanteminen, um das Geld den Armen zu schenken. Ein nicht unbeträchtlicher Teil
des Reichtums nutzt der tollkühne Ingenieur aber für sein Lieblingsprojekt – die Planung und den Bau eines Raumschiffes, um eines Tages ins Weltall vorstoßen zu können...

Inhalt:
Der Käptn erholt sich von seinen anstrengenden Raubzügen in einer Kneipe in Bogota, Columbien. Leider hat der vorsichtige und auch ein bisschen spleenige Kapitän die Angewohnheit, auch in der Freizeit Maske & Hut aufzubehalten. In einer urigen südamerikanischen Kneipe kommt das nicht gut an. Die Anwesenden Stammsäufer halten ihn für einen Spion und beschließen, den komischen Typen über die Klinge springen zu lassen. Ein alter Adliger rettet ihm das Leben, indem er Geld in den Raum wirft.

Der Luftpirat bedankt sich freundlich, gibt zu verstehen, dass er mit den 40 Rabauken auch locker allein fertig geworden wäre, zeigt sich aber dankbar und verspricht dem Alten, ihm jeden Wunsch zu erfüllen. Folgerichtig glaubt der, sein Gegenüber wäre komplett verrückt. Trotzdem (oder grade deshalb) erzählt er ihm, dass seine junge Tochter entführt wurde – vermutlich von Bewerbern, die sie abwies.

Der Luftpirat verspricht tollkühn, die Tochter zu finden. Der betagte Konsul, nun endgültig im Glauben, einen Spinner reinsten Wassers vor sich zu haben, lässt den Piraten traurig ziehen.

Dessen Erkundigungen führen ihn in ein Grenzdorf Columbiens am Ende der Zivilisation. Jenseits des Nestes  leben nur noch bösartige Kannibalenstämme, die im ewigen Krieg mit den spanischen Siedlern leben. Hier erfährt der Kapitän, dass es zwei Überläufer gibt, Weiße, die sich dem größten und brutalsten Stamm angedient haben, um ihnen im Krieg mit ihrem Wissen über die Spanier zur Seite zu stehen. Zufälligerweise sind das genau die beiden, die des Konsuls Töchterchen abgelehnt hat!

Die Luftschiff-Besatzung fängt einen Krieger des Stammes und quetscht ihn aus – mit einer üblen Flüssigluft-Strahl-Gefrier-Foltermaschine, wieder eine der sonderbaren, fast kafkaesken Erfindungen des Piraten. So erfahren sie, dass der Plan der beiden Verräter, die Kleine mit Hilfe des wilden Stammes zu bändigen, fehlschlug, der finstere Oberindianer will sie für sich selbst. Mit Hilfe des Gefangenen finden sie das Hauptdorf des Stammes. Dem Kapitän gelingt es, die beiden streitenden Überläufer, die vor einer Hütte die Tochter des Konsuls bewachen, niederzuschlagen. Er flieht mit dem Mädchen. Die ihn verfolgenden Wilden können dem Super-Revolver des Kapitäns nichts entgegensetzen:

„Und da knallte es wieder. Man sah Humbas Glieder in Fetzen zerrissen durch die Luft fliegen. Ein dritter, ein vierter Schuß strecke zwei Coroados nieder, welche jetzt ihre Bogen erhoben. Auch sie wurden von der den Wilden unerklärlichen Gewalt in Stücke gerissen.“

Galant setzt der Luftpirat die junge Dame vorm Haus des Konsuls ab, klingelt, und verdrückt sich diskret.

„Und als die Glücklichen an den maskierten Mann dachten, standen sie allein. Kapitän Mors begehrte keinen Dank, er hatte längst das Haus verlassen.“

Seufz! Das waren noch Draufgänger mit Manieren!    

Kommentar
Das kennen routinierte Heftroman-Leser von nicht so routinierten Heftromanautoren – da hat ein Autor eine richtig schöne Geschichte im Gepäck. Die muss auch richtig schön breit erzählt werden. Und plötzlich stellt er fest – Huch! Heft schon fast zu Ende! Auf drei Seiten wird die allmählich aufgebaute Story dann im Eiltempo zu Ende durchgehaspelt. So auch hier. Viele schöne Details in den ersten zwei Dritteln. Lustige Idee, dass der Luftpirat mit seinen Superhero-Allüren und typischen markigen Comic-Gebaren (obwohl der Comic noch gar nicht erfunden ist) beim alten Konsul das Gefühl auslöst, der Typ hätte nicht alle Latten am Zaun. Im Grunde hat der Mann ja auch nicht so Unrecht, auf wenn er am Ende sein entführtes Töchterchen zurückhat.

Dann die Reise über den Urwald, die Suche nach dem Schwarzen Fluss, an dem das Hauptdorf liegen soll, die Entführung des Eingeborenen...alles hübsch erzählt! Nur dass der Kern der Geschichte dann wirklich buchstäblich auf den letzten drei Seiten abgehandelt wird. Eine schlechte, ärgerliche Dynamik. Immerhin ist das Heft kurzweiliger zu lesen als die beiden vorigen.

Erwähnenswert ist der damals sehr populäre Geschichten-Typ des Bösen Wilden. Das ist NICHT die Karl May-Linie, der ja eher den Topos vom Edlen Wilden weiterverwendet, wie ihn einst Rousseau und Cooper erfunden haben. Die Quelle der dunklen Gefahr, die aus unbekannten extrem gefährlichen Stämmen resultiert, stammt wohl eher aus den populären Romanen Rider Haggards und diversen deutschen Kolportageromanen (vor allem Otto Freitags „Zehn Jahre im dunklen Afrika“.)

Dass es in einem solchen Heft nach heutigen Maßstäben nicht grade politisch korrekt zugeht, kann man sich vorstellen. Da ist es fast ausgleichende Gerechtigkeit, dass die spanischen/südamerikanischen Siedler nicht besser wegkommen, das einfache Volk wird als ein Haufen versoffener, gewalttätiger und randalierender Idioten charakterisiert. Wen das empfindlich trifft – willkommen in der Welt des Groschenromans der Jahrhundertwende! Ähnlich wie in den amerikanischen Pulps wird da gnadenlos pauschalisiert.

Allerdings schafft die Inkonsequenz dieser Feindbilder innerhalb der Einzelhefte immer wieder eine Art makabrer Neutralität. Der eine Autor mag keine Franzosen, der zweite keine Engländer, der dritte keine Mexikaner, und so werden die einen oft zu Ungunsten der andren aufgewertet. Oft passiert das in ein und derselben Heftreihe!  Auch sind die Nationalitäten und Ethnien  hier so offensichtlich bis zur Karikatur überzeichnet, dass sich die Verzerrungen viel besser erkennen und belächeln lassen als in der „gehobenen“ Literatur der Zeit. Die subtilen Antisemitismen bei Wilhelm Raabe etwa halte ich rückblickend für viel gefährlicher.

Wobei sich hier – wie noch öfter in der Reihe – die interessante Frage eröffnet: Inwieweit haben solche Pauschalisierungen im Heftroman zu Rassen- und Völkerhass beigetragen? Oder war es umgekehrt, wurden einfach nur längst vorhandene Klischees zurückgespiegelt, um die Verkaufszahlen anzukurbeln, etwa so, wie etwa die Werbung heute das Klischee vom lauten Italiener / romantischen Franzosen bedient, um schon vorhandene Muster in den Köpfen zu bestätigen? Oder war das eine dialektische Angelegenheit – verstärkte sich beides gegenseitig? Eine Problematik, die unseren Lesereisen-Rahmen wohl sprengt.

[[Geheimer Wunsch, gedacht in gleich zwei eckigen Klammern: Sollte ich je mit dem Luftpiraten zu Ende kommen, wäre eine Reise durch Sun Koh eine echte Herausforderung – diese wohl ambitionierteste und in sich widersprüchlichste deutsche Abenteuer/SF-Serie der 1930er Jahre im Urtext bietet tonnenweise aufregenden Diskussionsstoff. Aber kommen wir erstmal hiermit zurande...]]    

Die lustigsten Sätze
Der widersprüchliche Umgang mit den bösen Wilden sorgt öfter für Passagen, die sich heute recht schwarzhumorig lesen. So erfährt man etwa unten auf Seite 18:

„Freilich gehörten diese Wilden einem grausamen, blutdürstigen Volke an, aber Kapitän Mors war nicht der Mann, der ein Gemetzel unter nackten Eingeborenen abhielt.“

Na, denkt man, das ist ja ganz schön tolerant für 1910, echt sympathischer Typ, dieser Luftpirat. Dann blättert man um und liest erstaunt weiter auf Seite 19 oben:

„Dazu war vielleicht später noch Zeit, wenn es die Not erforderte.“

...Schluck...

Das Cover:Zeigt das finale Gemetzel Mors versus Kannibalen. Was ich erst für einen antiken Butterfleck hielt, soll wohl die Explosionswolke aus des Käptns Superwaffe sein. Freundlicherweise erspart uns der Zeichner die im Text beschriebenen herumfliegenden Gliedmaßen. Charmant, wie der Luftpirat quasi aus dem Handgelenk das Gewicht der ohnmächtigen Konsulstochter hält. Ein echter Kraftprotz.

Übersicht:

  • Band 6 - Der Schatz der feuerspeienden Berge (4.8.)
  • Band 7 - Das Geheimnis des Japaners ( 18.8.)
  • Band 8 - Die Meuterer in der Mandschurei (1.9.)
  • Bans 9 - Die geheimnisvolle Insel des Kapitän Mors (15.9.)

Zur EinleitungZur Übersicht

Kommentare  

#1 Andreas Decker 2015-07-21 09:51
Zitat:
„Dazu war vielleicht später noch Zeit, wenn es die Not erforderte.“
Das deckt sich aber völlig mit dem imperialistischen Grundgedanken, dass man die unterentwickelten Völker wie ein Vater behandelt, wohlwollend aber streng. Ganz egal, wie weit da Eigenbild und Realität auch auseinanderklafften. Und 1910 waren die Metzger, die z.b. in Ostafrika für Ordnung gesorgt hatten, in der Heimat hochangesehen. Insofern denke ich, dass die Literatur hier die Realität widerspiegelt und sie damit natürlich in den Köpfen festigt.

Nicht mal ein im Kern anarchistischer Held wie Mors dürfte an der Gesellschaftsordnung rütteln bzw sie in Frage stellen. Wenn es um die Freiheit vom "Joch der Unterdrücker" geht, sind damit immer die anderen gemeint, und die Alternative ist keineswegs demokratische Selbstbestimmung.
#2 Matzekaether 2015-07-21 16:45
Du sprichst wahr, mein treuer indianischer Gefährte... ;-)

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles